Dreizehnter Auftritt.

[52] Cinthio im Karthäusernovizengewand. Vorige.


CINTHIO schnell.

O Schwester, mit Bestürzung nahe ich,

Der Jahre frische Blüten, ach, bedenke!

CLARA die aufstand und im Weggehn begriffen ist.

Soll ich die Jugend nicht in Demuth schlachten?

Wer bin ich, daß ich wagte, mich zu achten!

Starb nicht der Göttliche auf Golgatha?

CINTHIO.

Tief sann ich menschlicher Bestimmung nach!

Sie ist nicht selbstgewählte Pein, nicht spendet

Das Leben die Genüsse, nur Entbehrung

Daran zu üben. Glaube mir, ich las

Was neue Weisen kühn uns offenbaren.

CLARA.

Nur in Religion erkenn' ich Weisheit.

CINTHIO.

Gebildezauber, heil'ger Töne Macht,

Sie zogen auch in Schwärmerei mich hin,

Da wählt' ich dies Karthäuserkleid. Doch prüfte

Auf lichten Höhen noch Vernunft den Vorsatz.

Ich widerrufe ihn, und will fortan dem Leben,

Nicht heil'ger Trägheit, meine Kräfte geben.

Folg' muthig, Clara, auch – Du hörst mich nicht?

CLARA.

O ja! Meinst Du, ich solle feig das Ohr

Dem Frevel schließen? Nein, so schwach

Wird an Verführung nicht mein Muth erliegen.


Gegen den Heiligen.
[52]

Ich danke, eine Prüfung, sende härter,

Und pein'gend sie, daß ich das Herz bewähre!

CINTHIO.

Dich beugt der Sünde Bürde nicht, o Clara!

Dem nicht'gen Bilde saß vielleicht ein Heuchler,

Ich schmäh' ihn kühn, damit Dein Nebel sinke!

CLARA geht langsam weg.

Auch keinen Bruder laß ich in der Welt.

CINTHIO eilt ihr bestürzt nach.


Quelle:
Voß, Julius von: Faust. Trauerspiel mit Gesang und Tanz. Berlin 1890, S. 52-53.
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