13

[48] Frau Richberta hatte beschlossen, ein Frühlingsfest zu veranstalten. Es sollte aller Prunk dabei aufgeboten werden, der bei solchen Gelegenheiten im Hause Wahnschaffe herkömmlich war, und Beratungen fanden statt, an denen der[48] Majordom, die Wirtschaftsdame, die Gesellschafterin und die Gräfin teilnahmen. Frau Richberta leitete die Sitzungen mit der Miene eines Femrichters; die Gräfin interessierte sich hauptsächlich für das, was es zu essen und zu trinken geben würde.

»Ach, Herzensengel,« sagte sie zu Lätizia, »es sind fünfundsiebzig Hummern bestellt worden, und aus den Kellern haben sie zweihundert Flaschen Sekt heraufgebracht. Ich bin ganz bouleversiert, Liebchen, ich glaube, seit meiner Hochzeit war ich nicht so bouleversiert.«

Lätizia stand schlank da und lächelte. Für sie waren sogar diese Worte der Gräfin Musik. Sie hätte die Tage beflügeln mögen, die sie noch vom Fest trennten; sie zitterte, wenn eine Wolke über das Firmament zog.

Oft wußte sie nicht, wie sie den Jubel in ihrem Innern dämpfen sollte. Wie herrlich, dachte sie, daß man fühlt, was man fühlt, und daß das, was ist, auch wirklich ist. Kein Gedicht eines Dichters, kein Bild eines Malers konnte mit den Eingebungen ihrer Phantasie wetteifern, die jedes Geschehen vergoldete und keiner Enttäuschung zugänglich war. Alles war Reichtum, alles Geschenk.

Sie machte keinen Unterschied zwischen Traum und wirklichem Erlebnis. Sie bereitete sich vor, zu träumen, wie andre Menschen sich zu einem Spaziergang anschicken, und das Unbestimmte und Gesetzlose in den Traumbegebenheiten erschien ihr durchaus natürlich.

Eines Tages erzählte sie von einem Buch, das sie gelesen. »Es ist überirdisch schön,« sagte sie. Sie schilderte die Menschen, den Schauplatz, die ergreifenden Vorgänge mit solcher Eindringlichkeit und Begeisterung, daß alle, die es hörten, begierig wurden, das Buch kennenzulernen. Aber sie wußte weder den Titel noch den Verfasser anzugeben. Sie besann sich und grübelte; man fragte: »Wo ist das Buch? Woher hast du es? Wann hast du es gelesen?« »Gestern,« antwortete sie; »es muß da sein,« sagte sie stockend. »So bring es doch,«[49] wurde sie aufgefordert. Und als sie nun wieder sich besann und ratlos vor sich hinschaute, sagte Judith zu ihr: »Vielleicht hast dus nur geträumt.« Da schlug sie langsam die Augen nieder, kreuzte mit einer unnachahmlichen Gebärde die Arme über der Brust und antwortete wie eine Schuldige: »Ja, mir scheint, ich habs nur geträumt.«

Christian fragte Crammon: »Glaubst du, daß es Komödie ist?«

»Keine Komödie, aber doch ein Weibertrick,« antwortete Crammon; »der liebe Gott hat dieses Geschlecht mit mancherlei Blendwerk ausgerüstet, womit sie uns aus dem Gleichgewicht bringen.«

Lätizia bekam zum Fest ein Kleid aus weißer Seide, ein Tanzkleidchen mit vielen feinen Fältchen im Rock und einer dunkelblauen Schärpe um die Hüften. Sie sah aus darin, als ginge sie in Milchschaum. Wenn sie in den Spiegel schaute, lächelte sie erregt, als könne sie dem Bild nicht trauen. Die Gräfin lief hinter ihr her und sagte: »Liebchen, gib nur acht auf dich;« aber Lätizia wußte nicht, was sie meinte.

Ein wenig trunken sprach sie mit Männern, Frauen und Mädchen. Sie hatte die Menschen immer geliebt, doch heute erschienen ihr alle unwiderstehlich. Als sie Judith vor dem lichtübergossenen Pavillon traf, drückte sie ihr die Hände und flüsterte: »Kann es schöner sein? Ich fürchte mich, daß die Nacht zu Ende geht.«

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 48-50.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Christian Wahnschaffe
Christian Wahnschaffe (2)
Christian Wahnschaffe (2); Roman in Zwei Banden
Christian Wahnschaffe Band 1
Christian Wahnschaffe Band 2
Christian Wahnschaffe: Roman