Modernes Mädchen

[541] Das ist einfach wundervoll

In unsern Tagen,

Daß man wieder tanzen soll,

Nicht nur sich plagen!


Früher bei der Handarbeit

Die schweren Glieder;

Heut streckt man sich immer wieder

Recht lang und breit.


Ging sonst ein Mädchen schwärmen,

Was gab's für ein Geschrei,

Ein Härmen, ein Lärmen,

Als wär's mit ihr vorbei.


Wenn heut die Pauken dröhnen,

Dann tanzt das Mädchen nackt.

Die Schönen gewöhnen

Sich dran in jedem Takt.


Weil kein Weib edlere Waffen hat

Im Kampf um irdisches Glück,

Als wie sie der Himmel geschaffen hat

Als höchstes Meisterstück.


Wenn's der Teufel auch streng betreibt,

Daß man zimperlich zu Hause bleibt,

Rastlos stürmen doch Weib und Welt

Immer vorwärts, wie's Gott gefällt.


Denn die Welt wie das Weib zeigt ganz

Die gleiche höchste Präponderanz

Zum Tanz.[541]


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 1969, S. 541-542.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die vier Jahreszeiten
Die vier Jahreszeiten: Gedichte (insel taschenbuch)