Dritter Auftritt

[16] Juliane erscheint an dem geöffneten Fenster, lehnt sich heraus.


JULIANE. Na, Lenchen –! Frisch ausgeschlafen? Munter bei der Arbeit?

LENE. Guten Morgen auch, Fräulein. Geht zu ihr, reicht ihr die Hand hinauf.

JULIANE. Wie geht's denn der Mutter?

LENE. Die Nacht war ja so so – aber auf die Beine is sie doch gar zu schwach.

JULIANE. Wir haben gestern den Arzt gesprochen; er sagte, sie müßte so viel im Freien sitzen wie möglich. In Eurem Gärtchen ist zu wenig Schatten, darum läßt der Herr dir sagen, du sollst sie herüberbringen, damit sie sich hier im Schatten hersetzen kann.

LENE. Hier – in den herrschaftlichen Garten?

JULIANE. Ja.[16]

LENE. Da sage ich aber wirklich tausendmal Dank.

JULIANE. Wird sie denn zu Fuß herüber können?

LENE. Ja – ich weiß wirklich nich. –

JULIANE. Dann geh mal auf den Boden hinauf, da steht der Rollwagen von der seligen gnädigen Frau; der Herr läßt dir sagen, du kannst ihn nehmen und deine Mutter hineinsetzen.

LENE. Von unsres Herrn seliger Frau Mutter?

JULIANE. Ja, du wirst ihn ja wohl kennen.

LENE. Ach, ich danke, Fräulein, ich danke auch wirklich tausendmal!

JULIANE. Bei mir hast du dich nicht zu bedanken; nur bei dem Herrn.

LENE. Ja das versteht sich. Will ab.

JULIANE. Sag' mal, Lenchen, mir war doch, als hörte ich dich hier mit jemandem sprechen? Wer war's denn?

LENE. Ach Jott, Fräulein, es war ja unser junger Herr.

JULIANE. Hermann? Der war ja gestern nachmittag nach Berlin gefahren? Ist er so früh schon wieder aufgestanden?

LENE. Das nu jrade nich – er Sie kichert. er is ja eben erst retour gekommen.[17]

JULIANE. So –? Es gab ja viel zu lachen – was hattet ihr Euch denn zu erzählen?

LENE. Na – ich habe nich jrade viel gesprochen; es war mehr von seiner Seite.

JULIANE. Was hat er dir denn gesagt?

LENE. Ach Jott, Fräulein, es is ja so ein spaßiger Mann, und es is immer so komisch, was er sagt, daß man aus dem Lachen jar nich 'rauskommt. Ich weiß jar nich mehr, was es alles war; nur eins habe ich behalten.

JULIANE. Also?

LENE. Er hat mich gefragt, ob ich wüßte, was ich wäre, und dadrauf hat er gesagt, ich wäre eine Haubenlerche.

JULIANE. Eine Haubenlerche?

LENE. Ja, weil ich früher aufstände wie die anderen und denn zu singen anfinge.


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1911–1918, S. 16-18.
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