[32] Cunigunda, Ludomilla, Wentzel, der in der mittlern Scene etliche Bilder besiehet.
CUNIGUNDA. So gehts / wer viel fraget / der wird viel berichtet / und wer lange zweifelt / der weiß nicht / was er thun soll. Doch da kömmt meine beste Rathgeberin her / was die sprechen wird / dabey wird mans bewenden lassen.
LUDOMILLA. Gnädigste Frau Königin / da komm ich her und will auch einmahl was neues.
CUNIGUNDA. Das Neue geht wohl hin wenns nur gut ist.
LUDOMILLA. Ich weiß nicht obs gar zu gut wird rauß kommen / da will ich den jungen König WENTZEL verklagen.
CUNIGUNDA. Ey das war zu viel. Doch wenn es ja soll verklaget seyn / so ist es am besten / wenn es bey einem verliebten Richter geschiehet. Mein Hertzens-Kind / was habt ihr vor eine Sünde begangen? Küsset ihn.
WENTZEL. Frau Mutter / das ist meine Sünde / daß ich sie abgesetzet habe.
LUDOMILLA. Ja ist das nicht Schande / ich bin seine Amme gewesen.
WENTZEL. Pfui schweiget mir von solchen Sachen stille.
LUDOMILLA. Ich bin seine Kinderfrau gewesen.
WENTZEL. Nun sucht ein ander Kind / ich bin König.[33]
LUDOMILLA. Ich habe ihn so lieb gehabt / daß ich es nicht beschreiben kan.
WENTZEL. Ich habe es nicht verstanden / sonst hätte ich es nicht geschehen lassen.
LUDOMILLA. Ach wie manchmahl hab ich ihm Semmel und Plätze eingekäuet.
WENTZEL. Schweig du garstiges Thier / sonst kan ich mein Lebtage weder Plätze noch Semmel essen.
LUDOMILLA. Wie gerne hat er bey mir im Bette geschlaffen.
WENTZEL. Du garstiges Ding / sage was du wüst / ich mag dich doch nicht zu meiner Kammerfrau behalten.
LUDOMILLA. Ach gnädigste Frau Königin sie helffe mir doch.
CUNIGUNDA. Der liebe König treibt seinen Schertz / ich weiß doch / daß ers im Hertzen desto besser meint. Doch mein allerliebster Herr Sohn / wollt ihr nicht das schöne Bild sehen / welches der Herr Oberhoffmeister gestern verehret hat?
WENTZEL. O ja ich werde einmahl was stattliches auff Bilder spendiren. Gehet hinein.
CUNIGUNDA. Kammerfrau kommt doch her / es geht was vor / darüber ich im Vertrauen gerne mit euch reden möchte.
LUDOMILLA. Ja ja gnädigste Frau Königin / wir sind unser lebtage am besten mit einander ausgekommen / es soll es auch niemand erfahren / daß ich auff meine alte Tage werde untreu seyn.[34]
CUNIGUNDA. Ihr weist es / wer mich Heb hat / ihr weist es auch / wie gerne mich der liebe Herr dabey behielte / daß ich Königin bleibe.
LUDOMILLA. Ich weiß wol: Aber wo ist zu helffen? König WENTZEL stirbt uns nicht / denn wo die Kinder geblättert und gemasert haben / da darff ein Stieffvater nicht lustig seyn.
CUNIGUNDA. Man hat ja wohl Exempel / daß die Kinder auch an Ritteln sterben.
LUDOMILLA. Nein bey den Fürstenkindern geht es gar selten an / die DOCTER sind wie der Teuffel mit dem Hertz-Pulver hinter drein / sie müssen davon kommen.
CUNIGUNDA. Ich sage es auch nicht / als wenn ich den lieben Kinde den Tod wünschen wolte.
LUDOMILLA. Ja ja / wenn der liebe GOtt die Kinder bescheret / so muß man sie endlich behalten. Aber wenn mans bedencket / wie es in der Welt hergehet / so sind sie wohl am besten versorget / wenn sie in Himmel kommen.
CUNIGUNDA. Ja ich weiß nicht / es kommen mir wunderliche Gedancken ein.
LUDOMILLA. Ich dächte / es wäre wohl zu verantworten / wenn man so in der Stille vor den kleinen König WENTZEL sorgte / daß er fein bald in Himmel käme.
CUNIGUNDA. Kammerfrau / wie versteht ihr das?
LUDOMILLA. Was wirds denn nun seyn / wenn man so ein OXBOX vornehme / davon die Leute nicht viel wüsten / es[35] wäre ein Kind gewesen / in Prage sterben ihrer des Jahres viel hundert.
CUNIGUNDA. Ach bey Leibe nicht / wie solte man das verantworten können?
LUDOMILLA. Ach wir Weiber müssen nicht alles so tieff aus der Schrifft suchen / wenn man alles so feine unverständig ins Wesen hinein thut / so deucht mich / man hat so feine ruhige Gedancken.
CUNIGUNDA. Aber das Kind ist mir zu lieb.
LUDOMILLA. Ja ja lasts nur alt werden / wir werden ein liebes Kind an ihm haben / sehet nur wie er mir mit spielet / die Vogel werden bald ein neu Lied singen: Mutter schier dich nauß / dem Sohne ist der Bart gewachsen.
CUNIGUNDA. Ich sehe es wohl / es wäre am besten / wenn das Kind tod wäre. Aber ...
LUDOMILLA. Ey nun doch / wer weiß wo sich Mittel dazu finden / und wenn auch die Mutter gleich nicht alles wüste / es ist schon gut / von solchen Sachen redt man nicht gerne / es ist besser wenns geschehen ist.
CUNIGUNDA. Doch wäre es nicht besser / wenn er aus dem Lande geschickt würde / so bliebe er doch beym Leben?
LUDOMILLA. Ach so eine Kröte findet den Weg flugs wieder ins Land / wenn die Kinder begraben seyn / so weiß man am besten / daß sie nicht wieder kommen.
CUNIGUNDA. Behaltet nur den DISCURS bey euch / es wird schon weiter Gelegenheit geben davon zu reden.[36]
LUDOMILLA. Dem Maule darff ich trauen. Doch ich werde gehen biß ich wiederkomme. Geht ab.
CUNIGUNDA. Nun wie stehts mein liebster WENTZEL / was hat euch an dem Bilde gefallen?
WENTZEL. Es gefällt mir alles wohl. Aber das muß ich bekennen / in diesem Zimmer ist mir doch die Frau Mutter am liebsten.
CUNIGUNDA ad spectatores. Ja du gutes Kind / lieb gewesen.
WENTZEL. Das ist meine gutthätige Hand die ich küsse.
CUNIGUNDA ad spectatores. Auch die Hand / welche dich zum Tode befördern will.
WENTZEL. Ach Frau Mutter / ich bin noch zu klein / ich kan sie nicht küssen.
CUNIGUNDA ad spectatores. Du wirst auch nicht grösser wachsen.
WENTZEL. Wenn ich werde so groß seyn / als König OTTOCARUS, da will ich mich besser anstellen.
CUNIGUNDA ad spectatores. Aber es soll nicht so weit kommen.
WENTZEL. Ach Frau Mutter sie sehe / wie bin ich doch in ihrem Zimmer so lustig: hat mir der Tantzmeister diese CAPREOLE nicht recht gewiesen? daß war eine LECTION auff Gesundheit der Frau Mutter.
CUNIGUNDA ad spectatores. Tantze weil du kanst / in der Begräbniß-Capelle solstu die Capreolen ungeschnitten lassen.[37]
WENTZEL. Ach hier steht ein glückselig Kind / heysa / so tantzen die Kinder die MINUET, wenn sie bey der Frau Mutter in Gnaden sind.
CUNIGUNDA ad spectatores. Daß doch die Menschen vor ihrem Unglücke so EXTRAORDINAIR lustig sind.
WENTZEL. Doch meine Frau Mutter / wie so in Gedancken?
CUNIGUNDA. Mein liebster König / wenn ihr tantzet / so muß ich im Hertzen die VIOLIN dazu spielen. Hier habt ihr einen Kuß zum Zeugnüß / daß ich eine treue Mutter bin / wollt ihr in das / immer folgen / so werden wir von dergleichen Annehmligkeit weiter gedencken können.
WENTZEL. Ach ja / es soll mir sehr lieb seyn. Er folget ihr singende und tantzende.
Buchempfehlung
Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.
98 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro