[343] Eustachius ware von Geblüt hochadelich; und von der Kunst zu kriegen so wohl, als Tapferkeit ein berühmter Held. Führte als noch ein Heyd den Namen Placidus. Dieser lebte im ehelichen Stand, und erzeugte in demselben zwey männliche Erben. Wußte zwar nichts von dem wahren GOtt, und lage stäts als ein Kriegs-Mann in dem Feld; führte doch beynebens jederzeit einen so rühmlichen Wandel, daß man keine Untugenden an ihm spührte; sondern ware vielmehr der löblichen Sitten, und vieler Tugenden wegen jedermann lieb und werth. Seine eintzige Freud, so oft die Waffen feyerten, und Friedens-Zeit ware, bestunde im Jagen; [343] und wann kein anderer Feind obhanden, zoge er wider das Gewild zu Feld in die Gebüsch und Wälder. Einstens, da er in dergleichen Lust-Ubung begriffen, liesse sich ein Hirsch von ungewöhnlicher Grösse blicken. Placidus ereifferte sich, denselben zu fällen, und entfernete sich in hitzigem Nachsetzen von seinen Jägeren und Bedienten bis tief in den Wald hinein. Da ihn nun die götttliche Güte solcher gestalt von den Seinen abgezogen hatte, siehe! da kehrete sich das flüchtige Thier gähling um, und stellte sich ihm entgegen; aber mit einem höchst-verwunderlichen Aussehen. Dann es erschiene zwischen dessen Gehirn augenblicklich die Bildnuß Christi an dem Creutz in Sonnen-hellen Glantz, welche ihn auf folgende Weis angeredet: Placide! warum verfolgest du mich? ich bin Christus JEsus, der dir zu lieb gestorben, und suchet dich nun selig zu machen. Der begierige Jäger erschrickt bis in das innigste Marck der Beinen, und fallet gleichsam aller Sinnen-loß vom Pferd; erholet sich doch über ein kleine Weil, und fraget gleich einem anderen Saulo: HErr! was wilst du, das ich thun solle? Die Bildnuß antwortet: Verfüge dich in die Stadt, und schaue um einen Christlichen Priester, der dir samt Weib und Kind den Heil. Tauf gebe: alsdann komme wiederum auf diese Stell ein weiteres zu vernehmen.
Placidus kommt dem Befehl hurtig, und freudig nach; empfangt mit den Seinigen den Heil. Tauf, und erwählet für sich den Namen Eustachius; für die Gemahlin Theopista (sonsten vorhin Trajana genannt) für den älteren Sohn Agapius; und den jüngeren Theopistus. Eilet auf solches jenem Ort wiederum zu, allwo ihm der HErr erschienen, zu hören, was sein fernerer göttlicher Will wäre. Begiebt sich alsdann ins Gebett, sich, und all das Seinige dem Dienst GOttes aufopferend; und bittet, GOtt wolle ihn nun mit seiner allerheiligsten Gegenwart wiederum würdigen, und seinen gnädigsten Befehl zu verstehen geben. Da erscheinet ihm der Welt-Heyland: zeiget forderst ein Wohlgefallen an dem, was allbereit geschehen; setzet alsdann folgendes hinzu: Es stehet dir ein mannhafter Kampf bevor. Du wirst zu meiner Ehr, und deinem Heyl, gleich meinem Diener Job, vom bösen Feind angefochten, und mit den schwersten Betragnussen gequälet werden, förchte dir aber nicht; streite tapfer, und lasse den Muth nicht sincken: ich versichere dich meines Beystands, und verspriche dir nach dem Sieg eine immerwährende Glory im Himmel, und auf Erden. Verschwindet hierauf, und lasset Eustachium allein; hinterlasset ihm aber solchen Trost, Stärcke, und Großmüthigkeit in dem Hertzen, daß er mit Freuden nacher Haus kehret, sich auf alle Anfäll des bösen Feinds gefaßt machet, und ein so vestes Vertrauen auf das himmlische Versprechen setzet, als wäre der Sieg würcklich [344] in seinen Händen. Seine liebste Theopista wußte von allem diesem Handel nichts; alldieweilen sie aber das Ungewitter weniger nicht, als betreffen wurde, erachtet er rathsam ihr zu offenbaren, was für ein schwerer Streit beyden aus Verordnung GOttes bevorstehe; auf daß sie als ihn eine Gottsförchtige und verständige Frau sich desto besser darnach zu richten wisse: alldieweilen ein vorgesehenes Uebel sich leichter übertragen lasset.
Es vergiengen wenig Täg, da gienge der Scharmützel an. Der erste höllische Anfall ware durch die entsetzliche Pest. Diese überfiele sein Haus und alles, was ihm zugehörte; vergiftete und erwürgte nicht allein seine Bediente, Knecht, und Mägd, sondern auch alles groß- und kleine Viehe, und setzte den frommen Eustachium in so betrübten Stand, daß nicht nur alle Bekannte; sondern auch die allerliebste Freund, welche vorher unabläßlich ihn ehreten und bedienten, jetzt von ihm wichen, ihn verliessen, und sich stelleten, als wann sie ihn nicht mehr kenneten; ja in das Angesicht verachteten. Wohl ein schwerer Strauß ware dieses! Eustachius aber stunde, als ein Felß. Weilen nun Haus und Hof mit tödlichem Gift angestecket; Menschen und Vieh dahin gefallen; jedermann ihn über die Achsel anschauete, befande er rathsam; oder sich vielmehr gedrungen, auf eine Zeit aus dem Land zu ziehen, und irgendswo, wo es immer seyn möchte, sich in einem Wincklein niederzulassen. Bricht deswegen bey stiller Nacht mit seiner frommen Theopista, und beyden Kindern auf, und nimmt den Weeg in Egyptenland, allda sein übriges Leben zu schliessen.
Sie setzten die Reis fort bis zu einem Meer-Port; finden gewünscht ein Seegel-fertiges Schif, welches selbige Stund abdrucken wolte; und bedienen sich dessen nach dargelegten Schif-Lohn, den man von ihnen forderte. Kaum aber hatten sie den Fuß hineingesetzet, da erblicket der Herr des Schiffes die keusche Theopistam, und verliebt sich in ihre ungemeine Schönheit solcher gestalt, daß er bey sich schliesset, sie ihrem lieben Eustachio zu entführen, ja machet wegen gähling aufbrenender Liebes-Wuth wenig Wort; reisset sie ihm mit Gewalt von der Seiten zum Schif hinaus, wie sehr auch der ohne dem betrübte Ehe-Herr jammerte, mit Fußfälligem Bitten sie zu retten suchte, und sich mit Händen und Füssen darwider setzete. Inzwischen werden die Ancker oder Schif-Hacken gehoben, das Schif lauffet vom Port; Theopista bleibet zuruck in den Händen des ehebrecherischen Schiffers; und Eustachius wird nunmehr mit seinen nunmehr Mutterlosen, heulend- und weinenden Waislein, ohne Theopistam, als welche sein halbes Hertz, Freud, Trost und Leben ware, davon geführt. O unbeschreibliches Hertzenleid! wer kan genug ermessen den Kummer, so wohl einer, als [345] anderseits zwischen diesen beyden geliebten Ehe Leuten wird gewesen seyn? sie waren zwar nun geschieden; aber GOtt scheidete nicht von ihnen. Diesen hatte Theopista noch zum starcken Schutz. Dann als der gottlose Schiffer sie nöthigen wolte, seinen geilen Lust mit ihr zu büssen, mußte er das Schand-Beginnen mit dem Leben büssen; indem er von GOttes Gewalt, das ist, vom Schlag getroffen, des gähen Tods dahin fiele, ehe er sie berühret hatte; wie unten solle erzählet werden.
Die gnädigste Rettung hätte Eustachio noch zum Trost dienen können; aber GOtt offenbahrte ihm dieselbe nicht; sondern liesse ihn zu mehrerer Prob seiner Tugend in dem Kummer die Schiffart vollbringen, und das Schmertz-volle Gemüth nach der Ländung nicht allein mit sich ans Ufer tragen; sondern vergrösserte ihm das Leid mit einem neuen, und gantz unverhoften Creutz, wie allbereit zu vernehmen steht. Eustachius stiege achzend und seufzend aus dem Schif, fassete seine Kinder auf die Arm, und wanderte in das unbekannte Land hinein, unwissend, wo er sich hinkehren sollte. Wendete entzwischen sein traurendes Hertz zu GOtt, dessen gethanes Wort ihm nie aus dem Sinn entfiele; rufte ihn um Verleihung der Gedult, und Beharrlichkeit seiner Liebe an. Nachdem er nun lang hin und her geschwebet, stosset ihm endlich ein reissender Fluß auf, über welchen er zu setzen genöthiget ware; aber weder Brucken, noch Schif finden konte, deren er sich hätte bedienen können. Fassete also nach langem hin- und her Gedencken das Hertz, lasset eines aus den Kindern am Rand, setzte das andere auf die Schultern; waget sich ins Wasser; schwimmet (wie er dann ein starck und behertzter Mann ware) glücklich hindurch, und ladet die liebe Burde an dem Ufer ab. Saumet auf solches nicht, die Ruckkehr zu nehmen, das hinterlassene Brüderlein auch abzuholen. Aber (O grosses Hertzenleid! O unermeßliche Urtheil GOttes!) da er in der Mitte des Strohms ist, muß er mit Augen sehen, daß ein ungeheurer Löw herzu lieffe, und das arme Waislein darvon trage, ohne daß er ihm hätte helffen, oder dem schnell in den Wald eilenden Thier dasselbe abjagen können. Befihlet es also GOTT; nimmt diese neue Wund mit gröster Gedult an, und eilet zuruck, wenig das schon übersetzte Kind davon zu bringen. Siehe aber! er kommt so weit im Wasser, daß er das Ufer fast betretten solle, da springt ein Wolf aus einem Gebüsch heraus, packet das unschuldige Kind auch an, und rennet damit auf und davon.
Wie wunderlich seynd doch die Urtheil GOttes! wer kan die vielfältige Weeg ergründen, durch welche die höchste Majestät seine geliebte Seelen führet, sie zu prüfen, zu crönen, und glorwürdig zu machen? Hab und Gut Eustachii waren verlohren; alle Ehr und Ansehen hin; Freund und [346] Bediente entzogen; die Gemahlin entführet, und nunmehr der übrige Trost des Lebens, nemlich, die liebe Kinder auf das allerbedaurlichste entrissen, indem nichts anders zu gedencken, als, daß gleich die erste Stund kein Gebein mehr davon werde übrig geblieben seyn: und dannoch liesse der großmüthige Held das Hertz nicht sincken; verharrete Eisen-vest auf seiner Standhaftigkeit, und gründete seine Hofnung auf dasjenige, was ihm GOtt vorgesagt, und verheissen hatte. Nun ware ihm nichts mehr übrig, als das eigene, und zwar elende Leben. Was aber anzufangen, auf daß er dieses erhielte? indem die äusserste Armuth vorhanden; und er keinen Bissen Brods, keinen Heller Gelds in all seinem Vermögen fande? es konte anderst nicht seyn: wollte er sich des Hungers erwehren, so mußte nur die Hand an eine Arbeit gestreckt werden. Er verfügt sich demnach in das nächste beste Dorf, Badiso genannt, und verdinget sich zu einem reichen Bauren für einen Knecht; dienet diesem um den nothwendigen Unterhalt 15. gantzer Jahr: ackert, grabet, mistet, bauet, und lasset sich zu allem gebrauchen, was die Feld- und Haus-Arbeit erforderte, in gröster Gedult, unverdroßnen Fleiß, mannhaften Langmüthigkeit, und unverruckten Hofnung zu GOtt: welcher zwar zu Zeiten lang hinaus zu verschieben pflegt; endlich aber das Verweilen mit doppleten Gewinn, Freud und Trost ersetzet, und die verschobene Cron unschätzbar vermehret. Welches auch Eustachius erfahren, wie ferners wird gemeldet werden.
Zwischen so vielen Jahrs-Fristen, da Eustachius den Pflug im Feld, und Trischel im Stadel, an statt des Regierungs-Staabs, den er vor diesem als ein Feld-Obrister geführt, ereignete sich, daß Trajano, der nunmehr die Römische Cron truge, ein Krieg eines gefährlichen und weiten Aussehens, auf den Hals fiele; herentgegen mit keinem wohl-erfahrnen und bewehrten Heers-Führer versehen ware. Da fallet ihm endlich auf vieles Nachsinnen bey, daß er vor Jahren, da es unter den Kaysern Tito Vespasiano auf die Juden loß gienge, neben einem nahmhaften Helden (Namens Placidus) im Feld gestanden, welcher den Krieg ausbündig verstanden, und mit der Faust so wohl, als klugen Hirn die Sach jederzeit treflich anzugreiffen gewußt. Dieser dann bedunckte ihn, der tauglichste zu seyn, deme er das gantze Heer zum sichersten anvertrauen, und den gewissesten Sieg hoffen könte. Forschet demnach alsobald, wo Placidus sich dermahlen aufhalte? erfahrt aber, daß ihn das widerwärtige Glück samt Weib und Kindern aus dem Land getrieben, und durch tausenderley Bedrangnussen in die elendeste Bedürftigkeit gesetzt. Wer weißt, in was für einem Winckel der Welt er sich werde verkrochen haben? dessen ungeachtet, änderte Trajanus sein Vorhaben nicht; sondern schicket ohne Verzug seine Bothen und Ausspäher durch alle Land, [347] Placidum aufzusuchen: weilen er auf diesen sein gröstes Vertrauen einmahl vest gesetzet hatte. Die Abgeordnete durchstrichen nahe und ferne Länder, suchen und forschen mit höchstem Fleiß so lang und viel nach, bis sie ihn endlich erfragen; zu ihm eilen, aber die Gestalt dermassen geändert, armselig, mager, verwildet; dessen Kleidung zerlumpt, und elendig finden, daß sie wohl von ihm erkennet wurden; ihn aber nicht erkenneten, bis ihnen nach genauer Betrachtung einige Wundmahlen ins Gesicht kommen, welche er vor diesem aus dem Krieg gebracht, und noch hin und her in dem Angesicht zu sehen waren. Geben sich demnach voller Freuden zu erkennen; machen das Kayserliche Verlangen kund; ziehen ihm den Bauren-Kittel ab, und geben ihm an dessen statt die kostbare mitgebrachte Kleidung, samt der Kriegs-Binden, sich damit anzuziehen.
Eustachius schlaget dieses Anerbieten nicht aus; leget das Kriegs-Gewand willig an, und begiebt sich mit ihnen auf den Weeg nach dem Kayserlichen Hof: dann GOtt hatte sein Hertz berührt, die Verrichtung auf sich zu nehmen: alldieweilen nunmehr die Stund herbey kommen, das vor Jahren ihm angethane Versprechen zu bewerckstelligen, und nach so langwierigen überstandenen Ungewitter endlich die helle Glücks-Sonne ihm wiederum scheinen zu lassen. Da er nun zu Rom angelangt, ware Trajanus voller Freuden; empfangt ihn auf das liebreichest; ernennet und stellt ihn bald als das obriste Kriegs-Haupt vor, mit Ueberlassung alles Gewalts, welcher zu solchem hohen Amt gehörig, in versicherter Hofnung, nun werde es nicht wohl fehlen können, daß der Feldzug nicht einen erwünschten Fortgang habe, und der Sieg den Römern zufalle. Also trittet Eustachius die Herrschung an, nimmt das Heer in Augenschein; befindet eine Nothwendigkeit, die Zahl der Kriegs-Knechten zu vermehren, und lasset in Eil derselben noch so viel darzu anwerben, als ihn bedunckte nöthig zu seyn, dem Feind unter die Augen zu gehen. Ziehet mithin zu Feld, waget eine blutige Schlacht, schlagt den Feind bis aufs Haupt, verherget alles mit Feuer und Schwerd bis in den Grund, und kehret mit reicher Beut wiederum in das Lager, den tapfern Kriegs-Knechten eine Ruhe zu geben, und sie mit Freuden ihres Raubs geniessen zu lassen.
Solches geschahe in einem Dorf, welches GOtt zu einer Schaubühne auserkohren, allda seine unbegreifliche Vorsehung vorzustellen, und der Welt zu zeigen, was gestalten kein menschliches Vorhaben so mächtig seye, seinen göttlichen Rath und Willen umzukehren. Dieser Ort mußte es seyn, das so viel Jahr hinaus lauffende Traur-Spiel mit aller Welt Verwunderung dermahl eins durch ein unverhoftes höchst erfreuliches End zu schliessen. Der Verlauf ware folgender: indem das Kriegs-Heer fröliches [348] Muths, und (wie gewohnlich) die Soldaten hin und her in Camerathschaften beysammen sassen, die Zeit mit Kurtzweilen hinzubringen, geriethen etliche zusammen, welche auf unterschiedliche Erzählungen fielen, was jedem Zeit seines Lebens wunder- und denckwürdiges begegnet wäre. Einer aus ihnen brachte auf die Bahn, er wäre adelichen Stammens, und von einer ausbündig schönen Mutter gebohren; der Vatter seye nach Ueberfluß in Reichthumen gestanden, und ein Feld-Obrister gewesen: das Unglück aber habe die Eltern dergestalten überfallen, daß sie durch Pest und viele Trangsalen alles verlohren, aus dem Land gezogen, und ihn samt noch einem Bruder, welcher über die massen schön von Angesicht gewesen, als kleine Kinder mit sich hinweg geführet haben. Nun seye es geschehen, daß sie in einem Schif gefahren, aus welchem hernach der Vatter weinend gestiegen; die Mutter aber verlohren worden, daß er sie nicht mehr gesehen. Auf dieses habe sie der Weeg zu einem schnell-lauffenden Fluß getragen, allwo der Vatter seinen jüngern Bruder auf die Schultern gefasset, und durch das Wasser geführt; ihne entzwischen, als den ältern, an dem Ufer sitzen lassen, alsdann ihn auch abzuholen. Es hätte sich aber begeben, daß einerseits ein Löw; an dem andern Gestatt aber ein Wolf herzu geloffen, und beyde davon geschleppet. GOtt habe ihn gleichwohl bewahret, daß ihm von dem Thier kein Leid widerfahren; indem ein Hirten-Gesind, so in der Nähe gewesen, hinzugeeilet, dem Löwen den Raub abgejagt, ihn mit sich genommen, und aus Mitleiden bis in dieses Alter ernähret habe. Nun kümmere ihn nichts mehr, als daß er keine Nachricht haben könne, wo doch seine liebe Eltern, und Bruder müssen hinkommen seyn. Dieser Erzählung hörten alle Anwesende aufmercksam zu; und unter andern der verlohrne Bruder selbsten, welchen Agapius so sehr bedaurete; dann indem dieser sich gleichmäßiger Begebenheit mit seinem Bruder, Eltern, und sich selbsten zu entsinnen wußte, und das Geblüt gleichsam anfienge aus Freuden in ihm aufzuwallen, zweifelte er gar nicht, dieser müsse sein lieber Bruder Agapius seyn. Sprang demnach vor Freuden auf; konnte sich weder aus Verwunderung fassen, noch auch die Zäher einhalten; sondern fiele Agapio um den Hals, und sagte: O mein allerliebster Bruder! ich bin Theopistus dein jüngerer Bruder, den ein Wolf von dir gerissen, da der Löw dich davon truge. Dich haben die Hirten; mich aber das Bauren-Volck dem Thier aus dem Rachen gezogen; und eben auch aus Mitleiden bis zu diesem Alter mir die Nahrung gegeben.
Die gantze Gesellschaft erstaunte über die seltsame Begebenheit der unvermutheten Erkanntnuß beyder Brüder, und bezeugte selbsten mit Glückwünschung eine grosse Freud. Bey diesem aber bliebe es nicht. Die Vorstellungen der unendlichen Allmacht [349] GOttes waren noch nicht völlig vor Augen. Es mußte Theopista, die getreue Mutter auch noch offenbar werden, und die billige Verwunderung um ein namhaftes vergrösseren. Diese machte sich in obgedachtem Dorf, dem Ansehen und Aufzug nach als ein verächtliche Magd hinzu, und stunde eben damahls, als die freudige Erkanntnuß zwischen den Brüderen vorgienge, in ihrer schlechten Kleidung an dem Hauffen, und hörte obangeregte Erzählung mit an; spitzte aber bey Namsung des Feld-Obristen, der erfolgten Armuth, der Entweichung aus dem Vatterland, des Verlusts der Mutter, gewaltig die Ohren; erwegte alles und jedes, und wußte endlich nichts anders daraus zu schliessen, als diese Jüngling müßten einmahl ihre liebe Kinder seyn. Es rührte sich auch alsobald das mütterliche Hertz, und gabe mit heftigem Klopfen die Anzeig, daß sie nicht mehr zweiflen könte, sie sehe wahrhaftig ihr Fleisch und Blut vor Augen. Geschahe ihr solchem nach, als erweckte man sie aus dem Grab zum Leben: fassete das Hertz, drange unter den Hauffen der Soldaten hinein; fiele bald diesem, bald dem anderen Sohn um den Hals, und rufte mit heller Stimm, unter Vergiessung häufiger Freuden-Zäher: O meine Kinder! meine Kinder! ich bin eure Mutter! ich bins, die euch aus dem Vatterland auf diesen meinen Armen getragen! ich habe euch in das Schif gesetzt! ich bins, die euch allda entzogen worden! und gabe ihnen (kurtz zu sagen) so viel Anzeigen, daß beyde sie, als ihre liebste Mutter erkenneten, bekenneten, und ihr tausend Freuden-Bezeugungen erwiesen. Verfüget sich auf solches zu dem Feld-Herrn Eustachio, giebt ihm zu verstehen, wer sie wäre; was für ein goldenes Glück sie mit Erfindung ihrer Kinder beseliget habe, und haltet bittlich um die Gnad an, zu erlauben, auf daß sie, besserer Sicherheit halber, möchte mit dem Kriegs-Heer ins Vatterland reisen, wohin nunmehr ihr eintziges Verlangen stehe. Indem sie nun, ohne weiteres Nachdencken, in ihrem bittlichen Vortrag auf das eifrigste begriffen, siehe abermahl Wunder über Wunder! da stellet die Güte GOttes ihr das Angesicht ihres allerliebsten Eustachii dermassen erkanntlich vor, gleich als sage man ihr in ein Ohr, und ermahne ihr Hertz, dieser wäre ihr Ehe-Herr Eustachius. Lasset jedoch nichts mercken; sondern wendet die Red allgemach auf alles und jedes, was so wohl im Glück-Stand zwischen beyden vorgangen, als was sie mit einander gedultigst in dem Unglück ertragen, bis der ehebrecherische Schifmann sie von einander getrennet habe. Auf diese Wort brachen beyden die Zäher aus den Augen; die Hertzen entzündeten sich, und könte die Zung vor Freuden mehr nicht hervor bringen, als in der ersten gähehitzigen Umhalsung; O mein liebster Eustachi! meine liebste Theopista! was alsdann bey Empfang der beyden Kinderen für Verwunderung, für Liebs- [350] Bezeugungen, für freundlichste Wort, Gebärden, und tausenderley Anmuthungen werden erfolget seyn, überlassen wir dem Nachdencken des Lesers; dieweilen es unmöglich solches zu beschreiben. Dieses allein seye genug gesagt, daß sie alsbald samtlich auf die Knie gefallen, und GOTT, als ihrem gütigsten und allmächtigen Schützer und Erretter hertzinniglich gedancket haben, daß er die Kinder aus den Rachen der Thieren; die Mutter aus den Händen des Schiffers; den Vatter aus den schwersten Kümmernussen gnädigst gerissen, und nunmehr nach so vielen Jahren so vätterlich, und wunderthätig wiederum zusammen gefügt habe.
Nachdem nun dieses alles vorbey, lasset Eustachius das Zeichen geben zum Aufbruch; nimmt mit seinem siegreichen Kriegs-Heer den Zug nacher Rom, und haltet allda auf gewöhnliche Art seinen triumphierlichen Einzug auf das prächtigste. Der Kayser Hadrianus (dann Trajanus ware schon Tods verblichen) empfienge ihn zwar mit all-erdencklicher Ehr-Bezeugung, stellte sich auf das danckbarste ein für die gehabte Mühewaltung, und Erhaltung des Siegs; beehrte ihn mit vielen Gaaben und Gnaden; die gantze Stadt wünschte ihm Glück; und erschalleten die Freuden-Rüf auf allen Gassen und Strassen. Allein daurete solches nur ein kleine Zeit. Dann kurtz hernach stellete der Kayser ein herrlichen Fest-Tag an, mit kostbarem Opfer, den Göttern seine Danckbarkeit für den verliehenen Sieg abzustatten. Hierbey müßten alle erscheinen, von dem Höchsten bis zum Niedrigsten, und ware der Kayser selbsten gegenwärtig. Eustachius aber gienge alleinig ab, deme doch vor allen gebühret hätte, den Göttern um das empfangene Kriegs-Glück danckbar zu seyn. Als man nun dessen Ursach beybrachte, welche auch an sich selbsten anders nichts ware, als daß nemlich Eustachius die Götter verachte, und Christum allein anbette, fiele augenblicklich alle Kayserliche Huld dahin, und sancke der Feld-Herr tieffer in die Ungnad, als höher er zuvor in Gnaden gestanden. Da wurde er alsbald nicht allein aller Ehren entsetzt, sondern auch samt seiner Gemahlin, und Söhnen in Verhaft gezogen, und in Kurtzem, ohne ferneres Bedencken, den grimmigen Löwen vorgeworffen; die ihnen aber kein Leid angefügt, sondern als zahme Lämmer sich zu ihren Füssen gelegt: ab welchem Wunder Hadrianus dannoch sich nicht besänftigen lassen, sondern nach damahligen allgemeinen Wohn der blinden Heyden, vestiglich geglaubt, es müssen den Löwen unfehlbar die Rachen durch Zauber-Kunst gesperret, und der Muth genommen worden seyn, deswegen er in noch heftigerer Verbitterung einen aus Ertz gegossenen Ochsen glüend zu machen, und sie in denselben zu verschliessen befohlen, auf daß sie solcher Gestalt allgemach gebratten, und zu Aschen verbrennt würden. Die Heil. Martyrer bezeichnen [351] sich vorher mit dem heiligen Creutz; sagen GOTT für alle empfangene Gnaden Danck, und bitten, er wolle sie gleich anderen Heiligen Blut-Zeugen zu einem angenehmen Brand-Opfer auf- und annehmen; auch allen und jeden, die von seiner göttlichen Majestät in ihren Namen etwas begehren wurden, gnädiglich willfahren. Worauf eine Stimm vom Himmel sich hören lassen, ihr Bitt seye erhört, und die Stund herzu kommen, die Cron der Seligkeit zu empfangen. Steigen solchemnach freudig in den glüenden Ochsen, und verblieben 3. Tag in demselbigen verschlossen. Nach welcher Zeit, da man die Thür wiederum eröfnet, finden sich die Heil. Leiber zwar entseelet; aber unversehrt, glantzend, und ohne einiges Brandmahl, und gleichsam schlaffend. Ueber welchem Wunder sich viel aus der Heydenschaft bekehrt; die übrige samt dem Tyrannen zu Schanden worden. Dieses Leiden ereignete sich im Jahr Christi 120. des Kayserthums Hadriani im ersten. Ribad. qui supra.
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