Zehnter Auftritt

[116] Der Raum verwandelt sich wieder in Valentins Wirtsstube. Es erscheinen Dr. Marianus, die drei Patres, die Frauen und Valentin, die letzteren anfangs im Hintergrund. Faust erhebt sich langsam vom Boden, während ihm ein Kostüm anwächst: weißer Frack, weiße Weste und Beinkleider; an den Schultern werden durch die geöffneten Nähte Rudimente von Flügeln sichtbar.


DR. MARIANUS zu Faust.

Flutenumflossener,

Wasserbeschossener,

Wirksam Begossener,

Nun Desinfekterer,

Sauber Geleckterer,

Sichtlich Perfekterer,

Mutig erhebe dich,

Irdischer Streberich,

Bald wirst du Schweberich!

FAUST.

Wo bin ich? Seid Ihr's? Ist es wahr?

DR. MARIANUS.

Du bist bei der getreuen Schar.

FAUST.

Wo war ich denn? Mir deucht, ich war im Nassen;

Wo wart ihr? warum habt ihr mich verlassen?

DR. MARIANUS.

Vernimm, o Faust: mir und den Patribus[116]

War kundgetan, was noch geschehen muß,

Und weil wir selber schon geläutert sind,

Verließen wir das gröbre Erdenkind,

Als durch des Seismos unterird'schen Druck

Der Boden einfiel mit gewalt'gem Ruck,

Als du hinabsankst in die Quellgelasse

Der Wassergeister, in das äußerst Nasse,

Auf daß durch ihres Gusses volle Spende

Der Fuchsentaufe Wirkung sich vollende.

Noch nicht genügend war die trockne Knetung,

Das Wasser auch verlangte noch Vertretung;

Kleinlich mechanisch war die erste Kur,

War noch nicht makrokosmischer Natur,

Der Mikrokosmus Mensch muß dem Planeten gleichen.

Durchwalkt vom Wasser erst Gestalt erreichen,

Daß er dereinst in ew'gen Schwunges Wonne,

In majestät'scher Weise

Mit Brudersphären um die Geistersonne

Beseligt kreise.

Komm, radikal Gewaschner und Gewischter,

Umarme mich, du wunderbar Erfrischter,

Komm an mein Herz, Gesundeter,

Planetenhaft Gerundeter!

Komm an mein Herz, Granit,

Sprenklicher Syenit,

Küsse den Gottesschalk,

Muschel- und Jurakalk!

Eozän, miozän, pliozän!

Alles hast du gesehn,

Alles ist dir geschehn!

Komm, kiesliche Molasse,

Komm, daß ich dich umfasse!

Sprenge mit Hitzgewalt,

Porphyr, Trachyt, Basalt,

Schichte, die alt und kalt!

Komm, o Diluvium,[117]

Komm, o Alluvium,

Tränenimpluvium

Netze den humus,

Fratres nunc sumus!


Gerührte Umarmung.


DR. MARIANUS.

Tritt vor, Lisette, wieder ihm vereint,

Du hast genug gelitten und geweint.

FAUST.

Ah, bist du da! Willkommen, o willkommen!

LIESCHEN.

Geborgen waren wir bei diesen Frommen,

Doch peinvoll ahnend, was dir widerfahre,

Durchlitt ich Tage, Wochen, Monde, Jahre!

FAUST.

Sag, heil'ger Mann, was wird es nun mit diesen?

DR. MARIANUS.

Besondre Gnade dürfen sie genießen:

Man wird sie, um die Treue zu belohnen,

Mit einem Läuterungsprozeß verschonen;

Der Himmel auch ist nicht so sehr Pedant,

Ist gegen Damen, wo er kann, galant.

Umarmet euch, beglücktes Paar,

Bald wird euch Höchstes offenbar!

LIESCHEN.

Laß dich umarmen nah dem Himmelsglanz,

Gebildet sind wir gegenseitig ganz!

FAUST.

Eleusische Mysterien

Schaun wir in ew'gen Ferien!

DR. MARIANUS die Umarmung betrachtend.

O schöne Gruppe, fast wie im Theater!

VALENTIN der inzwischen vorgetreten.

Doch jetzo laß mich wissen, frommer Vater,

Was soll nach den Gefährden und Beschwerden

Denn nun aus mir und meiner Bärbel werden?


Währenddessen haben sich P. Seraphicus, Ecstaticus und Profundus Bärbelchen genähert.
[118]

PATER SERAPHICUS zu dieser.

Habt Ihr's gehört? Der Himmel ist galant,

Der Pater auch darf nicht zurückebleiben,

Erlaubt mir, laßt von der geweihten Hand

Euch zärtlich in die volle Wange kneipen!

BÄRBELCHEN.

O gengen's, Sie sein halt immer

Ein Schlimmer!


Stößt ihn weg.


PATER ECSTATICUS im Auf- und Abschweben einen Kuß raubend.

Wie kußlich immer noch der Mund!

BÄRBELCHEN abwischend, mit der Faust drohend.

Wart, kriegst eins auf die Glatz,

Du dürrer, alter Spatz!

PATER PROFUNDUS legt ihr den Arm um die Hüfte.

Die Hüfte, wie so voll und rund!

BÄRBELCHEN gibt ihm eine Ohrfeige.

Wär' ich in meinen späten Tagen

So dumm, Scherwenzlern nachzufragen,

Auf solche Schwarten

Würd' ich nicht warten!

Ratsch!

Patsch!

VALENTIN der aufmerksam geworden.

Was für Geklatsch?

BÄRBELCHEN.

Kann man noch einem Menschen trauen?

Die drei Herrn Patres sind an mich gegangen.

VALENTIN.

Halt mir sie fest, sie tüchtig herzuhauen!

Die Heuchler! Welches freche Unterfangen!

BÄRBELCHEN.

Ist schon besorgt, sind abgeblitzt,

Mach keinen Lärm, die Watschel sitzt.

DR. MARIANUS.

Nun, nun, auch dem geschornen Haupt[119]

Ist doch ein kleiner Spaß erlaubt;

Sei nur zufrieden, breiter Erdensohn:

Für deine Knetmanipulation

Wird dir ein kaum verdienter Lohn,

Denn ungefegt kommst du davon.

VALENTIN.

»Kommst du davon«: wohin, wohin soll's gehn?

DR. MARIANUS.

Nun, wohin anders als zu Himmelshöhn?

VALENTIN für sich.

Verzeih mir's Gott, ich freu mich kaum hinein;

Zu dünne, fürcht ich, wird die Luft dort sein.


Laut.


Nur eines, heil'ger Doktor, möcht ich wissen:

Gibt's etwan ob der Erde Kümmernissen,

Auf der Verklärung überird'schen Hügeln

Mitunter doch noch jemand abzuprügeln?

DR. MARIANUS.

Das minder,

Du sprichst wie Kinder!

In jenen Räumen, stoff- und schattenfrei,

Gibt's keine Zwietracht, keine Keilerei.

Dort ist kein Wirtshaus, wo man rauft und ringt,

Dort sind nur Tempel, wo man singt und singt.

Auf Erden wohl, damit das sieche, stumpfe

Geschlecht der Menschen träge nicht versumpfen

Gibt's Holzereien, große Prügeltrachten,

Gibt's wilden Aufruhr, blut'ge Schlachten;

Würgengel schweben nieder ins Getümmel,

Die Sel'gen schauen ruhig zu vom Himmel.

Kann sein vielleicht, durch kräftige Verwendung

Bewirk ich solchenfalls dir eine Sendung.

VALENTIN.

Vielleicht nur? Hm!

DR. MARIANUS.

Still, stille, jetzt geht's an,

Die Wände schwinden, schweige, was profan![120]

Als frommer Gruß von Doktor und von Pater

Sei jetzo stimmenkräftig intoniert

Die Andachtstrophe aus dem Landesvater,

Für diesen Zweck ein wenig redigiert!

PATRES UND DR. MARIANUS.

Alles schweige,

Jeder neige

Geisterchören nur sein Ohr!

Jeder schaue

In das Blaue

Absolute nur empor!


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 116-121.
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