[64] Es erscheinen: eine Menschengestalt, zu ihrer Linken ein Mann mit Stierkopf, der ein Geräte trägt, das einer Drehorgel gleicht, aber in eine Röhre mit Seiher ausläuft, zu ihrer Rechten ein Löwe.
DIE GESTALT.
Me voilà, vainqueur de Sebastopel!
Flieht über Stein und Stoppel!
Vainqueur de Solferino!
Bergt euch im camerino![64]
FAUST.
Gut, gut! Und der da mit der Orgelspritze,
Was will denn der? Was ist's für ein Geschütze?
DER MANN MIT STIERKOPF.
Das ist der Witz
Von dieser Spritz,
Daß sie nicht Wasser auf Feuersglut,
Sondern mörderisch Feuer spritzen tut,
Gebt acht,
Wie's knattert und kracht!
Er setzt das Gerät in Bewegung.
Ist sie erst scharf geladen,
Ihr fallt in ganzen Schwaden!
BAUER.
Man wird es ja sehen,
Wer besser kann mähen.
FAUST.
Zur Rechten da, was will der Leu?
Ein Sinnbild wohl? Das Gleichnis ist nicht neu!
DIE GESTALT.
Kein Gleichnis nur! Aus Afrika
Kommt dieser da,
Nach rühmlichen Siegen
Mein Diener in Kriegen;
Sein Blick ist Wut,
Sein Trank ist Blut,
Sein Zahn Verderben,
Seine Klaue Sterben,
Mit einem wilden Katzensatz,
Wirst sehen, ist er auf dem Platz,
Schlingt Lamm und Rind,
Würgt Mann und Weib,
Schont nicht das Kind
In Mutterleib,
Und eh du noch herbeigerannt,
Wird Wüste sein dein ganzes Land.
Allons! En avant! Marche, marche! Attaque![65]
VALENTIN dem Bauern ins Ohr.
Hau zu! Hau zu! wer schnell sich wehrt
Und ins Konzept dem Gegner fährt,
Gewinnt das Spiel! Geschwind!
Hau wie der Wind!
Der Bauer holt aus und haut dem Löwen, wie er aufspringen will, eine Tatze ab, der Löwe brüllt vor Schmerz und fährt zurück. Alle drei werfen sich auf die Gestalt, die den Degen zieht, der Mann mit Stierkopf schießt die Kugelspritze los, der Löwe wendet sich wieder zum Angriff; heftiger Kampf, der in kreisende Bewegung übergebt, die Feinde werden in die Enge getrieben, Stiermann und Löwe stürzen, die Gestalt sinkt in die Knie.
FAUST.
Er kniet, in unsern Hieben war ein Segen.
GESTALT.
Je suis perdu, da habt ihr meinen Degen!
FAUST.
Gib her, du bist des Schwerts nicht wert,
Das ein frivoler Krieg entehrt!
VALENTIN ihn betrachtend.
Ich sah einmal in meinem Vaterlande,
In einem Tal voll heilsam warmer Quellen,
Allwo, mit unsrem Abschaum in dem Bund,
Zu unsrer Schmach und ew'gen Affenschande
Ein Spielbankpächter saß, ein welscher Hund,
So eine Art zuchthäuslicher Gesellen –
Ich drückte mich – zusehn wollt' ich einmal –
Durch die Pariser Huren in den Saal –,
Mir ekelte, gar manche deutsche Frauen
Vermengt mit diesem Lauspack hier zu schauen,
Indes den Gatten schnöder Kitzel jückte,
Zu sehen, was am Schandtisch wohl ihm glückte
Da sah ich Kerle, die mit feinen Krücken
Das Blutgeld so zusammenschäufelten,[66]
Mit matten, überwachten Blicken
Es sonderten, verteilten, häufelten:
Sieh, Faust, ganz so verschnurrt, verkohlt und stumpf,
So ausgezogen, so ein stiller Sumpf
Ist dieses Kerls verwittert Angesicht,
So ausgebrannt stiehlt sich ein müdes Licht
Aus seinen eingezwickten Lidern.
FAUST.
Die croupiers meinst du. – Führt ihn fort, den Biedern,
Ins Loch mit ihm, da mag er brummen
Und dann verstummen.
Valentin und der Bauer führen die Gestalt ab, nach wenigen Schritten fällt sie und zerbricht; aus den Fetzen, in die sie sich auflöst, fließt die Essenz, die Mephistopheles eingegossen.
VALENTIN.
Pfui Teufel! Guck hieher, in lauter Brüh
Löst er sich auf, die stinkt, so stank's noch nie!
FAUST.
Nach Pech und Schwefel, cremor tartari!
Es wirft mich fast.
DER BAUER.
Ganz wie verstunkne Eier!
VALENTIN.
Wie Aas, geschmort im Höllenkochherdfeuer.
FAUST.
Wohl, wohl! Doch weiter treibet nicht den Hohn!
Es sind die Sünden einer Nation,
Was hier zu Quintessenz ist destilliert;
Was eines Volkes lüsternes Verlangen
An uns schon seit Jahrhunderten begangen,
Ist in dem schnöden Gallert komprimiert;
Die Puppe, die wir trocken nun gesetzt,
Wohl auch die Pfaffen haben sie gehetzt,[67]
Doch allen wurmt's in ihrem eitlen Sinn,
Daß ich der Faust von früher nicht mehr bin!
Wie schade drum, denn brüderlich zu wandern,
Daß einer willig lerne von dem andern,
Sind wir bestimmt, reich ist ihr Geistesschatz,
Und fruchtbar ist der Geister Gegensatz!
Wie schade, daß ein Volk, dem wir so viel verdanken,
Bei allem seinem Witz auf einem Punkt muß kranken!
Es ist ein Punkt, worin – sieht man genauer zu –
Der Feinste, Klarste selbst bei ihnen ist ein fou:
Er heißt: wir sind auf jeden Fall
Die erste Nation im All;
Derselbe Satz klingt fort und fort
Als Schlußrefrain aus jedem Wort,
Drum wollen sie wie eifersücht'ge Knaben
Noch immer, was doch uns gehöret, haben.
Die Lehre aber, die soeben
Der derbe Michel euch gegeben,
O möchtet ihr sie zu Gemüte führen
Und nicht zum Rachekrieg die Flamme schüren!
DER BAUER.
Denk's auch! Bin schwer von Weib und Kind geschieden,
Ich geh nach Haus, ich liebe mir den Frieden.
Stört man noch einmal meine Ruh,
So schlag ich noch viel gröber zu.
B'hüt Gott!
VALENTIN.
B'hüt Gott, hast brav geschafft!
FAUST.
Jawohl, hab Dank, hast brav geschafft,
B'hüt Gott, urmarkige Volkeskraft!
Der Bauer hat beiden die Hand gedrückt und verschwindet in der Erde.
FAUST.
Ach, wie der drückt, mir brennt die Hand und saust![68]
VALENTIN.
Ja, ja, das ist des Michels Faust!
GESANG UNSICHTBARER GEISTER.
Glücklich erstanden!
Selig der Mutige,
Welcher die blutige,
Bonapart-Hutige,
Schnell hereinplatzige,
Löwenhaft tatzige,
Krallenhaft kratzige,
Kriegerisch boxige,
Brüllende, ochsige,
Pulverich blitzende,
Kugelnbespritzende,
Gliederzerschlitzende
Prüfung zwar nicht allein,
Doch da er jetzt zu zwein,
Und mit Genehmigtsein
Sehniger, Michlicher,
Hauender, sichlicher
Hilfe der ehrlichen,
Wälderhaft bärlichen,
Oft widerhärlichen,
Endlich verbundenen,
Einig gefundenen,
Pfeilisch umwundenen
Volkskraft bestanden!
FAUST.
Habt Dank, ihr Geister, für das schöne Lied!
Doch von dem heißen Kampfe bin ich müd;
Komm, Valentin, hier laß uns niedersitzen.
VALENTIN.
Ja, ja, der Wauwau macht' uns weidlich schwitzen.
FAUST.
Ein bißchen Ruhe täte gut
Dem überhitzten, umgejagten Blut![69]
Die dritte Probe soll die schwerste sein.
Hätt' ich zur Stärkung nur ein Gläschen Wein!
Zur neuen Arbeit fühl ich wenig Kraft.
VALENTIN.
Ach, wär' es nur ein Seidel Gerstensaft!
Wie sehn ich mich nach einem festen Trunke,
Doch nichts vergönnt die frostige Spelunke!
Buchempfehlung
Dem Mönch Medardus ist ein Elixier des Teufels als Reliquie anvertraut worden. Als er davon trinkt wird aus dem löblichen Mönch ein leidenschaftlicher Abenteurer, der in verzehrendem Begehren sein Gelübde bricht und schließlich einem wahnsinnigen Mönch begegnet, in dem er seinen Doppelgänger erkennt. E.T.A. Hoffmann hat seinen ersten Roman konzeptionell an den Schauerroman »The Monk« von Matthew Lewis angelehnt, erhebt sich aber mit seiner schwarzen Romantik deutlich über die Niederungen reiner Unterhaltungsliteratur.
248 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro