Vierter Auftritt

[265] Dietrich von links.


AGNES verbirgt ihr Gesicht.

Mutter! Der Quitzow!

GERTRUD.

Schütz' uns, Gott im Himmel!

KONRAD.

Steht auf, reicht Eure Hände, fürchtet nichts.


Beide Frauen erheben sich, Konrad steht zwischen ihnen, ihre Hände haltend.


DIETRICH.

Ein sonderbarer Anblick – in der Tat.


Zu Schwalbe.


Befahl ich nicht, die Frauen fortzuschicken?

SCHWALBE.

Ja Herr – doch – da kam unser Junker Konrad –

DIETRICH zu Konrad.

Und du behieltst sie hier?

KONRAD.

Ja, Dietrich.


Pause.


DIETRICH zu den Frauen.

Geht!

GERTRUD.

O nein – aus Gnade –

DIETRICH tritt einen Schritt auf sie zu.

Soll ich's zweimal sagen?[265]

AGNES stürzt auf die Mutter, reißt sie zurück.

Mutter!

GERTRUD.

O Jesus!


Sie halten sich zitternd umschlungen.


KONRAD tritt zu Dietrich.

Dietrich, sieh doch hin –

DIETRICH.

Was soll ich sehn?

KONRAD.

Der jammervolle Anblick,

Wie sie verschüchtert stehn vor deinem Blick.

DIETRICH.

Ich will nichts von den Winselweibern wissen.

KONRAD.

Gewinsel? Dieses tiefe, große Leid?

Weißt du denn nicht, um wen die Tränen fließen?

DIETRICH.

Warum behängst du dich mit diesen Weibern

Und stellst dich zwischen sie und meinen Willen?

KONRAD.

Weil es so traurig ist, daß sie dich fürchten

Und immer nur dich fürchten sollen, Dietrich,

Da sie viel mehr dir geben könnten.

DIETRICH.

Was?

KONRAD.

Dankbare Liebe.

DIETRICH.

Kommst du mir schon wieder

Mit dem Geschwätz?[266]

KONRAD.

Mein Bruder, sei doch milde,

Du bist so stark, darfst milde darum sein.

Aus jenen Augen dort, in Tränen schwimmend,

Blickt dein verhärmtes Vaterland dich an.

Du kannst ihr Herz zermalmen – tu' es nicht,

Denn dazu braucht es keines Heldenarmes;

Du kannst die Tränen stillen – tu's, mein Bruder,

Ein Wort – so ist's getan.

DIETRICH.

Ein Wort? Und welches?

KONRAD legt den Arm um ihn.

Der alte Mann dort unten –

DIETRICH.

Thomas Wins?

KONRAD.

Gib ihm die Freiheit wieder.

DIETRICH.

Bist du toll?

KONRAD.

Er kränkte dich – ich weiß – seit einer Woche

Hältst du im Kerker ihn – er hat gebüßt.

DIETRICH macht sich heftig von ihm los.

Gebüßt? Frag' über Jahr und Tag nach ihm!

GERTRUD stürzt sich vor ihm nieder.

Nein aus Barmherzigkeit! Nicht so! Nicht so!

DIETRICH.

Wer Hand ins Feuer steckt, verbrennt die Finger!

Wer Quitzow angreift, spielt um seinen Kopf!

Hinaus mit Euch!

GERTRUD klammert sich an Konrad.

O rettet! Rettet![267]

KONRAD.

Dietrich!

DIETRICH.

Du warst zu lange in des Pfaffen Schule,

Das merk' ich! Ist das Blut von Quitzows Blut?

Das schäumt nicht wider den Beleidiger?

Das bettelt noch für ihn?

KONRAD auffahrend.

Wer bettelt?

DIETRICH.

Du!

Ich habe eine Antwort nur für Kränkung,

Und die heißt Rache.

KONRAD.

Rache laß dem Schwächling,

Der nichts besitzt, als sein erbärmlich Selbst!

Du hast viel mehr, bist mehr.

DIETRICH.

Der Knabendünkel,

Der mich schulmeistern will! Ich bin der Quitzow!

Nichts andres war ich, bin ich, will ich sein.

KONRAD.

Du darfst nicht so mehr sprechen!

DIETRICH.

Darf nicht? Was?

KONRAD.

Dietrich – du bist das Schicksal deines Volkes.

DIETRICH.

Mein Volk! Mein Volk! Das törichte Gerede!

Wo ist mein Volk?

KONRAD.

Dort war es, zu Berlin,

Wo wir Schwurfinger legten auf dein Schwert,

Wo du für Brandenburg das Wort geführt.[268]

DIETRICH.

Was schiert mich Brandenburg?

KONRAD tritt auf ihn zu.

Dietrich!!

DIETRICH stutzt.

Was willst du?

KONRAD.

Dich vor dir selber warnen! Sprich nicht so.

DIETRICH.

Das klingt ja fast wie Drohung?

KONRAD.

Und wer war's,

Der es nicht dulden wollte, daß die Mark

Verschachert würde? Und wer war der Mann,

Der die Sandbüchse zwischen Elb' und Oder

Sein Land genannt? Gedüngt mit seinem Blut?

DIETRICH.

Und soll ich darum alles Bruder nennen,

Was auf zwei Beinen in der Mark umherläuft?

KONRAD.

Ist deine Mutter nicht mehr deine Mutter,

Weil sie noch Kinder zeugte neben dir?

DIETRICH.

Was mir nicht ganz gehört, gehört mir gar nicht!

Alles was du mir sagst, versteh' ich nicht,

Weil ich's nicht fühle. Eins nur fühl' ich ganz:

Das bin ich selbst. Ich bin mir Brandenburg!

Und will das Krämervolk in Stadt und Dorf

Anteil dran haben, gut, so laß sie kommen

Und bitten drum.

KONRAD.

Sie brauchen nicht zu bitten,

Sie haben Recht am Vaterland wie du![269]

DIETRICH.

Du Schulbankweisheit, komm heraus ins Leben,

Lern' Quitzow werden!

KONRAD.

Und du Sohn der Mark,

Komm du heraus aus deinem engen Selbst,

Und lerne Pflicht!

DIETRICH.

Pflicht?

KONRAD.

Vaterlandespflicht!

DIETRICH.

Pflicht für den Knecht! Wer sich als Saumtier fühlt,

Der trage Last! Wer mir den Kappzaum anlegt,

Der nehme sich in acht, ich schlage aus.

Dietrich der Quitzow will ich sein und frei!

KONRAD.

Und nichts als das? Und immer nichts als das?

DIETRICH.

Nein, nichts als das! Du Tor, du Knabe, nichts!

Denn das ist eine Welt. Das ist der Adel

Der Mannesfreiheit in der Manneskraft.

Die Freiheit, die in meiner Seele atmet,

Hat eine Lunge, die den Himmel braucht,

Den ganzen, unermeßnen. All die Worte:

Pflicht, Volk und Vaterland sind dumpfe Kammern,

Die Ihr ins weite Land der Freiheit bautet;

Ich aber breche Euch die Thüren ein;

In Euren Kammern hab' ich keinen Atem;

Ich will davon nichts wissen, fort damit!

KONRAD blickt ihn schweigend an.


Pause.


KONRAD.

Nun fühl' ich, daß ich wirklich bis zur Stunde

Ein Träumer war – heut bin ich aufgewacht.[270]

DIETRICH.

Ich wünsche Glück!

KONRAD.

Tu's nicht –

Denn als ich dich im Traume sah,

Erschienst du anders mir, o anders –

Als jetzt, da ich dich sehe, wie du bist!

DIETRICH tritt auf ihn zu.

Was soll das?

KONRAD steht ihm mit kaltem Lächeln, die Arme über der Brust kreuzend, in die Augen.

Meinst du, daß du mich erschreckst

Mit deinem Blick? Mein stolzer Bruder Dietrich,

Irre dich nicht. Ich stand vor deinem Auge

In Ehrfurcht einst und Scheu – Angst aber lernte

Konrad von Quitzow auf der Schulbank nicht.

Auch nicht vor Dietrich Quitzow – hörst du wohl?

DIETRICH.

Bei Gott, ich glaube, dieser Knabe droht mir?

KONRAD furchtbar.

Nicht Knabe mehr! Du hast den Mann geweckt

Und er heißt Quitzow!!


Er streckt plötzlich die Arme aus.


Dietrich.

DIETRICH bleibt starr und finster stehn.

KONRAD läßt die Arme sinken.

Es ist aus!


Er wendet sich zu Gertrud und Agnes Wins.


Ihr armen Frau'n, um Euch tut es mir leid;

Für Euch ist hier nicht Raten mehr noch Hoffen.


Er faßt Agnes an der Hand, zieht sie an sich.


