[253] Es war in Trouville gewesen, wo sie den Grafen Maidanoff kennenlernte. Als sie ihm auf der Strandpromenade vorgestellt wurde, stand ein weitgebogener Kreis von mondänen Zuschauern regungslos. Behutsames Murmeln mischte sich mit dem Rauschen des Meeres.
Sie kam nach Hause und packte Susanne bei den Schultern.[253] »Laß mich nicht wieder fortgehen,« sprach sie hauchend und blaß, »ich mag nicht mehr in diese Augen schauen, ich will dem Manne nicht mehr begegnen.«
Susanne erschöpfte sich in Versprechungen, ohne noch zu wissen, wem das Entsetzen galt. »Elle est un peu folle,« sagte sie zu Monsieur Labourdemont, dem Sekretär, »mais ce grain de folie est le meilleur de l'art.«
Am andern Tag stattete Graf Maidanoff seinen Besuch ab und mußte empfangen werden.
Die konventionelle Huldigung, auf die er durch seine Geburt Anspruch hatte, erwiderte er mit einer persönlichen, die aufrichtig war.
Seine Sprache war breit und schwer; er schien die Worte zu verachten, deren er sich mit einiger Anstrengung bediente. Manchmal hielt er mitten in einem Satz inne und runzelte die Stirn, belästigt. Zwischen seinen Brauen befanden sich zwei senkrechte Einkerbungen, die das Gesicht dauernd verfinsterten. Sein Lächeln begann mit einem Fletschen der Lippen und endete in dem dürren, farblosen Bart wie eine Muskellähmung.
Er steuerte auf ein vorgesetztes Ziel ohne Umschweife los. Gewöhnlich war es das Amt seiner Kreaturen, solche Beziehungen einzuleiten; in diesem besonderen Fall wollte er dem Gegenstand seiner Wünsche, indem er selbst warb, einen Beweis von Gnade geben.
Die anfängliche Beklommenheit der Tänzerin hatte ihm behagt; die Furcht war das Sympathische an den Menschen; aber Evas aufschlußlose Kälte bei seinen höflichen Vorschlägen beirrte ihn. Er spähte leer, schien gelangweilt und bat um die Erlaubnis, eine Zigarette anzünden zu dürfen.
Er sprach von Paris, von einer Sängerin an der Großen Oper, dann verstummte er und saß da wie ein Mensch, der eine Ewigkeit lang Zeit hat. Als er sich erhob und Abschied nahm, sah er aus, als schlafe er gehend.[254]
Mit verschränkten Armen wanderte Eva bis zum Abend im Zimmer umher. In der Nacht griff sie nach Büchern, die sie nicht las, dachte an Dinge, die ihr gleichgültig waren, rief Susanne, um sie zu quälen, schrieb einen Brief an Iwan Becker, den sie wieder zerriß, warf schließlich den Mantel über und ging trotz des stürmischen Regens auf die Terrasse.
Maidanoff wiederholte seinen Besuch. Mit Zartheit bedeutete ihm Eva, als das Gespräch den Punkt erreichte, wo sie es mußte, daß er sich in seinen Erwartungen täuschte. Er sah sie mit trägen, schrägen Blicken an und entschloß sich zu seinem Lächeln. Die Lippen fletschten, in der Lähmung endete es. Was für ein Unsinn, schien ein mißmutiges Verziehen der Stirn sagen zu wollen.
Plötzlich öffnete er die Augen weit. Es wirkte unheimlich. Eva lauschte mit vorgestrecktem Kopf, ihre Finger spreizten sich.
Er sagte: »Sie haben die schönsten Hände, die ich an Frauen kenne. Wenn man sie gesehen hat, wünscht man sie auch zu spüren.«
Drei Stunden später verließ sie Trouville, von Susanne und Monsieur Labourdemont begleitet, und fuhr nach Brüssel, wo sich Iwan Becker aufhielt.
Ausgewählte Ausgaben von
Christian Wahnschaffe
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