[31] Sie war also angetreten, die Talfahrt über den großen Strom, die Ilia Brusch durch ein Großherzogtum: Baden, durch zwei Königreiche: Württemberg und Bayern, zwei Kaiserreiche: Österreich und die Türkei, sowie durch drei Fürstentümer: Hohenzollern, (damals noch) Serbien und[31] Rumänien führen sollte1. Der originelle Fischer brauchte während der langen Fahrt keine Ermüdung zu befürchten, die Strömung der Donau allein sollte ihn, etwa mit der Geschwindigkeit von vier Kilometern in der Stunde, also etwa fünfzig Kilometer während der Tageshelle, bis zur Mündung hinuntertragen. Hielt ihn dann kein Unfall unterwegs zurück, so mußte er nach zwei Monaten sein Reiseziel erreicht haben. Warum hätte er aber Verspätungen erfahren sollen?
Das Boot Ilia Bruschs maß ungefähr zwölf Fuß. Es war eine Art flachbodige Jolle und mit allen Geräten und Hilfsmitteln ausgerüstet, für die ein richtiger Fischer Bedarf haben kann. Ilia Brusch hätte davon nichts entbehren können, da er nach dem seinen Kollegen am Tage des Wettstreites mitgeteilten Programm ausschließlich von der Ausbeute seines Fischfanges leben mußte, ob er diese nun in natura verzehrte oder in klingende, vollwichtige Geldstücke umsetzte, die es ihm ermöglichten, in seinen Speisezettel einige Abwechslung zu bringen, ohne seinem Programm ungetreu zu werden.
Abends gedachte Ilia Brusch dann die tagsüber gefangenen Fische zu verkaufen, für die sich, da von dem Namen des Fischers überall so viel die Rede gewesen war, auf beiden Ufern jedenfalls Liebhaber genug finden würden.
So verlief der erste Reisetag. Ein Beobachter, der Ilia Brusch hätte mit den Augen verfolgen können, würde allerdings mit Recht über den geringen Eifer erstaunt gewesen sein, womit der Preisträger des Donaubundes dem Fischfange obzuliegen schien, durch den er während der abenteuerlichen Fahrt doch seinen Lebensunterhalt erwerben sollte. Sobald er sich nämlich ungesehen glaubte, beeilte er sich die Schnur loszulassen, dafür die Riemen zu ergreifen und mit aller Kraft zu rudern, als läge ihm viel daran, die Fortbewegung der Jolle zu beschleunigen. Ließen sich an dem einen oder andern Ufer Neugierige erblicken oder begegnete er einem andern Jollenführer, so ergriff er sofort wieder die Angel, und bei seiner Geschicklichkeit gelang es ihm meist sehr bald, einen hübschen Fisch aus dem Wasser zu ziehen, was die Zuschauer dann mit lauten Beifallsrufen begleiteten. Sobald diese aber durch eine Biegung des Flusses verborgen oder der andre Jollenführer verschwunden war, griff er wieder zu den[32] Riemen und verlieh seinem etwas schweren Fahrzeuge neben der Strömung noch eine eigene Geschwindigkeit.
Hatte Ilia Brusch wohl einen Grund, seine Reise möglichst abzukürzen, die zu unternehmen ihn ja niemand gezwungen oder nur veranlaßt hatte? Wie dem auch sein mochte, jedenfalls glitt er schnell vorwärts. Getragen von der Strömung, die nahe dem Ursprung des Stromes eine schnellere ist als weiterhin, ruderte er doch allemal, wo ihm die Gelegenheit günstig[33] schien, und kam so mit der Geschwindigkeit von acht, vielleicht noch mehr Kilometern in der Stunde vorwärts.
Nachdem er an einigen ganz unbedeutenden Ortschaften vorübergekommen war, ließ er Tuttlingen, eine Oberamtsstadt des Schwarzwaldkreises, ohne hier anzuhalten, hinter sich, obgleich ihn einige seiner Bewundrer vom Ufer aus zu einer Landung einluden. Ilia Brusch weigerte sich aber, indem er diese Einladung mit einer Handbewegung ablehnte, seine Fahrt zu unterbrechen.
