I

Jugendsonnenschein. Rostock, Stadt und Land. Mein Vater. Meine Mutter. Adolf Menadt

»Sage mir, wie deine Jugend war, und ich will dir, sagen, wie du bist.« So könnte man den bekannten Spruch vom »Umgang« wohl umformen; für wie viele träfe es zu! Der Mensch ist darin seinen wurzelfesten Geschwistern, den Bäumen, den Pflanzen gleich, denen so leicht abzumerken ist, ob ihre Werdezeit mit Sonnenschein und Regen und milden Lüften gesegnet war oder nicht. Wenn man vor einem schön geschützten Wald von Edelbäumen, die schlank und säulengleich in die Lüfte ragen, die vorspringenden Stiefkinder des Glücks sieht, die in ungezählten Stürmen von Jugend auf um ihr Leben kämpften: wie knorrig und kantig windet sich ihr verwilderter Stamm, wie bäumen sich ihre tapferen, aber unschön und schmucklos verdrehten Aste gegen die Windseite hin. So arg unterscheiden sich freilich die Menschen von außen nicht; aber dem inneren Seelengebilde kann der Seelenkenner es abfragen: Wie war deine Jugend?

Nicht daß ich mich als Glücksprahler rühmen will; aber als dankbarer Sohn meiner Eltern und des Schicksals muß ich es bekennen: ich hab' eine schöne Jugend gehabt. Sonnenschein von jeder Art: Liebe vollauf,[1] doch nicht zu viel; herrliche Vorbilder in blühenden, einträchtigen, weise erziehenden, großgesinnten Eltern; acht Geschwister (vier älter, vier jünger als ich), alle von guter Art, sich ganz als Familie fühlend und zusammenhaltend. Schöne, gesunde, notlose Armut, von deutscher Bildung und Idealität verklärt; in den Kinderjahren meine Gesundheit zart, durch dies und das gestört, aber lauter ererbte Prachtorgane, noch heut alle jugendfrisch. Im August dieses Jahres 1907 bin ich siebzig Jahre alt geworden, aber ich kenne keine Brille, wie dreist ich auch die Augen mißbraucht habe, und ich höre so scharf und fühle so sein wie je. Nur die Nerven sind reizbarer, als es ihre Pflicht ist, ich habe in jungen und in älteren Jahren zu viel von ihnen verlangt, unverschämt viel. Aber auch so sind wir gut Freund: im Grunde sind sie doch nur so empfindlich und empfänglich, wie's die Dichter brauchen.

So ausgerüstet wuchs ich in unserm Familienhaus heran, in das ich etwa vierjährig eintrat, das wir heut noch haben. Mein Vater hatte es gekauft und nach einem Nachbarbrand, der zu uns herüberschlug, vollends ausgebaut, groß- und hochräumig bis zum Dach hinaus. Drin wohnend und später alljährlich heimkehrend, hab' ich in allen Zimmern geschlafen, im Vor der- und im Hinterhaus; so hat wohl keines meiner Geschwister darinherumgelebt wie ich. Unsre Straße war keine der Hauptstraßen, aber nah am Hafen; wie ich's in einem Gedicht »An der Warnow« nach meiner Wiedereinkehr beschrieben habe:


Vom alten Elternhaus, darin ich wohne,

Sind's wenig Schritte bis zum Fluß hinab,

Der, breit sich dehnend, fast zum See sich weitet.[2]

Der Schiffe Masten grüßen mich vertraut,

Die grünen Ufer und die dunkle Flut,

Die mit des Hafens steilem Bollwerk plaudert:

Hier sog des Knaben Seele, weltbegierig,

Im Wasserdunst geheimen Zauber ein,

Gab sich dem feuchten Element zu eigen

In lebenslanger Liebe, zog mit Welle

Und Wind und Schiff zum nahen Meer hinab,

Und übers Meer zu fern' und fernstem Land,

Rings um die Erde, dann hinauf zum Himmel

Und an die fernsten Ufer dieser Welt,

Bis wo die Nacht der ewigen Rätsel brandet.


Aber auch die nächste Nähe gab der jungen Phantasie ersehnte Nahrung: die Stadt, die alte Hansestadt Rostock, die einst zu den kräftigsten und reichsten gehört, die zur See mitgeherrscht, sich mit den tapferen Dänenkönigen herumgeschlagen, sich der deutschen Nachbarfürsten unverzagt erwehrt hatte. Davon zeugten noch die gewaltigen alten Wälle, die Mauern, die Schiffe im Hafen – in meiner Knabenzeit war Rostocks Handelsflotte die größte in der deutschen Ostsee –, die mächtigen gotischen Kirchenbauten, darunter St. Marien die schönste, der Petriturm der höchste, fast dem Wiener Stephan gleich. Damals stand auch noch der alte »Zwinger« vor dem Steintor, den einst ein mecklenburgischer Landesherr gegen die trotzende Stadt erbaut hatte; es standen noch die befestigten Vortore vor dem Kröpelinertor, mit hineingeschossenen Kugeln drin; in den tiefen Gräben floß noch breites Wasser, in Wintermondnächten bin ich da unten Schlittschuh gelaufen und[3] habe mich an dazu gedichteten Versen berauscht. Stadtgrabengefühle! Vorzeitpoesie! Auch an diesem Sonnenschein fehlte es meiner Kindheit nicht. Wenn ein steifer Wind von Norden wehte, konnte man die salzige Meerluft spüren, die nur eine Meile Wegs hatte; wenn ich auf unserm Dachboden zum höchsten Fenster hinaufstieg, konnte ich unser Hafenstädtchen Warnemünde, die Dünen und die Ostsee erschauen. Und hier und da am erhöhten Warnowufer konnte der Blick alles auf einmal fassen, die am Fluß gelagerte alte Stadt, den sich nach Westen und Norden windenden Fluß und das grüne, auch blaue, in der Sonne blitzende Meer.

Wanderte ich dann weiter ins Land hinein, so fehlte meiner nach »Ungeheurem« hungernden Knabenseele zwar das Große, Gewaltige, Hochgebirgige, nach dem mich's verlangte; aber so nach und nach gab ich mich zufrieden, doch wenigstens dunkle Wälder und Hügel (hier alle »Berge« genannt) und auf dem schmalen Wasserfaden der Warnow den blauen Himmel schön gespiegelt zu sehn. Bis ich, zum Jüngling geworden, vollends begriff, auch das sei Poesie, und mir einen (ungedruckten) Vers darauf machte:


Wo stille Büsche scheu und niedrig stehn,

Des Flusses Schilfgesäusel zu belauschen,

Fernher die Winde übers Blachfeld rauschen

Und träge Schifflein hin und wieder gehn.

Ein linder Hügel hebt sein wollig Haupt,

Es lockt dich Vogelsang und Waldesschatten;

Ruh aus! Dein Fuß ist heiß, dein Knie bestaubt!

Doch streut ein Meerwind Kühlung auf die Matten.
[4]

Vielleicht hat kein Mensch die Poesie dieser Stadt und dieses Landes so tief genossen wie mein Vater, in dem eine nie erschöpfte Genußkraft brannte und dem diese Heimat alles ersetzte, was andern die umreiste Erde gibt. Wenn er auf der Hauptbastion mit dem tiefen Teich, der »Teufelskuhle«, oder auf dem Ende des Walls am Hafen, der Fischerbastion mit den alten eisernen Kanonen stand und in das malerische Durcheinander von Festungsgräben, üppigem Baumschmuck, hochtürmiger Stadt, Segeln und Dampfern auf dem breiten Wasser, bläulich dämmernder Ferne sah, so konnten in seinem rötlich blühenden Gesicht die großen braunen Augen so lachend leuchten, als schaute er über die Landschaft von Athen oder Granada oder Neapel hin. Er sah mit einem glückseligen Tiefblick in das Herz der Dinge hinein, und was er erblickte, strahlten seine Augen, sein Lächeln mit ursprünglichster Jünglingskraft in die Welt zurück. Ich habe doch viele Menschen gesehn, aber keinen zweiten, der so ausstrahlen, sich so in den andern hinübersonnen konnte wie er. Seine Gestalt war eher klein, aber ganz Ebenmaß; alle seine sechs Söhne wuchsen ihm über den Kopf, aber keiner von uns hatte so viel Feuer in den Augen wie der junge Alte. Sie konnten auch blitzen und wettern, wenn ihn ein jäher Zorn übermannte; doch das war nicht oft, es lachten zu viel heitere Tropfen in seinem lebfrischen Blut. Er atmete förmlich Gesund– heit aus, er war urgesund. Sein Arzt war er selbst, seine Apotheke war die sogenannte Schenke, der Eckschrank im großen Wohnzimmer: vielleicht alle fünf, sechs Jahre einmal kam er aus seinem Arbeitszimmer[5] und öffnete die Schenke, füllte sich ein Gläschen mit Rum: im Magen ein kleines Mißgefühl. Der Rum tat seine Schuldigkeit, der Mann war wieder gesund.

Als Predigerssohn auf dem Lande geboren, kam er beizeiten in die Stadt, nach Rostock, besuchte das Gymnasium und die Universität, zog dann nach Berlin, um vor allem zu Hegels Füßen zu sitzen und sein Herz an die Hegelsche Philosophie zu hängen, mit einer Treue, die nie verging. Wie sich aber so viele Gegensätze in Menschenhirnen lebenslang vertragen und nebeneinander wie Ergänzungen blühen, so hinderte auch die Hegelsche Geisterwelt der »Begriffe« meinen Vater nicht, sich mit lebendigster Sinnenkraft in die Realität zu stürzen und mit den Dingen zu leben, als Gelehrter und Künstler zugleich. Er hatte sich der Philologie ergeben und versenkte sich mit gleicher Liebe in die altklassischen wie in die germanischen Sprachen; es zogen ihn aber doch vor allem die Meister dieser Sprachen, die Bildner, die Dichter an, deren tiefste Schönheit er durchdrang und erfühlte. Vielleicht war eine nie gestillte Sehnsucht darin: man konnte ihn wohl einen nur halb geschaffenen Dichter nennen, den tragisch wunderlichen Gestalten gleich, die Michelangelo halb aus dem Marmor herausgehauen, dann verlassen hat und die nun wie Ungeborene, Geträumte märchenhaft hervorblicken.

Seine schönsten Jugendjahre verlebte er als Oberlehrer in Schulpforta, der altehrwürdigen Erziehungsanstalt im liebenswürdigen Saaletal, wo er vortreffliche Freunde fand; der beste war August Koberstein, der Verfasser der »Geschichte der deutschen[6] Nationalliteratur«, aus der ich später viel gelernt – und vergessen habe. Die Freundschaft kam einmal zum Bruch, auf echt deutsche Weise: Koberstein hatte sich in seinen jungen Jahren so in Ludwig Tieck verlesen und sich seinen Abgott so emporgesteigert, daß er ihn durchaus neben Goethe stellte; das ertrug mein Vater nicht, und sie trennten sich. Freilich gesteh' ich mir ganz im stillen: ich hätte es vielleicht ebenso gemacht; denn Tieck neben Goethe – – o Teufel! – Die Freundschaft wuchs aber wieder zusammen und überlebte Tiecks Mitregentschaft. In meinem Vater rührte sich ein anderes Mißgefühl: Heimweh nach der »Waterkant«, nach den Teergerüchen der Hafenstadt; er war in Rostock so sehr Wassermensch geworden. Als ich als junger Student die alten Freunde in Schulpforta besuchte, erzählte mir Frau Professorin Koberstein, wie arg mein Vater es getrieben habe: von Zeit zu Zeit mußten sie, Mann und Frau, mit ihm einen weiten, nicht gar schönen Spaziergang machen, das Ziel war ein kleiner See oder Teich, an dem lag ein Boot, das roch nach Teer. »Den Teergeruch mußten wir dann mit ihm genießen.«

Dieses Heimweh ward endlich gestillt: mein Vater kam als Oberlehrer nach Rostock zurück, und in meinem Geburtsjahr 1837 ward er daselbst Professor der Ästhetik und neueren Literatur. Freilich konnte er auf keine große Zahl von Hörern rechnen: das kleine Rostock, mit nicht vierundzwanzigtausend Einwohnern (jetzt hat es über sechzigtausend, ein Tausendstel des Deutschen Reiches), war die kleinste der deutschen Universitäten; als ich dort studierte, hatte sie sogar nur hundert[7] Studenten, während sie nun doch auf siebenhundert gestiegen ist. Denen, die ihn hörten, ward er aber etwas Großes, ein Führer, ein Erwecker; denn seine reiche Gelehrsamkeit trug ihnen ein Vollmensch vor, in dem glühende Empfindung, klares Denken, freudige Weltanschauung, geläuterte Lebensphilosophie wie in einem Akkord zusammenklangen. Er fand auch dankbare Jünger, die liebend an ihm hingen. Er konnte freilich keinen zweiten finden, dem er so sehr Erwecker und Führer war wie mir, seinem Sohn, der ich dies nun mit dankerfüllter Seele schreibe.

Hab' ich mehr von ihm gelernt oder geerbt? Das ungleich Stärkere war doch die Blutsverwandtschaft; denn der landläufigen Theorie (die sich auch »Erfahrung« nennt) zum Trotz habe ich nicht von der Mutter, sondern mehr vom Vater die Elemente oder Kräfte überkommen, die mich zum Dichter machen wollten: das sanguinische, heißblütige Temperament, die treibende Phantasie und den Sprachsinn, das Formtalent. Auch in meiner Mut ter waren ähnliche Geister, aber zarter, mehr wie hingehaucht; in ihr war doch stärker als alles andere die Liebeskraft, das Fürandere-leben, das »Ewig-Mütterliche«, wie ich's nennen möchte, das unsre Jugend mit Morgensonnenschein erfüllte und auch unsern Abend noch mit himmlischem Licht verklärt.


O Mutterherz, aus jenen Tagen wehen

Mir heute weichgestimmte Töne zu!

Ich seh' mich still an deiner Seite gehen,

An deinem Stuhl den kleinen Träumer stehen;[8]

Mit wem er lebt, an wen er träumt, bist du.

Hoch über seinem struppigen Scheitel schimmert

Dein freundlich Antlitz, ihm ins Herz hinein,

Und wenn der Sterne Heer zu Nacht ihm flimmert,

Durch deinen Kuß getröstet schläft er ein.

Der ersten Reime Stammeln trägt der Tor,

Drei Spannen hoch, voll Ehrgeiz an dein Ohr,

Der Bilderbogen buntgefärbte Pracht,

Zwei kleine Pinsel haben sie erdacht; –

O Mutteraug', ein liebreich Publikum!

Stolz trägt er nun dein Lob in sich herum;

Dein Schmeichelwort ist ihm der Lohn der Welt;

Wie liebt er sich, da er dir wohlgefällt!


Ist das nun auch schon über vierzig Jahre her, daß ich ihr diese Verse schrieb? Geht das Leben wirklich wie ein Traum dahin?

Charlotte Wendhausen, meine Mutter, war ein Landkind, die Tochter eines Gutsbesitzers; ihre Heirat führte sie aber für immer in die Stadt, und nur in späteren Jahren, bei einem ihrer Söhne monatlang zu Gast, kam sie gleichsam wieder in das Land der Jugend zurück. Es war wie eine alte Liebe in ihr, die nie ganz verging; wenn sie einmal in ein Album oder Stammbuch zu schreiben hatte, schrieb sie gern hinein, was der Chor gegen das Ende der »Braut von Messina« spricht:


Wohl dem! selig muß ich ihn preisen,

Der in der Stille der ländlichen Flur,

Fern von des Lebens verworrenen Kreisen,

Kindlich liegt an der Brust der Natur...
[9]

Sie verlor auch in der Stadt, auch in allem Sturm und aller Härte des Lebens, diese wahre Kindlichkeit nie; es trug sie ein frommer Sinn, der sie mit dem himmlischen Vater verband (wenn sie auch dem Kirchenglauben entwuchs), und ein poetisches, immer begeisterungsfähiges Weltgefühl, dem das Paradies nie ganz verloren geht. So verlor sie auch nie das Sich-wundern-können, das zu dieser wahren Kindlichkeit gehört; die Wunder dieser Welt stumpften sie nicht ab, wie es so vielen ergeht, sie sah sie mit immer neuen, großen Augen an. Ich weiß noch aus der späteren Kinderzeit, wie mich das einmal tief ergriff, da ich dieses Sichwundern der Mutterseele in einem himmlischen Augenblick erlebte.... Unterdessen füllte sich aber das Haus, wir wurden unser neun, mit den Eltern elf. Das wenige Geerbte war wohl mittlerweile verbraucht, die Besoldung des Professors war auf so viele Nachkommen nicht eingerichtet. Gute Mutter, wie hast du gekämpft, um dieses Ungrade grad zu machen und uns alle groß! Du wurdest eine Patriarchin der Heimarbeit, nach alter Weise; das war wohl das Landtochterblut. Alles selber machen, um an allem etwas zu ersparen! Von dieser großen, schlanken Frau mit den seinen Zügen hab' ich wunderliche Dinge gelernt, denn wir Kinder halfen mit, so gut wir konnten; ich habe Lichter gegossen, gebuttert; im Kaffeemahlen erlangte ich große Meisterschaft. Jahrelang bin ich dann auch ihr Sekretär gewesen, dem sie ihre Briefe diktierte, während sie mit irgend einer Handarbeit saß; denn sie führte auch fast die ganze Korrespondenz für den in Studien vergrabenen Vater mit, und sie strickte und nähte Berge für uns, sie war unermüdlich.[10]

Diese Frau, die ich bewundernd liebte, habe ich doch einmal verleugnen und verlassen wollen; damals war ich neun Jahre alt. Es war eine der plötzlichen tragischen Seelenblasen, die während der Jugendzeit in mir aufzusteigen liebten; der zukünftige Dramatiker in der Kindermaske als kleiner Phantast. Wir Nachkommen wurden auch auf kleine Besorgungen ausgeschickt, das verstand sich von selbst; so gab es einen »Lichthaak« oder Kleinkrämer in der Nähe, zu dem häufig zu pilgern war. Sonst wohl immer willig, kam ich einmal von so einem Gang mißgestimmt, verdrossen zurück; das gefiel meiner Mutter nicht. Sie konnte auch dramatisch sein und brauchte ein fast pathetisches Wort. Sofort erwachte alles Pathos in mir; ich nahm das Wort wörtlich, ich bohrte mir den Stachel ins Herz, suchte mir ein Blatt Papier, setzte mich ins Einsame und schrieb auf die gefaltete Außenseite:

»Der Professorin Wilbrandt zu Rostock. – Es wird gebeten, keinem andern den Brief zu zeigen.«

Auf die Innenseite:

»Die eigentlichen Kinder Professor Wilbrandts heißen:


Louise

Conrad

Heinrich

Christian

Bertha

Richard

Anna

Max. , Dies sind rechte Kinder.

Anmerkung: Sie hatten noch einen Sohn, namens[11] Adolph, aber durch den Ausspruch seiner Mutter, Dienstag, den 27. April 1847: ›Du bist nicht mehr mein rechter Sohn, du bist mein Stiefsohn!!!‹ ist er ihr wahrer Stiefsohn geworden. Jene Worte haben ihn beinahe bis zur Verzweiflung gebracht, und er will nicht wieder ihr Sohn werden, da jene Worte ihn zu sehr erschüttert und vernichtet haben. – –

Diese Worte hat Dein Stiefsohn geschrieben! Daran denke!!! Er hat den Namen Adolph Menadt angenommen.«

Darunter, aus Versehen:

»A. Wilb«

Doch diesen unglücklichen Anfang strich ich aus und schrieb richtig:

»A. Menadt.«


Ich trug meinen Brief zu dem Zimmer, wo die Mutter saß, und warf ihn hinein, floh ins Einsame zurück. Nach einer Weile kam ein Brief, meiner Mutter Antwort; leider hab' ich ihn nicht mehr. Er ging mir zu Herzen, aber der Seelenselbstmord hatte noch nicht ausgetobt; ich schrieb ihr ein zweites:

»Dein Brief hat mich ungeheuer ergriffen und durchdrungen, aber, Mutter (das Wort ›Mutter‹ strich ich aus), das betrübt mich gar so sehr, daß Du schreibst, ich wäre von Dir abgefallen, denn hast Du nicht selbst gesagt, als ich von dem Lichthaak Dopp zurückkehrte und so verdrießlich und mürrisch aus sah, da ich nicht gerne im Regen ausgehen mogte, obgleich ich einen Regenschirm mitgenommen hatte, ich wäre nicht Dein rechter Sohn, sondern Dein Stiefsohn? O, jene Worte,[12] die mich so sehr unglücklich machten, werde ich gewiß in meinem Leben nie vergessen können!

Ich gebe Dir in Gedanken meine Hand, die ein Zeichen sein soll, daß ich Dich noch immer so sehr liebe, wie ich Dich geliebt habe. Doch Deinem mich sehr betrübenden Ausspruche, der mich ganz vernichtet hat, muß ich Folge leisten.

Leb' wohl!

Adolph Menadt.«


Es kam keine Antwort mehr. Nach einer Weile öffnete sich die Tür; ich glaube sie noch zu sehen, die hohe Gestalt meiner Mutter, ich glaube noch ihr Lächeln zu sehen, in dem – so erschien mir's – undenkbar viel Liebe und Rührung war. Sie sagte nichts, kam auf mich zu, nahm mich an ihr Herz und küßte mich. Und auf einmal – wie schnell das geht! – hieß ich wieder Adolf Wilbrandt und hatte keinen Kummer mehr.

So ist's dann geblieben.

Wie das Gedicht es sagt, aus dem ich vorhin einige Verse herausschrieb:


O Mutter glücklich auch der aufgeblühte Mann,

Den so die Knospentage heut umschweben!

Ihn strahlt der Himmel wie den Knaben an,

Und deiner Mutteraugen leuchtend Leben,

Das Doppellicht, in dem sein Tag begann....

Du gabst das Leben ihm; was wäre das?

Du gabst ihm Brot und Lieb' ohn' Unterlaß;

Tatst du nicht mehr? – In deinem Namen nennt

Er seiner Jugend goldnes Firmament.
[13]

Quelle:
Wilbrandt, Adolf: Aus der Werdezeit. Erinnerungen. Neue Folge, Stuttgart, Berlin 1907, S. 1-14.
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