[135] Zur Zeit der Regierung Heinrichs, des Vierten befande sich in Franckreich eine Hoch-Adeliche Familie, so auf einem Schloß wohnte. Dieses lage an einem Schiffreichen Wasser: hatte auf einer Seiten, ohngefehr eine halbe Stund weit davon, ein schattächtigen Wald; auf der anderen schöne Fischereyen, Wayd-Werck, Gärten, Matten, Wisen, und was dergleichen Lustbarkeiten mehr waren, deren die Edelleut in stiller Ruh ausser den Städten auf ihren Güteren geniessen. Ueber alle Ergötzlichkeit aber ist gewesen Flora, ein eintzige liebe Tochter, und Erbin grosser Schätz und Reichthumen, welche nach dem Hintritt ihrer Eltern, heut oder morgen auf sie warteten. Dieser Augen-Trost des Herren Vatters, und der Frau Mutter ware mit allerhand schönen Gaaben des Leibs und der Seelen geziert. Uber das noch in der Neh- und Stick-Kunst; wie auch im Singen und Lauten schlagen eine Meisterin. Allein 2. Mängel hatte sie, welche einem Adelichen Fräulein gar nicht wohl anstehen. Erstlich, eine freche Weiß zu handlen: Andertens, eine zornmüthige Natur. Mithin wurde ihr alles, was sie immer verlangte, gestattet. Wollte sie spatzieren fahren; stunde die Gutschen zu ihrem Dienst schon bespannet. Hatte sie Lust zu spielen; lagen die Würffel und Karten schon auf dem Tisch. Verlangte ihr Hertz nach einem guten Muth zu einem Tantz; liesse man ihr ein neues paar Schuh darauf machen. Fienge sie an mit den Cavallieren zu galanisiren; sahe man ihr droben zum Fenster herunter zu. In Summa: man setzte dieser Tochter nur immerdar süssen Zucker vor, und gabe ihr niemahls den bitteren Wermuth-Saft einer ernsthaften Zucht zu verkosten. Aber Zucker macht Gall. Das hat man an der Flora auch erfahren. Wann ihr das geringste nicht nach ihrem Sinn gienge, lieffe ihr die Gall über. Sie fienge an zu trutzen, den Stutz-Kopf aufzusetzen; also zwar, daß sie dem Herren Vatter nicht mehr schwiege; der Frau Mutter aber ungescheut nicht selten eines überzwerch anhengte: wormit die gute Frau mußte zufrieden seyn, wann sie nur nicht gar von der Tochter geschlagen wurde. Das waren dann gar schlimme Vorbotten ins künftig vieler besorglichen Ubel.
Eines Tags, bey heiterem Himmel, und milden Wetter spatzierte unser Gnädiges Fräulein, die Flora, samt anderen ihren Gespielinen in obgedachten [136] Wald. Nahme Kurtzweil halber die Lauten mit; und fienge gleich bey erstem Eintritt des Walds so künstlich zu schlagen, und mit ihrer zarten hellen Stimm dermassen lieblich darein zu singen, daß ihr es kein Nachtigall wurde bevor gethan haben. Ohne Zweifel wird es ein Bul-Liedlein gewest seyn: dann, was singen freche Töchter anders? Seye ihm aber, wie es wolle, so ist mithin Flora samt ihren Gespielinen ausgesperrt worden. Dann kaum hatten sie sich etwas tieffers in den Wald hinein gelassen, Flora ein und ander Gesätzlein geendet, da liesse sich von weitem sehen ein junger Cavallier, Lusidamor mit Namen, der mit sonderem Vergnügen der Music eine Weil zugehört hatte: hernach mit der Flora in so gute Verträulichkeit gerathen, daß er sie zur Ehe begehrt; Flora auch keinen andern Mann haben wollte. Letztlich ist die Sach so weit kommen, daß man sie wohl hat müssen zusammen geben; wollte man nicht noch vor der Hochzeit einen zum Gevatter bitten. So gehts, wann man jungen Rotz-Mäulern alles gleich thut, was sie wollen: wann sie erwachsen seynd, lassen sie sich nicht mehr biegen. So gehts, wann man mannbare Töchter überall ihres Gefallens hinrollen laßt, und ihnen nicht 10. Hüter für einen bestellt.
Lusidamor, und Flora stunden nunmehr in der Bereitschaft, und ward alle Anstalt zum Hochzeitlichen Fest gemacht. Mit diesem aber wollte ein welscher Baron, Clorisandus mit Namen nicht recht zufrieden seyn; als welcher von der Schönheit Florä eingenommen, ihm selbige zur Ehe-Gemahlin bestimmt hatte. Er war zwar des Lusidamors bester und vertrautister Freund: Allein, so wenig zween Hund, die erst zuvor miteinander geschertzt haben, sich mit einem Bein vertragen können; also wenig bleiben zween Buler lang gute Cammeraden, wann es um ein Weib zu thun ist. Clorisandus sahe wohl, daß sein Beginnen eine vergebene Sach, wann er nicht noch vor der Hochzeit einen Stein in Weeg legte, worüber der Lusidamor den Hals müßte brechen. Geht derohalben hin, bedingt einen Banditen, oder Strassen-Rauber (wollen ihn unterdessen Audifax, das ist, einen kecken Waghals nennen) um ein Stuck Geld; der bey nächster Gelegenheit dem Lusidamor ein Kugel durch den Leib sollte jagen. Wo, wann, und auf was Weis, das redeten sie in höchster Geheim miteinander ab. Wie die Sach nun bester massen eingefädlet war, verfügte er sich zu dem Lusidamor, und der Flora; machte ein langes Compliment; wünschte denen Braut-Personen zu ihrem bevorstehenden Ehren-Tag alles Glück, und erbotte mit sonderbahrer Höflichkeit seine möglichste, wohl geringste Dienst hierzu an. Wußte auch in allem durch listige Schmeichlerey den Schalck so meisterlich zu verdecken, daß er vor anderen zum Brautführer erbetten wurde: welches dann eben das rechte [137] Wasser war, so dieser Betrüger auf sein Mühle zu leiten trachtete.
Wenig Täg vor der Hochzeit stellte er Lusts halber samt dem Lusidamor einen Spatzier-Ritt an: weil sie ohne das die Lieblichkeit des Wetters dazu einlude. Sie mußten durch eben den Wald, von dem schon oben Meldung geschehen, ihren Weeg nehmen. Dahero es eben den Clorisandum die rechte Zeit gedunckte, sein teuflisches Vorhaben ins Werck zu setzen. Versteckte demnach obgedachten Banditen in einen Busch nicht weit von der Straß, mit Befehl, auf gegebenes Zeichen los zu brennen, und alsdann sich eilfertig auf ein Seiten zu machen: er wollte im übrigen die Sach schon also angehen, daß er Zeit und Weil genug haben sollte, das Leben durch die Flucht zu erretten. O des teuflischen Anschlags! alles war nunmehr zum Spatzier-Ritt fertig. Die Pferd gesattelt; und anderes nichts übrig, als daß sie sich von der Fräulein Hochzeiterin beurlaubten: welches auch mit viel eitlem Gepräng und Luft-Reden, nach jetzigem Welt-Brauch, geschehen Flora wünschte ihnen viel Glück auf den Weeg, nebst angehengter Bitt, bald wieder zu kommen: welches ihr dann auch von beyden auf den Abend zugesagt worden. Unterweegs führten diese 2. vertrauteste Brüder, Lusidamor, und Clorisandus, wie ein anderer Abel und Cain, allerhand kurtzweilige Reden: vom Frauenzimmer, Gutschen und Pferden; von allerhand Feder-Wildprät, leckerhaften Speisen, und kostbahrem Zuckerwerck; von prächtigem Kleyder-Geschmuck; neuen Balletten und Täntzen, welche bey der Hochzeit sich würden müssen sehen lassen; und gedachte der arme Lusidamor nichts wenigers, als daß er den ersten Tantz mit dem Tod wurde thun; und daß seinen Leib nicht ein Scharlach, mit guldenen Porten dick verbrämter Rock; sondern sein eignes Blut, und bald hernach die Würm und Maden bedecken wurden. In solchem Gespräch ritte diese lustige Gesellschaft miteinander fort, bis man allgemach zur bestimmten Mörder-Gruben kommen. Da ritte Clorisandus mit allem Fleiß etwas voran, und fienge an zu singen; welches eben das verrätherische Zeichen war. Gleich darauf geschiehet hinter ihm ein Schuß: Lusidamor wird getroffen, fallt vom Pferd: und weil die Kugel nahe bey dem Hertz hinein gangen, wurde er bald darauf gantz Kraftloß, und gabe ein kleines hernach den Geist auf. O Lusidamor! wie wirst du gefahren seyn? So bald Lusidamor gefallen, sprange auch der Clorisandus aller ertattert vom Pferd, und erzeigte grosses Leyd-Wesen gegen seinem allerliebsten Bruder, und bemühete sich aufs höchste, ihme das Blut zu stillen: deßgleichen auch beyde Diener thaten. Bald aber setzte er sich wieder aufs Pferd, und sprengte dem Schein nach, als wollte er dem Thäter nachsetzen, mit blossem Degen im Haag herum; aber gantz auf einer andern Seiten, als er wußte, daß der Mörder seinen Weeg [138] durchnehmen wurde. Er wurde aber bald wiederum von einem Diener zuruck beruffen, mit Vermelden, Lusidamor greiffe schon in die Zügen, und sterbe ihnen unter den Händen dahin. Worauf er dann Sporrenstreichs wieder zuruck gekehrt, dem Lusidamor gantz kläglich zugesprochen, ihm mit Weynen und Küssen um den Hals gefallen, und endlich die Augen zugedruckt. O des falschen Judas-Kuß! solche Maul-Freund, und Schelmen in der Haut gibt es heut zu Tag, leyder! nur gar zu viel: also, daß es vonnöthen, einen jeden zu warnen mit folgenden Worten:
Trau; aber schau, wem?
Nachdem Lusidamor in die andere Welt befördert worden, schickte Clorisandus seinen Diener voran auf das Schloß, der Florä Elteren die traurige Post in Geheim anzudeuten; bis er gleichwohl bald hernach umständlichen Bericht ertheilen wurde. Was dieser für ein angenehmer Both gewesen seye, ist leicht zu erachten. Der Diener kam bald mit einer Senften und Beth zuruck: Worauf man den Leichnam gelegt, und mit grossem Trauren und Klagen in das Schloß gebracht hat. Die Sach liesse sich nicht lang verbergen: Clorisandus selbst in Begleitung des Herrn Vatters, und beyder Diener begabe sich zu der Flora, ihr den kläglichen Tod-Fall so glimpflich, als es seyn konte, anzuzeigen. Sie bande vielleicht eben dazumahl ein schönes Mayen-Büschelein zusammen, welches sie bey nächster Wiederkunft ihrem Lusidamor zu verehren gedachte; unwissend, daß ein anderer solches auf sein Todten-Bahr stecken wurde. Bey erstem Eintritt in das Zimmer war gleich die Frag an den Clorisandum: Wo er ihren Liebsten gelassen hätte? Clorisandus gabe zur Antwort: Gnädiges Fräulein! Er ist gar weit. Es schossen ihm aber zugleich die Zäher in die Augen: Worüber dann der Flora ein Stich ins Hertz gienge, bevorab, weil sie auch in den Angesichtern der anderen ein gleiches trübes Gewölck sahe. Wo ist dann mein Lusidamor? Fragte sie noch einmal? In der andern Welt, antwortete Clorisandus. Ach! Gnädiges Fräulein: Euer Liebster ist todt: Und wollte zugleich anfangen, den gantzen Verlauf erzählen. Aber zu dem ersten Wort: Lusidamor ist todt, war der Flora nicht anderst, als hätte sie der Donner getroffen. Sie sprange aus dem Sessel auf: Wie? Sagte sie gantz erbleicht im Angesicht, und an Händ und Füssen zitterend: Soll Lusidamor todt seyn? Und als man ihr abermahl mit einem traurigen Ja, und Achsel-Zucken geantwortet, fienge sie an, erbärmlich zu weinen und zu schreyen; die Händ ober dem Kopf zusammen zu schlagen, das Haar auszurauffen, und mit so Hertz- brechendem Seuftzen über die Grausamkeit des Meuchel-Mörders zu klagen, daß sie einen Stein hätte erbarmen mögen; bevorab als sie des erblaßten Leichnams ansichtig worden: [139] Worüber sie in eine Ohnmacht gesuncken, also, daß man sie für halb todt in ein anders Zimmer hat tragen müssen. Wie sie wieder zu sich selbst kommen, wiederholte sie die vorige Klag, und hatte man genug an ihr zu trösten, und zu hüten, daß sie ihr nicht selbst ein Leid anthate; sonderbar, als man den Leichnam, und mit ihm ihr Hertz, zur Erden bestattete. Da schüttete sie erst den übrigen Rest ihrer bitteren Zäher auf das Grab aus, und mußte nunmehr in der Schoos der Erden ruhen lassen, wornach sie ein so hitziges Verlangen getragen hatte.
Mittlerweil liesse der Schmertz in etwas nach: Die Wangen wurden alsgemach trocken, und fienge nach langem Regen die Sonne wieder an zu scheinen; Worbey der Clorisandus das beste thate, und der Flora noch so fleißig, als zuvor aufwartete. Und damit er ihme desto leichter einen Zugang in ihre Huld- und Gunst-Cammer eröfnete, kleidete er sich gantz prächtig herfür. Welches dann bey der Flora so viel vermögen, daß sie schier allerdings des Lusidamors vergessen, und ihn ihrer Lieb gewürdiget hätte. Ein Ding stunde ihm noch im Weeg. Der nagende Wurm des bösen Gewissens liesse ihm kein Ruhe; sondern hielte ihn in steter Forcht, sein Meuchelmord möchte Heut oder Morgen noch an Tag kommen. Damit er derohalben desto sicherer zur Ehe-Verlöbnuß schreiten möchte, wagte er noch einmahl ein Stuck Geld, und bestellte einen anderen Knecht (wollen ihn Davus nennen) der dem Mörder des Lusidamors das Maul auf ewig stopfen sollte. Dieser findet bald Gelegenheit; trift den Audifax unter einem Baum schlaffend an; entblößt das Stilet, oder spitzige Gewehr, willens, alsobald ihm eines zu versetzen, daran er genug haben sollte. Aber da er den Stoß führen wollte, kame ihn ein Reu an, und dunckte ihn, die höchste Unbillichkeit zu seyn, einen Menschen, der ihm sein Lebtag kein Leid gethan, in dem Schlaf umzubringen. Besonne sich derohalben eines besseren; setzte ihm gleichwohl das Stilet an die Brust, weckte ihn auf, und sagte: Bruder! siehe, dein Leben steht in meiner Hand. Audifax darüber erwachend erschracke gar heftig; bate um Gnad und Lebens-Frist: welche ihm der Davus nicht allein geben; sondern auch noch über das den Urheber, von dem er um so und so viel Geld auf seinen Kopf gedingt worden, entdecket. Weswegen sich Audifax höchstens bedanckt, Davum umfangen; beynebens aber wider den Clorisandum übel geflucht hat, als der ihn eben auch mit Geld bestochen, den Lusidamor umzubringen, und ihme jetzt ein so blutiges Trinck-Geld geben wollte. Davus konte ihm leicht die Rechnung machen, daß er von dem Clorisandus Heut oder Morgen einen gleichen Danck zu gewarten hätte: Wurde bald mit dem Audifax eins; schwuren zusammen, bey nächster Gelegenheit den Welschen bey dem Kragen zu nehmen. Worbey der Audifax für das beste hielte, [140] Davus sollte wieder nach Haus kehren, dem Clorisandus einen blauen Dunst vor die Augen machen, als hätte er seinen Willen nach Wunsch vollzogen: Könte auch nicht schaden, wann er ihme zu grösserer Versicherung einen blutigen Degen wollte weisen; entzwischen aber sollte er den gantzen Verlauf heimlich der Flora entdecken, die zweifels ohne den Tod ihres liebsten Bräutigams nicht ungerochen wurde lassen hingehen. Ich (sagte Audifax) will mich entzwischen auf die Seiten machen: Da und da (und zugleich nennte er ihm ein Dorf) wird man mich können antreffen; und darf mir die Flora nur ein Brieflein zuschicken, wann sie meines Diensts vonnöthen hat. Ich schwöre ihr bey meinem Eyd, nicht minder bey Hinrichtung dieses undanckbaren Mörders mich gebrauchen zu lassen, als ich, leider! keck und vermessen genug ihren unschuldigen Lusidamor ermordet hab. Bey dieser Abred ist es verbliben. Davus nahme seinen Weeg wiederum zuruck; und Audifax einem gewissen Dorf zu. Clorisandus, wie er den Davum ersehen, und von ihm vernommen, was gestalten Audifax also auf die Haut gelegt worden, daß er so bald nicht mehr aufstehen wurde, liesse ihm den Handel gefallen; und war nunmehr ein schwerer Stein von seiner Brust. Beschlosse also, die Flora wieder zu besuchen, und durch Liebkosen das endliche Ja-Wort von ihr zu erzwingen. Unterdessen wurde auch von dem Davus der Flora Bericht erstattet, wie fälschlich und schelmisch Clorisandus mit ihr spielen thäte. Mit was für einem Gesicht, und Hertzens-Stoß sie diese Zeitung werde angehört haben, ist leicht zu gedencken. Zuletzt nach vielen Fluchen und Vermaledeyen, nahme sie ihr auf Einrathen des Davi vor, in dem geringsten nichts dergleichen zu thun; sondern die Rach auf eine gelegnere Zeit zu verschieben. Clorisandus stellte sich bald wiederum bey seinem Liebs-Dienst mit dem gewöhnlichen Fuchs-Wadel ein. Aber sein Schmeichlen und Flattiren ware nunmehr der Flora wenig angenehm. Gleichwohl verbisse sie den Schmertzen, und erzeigte sich freundlicher gegen ihm, als sonst niemahls. Nahme ihre Lauten von dem Nagel herunter, und spielte diesem Liebs-Knecht eines auf: der dann vor Süßigkeit schier zergienge.
Es stunde nicht 8. Täg an, da liesse Flora an einem schönen Sommer-Tag Clorisandum in ihren Garten (der etliche Büchsen-Schuß von dem Schloß entlegen, allerhand schöne Baum-Gewächs, Spatzier-Gäng, und in der Mitte ein schönes Sommer-Haus hatte) einladen. Dahin sollte er sich ohngefähr um 8. Uhr gegen dem Abend in Geheim verfügen: Allda wollte sie eintzig und allein seiner erwarten. Unterdessen hatte sie heimlich um den Audifax geschickt, und das Sommer-Haus also künstlich lassen zurichten, daß ihr der verlangte Vogel unfehlbar wurde ins Garn gehen. Kein angenehmere Zeitung hätte dem [141] Clorisandus nicht können gebracht werden, als eben diese. Er schickte den Diener bald wiederum zuruck, die Flora seiner unfehlbaren Ankunft zu versicheren. Er verstunde, als ein erfahrner Buler, diese Sprach nur gar zu wohl, und bildete ihm anders nichts ein, als jetzt einmahl zu dem erwünschten Zweck zu gelangen, nach welchem er schon lange Zeit vergebens geziehlet hatte. Alle Uhren giengen ihm denselben Tag zu langsam; und alle Viertel-Stund zählte er an den Fingern ab, bis alsgemach die Sonn in das Meer sich versenckte, und der Abend anzubrechen begunte. Da schliche er gantz eintzig und allein (zweifels ohne in verstellter Kleidung, einem fremden Mantel und Hut, damit man ihn nicht können sollte) durch einen Abweeg der hinteren Garten-Thür zu. Die Flora daselbst seiner schon wartend, ersahe ihn vom Fenster des Sommer-Haus herab: Lieffe ihm eilend entgegen; machte ihm auf, und empfienge ihn auf das freundlichst, als ihr immer möglich. Und als er fragte, wer sonst noch vorhanden wäre? Niemand (antwortete sie) als wir beyde allein: Und bate zugleich, ohne weitere Ceremonien auf ein Gläslein Wein, und geheime Unterredung hinauf in das Sommer-Haus zu spatziren, und ohne Prangen an einem fremden Ort den Vorzug zu nehmen. Er sollte ihr nur diese Bitt nicht abschlagen; sie wollte ihm hernach auch etwas zu gefallen thun. Clorisandus, der sonst ehender wider die 10. Gebott GOttes zu sündigen bereit ware, als wider die Regel der Höflichkeit, einem Frauenzimmer vorzugehen, weigerte sich zwar eine Zeitlang, solches Anerbieten anzunehmen. Allein, was wollte er machen? Sein gnädiges Fräulein hatte zu gebieten. Er geht also voran; steigt die Stiegen hinauf; trittet in das Sommer-Haus hinein; wird aber gleich des Tritts von einer mit Fleiß hierzu gerichten Falle zu Boden geschlagen, und von zwey auf ihn fallenden Garn, nicht anderst, als wie ein Vogel auf der Tenne, bedeckt und verstrickt. Audifax, der entzwischen, bis das Traur-Spiel sollte angehen, in einem Winckel verborgen lage, sprange auf ihn zu, und hielte ihm die Händ, daß er sich nicht könte los reissen. Flora aber, wie ein grimmiges Tiger-Thier, wischte mit einem spitzigen Messer über ihn her. Habe ich dich jetzt einmahl (rufte sie mit feurigen Augen, und schaumend vor Zorn) in meinem Ge walt, du grausamer Mörder! der du mir meinen liebsten Lusidamor um das Leben gebracht; und mich in äusserste Betrübnuß gestürtzt hast? Hat er? Hab ich dieses um dich verdient? Aber der gerechte GOtt hat dich mir in meine Händ geliefert. Jetzt will ich dir den verdienten Lohn geben, ob du schon billicher von des Henckers, als meiner Hand sterben solltest. Und mit diesem versetzte sie ihm ein und den anderen Stich in das Angesicht, Schultern, und Arm. Und ob zwar der armselige Mensch durch GOtt, alle Heilige, und das jüngste Gericht um [142] Gnad und Barmhertzigkeit bate, thate sie doch seiner nur spöttlen Gelt aber! sagte sie, du Blut-Hund! du hast auch mit meinem Hochzeiter, und mit mir Mitleiden getragen? Darum ist es ja billich, daß ich dir jetzt auch verschone. Habe nur ein wenig Gedult; es wird bald anderst hergehen. Hierauf risse ihm Audifax den Rock voneinander; Flora aber brachte ein Pfannen voller Glut her; schüttete ihm die brinnende Kohlen auf die blosse Brust, und sprache: Jetzt kanst du dein geile Brunst löschen, du Bestie! da erkühle dich; da büsse deinen Lust: O du! als er aber vor Grösse der Schmertzen hierüber jämmerlich zu schreyen anfienge, wurde ihm der Mund mit einem Schnupf-Tuch verstopft, und ihm der Trost gegeben, es wurde bald besser werden. Wohlan, sagte Flora: Die Lieb ist blind, und hat dich auch so weit verblendet, daß du alle Gebühr auf die Seiten gesetzt, und meinetwegen meinen liebsten Lusidamor erwürget hast. Damit du dann der Liebe gleich sehest, will ich dich auch blind machen. Dieses geredt, stache sie ihm beyde Augen aus. Und weil sie mithin müd wurde, und schon gantz mit Blut bespritzt war, wollte sie dem Metzgen ein End machen. Schnitte ihm derohalben die Brust auf; risse das Hertz heraus, und warfe es ins Feuer: Die Seel aber schickte sie besorglich in die Höll hinunter. Audifax nach vollbrachter greulicher Mordthat empfienge für seinen Lohn einen Beutel mit Geld, hatte die Nacht zum Vortheil, und machte sich ohne sonderbare Mühe aus dem Staub. Flora aber versperrte das Sommer-Haus, verfügte sich nach ihrem Schloß, setzte sich nieder, und verfaßte schriftlich den gantzen Verlauf. Und wie sie mit dieser Arbeit fertig, saufte sie ein Glas voll des stärcksten Gifts aus. Weil sie aber vor Grimmen und Reissen im Leib sich des Schreyens nicht enthalten konte, lieffe eine Beschliesserin, und bald hernach auch der Herr Vatter und Frau Mutter zu; fanden sie aber schon in den Zügen, mit dem Tod ringend, und den Brief in ihrer Hand: Wie sie dann auch gleich darauf ihren unglückseligen Geist aufgeben. Aussen her an statt der Ueberschrift stunden diese wenige Wort in Frantzösischer Sprach:
Gut Nacht, gut Nacht, liebste Elteren.
Der Innhalt bestunde in folgenden, oder dergleichen Worten:
»Vermaledeyte Eltern! hätte ich sollen schreiben; die ihr die meiste Ursach meines Tods seyd. Ich hab zwar länger nicht mehr leben können, nachdem man mir mein Leben, den Lusidamor benommen; wurde aber noch leben, euch und unserer Freundschaft zu Trost, wann ihr mich nicht hättet lieben gelehrt; oder aufs wenigst mein Lieb inner den Schrancken der Gebühr und Ehrbarbarkeit gehalten. Clorisandus hat[143] meinen Lusidamor durch einen Banditen; ich den Clorisandum, (dessen Leichnam ihr in dem Sommer-Haus des Gartens finden werdet) um verdiente Rach einzuholen; mich aber habt ihr umgebracht. Hättet ihr in den ersten Jahren meiner Jugend mir nicht so viel übersehen, nicht allen Muthwillen gestattet, mein zornmüthige und freche Natur gebrochen, wurde es nie so weit kommen seyn. Ey dann! so erndet, und schneidet jetzt ein, was ihr ausgesäet: nemlich den ewigen Fluch, den ein ungerathenes Kind seinen nichts-werthen Eltern geben kan, und ich euch samt 1000. Teuflen auf den Hals wünsche. Ihr jammeret, und weinet zwar über mich; aber euer Reu kommt zu spat, und euere Zäher werden mir das höllische Feuer nich auslöschen. Ach vermaledeyter Vatter! ach verfluchte Mutter! was nutzt mir anjetzo das adeliche Geblüt, das ich von euch empfangen? was euere Reichthum und Schätz, die ihr mir gesammlet? was die gute Täg, die ihr mir gemacht? was die lustige Gesellschaft und Buhlerey, die ihr mir gestattet? und was nutzt euch jetzt euer Zärtlen, euer Liebkosen, euer Fingersehen; und allzu grosse Gelindigkeit gegen mir? als daß ihr dem Teufel ein Kind erzogen; ein Brand-Opfer der Unzucht; einen Schand-Fleck euers Geschlechts; eine grausame Mörderin; eine Feindin GOttes; eine Sclavin des Lucifers; mein und euer ewiges Wehe? verflucht seye die Stund, in der ich gebohren; vermaledeyt der Augenblick, da ich das erstemahl den Lusidamor gesehen; verflucht seye der Clorisandus, ein grosse Ursach meines Verderbens; verdammt, verflucht, und vermaledeyt seyd auch ihr samt mir in Ewigkeit. Gleich jetzt lege ich die Feder aus der Hand, greiffe nach einem Glas Gift, woraus ich euch zur Letze eines zubringe: ihr müsset mir mit nächstem daraus eines in der Höllen Bescheid thun.«
Zu unterst des Briefs stunde gegeschrieben
Euer ungerathene Tochter Flora.
In was Leidwesen, Trauren, und Klagen dieser Brief die Elteren werde gesetzt haben, mag ein jeder für sich selbst leicht gedencken. Das ist gewiß, daß sie ihn in kein Fenster werden gesteckt haben.
Franc. Rosetti, in einem kleinen Büchlein greulicher Mordthaten, so er in Frantzösischer Sprach beschrieben: Und ist der Ordnung nach die 16. Histori.
Blinde, unsinnige Lieb! auf was verzweifelte Gedancken, und Entschliessungen bringst du nicht die junge Leut! O! daß sie bedenckten die Wahrheit jenes Spruchs: Wer anfangt zu lieben, der fangt schon an, unglücklich zu werden: Wie werden [144] sie sich hüten, daß sie von dir nicht verstrickt werden! allein, weil sie so viel Verstand nicht haben, die Gefahr zu überlegen, so liegt euch Elteren ob, gute Vorsorg für euere Kinder zu tragen, und sie durch eine kluge Ernsthaftigkeit inner den Schrancken der Gebühr und Ehrbarkeit zu halten: Damit, wann sie an Leib und Seel solten zu Grund gehen, GOtt nicht von eueren Händen ihr Blut; ich will sagen, die Verantwortung wegen ihrem Untergang von euch fordere. Dann solches Blut wurde um Rach schreien; und mithin die Schärfe der göttlichen Gerechtigkeit wider euch in den Harnisch brringen.
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