Fünfzehntes Kapitel.
Die Nacht vom 5. zum 6. August.

[223] Das Gebiet der Dominion ist nicht das einzige, wo sich Goldlagerstätten vorfinden. In der ungeheuern Ländermasse des nördlichen Amerika zwischen dem Atlantischen und dem Pacifischen Ozean gibt es noch andre und wahrscheinlich werden in kurzer Zeit auch neue Fundstätten entdeckt werden. Gegenüber diesen Länderstrecken, denen sie einen zum Ackerbau geeigneten Boden versagt hat, ist die Natur bezüglich mineralischer Schätze desto freigebiger gewesen.

Die zum Gebiete Alaskas gehörigen Placers liegen hauptsächlich auf der Innenseite des großen Bogens, den der Yukon zwischen Klondike und St. Michel beschreibt und dessen Außenseite bis zum Polarkreise hinanreicht.

Dieser Gegend ziemlich nahe liegt Circle City, ein Städtchen am linken Ufer des Yukon und dreihundertsiebzig Kilometer stromabwärts von Dawson City. Hier entspringt der Birch Creek, ein Nebenfluß der großen Wasserader, nicht weit von dem gleichnamigen, unmittelbar über dem Polarkreise aufragenden Fort, das sich am nördlichsten Punkte des Yukon erhebt.

Gegen Ende der letzten Kampagne hatte sich nun das Gerücht verbreitet, daß die Goldlager bei Circle City denen an der Bonanza mindestens gleichwertig wären. und es hätte gar nicht viel daran gefehlt, daß sich der Strom der Goldgräber dahin gewendet hätte.[223]

Auf diese Gerüchte hin hatten sich Hunter und Malone, nachdem die Ausbeutung des Claims Nummer 131 wieder in Gang gebracht war, auf einem der Dampfer eingeschifft, die den Dienst auf dem Yukon versehen, und waren bei Circle City ans Land gegangen, wo sie die vom Birch Creek bewässerte Gegend besuchten. Wahrscheinlich hatten sie schon von Anfang an nicht beabsichtigt, dort die ganze Saison zu verweilen, und so waren sie denn letzt nach ihrem Claim Nummer 131 zurückgekehrt.

Der Beweis, daß ihre Fahrt nutzlos gewesen war, lag übrigens darin, daß die beiden Texaner jetzt wieder den Forty Miles Creek aufgesucht hatten und sich hier offenbar zum Aufenthalt während der ganzen Betriebszeit einrichteten. Hätten sie an den Lagerstätten des Birch Creek eine reiche Ernte an Pepiten und Goldstaub eingeheimst, so wären sie gewiß schleunigst nach Dawson City aufgebrochen, wo die Kasinos und die Spielhäuser ihnen so verlockende Gelegenheit boten, ihren Gewinn wieder... loszuwerden.

»Na, mit dem Wiedererscheinen Hunters wird es mit der Ruhe auf den Claims an der Grenze und besonders auf denen am Forty Miles Creek bald schlecht genug bestellt sein, äußerte Lorique gegen die beiden Vettern, als er von der Rückkehr der beiden Inhaber des Claims Nummer 131 gehört hatte.

– O, wir werden auf unsrer Hut sein, versicherte Ben Raddle.

– Das ist auch sehr ratsam, meine Herren, erklärte der Werkmeister, und ich werde unsern Leuten dringend empfehlen, nach allen Seiten vorsichtig zu sein.

– Wäre es nicht der Mühe ^wert, die Polizei von der Rückkehr der beiden rohen Burschen zu unterrichten? fragte Ben Raddle.

– Sie wird davon schon wissen, antwortete Lorique. Überdies könnten wir einen Eilboten nach dem Fort Cudahy schicken, um jeden Angriff von vornherein zu verhindern.

By god! rief Summy Skim mit einer Lebhaftigkeit, die ihm sonst gar nicht eigen war, ich muß Ihnen gestehen, daß wir uns alle hier etwas hasenherzig vorkommen. Wenn es dem Burschen einfiele, wieder roh und gewalttätig aufzutreten, so wird er schon einen finden, der ihm die rechte Antwort nicht schuldig bleibt.

– Ganz recht, sagte Ben Raddle. Doch wozu sollte es dienen, Summy, sich mit dem Kerl überhaupt einzulassen?

– O, wir haben noch eine alte Rechnung auszugleichen, Ben.


Auf beiden Seiten der Grenze waren die Arbeiter zusammengeströmt... (S. 230.)
Auf beiden Seiten der Grenze waren die Arbeiter zusammengeströmt... (S. 230.)

– Nun, diese Rechnung, Summy, scheint mir doch schon längst und zu deinen Gunsten geregelt zu sein, entgegnete Ben Raddle, der seinen Vetter um jeden Preis abhalten wollte, sich auf eine unangenehme Geschichte einzulassen. Daß du dich zum Verteidiger[224] einer insultierten Dame aufwarfst, das finde ich ja ganz natürlich, daß du Hunter damals in seine Schranken zurückwiesest... nun, dasselbe hätte ich wohl auch getan; wenn hier aber die ganze Arbeitsmannschaft eines Claims bedroht ist, dann hat sich die Landespolizei mit der Sache zu befassen.[225]

– Und wenn sie im gegebnen Augenblick nicht zur Stelle ist? erwiderte Summy Skim, der von seiner Anschauung der Sachlage nicht ablassen wollte.

– Wenn sie nicht zur Stelle ist, Herr Skim, erklärte der Werkführer, dann wehren wir uns unsrer Haut eben selbst, und glauben Sie mir, unsre Leute werden davor auch nicht zurückschrecken.

– Alles ganz schön und gut, ließ sich Ben Raddle vernehmen, wir sind aber nicht hierhergekommen, den Forty Miles Creek von den Elenden und den Raufbolden zu befreien, die ihn belästigen und unsicher machen, sondern nur...

– Um unsern Claim zu verkaufen, fiel Summy Skim ein, der immer auf sein altes Steckenpferd – das den Kopf jetzt noch höher zu tragen schien – zurückkam. Sagen Sie, Lorique, weiß man denn, was aus der Grenzregulierungskommission geworden ist?

– Die soll jetzt, antwortete der Werkführer, ganz unten im Süden, am Fuße des Mont Elie tätig sein.

– Das heißt, zu weit, als daß man sie aufsuchen könnte?

– Viel zu weit. Dazu müßte man sich über Skagway hinausbegeben.

– Ein verwünschtes Land! wetterte Summy Skim.

– Nur nicht gleich durchgehen! ermahnte Ben Raddle seinen Vetter, indem er ihm auf die Schulter klopfte, du hast alle Ursache, dich zu beruhigen. Geh' doch auf die Jagd, nimm Neluto mit, den es auch danach verlangt, und bringe uns heute Abend ein Stück schmackhaftes Wild mit. Inzwischen schütteln wir unsre Wiegen und suchen einen hübschen Gewinn daraus zu schlagen.

– Ja ja... wer weiß? setzte der Werkführer dazu. Könnte uns nicht dasselbe widerfahren, was im Oktober achtzehnhundertsiebenundneunzig dem Colonel Earvay am Cripple passiert ist?

– Was ist denn euerm Oberst passiert? fragte Summy Skim.

– O, der fand damals auf seinem Claim, kaum sieben Fuß tief, eine richtige Goldbarre im Werte von hunderttausend Dollars!

– A bah! stieß Summy Skim verächtlich hervor.

– Nimm deine Flinte auf den Rücken, Summy, sagte Ben Raddle. Geh' auf die Jagd bis zum Abend, hüte dich aber vor den Bären!«

Summy Skim wußte nichts Bessres zu tun. Er stieg mit Neluto in der Schlucht hinauf und nach einer Viertelstunde hörte man schon die ersten Schüsse knallen.[226]

Ben Raddle selbst nahm seine Arbeit wieder auf und empfahl seinen Arbeitern, alle Sticheleien und Aufreizungen, die von Nummer 131 herüberkämen, ganz unbeachtet zu lassen. An diesem Tage kam übrigens nichts vor, was die Arbeiterkolonnen der beiden Claims hätte in Händel verwickeln können.

In Abwesenheit Summy Skims, der sich wahrscheinlich nicht ganz hätte im Zaume halten können, fand Ben Raddle Gelegenheit, Hunter und Malone zu beobachten. Die Grenzlinie verlief – abgesehen davon, daß sie später vielleicht verlegt wurde – jetzt in nordsüdlicher Richtung längs des Talwegs der Schlucht. Das den Texanern als Wohnstätte dienende Häuschen bildete, am gegenüberliegenden Bergabhange, eine Art Pendant zu dem Loriques. So konnte Ben Raddle von seiner Stube aus Hunter und dessen Genossen im Auge behalten, als diese auf dem Claim Nummer 131 hin- und hergingen. Ohne besonders zu beachten, was bei und mit seinen Nachbarn vorging, bemühte er sich anderseits gar nicht, ungesehen zu bleiben, sondern lehnte sich im Erdgeschoß des Häuschens ruhig auf ein Fensterbrett.

Hunter und Malone kamen bis an den Grenzpfahl heran. Sie schienen in lebhaftem Gespräche begriffen zu sein. Erst richteten sie die Blicke auf den Creek hinaus, betrachteten die Claims am jenseitigen Ufer und wandten sich dann mit einigen Schritten der Schlucht zu. Unzweifelhaft waren beide ziemlich schlechter Laune, denn der Ertrag von 131 war seit dem Beginn der heurigen Schürfzeit kaum mittelmäßig gewesen, während die letzten Wochen für den Nachbarclaim recht ertragreich ausgefallen waren.

Hunter und Malone gingen in der Schlucht noch ein Stück weiter hinauf und machten etwa gegenüber dem Wohnhause Halt. Von dieser Stelle aus bemerkten sie Ben Raddle, der ihnen aber keine Aufmerksamkeit zu schenken schien. Recht gut gewahrte dieser jedoch, daß sie mit der Hand nach ihm hinwiesen, und erkannte auch, daß sie ihn mit ihren drohenden Handbewegungen und ihrer wütenden Stimme zu reizen versuchten. Klugerweise ließ er das ganz unbeachtet, und als die beiden Texaner sich zurückgezogen hatten, suchte er Lorique auf, der an einer Wiege tätig war.

»Haben Sie sie gesehen, Herr Raddle? fragte der Werkführer.

– Jawohl, Lorique, antwortete Ben Raddle; ihr herausforderndes Auftreten wird mich aber nie dazu verleiten, meine Zurückhaltung aufzugeben.

– Na, der Herr Skim scheint nicht so ruhiges Blut zu haben...[227]

– O, er wird sich bezähmen müssen, erklärte Ben Raddle. Wir dürfen nicht einmal den Schein erwecken, als ob wir diese Leute kennten.«

Die nächsten Tage verliefen ohne Zwischenfälle. Summy Skim begab sich, von seinem Vetter fast dazu gedrängt, mit dem Indianer jeden Tag schon frühzeitig auf die Jagd und kam erst spät am Nachmittage wieder. Inzwischen wurde es immer schwieriger, die amerikanischen und die kanadischen Arbeiter von kleinern Zusammenstößen abzuhalten. Mit jedem Tage näherten sich ihre Arbeiten dem Grenzpfahle, der beide Claims trennte. Bald mußte der Augenblick kommen, wo die Leute einander sozusagen an die Klinge gerieten. Die geringste Meinungsverschiedenheit konnte dann einen Streit, der Streit einen ernsthaften Zank und dieser eine Balgerei hervorrufen, die in eine wahre Schlacht auszuarten drohte. Kamen die Leute aber einmal miteinander ins Handgemenge, wer hätte ihnen dann Frieden gebieten sollen? Hunter und Malone legten es ja geradezu darauf an, Ruhestörungen auf den andern amerikanischen Claims an der Grenze anzuzetteln. Von solchen Abenteurern war ja alles zu fürchten. Auch die Polizei des Forts Cudahy war dann gewiß nicht immer imstande, die Ordnung wieder herzustellen.

Die nächsten achtundvierzig Stunden wurden die beiden Texaner nicht sichtbar. Vielleicht waren sie eben unterwegs, um sich die Placers des Forty Miles Creek auf alaskischem Gebiete anzusehen. Kamen in ihrer Abwesenheit auch einige Zänkereien zwischen den Arbeitern vor, so nahmen sie doch keinen ernsteren Charakter an.

An den drei folgenden Tagen konnte Summy Skim seinem Lieblingszeitvertreib schlechten Wetters wegen nicht nachgehen. Es regnete in Strömen und zwang jedermann, im Häuschen Schutz zu suchen. Das Auswaschen des Sandes gestaltete sich unter diesen Verhältnissen recht schwierig; die Brunnenschächte füllten sich bis zum Rande und von diesem strömte das Wasser über den Claim hin, der bald mit dickem Schlamm bedeckt war, worin man leicht bis zu den Knien versank.

Die aufgezwungene Muße wurde daher benützt, den gesammelten Goldstaub in Säckchen zu füllen. Der Ertrag von 129 war in den letzten vierzehn Tagen etwas zurückgegangen. Immerhin belief sich der Wert der nächsten in Dawson City abzuliefernden Sendung noch auf zehntausend Dollars.

Jane Edgerton hatte dagegen immer bessere Erfolge erzielt. Jeder Tag ergab ihr etwas mehr als der vorhergehende und sie konnte den zehntausend[228] Dollars der beiden Vettern noch weitre zwölftausend hinzufügen. Die Arbeit wurde erst am 3. August wieder regelrecht aufgenommen Nach einem regnerischen Vormittage heiterte sich der Himmel am Nachmittag unter dem Einflusse südwestlicher Winde wesentlich auf. Freilich hatte sich eine deutliche Neigung zu Gewittern ausgebildet, die hier zu dieser Jahreszeit oft mit entsetzlicher Gewalt auftreten und dann beträchtlichen Schaden verursachen.

Die beiden Texaner kehrten an diesem Tage von ihrem Ausfluge zurück; sie verschwanden sofort in ihrem Hause und ließen sich auch am Morgen des 4. August nicht blicken.

Summy machte sich den Witterungsumschlag zunutze, wieder jagen zu gehen. Von stromabwärts hatte man das Auftauchen einiger Bären gemeldet und er wünschte nichts mehr, als einmal einem solchen mächtigen Plattsüßter zu begegnen. Es wäre übrigens auch nicht sein Jungfernschuß auf Meister Braun gewesen; in den Wäldern von Green Valley war schon mehr als einer unter seinen Kugeln gefallen.

Im Laufe dieses Tages hatte Lorique einen besondern Glücksfall. Als er fast an der Grenze des Claims ein Loch aushob, entdeckte er einen Goldklumpen, der wenigstens vierhundert Dollars wert sein mußte. Der Werkmeister konnte seine Freude darüber nicht unterdrücken und rief mit lauter Stimme seine Genossen zu sich heran.

Die Arbeiter und auch Ben Raddle kamen herbeigelaufen und alle stießen laute Rufe der Verwunderung aus, als sie übernußgroße Pepiten in einem Stück Quarz eingebettet vor sich liegen sahen.

Auf dem Claim 131 war man sich über die Ursache dieses Jubels nicht im unklaren. Das erregte hier freilich einen – nicht ganz unberechtigten – neidischen Unmut, da die amerikanischen Arbeiter seit einiger Zeit keinen irgend wertvollen Fund gemacht hatten und ihre Arbeit dabei immer beschwerlicher wurde.

Da ließ sich eine Stimme – es war die Hunters – vernehmen:

»Hier gibt es also nur etwas für diese Hunde aus den Prärien des fernen Ostens!« rief er wütend.

Mit diesen Schimpfworten bezeichnete er die Kanadier mit Vorliebe.

Ben Raddle hatte die Beleidigung gehört.

Er bezwang sich aber und begnügte sich damit, dem Grobian den Rücken zuzukehren und verächtlich mit den Schultern zu zucken.[229]

»Heda, fuhr der Texaner fort, jawohl, mit Ihnen hab' ich gesprochen, Sie Herr von Montreal.«

Ben Raddle bewahrte noch immer das frühere Schweigen.

»Ich weiß doch nicht, was mich zurückhalten sollte!« rief Hunter.

Er wollte schon die Grenze überschreiten und sich auf Ben Raddle stürzen, als Malone ihn noch zurückhielt. Auf beiden Seiten der Grenze waren inzwischen aber auch die Arbeiter zusammengeströmt, die bald mit Worten und Drohungen aneinandergerieten, so daß die Eröffnung wirklicher Feindseligkeiten nicht mehr fern sein konnte.

Als Summy gegen Abend heimkehrte, nachdem es ihm, wenn auch mit einiger Gefahr, geglückt war, einen Bären zur Strecke zu bringen, erzählte er eingehend seine Erlebnisse auf dem Jagdausfluge. Ben Raddle wollte gegen ihn den heutigen Vorfall gar nicht erwähnen und nach dem Abendessen suchten beide ihr Zimmer auf, wo der ermüdete Summy Skim bald in stärkenden Schlummer fiel.

War nun zu fürchten, daß der heutige Zwischenfall weitere Folgen haben würde? Sollten Hunter und Malone von neuem mit Ben Raddle Händel suchen oder gar ihre Leute noch mehr gegen die vom Claim 129 aufhetzen? Wahrscheinlich war das ja, denn am folgenden Tage mußten Spitzhauen und Äxte an der Grenzlinie unmittelbar aufeinandertreffen.

Zum großen Leidwesen seines Vetters brach Summy Skim gerade an diesem Tage nicht zur Jagd auf. Das Wetter war drückend und im Südosten ballten sich schwere Wolken zusammen. Im Laufe des Tages kam es jedenfalls zu einem Gewitter und da war es doch besser, sich davon nicht fern von der Wohnung überraschen zu lassen.

Der ganze Morgen wurde zum Sandwaschen angewendet, während eine Gruppe der Arbeiter unter Loriques Leitung das Aufgraben des Erdbodens fast auf der Grenzlinie der beiden Besitztümer fortsetzte.

Bis zur Mitte des Tages verlief alles noch friedlich. Einige höhnische und grobe Redensarten der Amerikaner riefen höchstens mehr oder weniger lebhafte Antworten von seiten der Kanadier hervor. Das war aber auch alles und die Werkführer der beiden Parteien hatten keine Veranlassung, einzuschreiten.

Leider sollte das nach Wiederaufnahme der Arbeit am Nachmittag anders werden. Hunter und Malone trotteten auf ihrem Placer aufgeregt umher, während[230] Summy Skim in Begleitung Ben Raddles auf dem andern ruhig hin- und herging.

»Da sieh, sagte Summy Skim zu Ben Raddle, die beiden Schnapphähne sind ja wieder da. Ich hatte sie noch nicht gesehen, du vielleicht, Ben?

– Ja... ich glaube, gestern, antwortete Ben Raddle ausweichend. Folge aber meinem Beispiele: beachte die beiden gar nicht.

– Solange sie uns nicht in einer Weise anstarren, die mich verletzt...

– Lege kein Gewicht darauf, Summy.«

Die Texaner hatten sich langsam genähert und den beiden Vettern gerade genug herausfordernde Blicke zugeworfen, da sie diese aber vorläufig nicht mit ihren gewohnten Beleidigungen begleiteten, fand Summy Skim noch keine Veranlassung, sich mit ihnen zu beschäftigen.

Die Arbeiter gruben und schaufelten an der Grenze der beiden Claims inzwischen immer weiter, hoben den Boden aus und schöpften den sandigen Schlamm in Kübel, die sie nach den Schleusen oder den Wiegen trugen. Beide Gruppen berührten einander, absichtlich oder nicht, jetzt fast jeden Augenblick mit ihren Arbeitsgeräten.

Jedenfalls hatte das bisher noch niemand besonders beachtet, als gegen fünf Uhr plötzlich laute Rufe erschallten. Ben und Summy auf Nummer 129 und Hunter und Malone auf der andern Seite stürmten daraufhin aufeinander zu.

Die beiden Kolonnen arbeiteten nicht mehr, auf beiden Seiten aber brach man in einen wilden Siegesruf aus: Die »Tasche«, die Bonanza, war endlich angeschlagen worden. Seit einigen Minuten lieferte der auf beiden Seiten zum Auswaschen beförderte Sand allemal schon über hundert Dollars, als man auf dem Grunde der Ausschachtung eine Pepite, einem wirklichen Barren im Werte von wenigstens zweitausend Dollars erblickte, auf den die einander Auge in Auge gegenüberstehenden Werkführer zu gleicher Zeit den Fuß gesetzt hatten.

»Der gehört uns! rief Hunter, als er atemlos herankam.

– Nein, uns! widersprach ihm Lorique, seinen Fund festhaltend.

– Dir, erbärmlicher Hund?... Sieh dir nur den Pfahl an, das wird dir zeigen, daß dein Fuß auf meinem Grund und Boden steht.«

Ein Blick auf die von den zwei nächsten kleinern Stangen bezeichnete Linie überzeugte Lorique, daß er in seinem Eifer wirklich die Grenze überschritten hatte, und seufzend mußte er seinen Fund aufgeben, als Ben Raddle auf der Bildfläche erschien.[231]

– Wenn Sie über die Grenze hinausgekommen sind, Lorique, sagte er ruhig so liegt das daran, daß diese in der Nacht verändert worden ist. Jedermann kann leicht sehen, daß die Stangen keine gerade Linie mehr bilden und daß die hier ein Stück weiter nach Osten versetzt worden ist.«

Es war in der Tat so. Die Reihe der Visierstangen bildete jetzt eine gebrochne Linie, die in der Höhe der beiden Claims nach Osten einbog.

»Frecher Dieb! schleuderte Lorique Hunter ins Gesicht.

– Der Dieb bist du selbst!« gab dieser zurück und sprang auf den Kanadier los, der infolge der Überraschung niederstürzte.

Da eilte Summy Skim dem Werkmeister, den der Texaner auf der Erde festhielt, zuhilfe. Ben Raddle folgte ihm sofort nach und packte den herzulaufenden Malone an der Kehle. Lorique, der jetzt befreit wurde, sprang sogleich auf und an seiner Stelle wälzte sich nun Hunter am Boden.

Das wurde zur Veranlassung eines allgemeinen Handgemenges. Von kräftiger Hand geschwungne Äxte und Spitzhauen dienten als furchtbare Waffen. Gewiß wäre es zu einem reichlichen Blutbade gekommen und hätte auf beiden Seiten der und jener das Leben eingebüßt, wenn nicht zufällig gerade in diesem Augenblick eine Polizistenpatrouille an dieser Stelle des Forty Miles Creek aufgetaucht wäre. Dank diesem halben Hundert handfester und entschlossener Männer wurde der Kampf bald unterdrückt.

Ben Raddle richtete das Wort zuerst an Hunter, der vor Wut selbst nicht sprechen konnte.

»Wie kommen Sie dazu, unser Gut stehlen zu wollen? fragte er den Gegner.

– Dein Gut? entgegnete ihm Hunter, der seinen Nachbar in ihm gewohnter grober Weise gleich duzte, nimms nur hübsch in acht, dein Gut! Lange wirst du's nicht haben.

– Versuche nur, es dir aneignen zu wollen, drohte ihm Summy mit geballter Faust.

– Ah, was dich angeht, heulte Hunter, der vor Wut buchstäblich schäumte, da haben wir beide ja noch eine alte Geschichte abzurechnen.

– Wann es euch gefällt, erwiderte Summy Skim gelassen.

– Wann es mir gefällt?... Nun gut also!...«

Hunter unterbrach sich plötzlich. In Begleitung Patricks kam Jane Edgerton eben, nach Beendigung ihrer täglichen Arbeit, wie jeden Abend nach dem hundertneunundzwanzigsten[232] Claim. Erschrocken näherte sie sich der lauten Gruppe, die sich gestikulierend an der Grenze hin- und herdrängte. Hunter erkannte sie auf der Stelle.

»O, sagte er hohnlachend, der ritterliche Verteidiger der Frauen warf sich damals für eigne Rechnung so ins Zeug.

– Erbärmlicher Schuft! rief Summy empört.

– Schuft!

– Jawohl, Schuft, wiederholte Summy Skim, der sich nicht mehr zu beherrschen vermochte, und zu erbärmlich, einem Manne Rechenschaft zu geben.

– Das wirst du noch sehen, ich finde dich schon wieder, heulte Hunter.

– Wann ihr wollt, antwortete Summy Skim, schon morgen...

– Ja, morgen!« sagte Hunter.

Von den Polizisten, die die Visierstange wieder an die rechte Stelle gesetzt hatten, langsam verdrängt, mußten die Arbeiter jeder nach seinem Platze zurückweichen. Dabei nahm wenigstens Lorique eine Trophäe mit fort, den kostbaren Goldklumpen, der zur Veranlassung des Streites geworden war.

»Summy, begann Ben Raddle, als sie sich ins Wohnhaus zurückgezogen hatten, mit einem solchen Schurken kannst du dich nicht schlagen.

– Und dennoch werde ich's tun, Ben.

– Nein, Summy, das wirst du nicht tun.

– O doch, sag' ich dir, und wenn es mir gelingt, ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen, so wäre das das schönste Jagdereignis meines Lebens. Eine Jagd auf einen solchen Auswurf der Menschheit!«

Soviel er sich auch bemühte, Ben Raddle konnte bei dem Vetter nichts ausrichten; kampfesmüde rief er jetzt Jane Edgerton um Unterstützung an.

»Fräulein Jane! sagte Summy. Gerade um derentwillen war ja der Zweikampf unvermeidlich. Jetzt, wo Hunter sie erkannt hatte, würde er ihr doch ununterbrochen nachstellen.

– O, ich brauche keinen Schutz, Herr Skim, erklärte Jane, die sich so viel wie möglich zu strecken suchte.

– Laßt mich alle in Ruhe, rief Summy erbittert. Ich bin doch wohl alt und groß genug, zu wissen, was mir die Pflicht gebietet. Und was ich jetzt zu tun habe, das ist...

– Nun, das ist?[233]

– Das ist – sehr einfach – zu Abend zu essen,« erklärte Summy Skim und setzte sich mit solcher Wucht nieder, daß sein Schemel gleich in drei Stücke zersprang.

Da machte ein unerwartetes Naturereignis die endgültige Austragung dieses Zwischenfalls unmöglich oder verschob sie doch auf unbestimmte Zeit.

Den ganzen Tag hatte das Wetter schon einen recht bedrohlichen Charakter gezeigt. Gegen sieben Uhr abends wurde die von Elektrizität übersättigte Luft von grellen Blitzen durchfurcht und von Südwesten her hörte man bereits ein dumpfes Donnergrollen. Infolge der Auftürmung schwerer Wolkenmassen wurde es bereits recht dunkel, obwohl die Sonne noch über dem Horizonte stand.

Schon im Laufe des Nachmittags hatte man in verschiednen Claims am Forty Miles Creek seltsam bedrohliche Zeichen beobachtet: ein schwaches, in der Erde schnell fortschreitendes Erzittern, das von langdauerndem, rollendem Geräusch und da und dort von einem Ausströmen schwefeliger Gase begleitet war. Offenbar drohte hier eine gefährliche plutonische Störung.

Als sich dann alle gegen halb elf Uhr im Hause des Claims Nummer 129 zum Schlafe niederlegen wollten, wurde das leichte Bauwerk durch heftige Stöße erschüttert.

»Ein Erdbeben!« rief Lorique.

Er hatte kaum diese Worte hervorgestoßen, als das Häuschen urplötzlich halb umgestürzt wurde, so als ob es ihm an Boden fehlte.

Nicht ohne Mühe, doch zum Glück ohne ernstere Verletzungen, konnten sich die Insassen aus den Trümmern retten.

Doch draußen erst... welch ein Anblick! Der Boden des Claims war unter einer wirbelnden Überschwemmung verschwunden. Ein Teil des Creeks war aus seinem Laufe abgelenkt und wühlte sich jetzt ein neues Bett durch die Goldfundstätten hin.

Von allen Seiten ertönten Aufschreie der Verzweiflung und des Schmerzes. Die in ihren Hütten überraschten Goldgräber suchten sich vor den immer weiter vordringenden Fluten zu retten. Entwurzelte oder am Fuße umgebrochne Bäume wurden mit Schnellzugsgeschwindigkeit vom Wasser weggetragen.

Die Überschwemmung erreichte schon die Stelle, wo das eingestürzte Häuschen lag; in wenigen Minuten hätte man hier bis zum halben Leib im Wasser gestanden.[234]

»Fort... fort von hier!« rief Summy Skim, nahm Jane Edgerton auf den Arm und trug sie die Berglehne hinan.

In diesem Augenblick stieß ein abtreibender Weidenstamm Ben Raddle ans Bein, was ihm einen Knochenbruch unterhalb des Knies verursachte. Lorique, nach diesem Neluto, eilten ihm zuhilfe, wurden aber von der Flut weggerissen und kamen in Gefahr, darin umzukommen. Zum Glücke hatte auch Patrick den Vorgang mit angesehen. Während es Summy gelang, seinen Vetter auf den Schultern fortzutragen, packte der Riese den Werkführer und den Steuermann des Scout jeden mit einer Hand und fest wie ein Felsen in dem tosenden Strudel schleppte er beide aus der Strömung ans Land.

Bald waren alle außer Gefahr und ohne andern Schaden als den Knochenbruch Ben Raddles. Jetzt konnte man das ganze Unglück beim Scheine des himmlischen Feuers übersehen. Das Häuschen war verschwunden und mit ihm die von den beiden Vettern und Jane Edgerton gesammelten Schätze. Der Hügel, den diese jeden Morgen und jeden Abend überschritt, hatte seine Form verändert. An ihm brandete eine ungeheure Wassermasse, die auf beiden Seiten der Grenze das rechte Ufer des Forty Miles Creek auf die Strecke von mehr als einem Kilometer bedeckte.

Wie hundert andre benachbarte Besitzstellen waren jetzt auch die der beiden Vettern und Jane Edgertons zehn Meter tief unter gurgelndem Wasser begraben. Vergeblich hatten die Erben Josias Lacostes tausende von Kilometern zurückgelegt, um ihren Claim Nummer 129 bestmöglich zu verwerten. Ihre Erbschaft war für immer verschwunden: es gab keinen Claim Nummer 129 mehr.


Ende des ersten Bandes.[235]

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 223-236.
Lizenz:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon