Erster Auftritt

[239] Schwarz und Schön.


SCHÖN auf dem Fußende der Ottomane sitzend, mustert das Brustbild auf der hinteren Staffelei. Wissen Sie, daß ich die Dame von einer ganz neuen Seite kennenlerne?

SCHWARZ Pinsel und Palette in der Hand, steht hinter der Ottomane. Ich habe noch niemanden gemalt, bei dem der Gesichtsausdruck so ununterbrochen wechselte. – Es war mir kaum möglich, einen einzigen Zug dauernd festzuhalten.

SCHÖN auf das Bild deutend, ihn ansehend. Finden Sie das darin?

SCHWARZ. Ich habe das Erdenklichste getan, um durch meine Unterhaltung während der Sitzungen wenigstens etwas Ruhe in der Stimmung hervorzurufen.

SCHÖN. Dann verstehe ich den Unterschied.

SCHWARZ taucht den Pinsel ins Ölnäpfchen und überstreicht die Gesichtszüge.

SCHÖN. Glauben Sie, es wird dadurch ähnlicher?

SCHWARZ. Man kann nicht mehr tun, als es mit der Kunst so gewissenhaft wie möglich nehmen.[239]

SCHÖN. Sagen Sie mal ...

SCHWARZ zurücktretend. Die Farbe ist auch wieder etwas eingeschlagen.

SCHÖN ihn ansehend. Haben Sie jemals in Ihrem Leben ein Weib geliebt?

SCHWARZ geht auf die Staffelei zu, setzt eine Farbe auf und tritt auf der anderen Seite zurück. Der Stoff ist noch nicht genügend abgehoben. Man sieht noch nicht recht, daß ein lebender Körper darunter ist.

SCHÖN. Ich zweifle nicht daran, daß die Arbeit gut ist.

SCHWARZ. Wenn Sie hierhertreten wollen.

SCHÖN sich erhebend. Sie müssen ihr wahre Schauergeschichten erzählt haben.

SCHWARZ. So weit wie möglich zurück.

SCHÖN zurücktretend, stößt die an die vordere Staffelei gelehnte Leinwand um. Pardon ...

SCHWARZ den Rahmen aufhebend. O bitte ...

SCHÖN betroffen. Was ist das ...

SCHWARZ. Kennen Sie sie?

SCHÖN. Nein.

SCHWARZ setzt das Bild auf die Staffelei. Man sieht eine Dame als Pierrot gekleidet mit einem hohen Schäferstab in der Hand. Ein Kostümbild.

SCHÖN. Die ist Ihnen aber gelungen.

SCHWARZ. Sie kennen sie?

SCHÖN. Nein. Und in dem Kostüm?

SCHWARZ. Es fehlt noch die ganze Ausführung.

SCHÖN. Na ja.

SCHWARZ. Was wollen Sie. Während sie mir steht, habe ich das Vergnügen, ihren Mann zu unterhalten.

SCHÖN. Sagen Sie ...

SCHWARZ. Über Kunst natürlich, um mein Glück zu vervollständigen.

SCHÖN. Wie kommen Sie denn zu der reizenden Bekanntschaft?

SCHWARZ. Wie man dazu kommt. Ein steinalter, wackliger Knirps fällt mir hier herein, ob ich seine Frau malen könne. Nun natürlich, und wenn sie runzlig wie Mutter Erde ist. Andern Tags Punkt zehn fliegen die Türen auf, und der Schmerbauch treibt dies Engelskind vor sich her. Ich fühle jetzt noch, wie mir die Knie schwankten. Ein[240] stocksteifer, saftgrüner Lakai mit einem Paket unter dem Arm. Wo die Garderobe sei. Denken Sie sich meine Lage. Ich öffne die Tür da. Nach rechts deutend. Nur ein Glück, daß schon alles in Ordnung war. Das süße Geschöpf huscht hinein, und der Alte postiert sich als Schanzkorb davor. Zwei Minuten darauf tritt sie in diesem Pierrot heraus. Den Kopf schüttelnd. Ich habe nie so was gesehen.


Geht nach rechts und starrt an die Schlafzimmertür hin.


SCHÖN der ihm mit dem Blick gefolgt. Und der Schmerbauch steht Schildwache?

SCHWARZ sich umwendend. Der ganze Körper im Einklang mit dem unmöglichen Kostüm, als wäre er darin zur Welt gekommen. Ihre Art, die Ellbogen in die Taschen zu vergraben, die Füßchen vom Teppich zu heben – mir schießt oft das Blut zu Kopf ...

SCHÖN. Das sieht man dem Bild an.

SCHWARZ kopfschüttelnd. Unsereiner, wissen Sie ...

SCHÖN. Hier führt das Modell die Konversation.

SCHWARZ. Sie hat den Mund noch nicht aufgetan.

SCHÖN. Ist's möglich!

SCHWARZ. Erlauben Sie, daß ich Ihnen das Kostüm zeige.


Nach rechts ab.


SCHÖN allein, vor dem Pierrot. Eine Teufelsschönheit. Vor dem Brustbild. Hier ist mehr Fond. Nach vorn kommend. Er ist noch etwas jung für sein Alter.

SCHWARZ kommt mit einem weißen Atlaskostüm zurück. Was das für Stoff sein mag?

SCHÖN den Stoff befühlend. Atlas.

SCHWARZ. Und alles in einem Stück.

SCHÖN. Wie kommt man denn da hinein?

SCHWARZ. Das kann ich Ihnen nicht sagen.

SCHÖN das Kostüm bei den Beinen nehmend. Diese riesigen Hosenpfeifen!

SCHWARZ. Die linke rafft sie hinauf.

SCHÖN auf das Bild sehend. Bis übers Knie!

SCHWARZ. Sie macht das zum Entzücken.

SCHÖN. Und transparente Strümpfe?

SCHWARZ. Die wollen nämlich, gemalt sein.

SCHÖN. Oh, das können Sie.[241]

SCHWARZ. Dabei von einer Koketterie!

SCHÖN. Wie kommen Sie auf den entsetzlichen Verdacht?

SCHWARZ. Es gibt Dinge, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt.


Trägt das Kostüm in sein Schlafzimmer.


SCHÖN allein. Wenn man schläft ...

SCHWARZ kommt zurück, sieht nach der Uhr. Wenn Sie übrigens ihre Bekanntschaft machen wollen ...

SCHÖN. Nein.

SCHWARZ. Sie müssen im Augenblicke hier sein.

SCHÖN. Wie oft wird denn die Dame noch sitzen müssen?

SCHWARZ. Ich werde die Tantalusqual wohl noch ein Vierteljahr zu erdulden haben.

SCHÖN. Ich meine die andere.

SCHWARZ. Entschuldigen Sie. Dreimal höchstens. Ihn zur Tür geleitend. Wenn mir die Dame dann nur ihre Taille dalassen will.

SCHÖN. Mit Vergnügen. Lassen Sie sich bald wieder bei mir sehen. Stößt in der Tür auf Dr. Goll und Lulu. In Gottes Namen!


Quelle:
Frank Wedekind: Werke in drei Bänden. Berlin und Weimar 1969, S. 239-242.
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