Fünfte Szene

[626] SIEGMUND neigt sich wieder über Sieglinde, dem Atem lauschend.[626]

Zauberfest

bezähmt ein Schlaf

der Holden Schmerz und Harm.

Da die Walküre zu mir trat,

schuf sie ihr den wonnigen Trost?

Sollte die grimmige Wal

nicht schrecken ein gramvolles Weib? –

Leblos scheint sie,

die dennoch lebt:

der Traurigen kost

ein lächelnder Traum. –


Neue Hornrufe.


So schlummre nun fort,

bis die Schlacht gekämpft

und Frieden dich erfreu!


Er legt sie sanft auf den Steinsitz und küßt ihr zum Abschied die Stirn. Er vernimmt Hundings Hornruf und bricht entschlossen auf.


Der dort mich ruft;

rüste sich nun;

was ihm gebührt,

biet ich ihm.


Er zieht das Schwert.


Nothung zahl ihm den Zoll!


Er eilt dem Hintergrunde zu und verschwindet; auf dem Joche angekommen, sogleich in finsterem Gewittergewölk, aus welchem alsbald Wetterleuchten aufblitzt.


SIEGLINDE beginnt sich träumend unruhiger zu bewegen.

Kehrte der Vater nun heim!

Mit dem Knaben noch weilt er im Forst.

Mutter! Mutter!

Mir bangt der Mut;

nicht freund und friedlich

scheinen die Fremden!

Schwarze Dämpfe,

schwüles Gedünst –

feurige Lohe

leckt schon nach uns –

es brennt das Haus!

Zu Hilfe! Bruder!

Siegmund! Siegmund!


Sie springt auf. – Starker Blitz und Donner.


Siegmund! – Ha!


[627] Sie starrt in steigender Angst um sich her: fast die ganze Bühne ist in schwarze Gewitterwolken gehüllt. Der Hornruf Hundings ertönt in der Nähe.


HUNDINGS STIMME im Hintergrunde vom Bergjoche her.

Wehwalt! Wehwalt!

Steh mir zum Streit,

sollen dich Hunde nicht halten!

SIEGMUNDS STIMME von weiter hinten her aus der Schlucht.

Wo birgst du dich,

daß ich vorbei dir schoß?

Steh, daß ich dich stelle!

SIEGLINDE in furchtbarer Angst lauschend.

Hunding! Siegmund!

Könnt ich sie sehen!

HUNDING.

Hieher, du frevelnder Freier!

Fricka fälle dich hier!

SIEGMUND nun ebenfalls vom Joche her.

Noch wähnst du mich waffenlos,

feiger Wicht?

Drohst du mit Frauen,

so ficht nun selber,

sonst läßt dich Fricka im Stich.

Denn sieh: deines Hauses

heimischem Stamm

entzog ich zaglos das Schwert:

seine Schneide schmecke jetzt du!


Ein Blitz erhellt für einen Augenblick das Bergjoch, auf welchem jetzt Hunding und Siegmund kämpfend gewahrt werden.


SIEGLINDE mit höchster Kraft.

Haltet ein, ihr Männer!

Mordet erst mich!


Sie stürzt auf das Bergjoch zu: ein von rechts her über den Kämpfern ausbrechender Schein blendet sie aber plötzlich so, daß sie wie erblindet zur Seite schwankt. In dem Lichtglanze erscheint Brünnhilde, über Siegmund schwebend und diesen mit dem Schilde deckend.


BRÜNNHILDE.

Triff ihn, Siegmund!

Traue dem Schwert!


Als Siegmund soeben zu einem tödlichen Streiche auf Hunding ausholt, bricht von links her ein glühend rötlicher Schein durch das Gewölk aus, in welchem Wotan erscheint, über Hunding stehend und seinen Speer Siegmund quer entgegenhaltend.
[628]

WOTAN.

Zurück vor dem Speer!

In Stücken das Schwert!


Brünnhilde weicht erschrocken vor Wotan mit dem Schilde zurück: Siegmunds Schwert zerspringt an dem vorgehaltenen Speere. Dem Unbewehrten stößt Hunding seinen Speer in die Brust. Siegmund stürzt tot zu Boden. – Sieglinde, die seinen Todesseufzer gehört, sinkt mit einem Schrei wie leblos zusammen. – Mit Siegmunds Fall ist zugleich von beiden Seiten der glänzende Schein verschwunden; dichte Finsternis ruht im Gewölk bis nach vorn: in ihm wird undeutlich Brünnhilde sichtbar, wie sie in jäher Hast sich Sieglinden zuwendet.


BRÜNNHILDE.

Zu Roß! Daß ich dich rette!


Sie hebt Sieglinde schnell zu sich auf ihr der Seitenschlucht nahe stehendes Roß und verschwindet sogleich mit ihr. – Alsbald zerteilt sich das Gewölk in der Mitte, so daß man deutlich Hunding gewahrt, der soeben seinen Speer dem gefallenen Siegmund aus der Brust gezogen. – Wotan, von Gewölk umgeben, steht dahinter auf einem Felsen an seinen Speer gelehnt und schmerzlich auf Siegmunds Leiche blickend.


WOTAN zu Hunding.

Geh hin, Knecht!

Knie vor Fricka!

Meld ihr, daß Wotans Speer

gerächt, was Spott ihr schuf. –

Geh! – Geh!


Vor seinem verächtlichen Handwink sinkt Hunding tot zu Boden. – Wotan plötzlich in furchtbarer Wut auffahrend.


Doch Brünnhilde!

Weh der Verbrecherin!

Furchtbar sei

die Freche gestraft,

erreicht mein Roß ihre Flucht!


Er verschwindet mit Blitz und Donner. – Der Vorhang fällt schnell.


Quelle:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Hamburg 1971, S. 626-629.
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