IX

[188] Auch bei den Geschwistern der Frau Josephine von Wertheimstein waren die Musen zu Haus: bei der Baronin Sophie Todesco, der Seelenguten, die fast alle Freunde der Villa Wertheimstein auch in ihren kunstgeschmückten Räumen sah, beim Professor Theodor Gomperz, dem geistvollen Geschichtschreiber der griechischen Philosophie, bei Julius Gomperz, dem Brünner Fabrikanten, dessen Wiener Absteigeheim durch seine Frau, die Sängerin Karoline Bettelheim, für Monate ein echter Wiener Musiksalon ward. Musik und Poesie wurden auch bei Frau Rosa Gerold gepflegt, in der Stadtwohnung wie in der reizenden Villa Lindenhof in Neuwaldegg, die so schön zwischen den Waldbergen und am Walde liegt. Eine Eigentümlichkeit des Lindenhofs war, daß dort gern der altfränkische, aber noch immer lebendige und oft lebenweckende Geist der Leberreime umging: ein mit Champagner oder Rheinwein gefüllter Riesenbecher kreiste, und jeder an der Tafel, zu dem er kam, hatte in Versen, die mit der »Leber vom Hecht« begannen, irgend etwas Gegenwärtiges oder einen Anwesenden mit Redefreiheit anzudichten. Es kam oft zu großer, auch witziger und anmutiger Heiterkeit, denn der Geist ruft den Geist. Einmal war auch der Minister Karl von Stremayr mit seiner anmutigen Tochter dabei; so oft wir uns später wiedersahen, erinnerte er sich und mich an diesen Abend, dessen festliche und geistreiche Lustigkeit ihn durchsonnt, entzückt hatte.[188]

Von Männern und Frauen des Theaters, der Literatur, der Musik war besonders der Salon der liebenswürdigen und schönen Frau Malvine von Dutschka gefüllt; doch seine Zeit kam wohl erst gegen das Ende der Siebzigerjahre; dafür lebt er noch heut. Merkwürdige und interessante Musik aller Art hab' ich dort gehört, die ich sonst nicht hörte; echt wienerische, die uns der alte Herr von Gernerth, der sie komponierte, auch selbst am Klavier sein gemütlich vortrug, und »exotische«, transatlantische, von jungen Amerikanerinnen auf schmachtenden Instrumenten gespielt oder mignonhaft dazu gesungen. Rubinstein, der zuweilen bei seinen und meinen Freundinnen wunderbar spielte, hab' ich bei Dutschkas nur essen sehn; dort erlebte ich aber mit ihm etwas Drolliges. Es war ein Diner ihm zu Ehren, eine kleine auserlesene Gesellschaft, darunter Bauernfeld, Sonnenthal, die Altgräfin Salm, die Gräfin Dönhoff. Rubinstein hatte Tags zuvor im Burgtheater mein Lustspiel »Die Maler« gesehn; er sagte mir über den Tisch hinüber gute, warme Worte, so was man »Bewunderung« nennt. Ich erwiderte nichts; lächelte wohl nur, meinte dadurch eine Empfangsbestätigung zu geben. Die Gesellschaft mochte aber erwarten, daß ich etwas Gesprochenes erwidern würde: es entstand ein Stillschweigen. Jetzt erhob sich Sonnenthal; als stünde er als Regisseur nach dem Aktschluß auf der Bühne, verneigte er sich tief und sagte: »Im Namen des abwesenden Dichters habe ich die Ehre, seinen Dank auszusprechen!« – Alle lachten; Rubinstein so herzhaft, daß es ihn schüttelte.

Später war Alfred von Berger der Freund und sozusagen der geistige Mittelpunkt des Hauses; seine[189] Vielseitigkeit und Beredsamkeit, sein staunenswertes Gedächtnis und sein schlagfertiger Witz machten ihn dazu. Nach dem Tode des Herrn von Dutschka – eines trefflichen Ehrenmannes und zuverlässigen Freundes – ward es still im Haus; allmählich bildeten sich aber neue Formen und es entstand ein Freitagssalon zwischen Tag und Abend, der vor allem der Musik gehört. So sah ich das Haus im letzten Frühling wieder und fühlte mich so ganz in Wien. Vor einem großen Publikum von jung und alt, von Geist und Schönheit, überraschend entzückender, warmblütiger, rassiger Gesang werdender Talente, echter Wienerinnen; die süßen Volkslieder aus den Bergen, von einer Meisterin köstlich anheimelnd gesungen; Leschetitzkys Schüler und Schülerinnen am Klavier, europäische und amerikanische, schöne Hoffnungen. Die schönste darunter, aus dem nordamerikanischen Osten, mit den beseeltesten Augen, lass' ich durch diese Zeilen grüßen: Gut Heil für die Zukunft, für Berlin und Wien!

Nur von einer Künstlerin möcht' ich hier noch reden, die mir ein Phänomen, eine Offenbarung war und doch nicht mehr Künstlerin: Fanny Elßler mein' ich, das holdeste Wiener Blut; ein Wahrzeichen von Wien konnte man sie nennen. Sie war fast zweiundsechzig Jahre alt, als ich sie auf einem Ball der »Concordia« kennen lernte; aber sie war noch zum Verlieben, so ganz war sie in das Bad der Charitinnen getaucht. Ihre schöne Gestalt war frauenhaft geworden, aber »jeder Zoll war Anmut«; so selbstverständliche, organische, nie pausierende Grazie hab' ich sonst wohl nie gesehn. Ich erinnere mich eines Theaterabends, an dem ich im[190] ersten Rang, sie unten im Parkett saß; in ihrem schlichten, dunkelgrünen Kleid, zuweilen einen Fächer bewegend, zuweilen zu einer hinter ihr sitzenden Bekannten sich zurückwendend, war die nun wohl fünfundsechzigjährige Frau so ein holdes Bild, daß sie mich in meiner Aufmerksamkeit aufs schönste störte: ich hab' oft lange von der Bühne weg und nur sie gesehn. Jede Bewegung des Kopfes, des Arms, der Schulter war eine Offenbarung eingeborenster Anmut.

Aus der Öffentlichkeit hatte sie sich längst zurückgezogen; auf recht herzliches Bitten zeigte sie noch zuweilen im Zimmer, wie sie auf der Bühne getanzt hatte. Auch vor mir tanzte sie einmal, so wie sie grade ging und stand, entzückte und entrückte mich durch ihre mimischen Zauberkünste; wir waren mittlerweile gute Freunde geworden. Ich begriff alles, was Holtei in seinen Memoiren (»Vierzig Jahre«) zu ihrem Preise sagt; ich fühlte, daß das Geheimnis ihrer Kunst eben diese ganz elementare und ganz durchseelte Anmut war, die aus einer vollkommenen Wohlgestalt und einem grundguten, holden Gemüt in ungestörtester Harmonie hervorstrahlte. »Sie tanzte Goethe!« An dieses Wort mußte ich denken, als ich im letzten Winter die Amerikanerin Isadora Duncan wirklich Chopin tanzen sah, die seitdem auch Beethoven getanzt hat und Richard Wagner tanzen wird, wie ich lese. Auch in ihr ist Schönheitsgefühl und Seele, durch ganz persönliche Annäherung an die Antike belehrt und erhöht. Sie hat uns dadurch neue, schöne Kunst gegeben. Mir scheint aber, daß die reinste und höchste Offenbarung die Wienerin Fanny Elßler war, die wohl nie die altgriechischen[191] Vasenbilder studiert, nie die Tonwerke eines Musikers nachzuschaffen versucht hat; aber »sie tanzte Goethe«!

Als wir ihren siebzigsten Geburtstag feierten, versuchte ich, ihr auszudrücken, wie ich sie fühlte und was ich für sie fühlte:


Den Geist des Lebens möcht' ich heut befragen,

Was dich so unbegreiflich jung erhält?

Schon siebzig Jahre.... Viel, auf dieser Welt!

Wer hat so leicht wie du an dieser Last getragen?


Kriegsjahre, sagt man, sollen doppelt zählen;

So, denk' ich, zählt nur halb die Friedenszeit

Der edlen Seele, die, den Grazien geweiht,

All den Dämonen fremd war, die uns quälen.


Der rauhen Erde Dornen, Sümpfen, Steinen

Entfloh sie bald auf flügelleichtem Fuß,

Und stieg, ein wandelnd Bild des Friedensgenius,

Drin Schönheit, Wahrheit, Güte sich vereinen;


Und stieg zum Tempel, wo die Stürme schweigen,

Wo Anmut wohnt als Hohepriesterin,

Und lehrt uns Gleichmaß, Einklang, Jugendsinn,

Und wen sie je belehrt, der bleibt ihr eigen.


Sie belehrte auch gern noch als Künstlerin, wenn sie befreundeten Künstlerinnen helfen konnte; sie war eine geborene Helferin. Als Charlotte Wolter die stumme Yelva spielen sollte, studierte Fanny Elßler die ganze Rolle mit ihr; sie ging fast auf alle Burgtheaterproben von »Arria und Messalina«, da die Wolter[192] es wünschte, begutachtete, gab die Schätze ihres Schönheitswissens und ihrer Erfahrung her. Mit meiner Frau hat sie eine ganze Reihe von Rollen in meinen Stücken studiert.

Wahrhaft rührend aber war ihr Verhältnis zu ihrer Cousine Fräulein Kathi Prinster, die mit ihr lebte, seit vierzig Jahren und mehr. Nie hatten sie sich getrennt, miteinander waren sie alt geworden, die Schöne und die Häßliche: denn die gute Kathi war, von außen betrachtet, so ein Stiefkind der Natur, wie die Fanny ein Liebling war. Ihr Herz aber kam dem der Fanny gleich; und etwas neidloser Liebendes, Vergötterndes konnte man nicht sehn. Sie lebte einfach das Leben der andern mit. Und diese andre, auch ein Engel, gab ihr so viel Sonnenschein der Gegenliebe, daß man sich fragen konnte und die Antwort nicht wußte: welche von beiden ist glücklicher?

Nun sind sie beide nicht mehr. Ich schaue aber auf ein Bild von ihnen, auf dem sie in all ihrer Zusammengehörigkeit beieinandersitzen; die unendlich Verschiedenen und doch auch für mein Gefühl nicht zu Trennenden, wie von einem da oben angestellten Romanschreiber zusammengedacht. Und indem sie mich so herzlich anschauen und ich wieder alles fühle, was sie waren, leben sie doch weiter.

Gesegnet seien die Männer, die das Photographieren erfanden! Viel Besseres hat noch keiner erfunden.

So schau' ich nun auch auf Prinz Rudi Liech tensteins Bild; der letzte der Wiener Freunde, von dem ich hier noch reden möchte; dann – Schluß der Galerie! – Auch er lebt nicht mehr; wie lange schon! Als ich[193] ihm 1889 meine Sammlung vermischter Schriften: »Gespräche und Monologe« zueignen wollte, war er schon entschlafen; ich konnte sie nur noch seinem Andenken widmen. Auch mit ihm hatten die Lebensmächte wunderlich gespielt, wie mit so vielen, die zu Größerem bestimmt schienen, als sie dann erreichten; die bald von außen, bald von innen gehemmt wurden, bis endlich die eherne Tür hinter ihnen zusammenschlug. Auch an ihm aber bewährte sich, was das Leben mir so oft gezeigt hat, daß aus dem Gegenspiel dieser Hemmungen und der Urtriebe etwas Originales, noch nie Gewesenes und in seiner Art doch auch Vollendetes hervorgeht. Fürst Rudolf Liechtenstein war ein Mensch, den man mit nicht vielen vergleichen, im letzten Grunde nur an sich selber messen konnte, und der in diesen Lebenswirrungen so ganz er selber geworden war, daß, wer ihn wirklich kannte, ihn nie vergißt.

»Bei den Liechtensteinern hat es immer absonderliche Menschen gegeben,« sagte er mir einmal, »wunderliche Käuze, Seitengänger, auffallende, scharfe geistige Profile;« und er berief sich unter andern auf einen der Bekanntesten seines Geschlechts, den Minnesänger Ulrich von Liechtenstein. Der war nun freilich einer von den steiermärkischen Liechtensteinern; die Frage ist: floß in dem und in unserm Rudi wirklich verwandtes Blut? – Wie auch immer: Fürst Rudolf – bei der Wolter hatte ich ihn zuerst, dann hier und da und immer öfter gesehn – war ein aus vielen Erbschaften bunt und reich Zusammengewachsener, den man sich leicht als den Ururenkel eines merkwürdigen, vielfach begabten Geschlechtes denken und in Dichterträumen in seine geschichtlichen[194] Elemente auflösen, in einen langen Werdegang zurückübersetzen konnte. In seinen dunklen, nicht großen, aber schöngebauten, brombeerfarbenen Augen dämmerte eine in leise Schwärmerei gehüllte Melancholie und lachte ein geistreich blitzender Humor. Er hatte einen Tätigkeitsdrang, der ihn zur Marine, dann zur Diplomatie geführt hatte, und konnte sich doch nur in voller Unabhängigkeit des alleinstehenden Ichmenschen glücklich fühlen. Er hatte zuweilen eine fast kindliche Sehnsucht, sich selber »Geld zu verdienen«, wodurch es auch sei, und lebte dann doch ehrgeizlos in dem mit Geschmack genießenden Müßiggang eines apanagierten Prinzen hin. Er schien zum Künstler geschaffen, war ein ausgezeichneter Klavierspieler, phantasierte glänzend, komponierte auch; im Wiener »Grand Hotel« hat er lange hoch oben in einem abgelegensten Zimmer gewohnt, um die halben Nächte an seinem Flügel musizieren zu können, ohne fremden Schlaf zu stören; doch zuletzt war das alles nur wie ein schönblühender Baum, von dem er von Zeit zu Zeit eine Blume pflückte. Er sprach sehr gut, er schrieb vortrefflich, in Briefen konnte sein Geist, seine Phantasie sich wunderbar beredt ergießen, so daß er zum Schriftsteller geschaffen schien; als man ihn dann aber endlich dazu vermochte, sein Talent in einer Novelle zu formen, die schon in ihm lebte, so kam ein verwundernd fremdes, wohl tiefgedachtes, aber rhetorisch pathetisches Wesen heraus, in dem es fast unmöglich war ihn wiederzuerkennen. Kurz, es war wohl manches Hamletische in ihm, durch die Widersprüche und Irrungen seines Lebenslaufs gesteigert, wenn auch nicht ins Tragische getrieben. Davor schützte ihn wohl[195] schon sein herrlicher Humor, der zwar, wie er mir gestand, mit englischen und amerikanischen Humoristen nichts anzufangen wußte, aber in seiner süddeutschen, bayrisch-österreichischen Färbung zentisolisch blühte und ihn zu einem der unterhaltendsten und liebenswürdigsten Gesellschafter machte.

Besonders gern gedenk' ich eines Spätherbstes, wo ich mit dem Prinzen und seiner Frau in Venedig zusammenkam und wir viel miteinander erlebten, bis in den frierenden Dezember hinein. Er hatte zum zweitenmal geheiratet, die gewesene Schauspielerin Hedwig Stein; er war glücklich, jugendlich heiter, und genoß den Zauber der Märchenstadt mit allen Sinnen. Als dritter im Bunde begleitete die beiden der gewaltige Fasolt, ein schöner, großer, schwarzer Hund, den ihm Richard Wagner in Baireuth geschenkt hatte. Neben der aristokratisch schlanken Gestalt des Prinzen nahm sich Fasolt majestätisch furchtgebietend aus, nicht nur für das Fischervolk da draußen in Malamocco und Chioggia, wo er die ganze Einwohnerschaft hinter uns herzog, sondern auch für die Jugend Venedigs, die einen Hund von so ungeheuren Formen offenbar nie gesehen hatte. »E un orso!« »Das ist ein Bär!« hörten wir sie rufen. Er verschaffte uns überall ein großes, lästiges Gefolge; so auch an einem Morgen, als wir in den Hof eines alten Hauses eingetreten waren, um ein merkwürdiges Bildwerk anzuschauen. Durch verschiedene Eingänge strömten kleinere und größere Gassenjungen herein, die den nordischen »Bären« mit scheuer Andacht studierten. Auf einmal geschah etwas Überraschendes, echt Italienisches. Der Fürst, der unser[196] Gefolge loswerden wollte, wendete sich zurück und rief: »Questo cane ogni giorno mangia un bambino!« »Dieser Hund frißt täglich ein Kind!« Augenblicklich stob die ganze Versammlung auseinander und war auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

In den Achtzigerjahren, als ich Burgtheaterdirektor geworden war, sah ich ihn in Wien und in dem eine Eisenbahnstunde entfernten Neulengbach wieder; dort, in dem alten Schloß, das dem Hause Liechtenstein gehörte, hatte er sich mit seiner Frau und deren Mutter angesiedelt. In dieser Zeit vollzog sich eine Wandlung in ihm, die ich nicht erwartet hätte: er ward ein gläubiger Spiritist. Ein unerklärbares Erlebnis beim Naturforscher Zöllner, dem »Vierdimensionalen«, soll der erste Anstoß gewesen sein; durch ihn selbst weiß ich nur, daß eine tiefe Sehnsucht, zu seinen Gestorbenen, insbesondere seinem Vater, einen Weg zu finden, ihn zu den sogenannten Mediums, den Vermittlern zwischen Diesseits und Jenseits, geführt hatte. Seine Freigeisterei hinderte ihn nicht, diese Vermittlung für echt zu halten, da sie seinem Gemüt so unendliche Wohltaten verschaffte: er sah den Geist seines Vaters – vielleicht auch andere seiner Toten –, und die Möglichkeit immer neuer und stärkerer Berührungen mit der andern Welt, die vielversprechenden Anfänge dieser geistigen Gemeinschaft, dazu die Gewißheit des Fortlebens, gaben seinem Dasein einen neuen Inhalt, den es wohl auch brauchte. Da er einen klaren, scharfen, weltgeschulten Verstand hatte, so hatte er sich natürlich nicht blind und augenblicklich ergeben; er hatte sich auch in die okkultistische Literatur vertieft, die Bücher[197] der bedeutendsten, begabtesten, von der Wissenschaft herkommenden Anhänger dieser Lehre studiert. Sein Glaube ward endlich felsenfest. Es bildete sich eine kleine Gemeinde um ihn. Er hatte den herzlichen Wunsch, auch mich zu bekehren. Auf eine Ablehnung ohne weiteres traf er bei mir nicht; ich war immer der Meinung, daß wir über die Hauptsachen gar nichts wissen, und daß nur ein Tor überzeugt sein kann, was er nicht sehe, das geb' es nicht. Erschiene mir einmal ein Geist, ganz unzweifelhaft, so würd' ich nicht so unhöflich sein, zu sagen: »Die Wissenschaft leugnet dich, mein Lieber, also existierst du nicht!« Ich mißtraute aber den Mediums, damals so wie heute. Ich mißtraute den großen Chemikern und Gelehrten, deren Bücher ich auf des Prinzen Anregung las und die, aus argwöhnischesten, scharfsinnigsten Beobachtern Gläubigste geworden, mit ihrer eigenen mediumistischen Hand, angeblich »von einem Geist geführt«, viele Seiten lange Beschreibungen des Jenseits niederschrieben, wie sie nur ein von Irrsinn Befallener phantasieren und für wahr halten kann.

Endlich machten wir auf seinen und meinen Wunsch einen Versuch, der entscheiden sollte. Prinz Rudi hatte in seine Neulengbacher Schloßwohnung ein nordamerikanisches Medium, Mister Bastian, aufgenommen, einen jungen Mann, der in seiner Heimat seine mediumistischen Eigenschaften entdeckt, bald großes Aufsehen gemacht, dann auch den Weg nach Europa gefunden hatte. Er gewann des Prinzen großmütiges, mitleidiges Herz, weil er sich seiner Fähigkeiten nicht rühmte, sondern sie beklagte: der Verkehr mit den Geistern, die sich mit Benützung des menschlichen Mediums »materialisieren«[198] und sichtbar werden, verzehre ihn, mache ihm Leiden, Schmerzen; er sei weniger begnadet als unglücklich. Jede »Sitzung«, in der er andern diesen Verkehr vermittle, greise seinen Kopf, seine Nerven an. Er treibe das alles nur, weil er durch ein Verhängnis dazu bestimmt sei, weil offenbar die Geister es wollten.

Diesen Bastian sollte ich kennen lernen, einer Sitzung beiwohnen; ich war gern bereit. Ich kam nach Neulengbach, am Nachmittag, um die Nacht im Schloß zu bleiben; außer den Damen waren ein paar Freunde des Prinzen da, die zu seiner Gemeinde gehörten. Gegen Abend fand die Sitzung statt; ehe sie begann, führte der Prinz Herrn Bastian zu mir: er wünsche sich vor mir, dem noch Ungläubigen, zu entkleiden, damit ich die Überzeugung gewänne, daß alle Taschenspielerei ausgeschlossen sei. Die kleine, zierliche, schlanke Gestalt warf die Kleider ab; mit wenigen raschen Bewegungen, so behend, gewandt, geschickt, daß ich verwundert dachte: So ungeschickt? Kannst du etwas Törichteres tun, als mir zeigen, daß du zum Taschenspieler wie geboren bist? – Wie hätte ich ihn auch so gründlich untersuchen können, daß mir kein Zweifel bleiben konnte; dazu fühlte ich mich nicht sachkundig, erfahren genug, oder doch nicht befugt. Er war im Handumdrehen wieder in seinen Kleidern, und der erste Teil, die Dunkelsitzung, begann.

Was soll ich viel davon sagen; es waren die bekannten Geistertricks; im undurchdringlich finsteren Zimmer saßen wir im Kreis um das Medium, und die Spirits, die offenbar nichts Besseres zu tun hatten, begannen bald ihre Späße. Während Bastian fort und[199] fort in die Hände klatschte (wenigstens schien es immer derselbe Klang), um zu beweisen, daß er keine freien Arme habe, wurden uns Schlüssel in die Hand gedrückt, Ringe an den Finger gesteckt, wieder abgezogen; eine Geige schwirrte über uns durch die Luft, eine Stimme sprach durch ein Sprachrohr (nur Englisch, nicht Deutsch), schwache phosphoreszierende Schimmer tauchten hier und da auf und verschwanden wieder. Endlich ließen diese Geister von uns ab, die so wenig Geist hatten; es ward hell gemacht, ein paar Lampen brannten. Es sollte der Versuch folgen, ob aus dem kleineren, dunklen Nebenzimmer, das ein Doppelvorhang von uns trennte, Geister erscheinen würden, wie hier schon öfter geschehen war. Bastian wollte mir wiederum zeigen, daß alles mit natürlichen, das heißt übermenschlichen Dingen zugehe; er bohrte einige Stecknadeln durch die Ränder der dicken Vorhänge, die nebeneinander herabhingen, und verband sie so. Ich mußte inwendig lächeln: die paar Nadeln ein Hindernis, falls du taschenspielerst? Er sank dann im Nebenzimmer in einen Lehnstuhl, mit resignierend leidendem Kopfwehgesicht; wir andern setzten uns im Saal in eine Reihe, dem Doppelvorhang zugekehrt, aber so und so viele Schritte davon entfernt. Eh das Schauspiel begann, mußten die Lampen so tief hinabgeschraubt werden, daß nur ein mattes Helldunkel blieb; bald darauf erklang aus dem finsteren Nebenzimmer eine Sprachrohrstimme (sie sprach wieder Englisch) und verlangte, wir sollten Hand in Hand legen und so eine Kette bilden.

Was das sagen will, muß man vielleicht selber erlebt haben, um es ganz zu wissen. In dieser halbnächtlichen[200] Dämmerung, diesem unsicheren Licht, das sich wie eine trübe Schwüle auf die Nerven legte, saßen wir nun viertelstundenlang, rechts und links mit andern Händen verbunden, unfrei, fast bewegungslos, in jeder Sekunde gewärtig, etwas zum mindesten Sonderbares zu erleben, harrend, uns langsam abspannend, langsam überreizend. Da beginnt wohl das Gehirn unbewußt zu phantasieren, zu »geistern«, dumpf und träumerisch. Doch vor allem, glaub' ich, geschah es des Ungläubigen wegen: die Geister trauten mir nicht. Hatt' ich freie Hände, so konnt' ich etwa eine Erscheinung überrumpeln, zu packen suchen; was ich freilich als Gast meines Freundes nie und nimmer getan hätte.

Die Gläubigen hatten gute Geduld, sie sahen von Zeit zu Zeit am Fuß des Vorhangs einen weißlichen Schein, ein schwach schimmerndes Weben, in dem sie »beginnende Materialisation« erkannten; ich sah nichts davon. Endlich ging der Vorhang langsam, wie von selbst, auseinander, den Stecknadeln zum Trotz; aus der tiefen Nacht dahinter bewegte sich etwas Weißes hervor, einer menschlichen Gestalt ähnlich und unähnlich, mit einem Gesicht und doch auch nicht; alles schattenhaft. Ein zweites Scheinwesen erschien daneben, auch so unbestimmt. Zwei Geister, die sich offenbar sehr mangelhaft materialisiert hatten, mangelhafter als sonst: das erfuhr ich bald durch leise Worte der Gläubigen. Sie näherten sich auch nicht wie sonst, wenn kein Fremdling da war; sie gaben auch keinen Laut von sich. Mit enttäuschender, unzutraulicher Unbeweglichkeit blieben sie beim Vorhang stehn. Es währte nicht lange, so wichen sie wieder zurück und verschwanden.[201]

Bald rief man uns dann auf Englisch durchs Sprachrohr zu, wir möchten uns nur wieder regen, es geschehe nichts mehr. Es ward hell gemacht; wir gingen zum erwachenden Medium hinein, das nun »Kopfweh hatte«. Indessen ward er im Lauf des Abends ganz lebendig, lustig. Wir saßen nach dem Nachtmahl noch lange draußen, in der Sommernacht, in ernstem und heiterem Gespräch, von Geistern unbehelligt, lauter Erdenmenschen.

Am andern Morgen saßen wir uns gegenüber, Fürst Rudi und ich; unter vier Augen fragte er mich nun, wie mir nach diesem Abend zu Mut sei. »Lieber Freund,« sagte ich ungefähr, »wenn jetzt hier, am hellen Tag, zwischen uns beiden ein Tisch aus dem Boden stiege, so würd' ich mich nicht einen Augenblick weigern, zu sagen: das tue eine unbekannte Kraft; wenn Sie wollen, Geisterkraft. Und ich wäre schon glücklich, dadurch aus der unsichtbaren Welt etwas zu erfahren! Aber alles, was ich gestern abend erlebt habe, kann auch ein Jongleur, ein Taschenspieler machen.«

Das geistreiche Gesicht des Fürsten stimmte elegisch zu; ja, so sei es freilich. Es sei kein glücklicher Abend gewesen; sie hätten sonst so viel ergiebigere, bessere gehabt.

Ich reiste ab und habe keinen zweiten erlebt. Nach dieser Erfahrung war ich überzeugt, daß Bastian ein Gaukler sei.

Einige Jahre später ward eben derselbe Bastian – der verehrte Leser erinnert sich wohl – durch den österreichischen Kronprinzen Rudolf und den Erzherzog Johann in dessen Wohnung entlarvt; eine durch Schlosserhand[202] kunstreich hergerichtete Tür schlug überraschend plötzlich hinter ihm zu, als er zum »Geist« verhüllt, ohne Schuhe, aus dem Nebenraum hervorgetreten vor den Zuschauern stand. So zunichte geworden, ließ man ihn dann abziehn. Soviel ich weiß, ist er ganz verschollen.

Wie dieses Ereignis auf Fürst Rudi wirkte, hab' ich nicht erfahren; er war mittlerweile nach München gezogen und ich sah ihn nie mehr. Hat auch sein heller, seiner Geist sich über diese Entlarvung durch spitzfindige Theorie hinweggeholfen, wie es andre taten? Und ist er in festem Geisterglauben hoffnungsvoll gestorben?

Ich hab' seine Witwe nicht danach gefragt; ich werd's auch nicht tun. Wozu? War er für mich dadurch ein anderer geworden, daß er daran glaubte? Und wär' er nicht mehr Rudolf Liechtenstein, der hochsinnige, wahrheitsliebende, liebenswerte Mensch, wenn er etwa noch einen andern, mir ebenso fremden Glauben angenommen hätte? – Wer von uns ist wissend? – Muß drum jeder zweifeln?[203]

Quelle:
Wilbrandt, Adolf: Erinnerungen. Stuttgart, Berlin 21905, S. 188-204.
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