Nachmittag gegen vier Uhr erreichte er, achtundvierzig Kilometer von seinem Abfahrtspunkte, die kleine Stadt Fridingen. Gern hätte er wie die frühern Orte auch diese »geschnitten«, der Enthusiasmus des Volkes erlaubte ihm das aber nicht. Sobald er sichtbar wurde, stießen mehrere Boote, aus denen er mit unzähligen »Hochs« begrüßt wurde, vom Ufer ab und umschlossen den berühmten Preisträger. Der ergab sich nun auf Gnade und Ungnade, vor allem da er auch Abnehmer für die bei seinem mehrfach unterbrochenen Fange erbeuteten Fische suchen mußte. Barben, Bleie, Rotaugen, Stichlinge zappelten und zuckten noch in seinem Netze, ohne einzelne Meeräschen zu zählen, die vielerorts unter dem Namen »Hottus« bekannt sind. Offenbar konnte er das nicht alles allein verzehren, und davon konnte hier auch gar nicht die Rede sein. Dafür waren zu viele Liebhaber zur Stelle. Kaum hatte seine Jolle angelegt, als sich schon gegen fünfzig Badener an ihn herandrängten, ihn anriefen und den Preisträger des Donaubundes unter allerlei Ehrenbezeugungen einkreisten.
»Hierher, hierher, Brusch!
– Ein Glas gutes Bier, Brusch?
– Wir kaufen Ihre Fische, Brusch!
– Zwanzig Kreuzer für den hier!
– Einen Gulden für den andern da!«
Brusch konnte gar nicht schnell genug antworten, und sein Fang hatte ihm bald ein hübsches Stück blankes Geld eingebracht. Mit den beim Wettbewerb erhaltenen Barpreisen mußte das nach und nach eine nette Summe bilden, wenn die Begeisterung der Uferbevölkerung sich von der Quelle bis zur Mündung des großen Stromes in gleicher Weise weiter verbreitete.[34]
Warum sollte das auch nicht der Fall sein? Warum sollten die Leute aufhören, sich um die Fische Ilia Bruschs zu streiten? War es denn nicht eine Ehre, einen solchen Wasserbewohner von ihm zu besitzen? Er brauchte sich nicht einmal die Mühe zu machen, seine Ware auf den Märkten der Städte auszubieten, da sich das Publikum um diese völlig riß. Dieser Verkauf war offenbar ein genialer Einfall.
Außer daß er am heutigen Abend seine Fische schnell und vorteilhaft absetzte, fehlte es ihm auch nicht an Einladungen. Da es Ilia Brusch aber darauf ankam, sein kleines Fahrzeug so wenig wie möglich zu verlassen, schlug er sie ebenso entschieden aus, wie die vielen Gläser guten Weines und die Schoppen vortrefflichen Bieres, die man ihn ersuchte, in den Gastwirtschaften am Ufer anzunehmen. Seine Verehrer mußten auf seine Gesellschaft verzichten und sich von ihrem Helden trennen, den sie jedoch am nächsten Tage bei seiner Abfahrt noch einmal zu begrüßen versprachen.
Am nächsten Morgen fanden sie die Jolle aber nicht mehr. Ilia Brusch war schon mit dem ersten Tagesgrauen aufgebrochen, und die Einsamkeit der frühen Morgenstunde benützend, ruderte er eifrig, wobei er sich immer gleichweit von beiden Stromufern zu halten suchte. Von der schnellen Strömung unterstützt, passierte er um fünf Uhr früh Sigmaringen, nur einige Meter entfernt vom »Treffpunkt der Fischer«. Jedenfalls hätte sich etwas später ein oder das andre Bundesmitglied über den Balkon des Gasthauses hinausgebeugt um den ankommenden berühmten Kollegen zu erspähen.... Freilich vergebens. Der Fischer war, wenn dieselbe Geschwindigkeit seiner Fahrt andauerte, dann schon weit von hier fort.
Einige Kilometer von Sigmaringen ließ Ilia Brusch den ersten Zufluß der Donau, eigentlich einen Bach, den Bauchart, hinter sich, der sich vom linken Ufer in den Strom ergießt.
Da Ilia Brusch sich die verhältnismäßig große Entfernung zwischen den volkreichen Orten in diesem Teile des Stromlaufes zunutze machen konnte, trieb er sein Bot im Laufe des Tages mit allen Kräften weiter und angelte nur, soweit ihm das unumgänglich nötig erschien. Da er nur die für den eignen Bedarf hinreichende Menge Fische erbeutet hatte, ankerte er auf freier Strecke etwas oberhalb des Städtchens Mundelfingen, dessen Bewohner ihn gewiß nicht so in ihrer Nähe vermuteten.[35]
Dem zweiten Tage der Fahrt schloß sich der dritte mit ganz gleichem Verlaufe an. Ilia Brusch fuhr schon vor Sonnenaufgang schnell an Mundelfingen vorbei, und es war auch noch früh am Tage, als er an dem großen Flecken Ehingen vorüberkam. Um vier Uhr passierte er die Illermündung am rechten Ufer, und es hatte kaum fünf geschlagen, als er sein Boot am Kai von Ulm, nach der Hauptstadt Stuttgart die wichtigste Stadt Württembergs, an einem Eisenringe angelegt hatte2.
Die Ankunft des berühmten Preisträgers war nicht angemeldet worden. Man erwartete diesen erst in den Abendstunden des nächsten Tages. Hier fehlte es also an dem gewohnten Gedränge, und sehr erfreut darüber beschloß Ilia Brusch, den Rest des Tages zu einem flüchtigen Besuch der Stadt zu benutzen.
Wenn man sagte, daß der Kai völlig verlassen gewesen sei, so wäre das nicht ganz richtig. Hier wanderte wenigstens ein Mann auf und ab, und alles deutete darauf hin, daß dieser Wandrer Ilia Brusch erwartete, denn er war der Jolle von dem Augenblick ihres Auftauchens an längs des Ufers gefolgt. Aller Wahrscheinlichkeit nach entging der Preisträger des Donaubundes also auch hier nicht der gewohnten Huldigung.
Als die Jolle aber am Kai festgelegt war, hatte sich der einsame Wandrer ihr nicht weiter genähert, sondern schien sie aus einiger Entfernung, und bemüht, selbst nicht gesehen zu werden, zu beobachten. Es war ein mittelgroßer, unfreundlich aussehender Mann mit lebhaften Augen, obwohl er gewiß schon über vierzig zählte. Er trug eine Kleidung nach ungarischer Mode und hielt einen ledernen Reisesack in der Hand.
Ohne ihm eine weitere Aufmerksamkeit zu widmen, legte Ilia Brusch sein Fahrzeug fest an, schloß die Tür eines kleinen Aufbaues auf diesem, überzeugte sich, daß alle Kastendeckel durch feste Vorlegeschlösser gesichert waren, und sprang dann ans Land, um in der nächsten Straße der Stadt zu verschwinden.
Der andre war ihm aber auf dem Fuße gefolgt, nachdem er den von ihm getragenen Ledersack in der Jolle niedergelegt hatte.
Von der Donau durchflossen, gehört Ulm auf der linken Seite zu Württemberg, auf der rechten dagegen zu Bayern, ist aber auf beiden[36] Seiten eine rein deutsche Stadt Ilia Brusch ging durch die alten Straßen mit alten, mit kleinen Türen versehenen Läden hin, welche die Kunden kaum je betreten, da die Einkäufe meist gleich in und durch die Schaufenster hindurch abgeschlossen werden. Bei stärkerem Winde gibt es da einen Heidenlärm von altem Eisen, da schwanken und knarren an ihren Armen die schweren Firmenschilder in Gestalt von Bären, Hirschen, Kreuzen und Kronen bunt durcheinander.
Als Ilia Brusch die alte Stadtmauer erreicht hatte, spazierte er durch das Quartier, wo Fleischer, Kuttler und Lohgerber ihre Trockenböden haben, und dann kam er, ziellos weiter schlendernd, nach der Hauptkirche, einem der kühnsten Bauwerke ganz Deutschlands. Ulms Münster sollte an Höhe sogar den Straßburgs übertreffen. Diesen Anspruch hat er jedoch, wie das im Leben so oft vorkommt, aufgeben müssen: die äußerste Spitze des württembergischen Bauwerkes ragt nur dreihundertsiebenunddreißig Pariser Fuß (107.78 Meter), die des Straßburger 142 Meter empor3.
Da Ilia Brusch nicht zur Familie der Bergfexe gehörte, kam ihm gar nicht der Gedanke, den Münster zu besteigen, von dem aus er die ganze Stadt und weithin deren Umgebung hätte übersehen können. Wenn er es getan hätte, wäre ihm jedenfalls jener Unbekannte nachgefolgt, der ihn nicht verließ, ohne daß er etwas davon bemerkte. Er wäre von dem andern begleitet worden, wenn er nach seinem Betreten des Gotteshauses das Tabernakel bewundert hätte, das ein französischer Reisender (Duruy) mit einer Bastion mit kleinen Zellen und Verteidigungserkern verglichen hatte, oder wenn er die Chorstühle betrachtet hätte, die ein Künstler des 14. Jahrhunderts mit den Holzbildern berühmter Persönlichkeiten aus jener Zeit geschmückt hat.
Einer hinter dem andern kamen die beiden am Rathause, einem ehrwürdigen Bau aus dem 12. Jahrhundert, vorüber und begaben sich dann wieder nach dem Strome zu.
Ehe sie jedoch den Kai erreichten, machte Ilia Brusch einen kurzen Halt, um sich eine auf Stelzen dahermarschierende Gesellschaft anzusehen. Dieses Stelzenlaufen ist in Ulm sehr beliebt, obgleich dessen Einwohner dazu nicht gezwungen sind, wie das in der alten Universitätsstadt Tübingen der[37] Fall ist, wo sich der feuchte und schluchtig zerrissene Erdboden kaum für Fußgänger eignet.
Um das Schauspiel besser genießen zu können, das hier eine Gruppe lustiger junger Burschen, hübscher Dirnen und kleiner Knaben und Mädchen aufführte, hatte sich Ilia Brusch in einem Case niedergesetzt. Sofort hatte auch der Unkannte an einem Tische in der Nähe Platz genommen, und beide ließen sich jetzt ein Glas des berühmten hiesigen Bieres bringen.
Zehn Minuten später gingen sie wieder weiter, jetzt aber in umgekehrter Ordnung. Der Unbekannte ging beschleunigten Schrittes voraus, und als Ilia Brusch, der ihm, ohne sich etwas dabei zu denken, folgte, seine Jolle erreichte, fand er den andern, der schon darin saß und nur auf ihn zu warten schien.
Es war noch heller Tag. Ilia Brusch bemerkte schon von weitem den Eindringling, der sichs, einen gelben Ledersack zu Füßen, auf dem Hinterteil des Bootes bequem gemacht hatte.
»Entschuldigen Sie, mein Herr, sagte er, Sie haben sich wohl geirrt?
– Keineswegs, antwortete der Unbekannte. Gerade mit Ihnen wünschte ich zu sprechen.
– Mit mir?
– Mit Ihnen, Herr Ilia Brusch.
– Und in welcher Angelegenheit?
– Ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen.
– Ein Geschäft? wiederholte der Fischer höchst verwundert.
– Und sogar ein ausgezeichnetes Geschäft«, versicherte der Unbekannte, der den andern durch eine Geste aufforderte, sich niederzusetzen.
Das war ja eine etwas merkwürdige Einladung, denn es ist doch nicht Sitte, dem, der einen bei sich empfängt, einen Sitz anzubieten. Dieser Fremde sprach aber so entschieden und mit so ruhiger Sicherheit, daß Ilia Brusch sich unwillkürlich fügen mußte. Ohne ein Wort zu erwidern, folgte er der ziemlich unpassenden Aufforderung.
»Wie alle andern, begann jetzt der Unbekannte, kenne auch ich Ihren Plan und weiß also, daß Sie, ausschließlich von dem Ertrag des Fischfanges lebend, die ganze Donau hinunterfahren wollen. Auch ich bin ein leidenschaftlicher Liebhaber des Angelns und wünschte deshalb lebhaft, mich an Ihrem Unternehmen zu beteiligen.[38]
– In welcher Weise denn?
– Das werd' ich Ihnen gleich sagen. Vorher erlauben Sie mir jedoch eine Frage. Wie hoch schätzen Sie den Wert der Fische, die Sie im Laufe Ihrer Fahrt voraussichtlich fangen werden?
– Das heißt wohl, wieviel sie mir einbringen werden?
– Jawohl. Ich höre, daß Sie davon zu verkaufen gedenken, was Sie nicht zum persönlichen Unterhalt verbrauchen.
– Nun, etwa auf hundert Gulden.
– Ich biete Ihnen dafür fünfhundert.
– Fünfhundert Gulden! wiederholte Ilia Brusch ganz bestürzt.
– Ja, fünfhundert Gulden, die ich Ihnen vorweg bar bezahle.«
Ilia Brusch sah sich den Mann, der ihm das anbot, jetzt genauer an, und sein Blick mußte sehr sprechend gewesen sein, denn der andre ging gleich auf den Gedanken ein, den der Fischer nicht hatte laut werden lassen.
»Seien Sie ganz ruhig, Herr Brusch. Ich bin bei vollem Verstande.
– Was bezwecken Sie aber mit Ihrem Angebote?
– Das hab' ich Ihnen ja gesagt, erwiderte der Unbekannte. »Ich wünsche, an Ihren Heldentaten teilzunehmen, Sie dabei womöglich zu unterstützen. Dazu bewegt mich auch das Verlangen, das ein Spieler empfindet. So wie ich auf Ihren Erfolg schon fünfhundert Gulden gewagt habe, wird es mir ein großes Vergnügen gewähren, diese Summe nach und nach, jene nach Ihren Verkäufen, jeden Abend in Einzelposten einkommen zu sehen.
– Jeden Abend? stieß Ilia Brusch heraus. Sie hätten also die Absicht, sich mit mir einzuschiffen?
– Gewiß, erklärte der Unbekannte. Doch wohl zu merken: der Fahrpreis ist in unserm ersten Übereinkommen nicht inbegriffen; als solchen zahle ich Ihnen nochmals fünfhundert, zusammen also tausend Gulden bar und im voraus.
– Tausend Gulden!« rief Ilia Brusch, wie aus den Wolken gefallen, noch einmal.
Gewiß war dieses Angebot höchst verlockend. Der Fischer schien aber darauf Wert zu legen, allein zu bleiben, denn er antwortete kurz und bündig:[39]
»Ich bedaure sehr, werter Herr, ich muß das aber abschlagen.«
Einer so kategorischen und in entschiedenem Tone gegebenen Antwort gegenüber, hätte sich einer ja eigentlich fügen müssen.
Das war aber zweifellos nicht die Absicht des leidenschaftlichen Angelliebhabers, der von der Klarheit jener Ablehnung gar nicht betroffen zu sein schien.
»Würden Sie, Herr Brusch, mir erlauben zu fragen, warum? fragte er ruhig.
– Gründe dafür brauche ich wohl nicht anzugeben; ich lehne Ihr Angebot ab, damit genug, und ich glaube, doch das Recht dazu zu haben, antwortete Ilia Brusch, der etwas ungeduldig wurde.
– Das Recht dazu haben Sie selbstverständlich, gab ihm sein Gegenüber ohne jede Erregtheit zu. Ich überschreite aber nicht das meinige, wenn ich Sie ersuche, mir die Gründe Ihrer Weigerung mitzuteilen. Mein Vorschlag war doch gewiß nicht verletzender Art, und mir scheint es natürlich, dann auch eine höfliche Behandlung erwarten zu dürfen.«
Diese Worte wurden in einer Weise ausgesprochen, die zwar nichts drohendes an sich hatte, doch mit so bestimmtem Ton, einer so entschiedenen Selbstbewußtheit, daß Ilia Brusch davon nicht wenig betroffen war. Wenn ihm an seinem Alleinbleiben viel gelegen war, so scheute er doch noch mehr eine stürmische Auseinandersetzung, denn er erkannte jene Bemerkung sofort als ganz gerechtfertigt an.
»Sie haben recht, mein Herr, sagte er. So muß ich Ihnen zunächst sagen, daß ich stark zweifelte, Sie zu einer unzweifelhaft unglücklich auslaufenden Spekulation zuzulassen.
– Nun, das wäre doch meine Sache.
– Doch etwas auch die meinige, denn ich beabsichtige, täglich nicht mehr als eine Stunde zu fischen.
– Und die übrige Zeit?
– Rudere ich, um den Gang meines Fahrzeugs zu beschleunigen.
– Sie haben es also eilig?«
Ilia Brusch biß sich auf die Lippen.
»Eilig oder nicht, antwortete er trocken, es ist einmal so. Sie werden begreifen, daß es der reine Diebstahl wäre, wenn ich unter diesen Verhältnissen Ihre tausend Gulden annähme.
– Nein, jetzt, wo Sie mir das mitgeteilt haben, gewiß nicht, widersprach ihm sein Gegenüber, ohne seine unerschütterliche Ruhe zu verlieren.
