Erste Szene


[428] Die Bühne stellt im Vordergrunde eine Straße im Längendurchschnitt dar, welche in der Mitte von einer schmalen Gasse, nach dem Hintergrunde zu krumm abbiegend, durchschnitten[428] wird, so daß sich im Front zwei Eckhäuser darbieten, von denen das eine, reichere – rechts – das Haus Pogners, das andere, einfachere – links – das des Sachs ist. – Vor Pogners Haus eine Linde; vor dem Sachsens ein Fliederbaum. – Heitrer Sommerabend; im Verlaufe der ersten Auftritte allmählich einbrechende Nacht –


David ist darüber her, die Fensterläden nach der Gasse zu von außen zu schließen. Alle Lehrbuben tun das Gleiche bei andren Häusern.


LEHRBUBEN während der Arbeit.

Johannistag! Johannistag!

Blumen und Bänder, so viel man mag!

DAVID leise für sich.

»Das Blumenkränzlein aus Seiden fein –«

möcht es mir balde beschieden sein!

MAGDALENE ist mit einem Korbe am Arm aus Pogners Haus gekommen und sucht David unbemerkt sich zu nähern.

Bst! David!

DAVID heftig nach der Gasse zu sich umwendend.

Ruft ihr schon wieder?

Singt allein eure dummen Lieder!


Er wendet sich unwillig zur Seite.


LEHRBUBEN zuerst Magdalenens Stimme nachahmend.

David, was soll's?

Wärst nicht so stolz,

schaut'st besser um,

wärst nicht so dumm!

»Johannistag! Johannistag!«

Wie der nur die Jungfer Lene nicht kennen mag!

MAGDALENE.

David! Hör doch! Kehr dich zu mir!

DAVID.

Ach, Jungfer Lene, Ihr seid hier?

MAGDALENE auf ihren Korb deutend.

Bring dir was Gut's, schau nur hinein:

das soll für mein lieb Schätzel sein.

Erst aber schnell, wie ging's mit dem Ritter?

Du rietest ihm gut? Er gewann den Kranz?

DAVID.

Ach, Jungfer Lene! Da steht's bitter:

der hat versungen und ganz vertan!

MAGDALENE erschrocken.

Versungen? Vertan?

DAVID.

Was geht's Euch nur an?

MAGDALENE den Korb, nach welchem David die Hand ausstreckt, heftig zurückziehend.

Hand von der Taschen!

Nichts zu naschen![429]

Hilf Gott! – Unser Junker vertan!


Sie geht mit Gebärden der Trostlosigkeit in das Haus zurück. David sieht ihr verblüfft nach.


DIE LEHRBUBEN welche unvermerkt näher geschlichen waren und gelauscht hatten, präsentieren sich jetzt, wie glückwünschend, David.

Heil! Heil zur Eh' dem jungen Mann!

Wie glücklich hat er gefreit!

Wir hörten's all und sahen's an,

der er sein Herz geweiht,

für die er läßt sein Leben,

die hat ihm den Korb nicht gegeben!

DAVID auffahrend.

Was steht ihr hier faul?

Gleich haltet das Maul!

DIE LEHRBUBEN schließen einen Ring um David und tanzen um ihn.

Johannistag! Johannistag!

Da freit ein Jeder, wie er mag:

der Meister freit,

der Bursche freit,

da gibt's Geschlamb und Geschlumbfer!

Der Alte freit

die junge Maid,

der Bursche die alte Jumbfer!

Juchhei! Juchhei! Johannistag!


David ist im Begriff, wütend drein zu schlagen, als Sachs, der aus der Gasse hervorgekommen, dazwischen tritt. – Die Buben fahren auseinander.


SACHS zu David.

Was gibt's? Treff ich dich wieder am Schlag?

DAVID.

Nicht ich: Schandlieder singen die!

SACHS.

Hör nicht drauf; lern's besser wie sie!

Zur Ruh, ins Haus! Schließ und mach Licht!


Die Lehrbuben zerstreuen sich.


DAVID.

Hab ich noch Singstund?

SACHS.

Nein, singst nicht –

zur Straf für dein heutig frech Erdreisten.

Die neuen Schuh steck mir auf den Leisten!


David und Sachs sind in die Werkstatt eingetreten und gehen durch innere Türen ab.
[430]


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 428-431.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Rameaus Neffe

Rameaus Neffe

In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon