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[357] Felix Imhof und der Maler Weikhardt trafen sich in der Ausstellung der Münchener Sezession. Sie wanderten eine Weile durch die Räume und besahen die Bilder. Danach gingen sie auf die Terrasse und setzten sich an einen Tisch, der die Aussicht auf den englischen Garten gewährte.

Es war eine frühe Nachmittagsstunde; der Öl- und Terpentingeruch aus den Sälen mischte sich mit dem Sonnen- und Pflanzengeruch von draußen.

Imhof warf seine langen Beine übereinander und gähnte affektiert. »Werde jetzt diesem vortrefflichen Kunst- und Kulturzentrum einige Monate den Rücken kehren,« sagte er. »Fahre mit dem Staatssekretär für die Kolonien nach Südwest. Will mal sehen, wies da unten zugeht; bißchen den Leuten auf die Finger gucken; bißchen Neuland erforschen, bißchen jagen.«

Weikhardt war ganz in sich versunken, in seine Bedrängnisse, Mißhelligkeiten und Kämpfe und sprach daher nur von sich. »Ich soll für die alte Gräfin Matuschka den Luini-Zyklus in der Brera kopieren,« berichtete er; »sie hat ein paar leere Wände in ihrem galizischen Schloß, für die will sie Tapeten haben. Aber die Person ist filzig wie ein Rettich, und es ist ein widerliches Feilschen.«

Auch Imhof blieb in seinem Geleise. »Habe in letzter Zeit viel Stanhope gelesen,« sagte er; »kolossaler Kerl. Durch und durch modern; Reporter und Konquistador. Felsenbrecher nannten ihn die Schwarzen, bula matari. Nach so was wässert einem der Mund. Imponiert mir scheußlich, der Mann.«

Weikhardt fuhr fort: »Was hilfts, ich muß den Auftrag übernehmen; es ist Matthäi am letzten bei mir. Aber ich freu mich auf die alten Italiener. Es gibt da in Mailand eine Beweinung Christi von Tintoretto; anbetungswürdig. Ich bin[358] jetzt einem Geheimnis auf der Spur. Ich mache Dinge, die gut wirken werden. Neulich hatte ich ein Bild fertig, eine einfache Landschaft, und ging damit zu einem Bekannten, der einen ziemlich vornehmen Raum hat, wo wir es aufhingen. Graue Wandverkleidung, Möbel schwarz mit Gold. Der Mann ist reich, er wollte das Bild kaufen. Ich hatte aber ein solches Aufleuchten von Mut, als es ihm gefiel, als es da hing in dem zarten, melancholischen Frieden dieser Farbenzusammenstellung, daß es mir unmöglich war, von Geld zu reden, und so hab ichs ihm geschenkt. Er hat es angenommen, ohne viele Worte. Er sagte nur immer: die Sache ist verdammt gut.«

»Es wird mich auf andre Gedanken bringen, so ne kleine Spritztour in die südliche Hemisphäre,« sagte Imhof. »Ich logiere ja momentan nicht in Fortunas Schoß. Geht mir sogar ganz ausgesprochen rotzig. Mein bestes Pferd ist zuschanden geritten; mein Lieblingshund ist krepiert; meine Frau ist auf und davon, meine Freunde meiden mich, weiß nicht warum; meine Geschäfte gehen den Krebsgang, alle Spekulationen schlagen fehl. Aber schließlich, was tuts. Ich sage mir: Kopf hoch, Junge; da ist die große, schöne Welt, da ist das reiche, wundervolle Leben; beklagst du dich, so verdienst du was um die Ohren. Mein Butterbrot ist in den Dreck gefallen; bon, streich ich mir ein frisches. Wer in den Krieg zieht, muß auf eine Blessur gefaßt sein. Die Hauptsache ist, daß man zur Fahne steht. Die Hauptsache ist der Glaube, der richtige Köhlerglaube.«

Wer zuerst dem Partner sich zuwenden, zuerst des andern Stimme hören würde, war noch fraglich. Weikhardt, düster vor sich hinblickend, ergriff wieder das Wort. »Dieses stumme Alleinsein in einem Atelier mit hundert verunglückten Schmieragen und den Gespenstern von hunderttausend verzweifelten Stunden! Ich hätte jetzt Gelegenheit, zu heiraten, und werde es auch tun. Das Mädchen hat zwar kein Geld, aber sie hat Herz. Sie fürchtet sich nicht vor meiner Armut und versteht[359] die Donquichotterie, die das Leben eines Künstlers ausmacht. Sie stammt aus einer protestantischen Familie mit freigeistiger Überlieferung, hat sich aber vor zwei Jahren zum Katholizismus bekehrt. Als ich sie kennenlernte, war ich voll Mißtrauen und suchte alle möglichen Gründe dafür, nur nicht den einfachen und menschlichen. Es ist sehr schwer, das Einfache und Menschliche zu sehen, und noch viel schwerer, es zu tun, außerordentlich schwer. Nach und nach begriff ich, was das heißt: zu glauben; ich begriff, was an jedem Glauben heilig ist. Der Glaube selbst ist heilig, nicht das, was geglaubt wird. Gleichgültig, woran man glaubt, an ein Buch, an ein Tier, an einen Menschen, an einen Stern, an Gott; gleichgültig, es muß nur der Glaube sein, der unverrückbare, unbezwingliche Glaube; Sie haben ganz recht: der Köhlerglaube.«

Sie hatten sich doch in einem Wort gefunden. »Wann bekomme ich mein Bild, die Kreuzabnahme?« erkundigte sich Imhof.

Weikhardt antwortete nicht darauf. Sein hübsches, glattes, jungenhaftes Gesicht bekam, je länger er sprach, immer mehr Ähnlichkeit mit dem eines zänkischen alten Mannes. Doch seine Stimme blieb sanft und langsam und sein Wesen phlegmatisch. »Die heutige Menschheit hat den Glauben verloren,« fuhr er fort; »der Glaube ist ausgeronnen wie das Wasser aus einem zersprungenen Glas. Die Zeit wird von der Maschine tyrannisiert; es ist eine Pöbelherrschaft sondergleichen. Wer rettet mich vor der Maschine, vor dem Betrieb? Das goldene Kalb hat die Tollwut bekommen. Der Geist macht Kotau vor dem Warenhaus. Vielleicht rettet mich das I.N.R.I. vor dem M.W. Machen wir, heißt die Parole, m.w. Wir machen Christentum, wir machen Renaissance, wir machen Eiweiß, wir machen Kultur, brav und folgsam unter staatlicher Kontrolle, und wenns nicht ganz das Echte ist, ists doch brauchbar. Alles wendet sich ans Äußere, alles[360] wird Ausdruck, Linie, Schnörkel, Gebärde, Maske; alles wird an die Mauer geklebt und blendend beleuchtet, alles ist das Neueste, bis das Allerneueste in Funktion tritt: die Seele flieht, die Güte hört auf, die Form zerbricht, die Ehrfurcht stirbt. Graut Ihnen nicht auch ein wenig vor dem Geschlecht, das jetzt heranwächst? Es ist eine Luft wie vor der Sintflut.«

»Male Maler, schimpfe nicht,« sagte Imhof mild.

»Freilich,« gab Weikhardt etwas beschämt zu, »wir wissen ja nicht, worauf alles abzielt. Aber es gibt doch Symptome, die einem wenig Hoffnung lassen, typische Fälle gewissermaßen. Haben Sie von dem Selbstmord des Deutschamerikaners Scharnitzer gehört? Er war in Künstlerkreisen ziemlich bekannt, ging selber in die Ateliers und kaufte, was ihm gefiel, ohne zu handeln. Manchmal kam er mit seiner achtzehnjährigen Tochter, einem engelschönen Geschöpf; Sybil hieß sie, und für sie kaufte er auch die Bilder; sie liebte besonders Stilleben und Blumenstücke. Der Mann hatte in Kalifornien durch Holzhandel viele Millionen verdient und sich dann hierher zurückgezogen, in die alte Heimat, um dem Mädchen eine Atmosphäre von Bildung und Ruhe zu schaffen. Sybil war sein einziger Gedanke, seine Hoffnung, sein Idol, seine ganze Welt. Er war nur kurz verheiratet gewesen, die Frau war ihm durchgegangen, wie es heißt mit einem Mulatten, und auf dieses Kind hatte er nun alles gesetzt, was ihm, nach einem Leben fieberhafter Arbeit, an Gefühl und Vertrauen und Zukunft geblieben war. Er sah ein erlesenes Wesen in ihr, eine kleine Heilige, und so erscheint sie auch, außerordentlich fein, stolz, ätherisch; man würde nicht wagen, mit einem Finger nach ihr zu greifen. Eine wohltuende Harmonie ging von dem Beisammensein der beiden aus, namentlich der Vater machte einen glücklichen Eindruck; um so verblüffender war dann der selbstgewählte Tod des Mannes. Niemand ahnte den Grund, man dachte an Sinnesverwirrung, aber er hatte einen Brief an einen amerikanischen Freund[361] hinterlassen, der die Motive erklärte. Eines Tages war er krank und mußte das Bett hüten. Sybil hatte ein paar Gefährtinnen zum Tee geladen, und die jungen Mädchen befanden sich drei oder vier Räume vom Zimmer des Kranken entfernt. Alle Türen waren offen bis auf die letzte, und auch die war nur angelehnt, so daß das Geplauder der Mädchen zu ihm herüberklang, in unbestimmten Lauten, und ohne daß er die Worte verstehen konnte. Da erfaßte ihn die Neugier, zu erfahren, wovon sie sich unterhielten. Er erhob sich, warf einen Schlafrock über, ging leise durch die Zimmer und blieb vor der letzten Türe lauschend stehen. Das Gespräch drehte sich um Zukunftsdinge, um künftiges Glück, um Liebe und Ehe. Jede entwickelte ihre Ansichten, endlich kam die Reihe an Sybil, die sich sträubte und sich erst äußerte, als man sie lebhaft bedrängte. Da sagte sie, aus Gefühlen mache sie sich überhaupt nichts; Gefühle seien ihr nur lästig; sie kenne weder Sehnsucht noch Liebe; nicht einmal Dankbarkeit vermöge sie zu empfinden; von einer Heirat erwarte sie lediglich die Befreiung von einem unbequemen Joch; der Mann, dem sie ihre Hand reiche, müsse ihr alle Genüsse des Lebens bieten können, grenzenlosen Luxus, gesellschaftliche Stellung und sich im übrigen völlig von ihr beherrschen lassen; das sei ihr Programm und so werde sie es durchführen. Die andern Mädchen schwiegen, keine antwortete. Der heimliche Lauscher aber war von der Stunde an vergiftet. Dieser Zynismus, vorgebracht von einer reinen, seelenhaften Stimme, von einem Wesen, das er anbetete und für ein Wunder an Poesie und Gemütstiefe hielt, an das er alles verschwendet hatte, was er besaß, stürzte ihn in eine unheilbare Schwermut, in der er dann auch seinem Leben ein Ende machte.«

»Mein Lieber, der Mann war kein Holzhändler!« rief Imhof und streckte den Arm in die Luft; »das laß ich mir nicht einreden; der Mann war ein Lyriker.«

»Möglich, daß er ein Lyriker war, möglich,« entgegnete[362] Weikhardt schmunzelnd; »was ändert das? Mich zwingts zur Bewunderung, wenn einer die Konsequenzen aus dem Zusammenbruch seiner Ideale zieht. Es ist besser als bula matari, glauben Sie mir. Die meisten ziehen überhaupt keine Konsequenzen, sie passen sich immerfort an, und dadurch werden sie so gemein und so steril.« Sein Blick verfinsterte sich wieder, und halb für sich fügte er hinzu: »Ich träume manchmal von einem, der nicht steigt, der nicht fällt, von einem, der da wandelt, unteilbar, unveränderlich, unerschrocken und ohne Anpassung. Vollständig ohne Anpassung; von so einem träum ich manchmal.«

Imhof sprang auf und schüttelte seine Kleider zurecht. »Genug geschwatzt,« schnarrte er in dem Offizierston, den er in seinen starken Momenten anzunehmen liebte; »mit Schwatzen wirds nicht besser.« Er schob seinen Arm in den Weikhardts, und während sie die Terrasse verließen, auf der inzwischen auch andre Gäste aufgetaucht waren, rezitierte er in demselben schnarrenden Leutnantston laut und ungeniert die Hölderlinschen Verse: »Und Waffen wider alle, die atmen, trägt / In seinem ewigbangen Stolze der Mensch; im Zwist / Verzehrt er sich und seines Friedens / Blume, die zärtliche, blüht nicht lange.«

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 357-363.
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