Du zitternde Gestalt, du bleiches Antlitz,

Augen, vom herben Kummer wund geküßt,

Jungfrau, so schließ' ich dich in meine Arme –

Und so in dir umarm' ich Brandenburg!


Er umfängt sie, drückt sie an sich.


Dietrich der Quitzow will von dir nichts wissen,

Komm her zu mir, an Konrad Quitzows Herz![271]

DIETRICH.

Die Dirne fort aus deinem Arm! Ich will's!

KONRAD.

Du willst? So lerne heut die Schranke kennen,

An der dein Wille scheitert: ich will nicht!


Zu Agnes.


Du zitternd Herz an meiner Brust, sei ruhig,

Befürchte nichts.

AGNES.

Du Kraft, du Mut, du Güte,

Ich bin so ruhig in Gottes Schoß.

DIETRICH.

Ich dulde sie nicht länger auf Burg Friesack.

Fort mit den Weibern!

KONRAD.

Ja, sie werden gehn,

Und führen werde ich sie.

DIETRICH.

Und wohin?

KONRAD.

Wo sie den Richter finden.

DIETRICH.

Einen Richter?

KONRAD.

Ja, einen Richter muß die Armut haben,

Sonst stirbt sie an sich selbst. Wer Recht verweigert,

Treibt in Verzweiflung, und Verzweiflung

Vergiftet diese Welt.

DIETRICH.

Wer ist der Richter?

KONRAD.

Einst habe ich geglaubt, solltest's sein.

Dietrich, das Schicksal stand an deiner Tür[272]

Und trug das Amt dir an, das heil'ge Amt.

Du aber schlugst es aus, du wolltest nichts

Als nur du selber sein – Dietrich – noch einmal –


Fällt plötzlich vor ihm nieder, ihn umgreifend.


Zum letzten Male höre meine Stimme,

So tiefe Liebe, wie dich hier umschlingt,

Umarmt dich niemals wieder – sei nicht Rächer,

Sei Richter! Übe Recht und nicht Gewalt!

Bruder, sei groß, Natur schuf dich zur Größe,

Sei Richter über dir und jenem Mann!

DIETRICH nach kurzer Pause.

Und – Thomas Wins?

KONRAD.

Ja, Bruder.

DIETRICH.

Ah, hinweg!

KONRAD erhebt sich langsam.

Kommt denn, Ihr Frau'n. – Ihr weint um Mann und Vater,

Ich um den Bruder – unser Schmerz ist gleich.


Zu Dietrich.


Zu Brandenburg, wohin ich diese führe,

Sollst du uns wiedersehn.

DIETRICH.

Zu Brandenburg?

Was willst du dort?

KONRAD.

Den Richter diesen suchen.

DIETRICH.

Du sprichst – vom Hohenzollern?

KONRAD.

Das kann sein.

DIETRICH.

Zu seinen Füßen willst du niederkriechen?[273]

KONRAD.

Ich sah die Welt bis heut mit deinen Augen;

Nun will ich diesen Hohenzollern mir

Mit eigenen Augen ansehn!


Wendet sich mit Gertrud und Agnes zum Abgange nach dem Hintergrunde.


DIETRICH zu den Knechten.

Türe zu!


Die Knechte stellen sich vor die Tür im Hintergrunde.


KONRAD.

Wer wagt es, Quitzow in den Weg zu treten

Auf Quitzows Burg?


Er winkt; die Knechte weichen zur Seite.


DIETRICH.

Ich wag' es!


Er stürzt auf die Tür zu. Bevor er dieselbe erreicht, tritt Konrad ihm, die Hand drohend erhoben, entgegen; Dietrich stutzt und bleibt stehn.


KONRAD.

Hüte dich!


Konrad und Dietrich stellen sich schweigend gegenüber, sich mit flammenden Blicken messend.


DIETRICH langsam.

Ha, wenn ich dächte, daß es möglich wäre,

Daß du, vergessend Eid und Blutespflicht,

Meineidig würdest –

KONRAD.

Sorge für dich selbst;

Denn wenn es denkbar wäre, daß mein Eid

Mich eines Tags gereute – diesen Tag

Beschwöre nicht herauf – den fürchte – fürchte!


Konrad geht, die beiden Frauen an den Händen fassend, die Augen unablässig auf Dietrich gewandt, langsam auf den Hintergrund zu; Dietrich starrt ihm regungslos nach.

Der Zwischenvorhang fällt.


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 9, Berlin 1911–1918, S. 265-274.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Quitzows
Die Quitzows; Schauspiel in Vier Akten

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon