[480] Kaum waren sie bei Lairessen fünf oder sechs Minuten gewesen, als sich Vignali eines nötigen Besuchs erinnerte und Herrmann bis zu ihrer Rückkunft zu verziehen bat: sie ging und begab sich heimlich in die Nebenstube.
Lairesse war neben der Tänzerin auch einige Zeit Schauspielerin gewesen, in beiden zwar gleich mittelmäßig, aber sie hatte doch zuweilen im Notfall auch zweite Liebhaberinnen[480] gespielt. Ohne Zweifel mochte sie dies auf den Einfall bringen, ihren Unternehmungsplan ganz theatralisch einzurichten.
Sie sprachen einige Zeit von lieben und geliebt werden, und Herrmann, der erst während seines Aufenthalts bei Vignali so hochgelehrt in diesem Fache geworden war, redete darüber mit zufriedner Selbstgenügsamkeit; Lairesse wußte nicht mit dem zehnten Teile seiner Erfahrung und Beredsamkeit davon zu sprechen, ob sie gleich seit ihrem siebzehnten Jahre im Tempel der Liebe diente. Plötzlich sank sie in Ohnmacht – aber nur in eine künstliche Ohnmacht, versteht sich! Man sagte ihr als Schauspielerin nach, daß sie nur zwo Aktionen meisterhaft zu machen verstünde – sich wie ein Klotz auf das Theater hinzuwerfen und in Ohnmacht zu fallen: man versicherte des wegen, daß sie die größte Aktrice des Erdbodens sein würde, sobald jemand ein Stück von lauter Ohnmachten schriebe. Auch gelang ihr die gegenwärtige so täuschend, daß ihr Herrmann mit ängstlicher Besorgnis sein vergoldetes Riechfläschchen in die Nase goß: das war ein unsel'ger Streich, der dies Meisterstück von Ohnmacht durchaus verdarb; denn die Menge der hinabströmenden, starkriechenden Essenzen verursachte ihr einen erstickenden Husten: doch zog sie sich sehr gut aus dem widrigen Zufalle: sie schlug mit richtiger Steigerung des wiederkommenden Lebens und mit einem zärtlichen Blicke nach Herrmannen die Augen auf und blieb liegen, wie sie die Ohnmacht auf das Kanapee hingeworfen hatte.
»Was haben Sie denn?« fragte Herrmann.
»O du Ungeheuer!« antwortete Lairesse mit kraftlosem Zorne, »du wirst mich wohl noch umbringen.«
Herrmann. Ich?
Lairesse. Ja, du, du!
Herrmann. Ich erstaune. Wie das?
Lairesse. Daß du so schön und doch so unempfindlich bist! Ich armes Mädchen bin in dich verliebt, solang ich dich kenne: sooft ich dich nur sehe, wandelt mir eine Ohnmacht an: und du, kieselhartes Herz, tust gar nicht, als wenn du meine Not[481] wüßtest. Ich werde gewiß noch vor Liebe sterben, wenn du mir nicht beizeiten zu Hülfe kömmst. Komm, du Pavian! gib mir einen Kuß! –
Sie zog mit diesen Worten den neben ihr stehenden Herrmann nach sich hin und nahm sich den Kuß mit einer so zweideutigen Umarmung, daß sich der Tugendheld nach einer flüchtigen Anwandlung von süßer Schwachheit losriß und mit stolzem Mute wie ein tapfrer Ritter, der abermals ein Abenteuer glücklich bestanden hat, auf sie herabsah.
»Ach, der vermaledeite Kuß!« fing Lairesse wieder, halb ohnmächtig, an, »da wird mir schon wieder schlimm. Komm mir zu Hülfe, du Unmensch! Ich ersticke: mache mir Luft!«
»Lairesse!« sagte Herrmann mit trocknem Lächeln, »geben Sie sich nicht so viele Mühe! Ich errate Ihr Spiel: so fängt man mich nicht.«
»Seht mir einmal das Affengesicht!« rief Lairesse lachend und sprang auf. »O lacht ihn doch aus! Da wird man dich lange fragen: willst du mich gleich im guten lieben? oder ich drücke dir die Kehle zu.«
Wirklich faßte sie ihn auch so fest bei dem Halse, daß er zu ersticken glaubte und sich mit Mühe von ihren Armen losmachte. »Lairesse, das ist Beleidigung, aber nicht Scherz«, sprach er unwillig.
Lairesse. Denkst du, daß ich scherze? – Hab ich dir's denn nicht deutlich gesagt, daß ich dich liebe? Aber ich weiß schon, ich bin nicht die erste, die du hast verschmachten lassen.
Herrmann. Desto besser! So können Sie sich um soviel leichter beruhigen.
Lairesse. Desto schlimmer! willst du sagen. – Fürwahr, ich schämte mich: so ein hübscher Mensch und tut so steif und hölzern, wenn sich ein Mädchen die Mühe gibt, sich in dich zu verlieben! Bin ich dir denn nicht hübsch genug? – Über den Delikaten!
Herrmann. Zur Gesellschafterin sind Sie mir hübsch genug: und mehr verlang ich nicht.
[482] Lairesse. Aber damit bin ich nicht zufrieden. Gesellschaft ohne Liebe ist etwas kahl.
Herrmann. Auch daran soll es nicht fehlen: ich liebe Sie und habe Sie geliebt, solange wir einander kennen.
Lairesse. Und das ist deine ganze Liebe, wie sie bisher gewesen ist? – Die ist verzweifelt trocken und langweilig. Ich will dich eine bessere lehren. Aber du Heuchler! kennst sie lange.
Herrmann. Und wenn ich sie kennte?
Lairesse. So wärst du Schläge wert, daß du so unwissend tust und dich nicht gescheiter aufführst als ein kleines Kind. –
Stehst du nicht da wie eine Bildsäule? –
Sie sang ihm ein Liedchen vor, dessen Hauptgedanke war, daß Genuß der letzte Zweck der Liebe ist, und die letzte Strophe schloß sich:
Einladend winkt ein Sofa dir,
Gepolstert für die Liebe –
»Schweigen Sie!« unterbrach sie Herrmann. »Entheiligen Sie nicht einen Namen, der nur auf Ihrer Zunge und nicht in Ihrem Herze ist! Ich will Ihnen mit zwei Worten sagen, wie ich hierüber denke. Liebe und Buhlerei sind bei mir zwei verschiedene Dinge: merken Sie sich das!« Lairesse schlug ein Gelächter auf, als wenn sie springen wollte. – »O du hochweiser Stockfisch!« rief sie und stieß ihn von sich. »Ich will die Leute auf der Gasse zusammenrufen, daß sie dich auslachen helfen. Der Mensch redet wie ein Schulmeister. – Lieber Herr Schulmeister, sein Sie doch nicht so grämlich! – Die Buhlerei! wo hast du denn das Wort her?«
Herrmann. Das Wort ist alt: aber die Sache hab ich itzt an Ihnen wahrgenommen.
Lairesse. Die Buhlerei? – Was der Mensch für ein Orakel ist! Ein lebendiges Buch der Weisheit bist du.
Herrmann. Und Sie ein verbuhltes Mädchen!
Lairesse. Ihre Dienerin – warum mißfällt denn Euer Hochweisheiten das Buhlen so sehr?
Herrmann. Weil die Stimme der Ehre in mir ruft, daß ich mich nicht wegwerfen soll.
Lairesse. Mit mir wirfst du dich weg? – O mein kleiner Herr,[483] er muß sich's für eine Ehre rechnen, daß ich mich mit ihm abgebe. Prinzen, Lords, Grafen, Barone haben meine Gütigkeit mit Dank erkannt: man ist so verlegen nicht, wie Sie denken. Ihr kleines Persönchen mag in Ihren Augen sehr liebenswürdig sein: aber solche Schlaraffengesichter kann man alle Tage haufenweise bekommen, wenn man nur wollte.
Herrmann. Lairesse, Sie werden so beleidigend, daß ich zürnen muß.
Lairesse. Allons, zürnen Sie doch! Sie werfen doch nicht etwa die Leute mit Goldbörsen tot? – Der arme Schlucker! spricht so weise wie ein Buch! will sich nicht wegwerfen! Ich würfe mich weg: wissen Sie das?
Herrmann. Sie werden so unverschämt, daß ich gehn muß.
Lairesse. Geh! geh! Wer hat denn dich Polisson gerufen? – Aber noch eins! Du bist ein Narr. –
Dies sagte sie ihm in einem leisen vertraulichen Tone und wollte die Lobrede mit einer derben Ohrfeige begleiten: doch Herrmann fing ihre Hand auf, ergrimmte, hub den Stock in die Höhe und drohte: »Ich werde dich strafen, du niederträchtige Dirne!«
Lairesse. Strafe mich! hier steh ich. Siehst du hier zehn Finger? und an jedem einen Nagel? Alle zehn sollen sie dir auf den ersten Schlag in deinen Schelmenaugen liegen. –
Herrmann ging, um nicht zu einer Mißhandlung hingerissen zu werden. In der Tür knipp sie ihn von hinten zu empfindlich in die Arme. – »Wirf dich nicht weg!« schrie sie. Herrmann drehte sich, und der Zorn übernahm ihn so sehr, daß er den Stock, mit der völligen Absicht zu strafen, aufhub. – »Schlagen Sie zu!« rief Vignali hereintretend, »das Geschöpf hat es verdient.« – Sie glühte vor Ärger; und da Herrmann ihren Befehl nicht vollzog, gab sie Lairessen einen empfindlichen Stoß mit der Faust und sagte leise zu ihr: »Du bist ein dummes Vieh: nun kannst du noch heute dein Paket zusammenmachen.«
»Kommen Sie! wir wollen gehn«, sprach sie außer Atem und nahm Herrmanns Arm. –
Vignali! Vignali! das war stark verraten: auch merkte Herrmann[484] nunmehr das ganze Spiel, das er vorhin nur dunkel argwöhnte. Dem Herrn von Troppau wurde seit dieser Zeit von Vignali tägliche und stündliche Vorstellung getan, daß er Lairessen den Abschied geben sollte, und nach einigen Weigerungen willigte er, obgleich sehr ungern, darein: Lairesse kam, demütigte sich vor Vignali, bat um Verzeihung, und der Herr von Troppau mußte sie behalten.
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