[64] August kommt von rechts zu den Vorigen.
AUGUST. Guten Abend, liebe Frau Schmalenbach.
FRAU SCHMALENBACH. Juten Abend, Herr Aujust.
AUGUST hat den Hut auf den Tisch gelegt, einen Stuhl zu Frau Schmalenbach herangerückt und sich darauf gesetzt. Nur sich gar nicht bewegen – da ist ja Herr Schmalenbach auch?
ALE hat die Pfeife aus dem Munde genommen. Aufzuwarten – soll ick vielleicht –? Er macht Miene, zu gehen.
AUGUST. Bleiben Sie nur; das trifft sich gerade ganz gut. Zu Frau Schmalenbach. Na? es ist uns wohl heute früh ein bißchen in die Beine gefahren?
FRAU SCHMALENBACH. Ach Jott ja –
ALE. Ick hab't ihr schon jesagt, aber sie will's nicht glauben.[64]
AUGUST. Was?
ALE. Daß das nu fürs Leben so bleibt.
AUGUST. Da hat Ihre Schwägerin sehr recht, daß sie Ihnen das nicht glauben will; das ist ja Unsinn. Sie müssen mir diesen Sommer eine ordentliche Kur gebrauchen.
ALE. Na – ja – aber –
AUGUST. Was?
ALE. So 'ne Kur is ja was Schönes – aber – ick meene man –
AUGUST. Wenn ich sage, sie soll eine Kur gebrauchen, dann werde ich auch wohl wissen, wer die Kur bezahlt.
FRAU SCHMALENBACH ergreift seine Hand. Herr Aujust – Sie sind jut!
AUGUST. Nu – nu –
FRAU SCHMALENBACH hält seine Hand fest. Herr Aujust – Sie sind jut, und das wird Jott noch mal an Ihnen lohnen.
AUGUST sieht ihr ins Gesicht. Ist das Ihr Ernst?
FRAU SCHMALENBACH. Wahr und wahrhaftig.
AUGUST erhebt sich plötzlich. Wissen Sie was? Sie sind eine reiche Frau.
FRAU SCHMALENBACH lächelnd. Das jloben Sie aber selber nich.[65]
AUGUST ist einmal durch das Zimmer gegangen, setzt sich wieder. Sie haben – eine Tochter –
ALE. Ja, eene Tochter, die hat sie.
AUGUST zu Ale. Sie sind ja wohl der Vormund?
ALE. Heißt das – der eijentliche Vormund ist die Mutter – und weil sie doch aber so ville krank is, bin ick zum Jejenvormund jemacht.
AUGUST. Ja, ja – Zu Frau Schmalenbach. darüber wollte ich mit Ihnen sprechen – über die Helene –
FRAU SCHMALENBACH. Hel –? Ach – Sie meinen die Lene?
AUGUST. Nun ja.
FRAU SCHMALENBACH ängstlich. Hat das Mädchen was anjerichtet?
AUGUST lächelt in sich hinein. Wohl möglich –
FRAU SCHMALENBACH. Ach Jott, sei'n Sie ihr man nich böse; es is ja noch so ein Kindskopp.
AUGUST. Ängstigen Sie sich nicht. Er wird unruhig, steht auf, wendet sich zu Ale. Herr Schmalenbach, wissen Sie was? Ich habe ein Wort mit Ihrer Schwägerin allein – wir rufen Sie nachher wieder herein.
ALE. Is jut. Geht rechts ab.[66]
AUGUST nimmt wieder seinen Platz ein. Frau Schmalenbach – Sie haben gedacht, ich machte Spaß – aber es ist mein Ernst – Sie wissen selbst nicht, was Sie an dem Kinde besitzen.
FRAU SCHMALENBACH sieht ihn mit wortlosem Staunen an.
AUGUST. Aber das ist nicht richtig, denn Sie werden wohl längst gemerkt haben, daß jeder Mensch ihr gut ist, der sie sieht.
FRAU SCHMALENBACH. Aber –
AUGUST. Und ich bin auch ein Mensch, wie alle anderen Menschen, sehen Sie; und ich habe manchmal Sorgen und einen schweren Sinn; aber wenn ich das Mädchen sehe, geht's mir wie Sonnenschein ins Herz, und wenn ich ihre Stimme höre, ist mir, als wäre ich auf der staubigen Landstraße marschiert und hörte plötzlich eine Quelle plätschern – na, und wenn ein Mann so von einem Mädchen denkt – wie nennt man das auf deutsch?
FRAU SCHMALENBACH. Aber –
AUGUST. So sagen Sie doch, wie nennt man das?
FRAU SCHMALENBACH. Ich – weiß aber – wirklich nich –
AUGUST. Na – wenn Sie es nicht wissen, dann will ich es Ihnen sagen: solch ein Mann ist verliebt!
FRAU SCHMALENBACH lehnt sich zurück, schließt einen Augenblick die Augen. Du mein Jott – Sie öffnet die Augen. Wo soll denn das alles nu endlich 'raus?
AUGUST springt auf. Wo es hinaus soll? Daß ich sie haben will, die Lene, da soll es hinaus![67]
FRAU SCHMALENBACH. Aber – Herr Aujust –?
AUGUST. Ist Ihnen das nicht recht? Er bleibt vor ihr stehen, streckt ihr die Hand hin. So geben Sie mir doch die Hand!
FRAU SCHMALENBACH ohne sich zu rühren. Dadrauf – soll ick Ihnen – die Hand geben?
AUGUST. Ja – warum denn nicht?
FRAU SCHMALENBACH. Nehmen Sie mir's nich übel – aber das hätte ich von Ihnen nich gedacht –
AUGUST blickt sie verblüfft an.
FRAU SCHMALENBACH. Ein so reeller Mann wie Sie –
AUGUST. Ist denn das nicht in der Ordnung, daß ich zuerst zur Mutter komme und ihr's sage, wenn ich ihre Tochter heiraten will?
FRAU SCHMALENBACH steht mit einem Ruck auf. Heiraten?!
AUGUST. Wovon sprechen wir denn?
FRAU SCHMALENBACH für sich. Mit einmal hab' ick wieder fixe Beine gekriegt –
AUGUST. Was haben Sie denn gedacht?
FRAU SCHMALENBACH. Heiraten –? Was man so nennt – und ganz reell heiraten – wollen Sie die Lene?[68]
AUGUST. Ja und ja! Sagen Sie mir nur, was Sie gedacht haben?
FRAU SCHMALENBACH. Das kann ick Ihnen nich sagen – Sie bricht in Tränen aus. Ne ne ne, das kann ick nich!
AUGUST sieht sie an. Ach so –
FRAU SCHMALENBACH. Sind Sie mir man nich böse. Sie greift nach seiner Hand. Wer konnte denn aber auch so etwas denken?
AUGUST. Aber das konnten Sie von mir denken, daß ich – weil ich reich bin und Sie eine arme Frau? Nicht wahr? Er geht auf und ab, murmelt. Knechtsseelen überall!
FRAU SCHMALENBACH. Ach Jott, Herr Aujust, ich schäme mich ja zu Tode, daß ich Sie falsch verstanden habe; aber man is es doch heutzutage nich gewohnt, daß ein Mensch so jut sein kann!
AUGUST. Wer ist denn gut? Ich mag das gar nicht immer hören. Will ich denn Ihre Tochter aus Mitleid heiraten? Ich sage Ihnen ja, daß ich sie liebe, das heißt, daß ich sie brauche, daß ich sie brauche fürs Leben, wenn ich glücklich leben soll. Heißt denn das schon gut sein, wenn man kein Schuft ist? Und ein Schuft wäre ich ja, wenn ich das Mädchen anders besitzen wollte!
FRAU SCHMALENBACH. Sei'n Sie doch jut, sei'n Sie doch man wieder jut.
AUGUST. Kommt doch endlich zu der Einsicht, daß Ihr Menschen seid, so gut wie wir, und daß das elende Geld keinen Unterschied zwischen Menschen macht! Lernt doch stolz werden! Wenn Ihr stolz wäret, würdet Ihr nicht neidisch sein und wenn Ihr nicht neidisch wäret, würdet Ihr nicht mißtrauisch sein![69]
FRAU SCHMALENBACH sinkt wieder in den Stuhl und fängt wieder an zu weinen. Tragen Sie's mir doch nich so nach – ich bin ja eine dumme, unjebildete Frau.
AUGUST erschrickt, da er die Wirkung seiner Worte sieht, kommt rasch und setzt sich wieder zu ihr. Nicht doch – nicht doch – es war ja nicht böse gemeint – Er streichelt ihr Hände und Gesicht. nu – nu – nu – Für sich. der verdammte Eifer, in den ich mich immer gleich hineinrede Laut. Es kam Ihnen ein bißchen überraschend – das ist ganz erklärlich – aber nun sagen Sie mir einmal ganz ruhig: ist es Ihnen recht? Wollen Sie mir die Lene zur Frau geben?
FRAU SCHMALENBACH. Ach Jott, was soll ich Ihnen denn darauf erwidern? Eine solche Ehre für uns –
AUGUST fährt wieder auf. Ach was Ehre! Das will ich ja nicht – Er unterbricht sich. na – es ist schon gut – Faßt ihre Hand. soll das die Hand der Lene sein? Geben Sie sie mir? Aus freiem, willigem Herzen?
FRAU SCHMALENBACH. Wenn Sie denn wirklich meinen – und es – wirklich dabei bleiben soll –
AUGUST. Das habe ich Ihnen doch nun aber schon zehnmal gesagt!
FRAU SCHMALENBACH. Na dann – als wie von meine Seite – ja doch, ja.
AUGUST springt auf, nimmt ihren Kopf in beide Hände, küßt sie auf die Stirn. Na endlich! So ist es recht!
FRAU SCHMALENBACH verlegen lächelnd. Aber – Herr Aujust –? Sie will seine Hand ergreifen und küssen.[70]
AUGUST lachend. Was? Was ist das? Warten Sie, jetzt kriegen Sie zur Strafe noch einen! Küßt sie noch einmal.
FRAU SCHMALENBACH. Darf ich denn nu noch mit meinem Schwager sprechen?
AUGUST. Mit dem Vormund? Das versteht sich von selbst.
FRAU SCHMALENBACH. Und denn – mit der Lene?
AUGUST. Freilich sollen Sie mit der Lene sprechen, und reden Sie ihr ein bißchen gut zu – ja? Wollen Sie's tun? Nachher komme ich selbst – sie wird ein bißchen erschrecken – meinen Sie nicht auch? Aber das schadet nichts, das geht vorüber – und zu fürchten braucht sie sich nicht – sie soll's gut haben, sagen Sie ihr das – Er reckt die Arme. o – sie soll's gut haben! Er geht an die Tür rechts, reißt sie auf. Herr Schmalenbach!
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