Vierter Auftritt

[163] Die Vorigen. Der alte Herr tritt ein.


ALTER HERR für sich.

Hineingeheimnißt hab ich dies und das,

Damit sie tüchtig auszuraten kriegen;

Schon recht, doch lustiger ist der Spaß,

Wenn sie die Stieg hinunterfliegen.

BÄRBEL zu Valentin.

Schau auf, da kommt ein Gast,[163]

Ein alter Herr mit heitrem Angesicht.

Wie blickt er hell! mir dünkt, sein Augenlicht

Verbreit't im Zimmer einen Glanz und Glast!

ALTER HERR.

Guten Abend!

VALENTIN.

Was beliebt?

ALTER HERR.

Ich sehe, daß es Bier da gibt,

Doch möcht ich lieber Wein,

Es braucht kein Extratrank zu sein.

VALENTIN.

Tiroler hab ich in zwei Proben,

Den Spezial, den feinern, kann ich loben.

ALTER HERR.

Den trink ich gern, einst auf der Brennerfahrt

Hab ich den roten Tischtrunk nicht gespart.

VALENTIN zu Bärbel.

Geh, hol ihm einen Schoppen, Schatz!


Bärbel ab. Zu dem alten Herrn.


Macht's Euch bequem und nehmet Platz!

Darf man wohl fragen, woher Eure Reise?

Ihr kommt wohl her auf ebenem Geleise,

Ihr scheint nicht müd, Ihr seht so frisch darein,

Als wüßtet Ihr von keiner Pilgerpein.

ALTER HERR.

Der Erdensand liegt hinter mir zerstoben.

VALENTIN.

Ja wie? ja was? Kommt Ihr denn gar von oben?

So dünkt mir fast; Ihr seid so unbeschwert,

Und Eure Stirne leuchtet wie verklärt!

O sprecht! Ich meinte, wer im Himmel ist, muß bleiben!

Darf man denn da hinaus und auch noch kneipen?

ALTER HERR für sich.

Ein Staatskerl, darf ich selbst mir sagen,

Den ich gemacht in meinen besten Tagen.

BÄRBEL bringt Wein, einschenkend.

Da, wohl bekomm's![164]

ALTER HERR trinkt.

Ein guter Rebensaft!


Zu Valentin.


Euch geb ich gerne Rechenschaft.

Im Himmel sind verschiedne Regionen,

Und nach Geschmack kann da ein jeder wohnen.

Rechtgläubig Fromme wählen Klosterzellen

Und treten nie mehr über ihre Schwellen,

Die Heitern, die am hellen Tag der Welt

Auf freie Tat des Lebens Wert gestellt,

Die nicht im Angstschweiß sich das Heil erwarben

Und ruhig ohne Pfaffenhilfe starben,

Zu reinem Wirken finden sie die Bahn,

Lichtreiche Sphären, weithin aufgetan,

Und wenn sie von den wolkenlosen Höhen

Aufs Erdenschauspiel niedergehen,

Wenn Lust sich regt, der Menschen Tun und Trachten

Sich in der Nähe wieder zu betrachten:

Es steht uns frei, in dieses enge Leben

Zum Gastbesuche leis herabzuschweben.

Ich denn, da ich von oben sah,

Was hier Erheiterndes geschah,

Wie ob dem Faust man gar mit Fäusten kämpfte,

Wie dann dein Arm den Aufruhr dämpfte,

Wie du so prompt das Hausrecht exequiertest,

Zur Tür hinaus mit deinem rüst'gen Weib

Die lächerlichen Deuter expediertest,

Kam ich herab zu frohem Zeitvertreib,

Denn mich erfreut das Bild der Kraft.

Stoß an, mein Sohn! Hast brav geschafft!

Auch Ihr, Frau Wirtin, laßt das Glas nicht leer!

Stoßt mit uns an! Kommt her, kommt her!


Es geschieht.


VALENTIN.

Potz Blitz! So, so? So sieht's im Himmel aus,

Wo jetzt mein Doktor Faust zu Haus?[165]

Ich mochte nicht mit, wollte nicht hinein,

Mir deuchte, gar langweilig müss' es sein.

Mir war, gesteh ich offen,

Die geistliche Gesellschaft auch zuwider,

Da ist wohl, dacht' ich, wenig Lust zu hoffen,

Da singt man ewig nur dieselben Lieder;

Zuletzt kam gar der Stiefelknecht daher

Nebst andrem Zeug, und ich verstand nichts mehr.

ALTER HERR für sich.

Ich laß ihn drauf, er habe sie erlebt,

Die Fratzen, die im Spottspiel ihn umschwebt;

Ach, der devote gotische Apparat,

Der mir am Schluß verkehrte Dienste tat,

War jenem Wichte, der so frech vermessen

Gespottet, leider ein willkommnes Fressen.


Laut.


Du sahst zu wenig. Wie ein mürber Zunder

Zerfiel im Nu der ganze fade Plunder.

Mir war vergönnt, den Doktor umzuschaffen,

Aus dem unsichern, fraglichen Gesellen,

Von Schnörkelwerk umflunkert und von Pfaffen,

Den wahren Faust, den Urfaust herzustellen,

Frisch zu behauchen die Gedankenblässe,

Neu zu entfachen jene Feueresse,

Wie sie im Faust der ersten Szenen glüht,

Den Kern von Erz zu lüften, der da sprüht,

Den Drang, den Sturm, die hohe Leidenschaft,

Den heißen Schmerz in der Titanenkraft.

Nun aber –


Er stockt.


VALENTIN.

Dann?

ALTER HERR.

Ins Leben eingeführt,

Nun mußte schuldig der Verwogne werden.

VALENTIN.

Ich hab's gespürt.[166]

ALTER HERR.

Dann weiter in den Klippen und Gefährden –

VALENTIN.

Nun, weiter?

ALTER HERR für sich.

Wie er lästig fragt!

Ja, weiter! Das ist leicht gesagt!

Drei Akte lang, vier Akte fast –

Verwünschte Rast!

Ich überspringe die gedehnte Lücke –

Er merkt wohl nicht die breite Kluft –

Und führ ihn kurzweg ohne Brücke

Zum letzten Akte durch die Luft –


Laut.


Er lernte in des Lebens herben Kämpfen,

Auf Dornenweg des Irrtums und der Schuld

Die Hochglut des Titanenfeuers dämpfen,

Er lernte Weisheit, stete Kraft, Geduld.

VALENTIN.

Ich hab – erlaubt, ich sag es unumwunden –

Viel Kraft in ihm gerade nicht gefunden –

ALTER HERR für sich.

Der Unbequeme!


Laut.


Nun, ich sag es ja,

Du sahst zu wenig, warest just nicht da,

Wie auf des Lebens wirrem Felsenfeld

Mein feuriger und schwer geprüfter Held

Zwar öfters irr den rechten Weg nicht fand,

Und doch als Mann aufs neue stets bestand –

Genug, der Kämpfe Frucht ist nun gezeitigt,

Mein Faust gehärtet und doch auch geschmeidigt.

Dem Stahle gleicht er, der sich biegt, nicht bricht,

Er ruht, beharrt und ruht, beharrt auch nicht,

Sein Ruhen ist kein Starren und kein Kleben,

Sein Ruf ist: Vorwärts! Streben, immer streben,

Doch inhaltsvoll, nicht wild und hohl,

Fortlernend, bauend an der Menschheit Wohl!

Noch einmal nun in reinern Regionen[167]

Darf er als Vater eines Volkes wohnen.

Sein Aug ist überall, er handelt, er regiert,

Doch hart nicht ist der Zügel, den er führt,

Frei sollen tücht'ge Kräfte sich entfalten,

Zu edlem Menschendasein sich gestalten,

Fest steht das Recht, und ehrlich ist das Walten,

Der Handel, das Gewerbe schießt in Saft,

Es blüht die Kunst, es blüht die Wissenschaft,

Sein Lieblingskind, die Schule, wohl zu pflegen

Ist seine Lust, und nimmer fehlt der Segen.

VALENTIN.

Ja wie? Ei was! Schulmeister ist er wieder?

Und gar aufs neue bei den sel'gen Knaben?

ALTER HERR.

Bedenk: ein Fürst! Ihm dienen, hoch und nieder,

Wie Bienen in den fein gebauten Waben

Im Bau des Staats tausend lebend'ge Glieder.

VALENTIN.

Ja gibt's denn auch im Himmel noch zu lehren,

Zu lenken, zu erziehen und zu strafen?

Vollkommen muß in jenen höchsten Sphären

Doch alles sein, bei sel'gen Himmelsschafen

Braucht's Hirten nicht, nicht Hund noch Schippe mehr!

ALTER HERR.

Mein Guter, darin irrst du schwer.

Vollkommen kann kein Einzelwesen sein,

Gott selbst nur spricht: Vollkommenheit ist mein!

Wer lebt, und ob er auch im Himmel lebt,

Kann leben nur, indem er kämpft und strebt,

Im Weiterschreiten sucht er Qual und Glück,

Er unbefriedigt jeden Augenblick;

Es fallen nur die engsten aller Schranken,

In deren Druck die Erdenmenschen kranken;

Mit Irrtum, Schwachheit müht man sich auch dort,

Unreife gibt's, Erziehung dauert fort.[168]

Eins aber ist dem Himmelstaat erspart –

Und meinem Faust ist dieses Werk gelungen –:

Der Keil, der Dorn der allerschlimmsten Art,

Der Pfahl, der in des Staates Fleisch gedrungen,

Die Fessel, dran die Schule war gekettet,

Die innre stete Rebellion:

Die Kirche ist vernichtet, und gerettet

Die Religion.


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 163-169.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon