|
[301] Schigolch. Rodrigo. Hugenberg.
SCHIGOLCH tritt über der Treppe aus den Gardinen, wendet sich zurück. Der Junge hat sein Herz wohl im Café Nachtlicht zurückgelassen?!
RODRIGO zwischen den Gardinen. Er ist noch zu klein für die große Welt und kann noch nicht so weit zu Fuß gehen. Verschwindet.
SCHIGOLCH kommt die Treppe herunter. Gott sei Dank, daß wir endlich wieder zu Hause sind! Welcher Stinkpeter wohl wieder die Treppe gewichst hat! Wenn ich mir meine Knochen vor der Heimrufung noch mal in Gips gießen lassen muß, dann kann sie mich zwischen den Palmen hier ihren Relationen als mediceische Venus vorstellen. Nichts als Klippen. Nichts als Fallstricke.
RODRIGO kommt, Hugenberg auf den Armen tragend, die Treppe herunter. Das hat einen königlichen Polizeidirektor zum Vater und nicht soviel Courage im Leib wie der abgerissenste Landstreicher![301]
HUGENBERG. Wenn es auf nichts als auf Tod und Leben ginge, dann solltet ihr mich kennenlernen.
RODRIGO. Das Brüderchen wiegt samt seinem Liebeskummer nicht mehr als sechzig Kilo. Darauf will ich mich jede Minute hängen lassen.
SCHIGOLCH. Wirf ihn an den Plafond hinauf und fang ihn mit den Füßen auf. Das peitscht ihm sein junges Blut gleich von vornherein in die richtige Wallung.
HUGENBERG mit den Beinen strampelnd. O je, o je, ich werde von der Schule gejagt!
RODRIGO ihn am Treppenfuß niedersetzend. Du bist noch auf gar keiner vernünftigen Schule gewesen!
SCHIGOLCH. Hier hat sich schon mancher die ersten Sporen verdient. Nur ja keine Schüchternheit! Zuerst werde ich euch einen Tropfen vorsetzen, wie er für Geld nirgends zu haben ist.
Er öffnet ein Schränkchen unter der Treppe.
HUGENBERG. Wenn sie jetzt aber nicht unverzüglich angetanzt kommt, dann verhaue ich euch beide, daß ihr euch noch im Jenseits den Buckel reibt.
RODRIGO hat sich rechts an den Tisch gesetzt. Den stärksten Mann der Welt will das Brüderchen verhaun! Zu Hugenberg. Laß dir von Mutterchen erst lange Hosen anziehen.
HUGENBERG sich links an den Tisch setzend. Ich wünschte lieber, du borgtest mir deinen Schnurrbart.
RODRIGO. Willst du vielleicht, daß sie dich gleich zur Türe hinauswirft?
HUGENBERG. Zum Henker noch mal, wenn ich nur schon wüßte, was ich ihr sagen soll!
RODRIGO. Das weiß sie schon selber am besten.
SCHIGOLCH setzt zwei Flaschen und drei Gläser auf den Tisch. Die eine habe ich gestern schon angebrochen. Er füllt die Gläser.
RODRIGO Hugenbergs Glas schützend. Gib ihm nicht zuviel, sonst müssen wir beide es ausbaden.
SCHIGOLCH sich mit beiden Händen auf die Tischplatte stützend. Rauchen die Herren?
HUGENBERG sein Zigarrenetui öffnend. Da sind Habanna-Importen!
RODRIGO sich bedienend. Von Papa Polizeidirektor?[302]
SCHIGOLD sich setzend. Ich habe alles im Hause. Braucht nur zu befehlen.
HUGENBERG. Ich habe ihr gestern ein Gedicht gemacht.
RODRIGO. Was hast du ihr gemacht?
SCHIGOLCH. Was hat er ihr gemacht?
HUGENBERG. Ein Gedicht.
RODRIGO zu Schigolch. Ein Gedicht.
SCHIGOLCH. Einen Taler hat er mir versprochen, wenn ich auskundschafte, wo er mit ihr allein zusammentreffen kann.
HUGENBERG. Wer wohnt denn eigentlich hier?
RODRIGO. Hier wohnen wir!
SCHIGOLCH. Jour fix – jeden Börsentag! – Zum Wohl!
Sie stoßen an.
HUGENBERG. – Soll ich es ihr vielleicht zuerst vorlesen?
SCHIGOLCH zu Rodrigo. Was meint er?
RODRIGO. Sein Gedicht. Er will sie gerne zuerst ein wenig auf die Folter spannen.
SCHIGOLCH Hugenberg fixierend. Die Augen! Die Augen!
RODRIGO. Die Augen, ja! Die haben sie seit acht Tagen um ihren Schlaf gebracht.
SCHIGOLCH zu Rodrigo. Du kannst dich einpökeln lassen.
RODRIGO. Wir beide können uns einpökeln lassen! Zum Wohl, Gevatter Tod.
SCHIGOLCH anstoßend. Zum Wohl, Springfritze! Wenn es später noch besser kommt, dann bin ich jeden Augenblick zum Aufbruch bereit; aber ... aber ...
Ausgewählte Ausgaben von
Erdgeist
|
Buchempfehlung
»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
90 Seiten, 5.80 Euro