– Ganz gleich, erwiderte Ilia Brusch, vorzüglich, da ich mich nicht verbindlich mache, täglich und wär's auch nur eine Stunde, zu angeln. Eine solche Verpflichtung würde ich niemals eingehen. Ich will nach Belieben schalten und walten, kurz, ich will frei sein.
– Das werden Sie auch sein, erklärte der Unbekannte. Sie angeln, wenn es Ihnen gefällt, nur wenn Sie Lust dazu haben. Das wird den Reiz des Spieles nur erhöhen. Übrigens sind Sie ja geschickt genug, daß zwei oder drei Angelwürfe genügen werden, mir eine Verzinsung zu sichern, und ich betrachte das Geschäft immer noch als ein sehr gutes. Ich bleibe also dabei, Ihnen fünfhundert Gulden im voraus zu zahlen, oder tausend Gulden, den Fahrpreis inbegriffen.
– Und ich bleibe dabei, das abzulehnen.
– Dann wiederhole ich meine Frage, warum?«
Eine solche Hartnäckigkeit hatte wirklich etwas Aufreizendes an sich, und obgleich Ilia Brusch ruhiger Natur war, begann er doch jetzt die Geduld zu verlieren.
»Warum? wiederholte er ärgerlich. Ich glaube Ihnen das bereits gesagt zu haben, will aber, da Sie auf dieser Frage bestehen, noch hinzufügen, daß ich niemand an Bord haben mag. Es ist doch nicht verboten, glaube ich, das Alleinsein zu lieben.
– Gewiß nicht, gab der andre zu, doch ohne eine Miene zu machen, sich von der Stelle, wo er wie angenagelt saß, zu erheben. Mit mir werden Sie aber auch so gut wie allein sein. Ich werde mich auf meinem Platze nicht rühren, ja nicht einmal ein Wort sprechen, wenn Sie diese Bedingung stellen.
– Aber in der Nacht? entgegnete Ilia Brusch, den der Zorn schon fast übermannte. Glauben Sie vielleicht, daß zwei Personen in meiner winzigen Kabine bequem unterkommen können?
– O, sie ist groß genug, zwei zu beherbergen, antwortete der Fremde. Übrigens kann man für tausend Gulden schon eine kleine Unbequemlichkeit mit in den Kauf nehmen.
– Ich weiß nicht, ob das richtig ist, versetzte Ilia Brusch, der immer mehr in Hitze kam, ich... ich will es aber nicht. Nein, hundertmal und tausendmal: nein! Ich denke, das ist deutlich genug.[43]
– Sehr deutlich, gab der Unbekannte zu.
– Nun also?«... fragte Ilia Brusch, während er mit der Hand nach dem Kai zeigte.
Sein Gegner schien aber diese Geste nicht zu verstehen. Er hatte eine Pfeife aus seiner Tasche gezogen und stopfte sie ganz gelassen. Eine solche Zuversichtlichkeit brachte Ilia Brusch außer Fassung.
»Sollte ich mich genötigt sehen, Sie wider Ihren Willen aus Land zu setzen?« rief er außer sich.
Der Fremde war jetzt mit dem Stopfen seiner Pfeife fertig.
»Das wäre sehr töricht von Ihnen, sagte er, ohne daß seine Stimme die geringste Furcht verriet; und das aus drei Gründen. Erstens würde ein handgreiflicher Streit zwischen uns die Polizei herbeilocken und wir müßten dann jedenfalls beide aufs Polizeiamt wandern, dort unsre Namen und Vornamen angeben und auf wer weiß was für welche Fragen antworten. Dazu, das gestehe ich, hab' ich keine Lust, und anderseits wäre dieser Zwischenfall gewiß nicht geeignet, Ihre Reise abzukürzen, woran Ihnen doch viel zu liegen scheint.«
Ob der zähe Angelliebhaber wohl auf eine große Wirkung dieses Argumentes rechnete? Wenn es der Fall war, konnte er zufrieden sein. Plötzlich besänftigt, schien Ilia Brusch geneigt, den Worten des andern bis zum Ende zu lauschen. Der gewandte Redner, der jetzt mit dem Anzünden seiner Pfeife beschäftigt war, hatte übrigens auf die Wirkung seiner Worte gar nicht geachtet.
Eben wollte er seine ruhige Beweisführung fortsetzen, als eine dritte Person ins Boot sprang, die Ilia Brusch, der ganz in Gedanken versunken war, gar nicht hatte herantreten sehen. Dieser neue Ankömmling trug die Uniform eines Gendarmen.
»Herr Ilia Brusch? fragte der Vertreter der Staatsgewalt.
– Der bin ich, antwortete der Gefragte.
– Ich bitte um Ihre Papiere.«
Dieses Verlangen fiel wie ein Stein in einen stillen Tümpel. Ilia Brusch erschien ganz niedergeschmettert.
»Meine Papiere? stammelte er. Ich habe ja keine Papiere bei mir, außer vielleicht ein paar Briefumschläge und einige Quittungen über den Mietzins für das kleine Haus, das ich in Szalka bewohne. Genügt Ihnen das?[44]
– Das sind keine Legitimationspapiere, antwortete der Gendarm barsch. Ein Taufschein, ein Gewerbebetriebsschein, ein Arbeitsbuch, ein Reisepaß... das sind Papiere! Haben Sie etwas der Art bei sich?
– Leider ganz und gar nicht, gestand Ilia Brusch befangen.
– Das kann für Sie unangenehm werden, murmelte der Gendarm, der selbst ernstlich beklagte, hier mit Strenge auftreten zu müssen.
– Für mich? protestierte der Fischer. Ich bin doch ein ehrlicher Mann, das können Sie mir aufs Wort glauben.
– Ja ja, davon bin ich überzeugt, erklärte der Gendarm.
– Und ich habe von niemand etwas zu fürchten. Übrigens bin ich bekannt genug. Ich bin der erste Preisträger vom letzten Angelwettbewerb des Donaubundes in Sigmaringen, von dem die gesamte Presse gesprochen hat, und auch hier wird es Bürgen für mich geben.
– Verlassen Sie sich darauf: nach denen wird man suchen, versicherte der Gendarm. Inzwischen bin ich aber gezwungen, Sie aufzufordern, mir nach dem Polizeiamte zu folgen, wo ein Aktuar Ihre Identität feststellen wird.
– Nach dem Polizeiamte? rief Ilia Brusch erschrocken. Wessen beschuldigt man mich denn?
– O, von einer Beschuldigung ist keine Rede, erklärte der Gendarm. Ich habe nur eine besondre Instruktion, dahin lautend, den Strom zu überwachen und alle Personen, die keine Legitimation bei sich haben, der Polizei zuzuführen. Befinden sie sich auf dem Strome?... Ja.... Haben Sie Ausweispapiere bei sich?... Nein.... Ich muß Sie also mitnehmen. Alles Weitere geht mich nichts an.
– Das ist aber abscheulich, protestierte Ilia Brusch, der Verzweiflung nahe.
– Ja ja, das ist es!« gab der Gendarm phlegmatisch zu.
Der sich um die Mitfahrt bewerbende Passagier, dessen Rede so urplötzlich unterbrochen worden war, wendete diesem Zwiegespräch eine solche Aufmerksamkeit zu, daß er darüber hatte seine Pfeife ausgehen lassen. Jetzt hielt er den Augenblick, sich einzumischen, für gekommen.
»Wenn ich nun, sagte er, mich für Herrn Ilia Brusch verbürge, sollte das nicht genügen?
– Das kommt darauf an, meinte der Gendarm. Wer sind Sie denn?[45]
– Hier... mein Reisepaß«, antwortete der Angelliebhaber, indem er ein entfaltetes Blatt hinreichte.
Der Gendarm durchflog es mit den Augen, und sofort änderte sich sein ganzes Verhalten.
»Ah, das ändert die Sache, erklärte er, indem er den Reisepaß sorgsam wieder zusammenfaltete und ihn seinem Eigentümer zurückgab. Dann sprang er auf den Kai hinaus.
»Auf Wiedersehen, meine Herren«, sagte er noch mit einem ehrerbietigen Gruß an den Begleiter Ilia Bruschs.
Dieser, der ebenso erstaunt war über die Plötzlichkeit des unerwarteten Zwischenfalles, wie über die Wendung, die er jetzt genommen hatte, folgte mit den Blicken dem sich zurückziehenden Feinde.
Inzwischen nahm sein Retter den Faden seiner Rede da wieder auf, wo er abgerissen worden war, und fuhr nun mitleidlos fort:
»Der zweite Grund, Herr Brusch, ist der, daß der Strom aus Ihnen vielleicht unbekannten Gründen jetzt ziemlich streng überwacht wird, wofür Sie ja eben einen Beweis erlebt haben. Diese Überwachung wird noch strenger, wenn Sie weiter stromabwärts kommen, und wenn möglich noch mehr, wenn Sie durch Serbien und die bulgarischen Vasallenstaaten des türkischen Reiches fahren, durch zwei gegenwärtig sehr unruhige Länder, die seit dem ersten Juli miteinander offen im Kriege stehen. Ich meine, das wird im Laufe Ihrer Fahrt zu so manchem Zwischenfalle Anlaß geben, und es dürfte Ihnen dann lieb sein, auf die Unterstützung eines ehrlichen Mannes rechnen zu können, der das Glück hat, einigen Einfluß zu haben.«
Der geschickte Redner hatte alle Ursache zu glauben, daß dieses zweite Argument, dessen Wichtigkeit sich ja erst vor wenigen Minuten gezeigt hatte, seinen Eindruck nicht verfehlen würde. Er hoffte aber jedenfalls nicht auf einen so vollständigen Erfolg. Ilia Brusch war jetzt besiegt, er wollte und mußte nachgeben. In einige Verlegenheit setzte es ihn nur, einen annehmbaren Vorwand für seine Sinnesänderung zu finden.
»Der dritte und letzte Grund, fuhr der fremde Helfer in der Not fort, ist der, daß ich mich auf Veranlassung Ihres Bundesvorsitzenden, des Herrn Miklesko, an Sie wende. Da Sie Ihr Unternehmen unter das Patronat des Donaubundes gestellt haben, ist es doch das wenigste, daß er es überwacht, um eine Sicherheit für dessen regelrechte Ausführung zu[46] gewinnen. Als Herr Miklesko erfuhr, daß ich mich Ihrer Fahrt anschließen wollte, hat er mir gleichsam ein offizielles Mandat in diesem Sinne erteilt. Ich bedaure, Ihren unbegreiflichen Widerstand nicht vorhergesehen und die Empfehlungsbriefe abgelehnt zu haben, die er mir für Sie anbot.«
Ilia Brusch stieß einen Seufzer der Erleichterung aus; es konnte la keinen bessern Vorwand geben, dem zuzustimmen, dessen er sich vorher so hartnäckig geweigert hatte.
»Das hätten Sie doch gleich sagen können! rief er. Das ändert ja die Sache gewaltig, und es wäre von mir sehr unrecht, Ihr Anerbieten noch länger abzulehnen.
– Sie nehmen es also an?
– Ja, ohne weiteres.
– Schön, sehr schön! sagte der Angelliebhaber, der seine Wünsche endlich befriedigt sah und aus der Tasche einige Banknoten hervorzog. Hier... die tausend Gulden.
– Wünschen Sie darüber eine Quittung?
– Wenn es Ihnen nicht zu viel Umstände macht, bitte!«
Der Fischer nahm aus einem Kasten Tinte, eine Feder und ein Notizbuch, riß aus diesem ein Blatt heraus und schrieb beim letzten Tagesscheine die Quittung, deren Inhalt er gleichzeitig laut vorlas.
»Erhalten als Vorauszahlung auf meinen Fischfang während der ganzen Dauer der gegenwärtigen Stromfahrt und als Fahrgeld von Ulm bis zum Schwarzen Meer die Summe von tausend Gulden von Herrn...
– Von Herrn...?« wiederholte er, die Feder aufhebend in fragendem Tone.
Ilia Bruschs Passagier war eben beschäftigt, seine Pfeife wieder in Brand zu setzen.
»Jäger, Wien, Leipziger Straße 43«, antwortete er zwischen ein paar dicken Rauchwolken.[47]
1 Diese beiden Fürstentümer sind inzwischen, Serbien 1882 und Rumänien 1881, zu Königreichen erhoben worden.
2 Julius Verne täuscht sich wohl hier bezüglich der Entfernungen zwischen den genannten Orten. (Der Übersetzer.)
3 Der Münster in Ulm ist nach neueren Messungen 161 Meter hoch.
Buchempfehlung
Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.
640 Seiten, 29.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro