Fünf und Dreyßigstes Exempel.

Ein Todtschläger wird wunderbahrlich durch ein Gespenst verrathen, und der Justitz hoher Obrigkeit in die Händ geliefert.

[235] Zu Stockholm, der Königlichen Residentz-Stadt in Schweden, liesse ein Metzger die Augen zu weit schiessen auf seine Dienst-Magd, dero er auch seine unziemliche Lieb auf allerley Weiß zu verstehen gab. Allein, weilen sie weit eines ehrlicheren Gemüths, als er war, danckte sie ihm kurtz ab, und gab ihm für ein und allemahl den Korb; es wäre dann Sach, daß er sie nach dem zeitlichen Hintritt seines Weibs ehelichen wollte: auf welchen Fall ihro sein Ansuchen nicht entgegen wäre, bis dahin aber sollte er ihm nur keinen Gedancken machen; wann er sich nicht vergeblich mit leerer Einbildung plagen wollte. Der Metzger liesse ihm diesen Schluß nicht übel gefallen. Allein die Metzgerin steckte in einer zähen Haut, und hatte nicht im Sinn, ihnen beyden zu Lieb früher zu sterben. Was dem Metzger etlicher massen eine Hofnung machte, ihrer villeicht bald abzukommen, ware die Pest, welche selbiger Zeit starck in der Stadt eingerissen, und sich allbereit auch in seiner Gassen angemeldt hatte. Allein in sein Haus wolte sie nicht kommen, wie sehr er es auch verlangte. So beschlosse er dann aus Eingebung des bösen Feinds, selbst die Pest zu seyn, und ihr in der Still den Garaus zu machen. Er liesse eine Todten-Bahr zurüsten, um sich dero im Fall der Noth zu bedienen, und wartete jetzt nur auf Gelegenheit seinen boßhaften Anschlag ins Werck zu richten. Eines Tags gienge das gute Weib, weil sie sich was übels auf befande, etwas frühers schlaffen: der Knecht und Magd waren zu allem Unglück nicht vorhanden; er aber in der Stuben gantz allein. Da gedunckte es ihn dann, jetzt Zeit zu seyn, die vorhabende Mordthat zu vollbringen. Schliche derohalben zur Bethstatt hinzu; und wie er spührte, daß das Weib in vollem Schlaf begriffen, spaltete er ihr mit einem Beil die Hirnschal entzwey. Wischte darauf das Blut sauber ab; zoge das Beth [235] neu gewaschen über; legte den Leichnam in die schon vorher bereitete Todten-Bahr; schobe sie für sein Haus-Thür hinaus, damit sie von denen dazu bestellten Todten-Gräbern vor Tags möchte abgeholet, und samt anderen an der Pest Verstorbenen begraben werden. Des anderen Tags sprengte er ein Gerücht aus, die Pest habe urplötzlich sein liebes Weib hingerissen; vergosse zum Schein etliche Zäher; beweinte aber nichts mehrers, als daß er sie nicht schon längst habe beweynen können. Nunmehr ware das ehliche Band durch den Tod zerrissen; die Alte in die Vergessenheit gestellt, also, daß kein Hahn mehr nach ihr krähete: und wußte den Mord Niemand, als der Thäter, und der Allwissende GOtt. Drauf hin legte er bald die Klag ab; liesse ihm sein Magd ehlich trauen, und machte sie zu einer Frau; dero gantze Aussteuer die Jugend, und die Reue die Morgen-Gaab war. Sie hauseten miteinander nicht gar lang, da wurde ihnen aus gerechtem Urtheil GOttes der gute Muth übel genug versaltzen. Dann ein erschröckliches Gespenst fienge an, das Haus zu beunruhigen; absonderlich aber setzte es dem Metzger zu; tribe ihm manche Nacht den Angst-Schweiß aus, und zwange ihn endlich gar, ein anders Haus zu beziehen, ob er schon auch allda wegen seines bösen Gewissens wenig Ruhe fande. Unterdessen wurde zu Stockholm ein Reichs-Tag ausgeschriebe, und die gantze Stadt wegen des grossen Zulaufs mit Fremdlingen angefüllt. Unter anderen verfügte sich auch dahin eine edle Wittib; welche aber reicher an Tugenden, als an Geld-Mittlen war. Dahero, weil sie kein andere Herberg, als um gar grosses Geld haben konte, bezoge sie das verschreyte Haus des Metzgers, welches noch allein unter allen anderen unbewohnt da stunde. Man verhielte ihr zwar nicht, wie es darinn zugienge; sie aber liesse sich nicht schröcken; mit Vermelden: GOtt, welcher der armen Wittwen Beystand seye, werde ihr kein Leyd widerfahren lassen. So miedete sie derohalben um ein schlechtes gedachte Behausung, und begabe sich was frühzeitiges zur Ruhe. Ohngefähr um Mitternacht herum hörte sie vor der Stuben-Thür ein Getümmel: Woraus sie leicht konte abnehmen, wie vil es geschlagen. Waffnete sich also mit dem Gebett, und wolte des Ausgangs erwarthen. Bald hernach wird die Thür mit einem lauten Schnall eröffnet; und der Polder-Geist platzte mit Ungestümme hinein; rumpelte die Stuben auf und ab; warffe eines hin, das andere her, und erzeigte sich wild genug. Die gute Edel-Frau, so viller Streich sie sich zuvor ausgethan, erschracke hierüber nicht wenig; hielte sich Mäußle-still, und das Gesicht gegen der Wand: Erneuerte doch bald wiederum ihr Vertrauen auf GOtt, und liesse dem Gespenst sein Wesen: welches dann nach langem Toben zur Stuben-Thür wiederum [236] hinaus gewischt und verschwunden. Der Wittfrauen aber wurde nicht mehr, als daß sie einen eintzigen Blick unter der Beth-Deck herfür thate, und eines wüsten Abentheuers gewahr wurde; nemlich der Gestalt eines Weibs mit gantz blutigen, und zerspalteten Kopf. Die nächst-folgende Nacht stellte sich das Gespenst noch mit grösserer Ungestümme ein. Weilen selbiges aber die vorige Nacht der Frauen kein Leyd zugefügt, nahme sie das Hertz, und redete es mit den Worten des Psalmisten an: Alle gute Geister loben GOtt den HErren. Psalm. 150. Das Gespenst antwortete mit tieffer Stimm: ich bin ein guter Geist, und lobe GOtt den HErrn. Die Wittfrau fragte weiters: bist du ein guter Geist, warum haltest du dich dann also ungestümm, und in so wüster Gestalt in diesem Haus auf? Hierauf fienge der Geist an, den gantzen Verlauf zu erzählen. Das (sagte er) ist mein Leib: und ich ware bey Leb-Zeiten die ehliche Haus-Frau des Metzgers, deme das Haus gehört. Lange Jahr hab ich mit ihm friedlich gehauset, bis er meines Alters halber an mir einen Verdruß geschöpft, und sich an meine Magd gehänget, die er jetzt würcklich zum Weib hat. Dahero meiner desto eher abzukommen, hat er mir im Schlaf das Haupt, wie du sihest, mit einem Beul gespaltet, und hernach vorgeben, ich seye gähling an der Pest gestorben: in welcher Meynung ohne weiteres Nachdencken man mich auch begraben hat. Aber von der Zeit an kan der Leib nicht ruhen, bis der grausame Mörder von der Obrigkeit seinen gebührenden Lohn empfangen hat. Darum bitte ich dich: gehe den graden Weeg Morgens hin, und zeige solches der Obrigkeit an, damit dieses Haus von mir befreyet, und ich zu meiner Ruhe gelangen möge. Die Wittfrau erzeigte grosses Mitleyden: sagte aber hinwieder: sie wolte es zwar gern thun; sehe aber nicht, wie sie bey der Obrigkeit wurde Glauben finden. Solte sie dann den Metzger in einer so schweren Sach, die Leib und Leben antreffe, verschreyt machen, därfte es ihr übel genug gehen. Wohlan, sagte das Gespenst: ich will machen, daß man dir glauben wird. Begehrte darauf von der Wittfrauen, sie solte ihren Pettschier-Ring von dem Finger abziehen; solchen in die offene Hirnschal hinein werffen, und mit ihrem Haupt-Tuch verbinden; alsdann das Grab (das sie ihr zugleich anzeigte) lassen eröffnen; und sich auf ihren Ring beruffen. Und weil man ihn ihrer Aussag gemäß in der Hirnschal finden werde, so werd auch die Obrigkeit ihren Worten Glauben zumessen. Die Wittib laßt sich überreden; zieht den Ring von dem Finger ab; das Gespenst neigt den Kopf gegen ihr; sie wirft den Ring in die zerspaltene Hirnschal hinein; und nachdem sie dieselbige (welches wohl ein keckes Stuck [237] von einem Weibsbild geweßt; die tausendste wurde ihr nicht trauen) mit ihrem eigenen Haar-Tuch zusammen gebunden, nahme das Gespenst Urlaub, und veschwande. So bald es Tag worden, verfügte sich die Wittfrau zur Obrigkeit; zeigte an, was sich zwischen ihr, und dem Gespenst verwichene zwey Nächt begeben hätte, und gabe den Metzger für den Thäter an. Batte zugleich auch, man solte hinschicken, der Metzgerin Grab lassen eröffnen, so werde man zum Wahrzeichen ihren Pettschier-Ring in der Hirnschal des todten Cörpers finden: einen anderen Zeugen habe sie vor diesmahl nicht. Die Herren des Raths sahen einander an; und so wunderbarlich ihnen die gantze Sach vorkame, konten sie doch nicht glauben, daß eine fremde, ehrliche Matron, die etwann zuvor ihr Lebenlang den Metzger nicht gesehen, dieses aus ihrem Kopf solte herausspinnen. Müsse also etwas an der Sach seyn, bevorab, weil sie sich auf eine so unfehlbare Zeugnuß beruffe. Schickten derohalben hin; liessen durch gewisse hierzu verordnete Personen das Grab eröffnen; und fanden mit höchster Verwunderung alles, wie die Wittfrau ausgesagt hatte. Der Metzger, der ihm nichts weniger traumen liesse, wird in Verhaft genommen; vor Gericht gestellt; bekennte ohne weitere peynliche Frag seine Missethat, und batte allein um Verzeyhung, und um ein gnädiges Urtheil. Man machte mit ihm nicht vil Wesens; faßte bald ein Urtheil ab; übergabe ihn dem Scharf-Richter; der ihn dann durch den Weeg, den alle Dieb und Mörder lauffen müssen, aus dieser in die andere Welt geschickt hat. Mithin ist auf solche Weis der Gerechtigkeit ein Genügen geschehen, und das Haus seines Polder-Geists los worden. Ex Erasmo Francisci, in dem 1. Theil seiner lustigen Schau-Bühne am 916. Blat.


Was für wachtbare Augen hat nicht die göttliche Gerechtigkeit über die Todtschläger! und wie wunderbarlich pflegt sie selbige zu verrathen, und mithin in die Händ der Justitz auf Erden zu lieferen! es muß nemlich erfüllt werden, was GOtt gedrohet hat Genes. 9. mit diesen Worten: wer Menschen-Blut vergießt dessen Blut soll auch vergossen werden. Dann der Mensch ist nach dem Ebenbild GOttes erschaffen. Solches Blut schreyt Rach gen Himmel, und laßt nicht nach zu schreyen, bis dem Todtschläger mit gleichem vergolten worden. Wenigst geschiehet es insgemein. Und wo der Todtschläger nicht am Leben gestraft wird, wird er doch sein Lebtag kein Glück haben.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 235-238.
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