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[274] Ein Bericht, gleichlautend in allen Zeitungen, hatte die erste Kunde von dem Mord gegeben:

Gestern um die sechste Abendstunde entdeckten ein Werkführer und ein Arbeiter der Brennerschen Fabrik in einem Schuppen an der Bornholmer Straße eine Mädchenleiche ohne Kopf. Der mit Stricken verschnürte und unnatürlich zusammengebogene Körper war zwischen Balken, Brettern, Leitern, Karren und Gerümpel dermaßen eingezwängt, daß die sofort herbeigerufenen behördlichen Funktionäre Mühe hatten, den grausigen Fund ins Freie zu befördern. Die Nachricht hatte sich unterdessen in den angrenzenden Straßen verbreitet, und ein mit wachsender Bestimmtheit auftretendes Gerücht bezeichnete die in der Stolpischen Straße wohnende sechzehnjährige Ruth Hofmann als die Ermordete. Sie war seit einigen Tagen abgängig und bei der Polizei als vermißt gemeldet worden. Die Vermutung, daß sie dem mit beispielloser Bestialität ausgeführten Verbrechen zum Opfer gefallen ist, wurde wenige Stunden später zur Gewißheit erhoben, denn ein Maurerweib fand in der Mörtelgrube einer Baustelle der Bellermannstraße einen abgeschnittenen Kopf, der, wie sich ergab, zu der Leiche gehörte und von verschiedenen Bewohnern des Hauses Stolpische Straße als der Kopf der Ruth Hofmann agnosziert wurde. Der Körper war nur noch mit Halbstiefeln und Strümpfen bekleidet, sonst vollständig nackt, und wies Verstümmlungen auf, die mit Sicherheit auf einen Lustmord schließen lassen. Von dem Täter fehlt vorläufig jede Spur, aber die Nachforschungen werden mit Umsicht und Energie betrieben, und es ist lebhaft zu wünschen, daß der entmenschte Unhold alsbald der Gerechtigkeit überantwortet werde.

Quelle:
Jakob Wassermann: Christian Wahnschaffe. Berlin 56-591928, S. 274-275.
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