Ich will

[115] Hoch stand ich auf dem Dach/ und sah

Seltsamste Morgenglut:

Rings wogte über die Häuser hin

Ein Meer von Brand und Blut.

Wild brüllte die schwarzrot qualmende Schlacht;

Mit zornigem Knattern schossen

Behelmte Feinde zu uns empor.

Doch es trotzten fest die Genossen,

Wie Felsen im schlagenden Hagelsturm.

Verheerende Bomben schwangen sie

Und manchmal durch das Schlachtgetos

Die Marseillaise fangen sie.

Ihr wollustgirrendes Mordlied pfiff

Eine Kugel an meinem Ohr;

Da bäumte sich meine Seele jäh

Gleich wütiger Schlange empor.

Den Sprengball zückte die krallende Faust

Nach den feindlich stürmenden Massen

Und schmiß des Todes reißende Saat

Hinunter mit jauchzendem Hassen.

Und dumpf ...


...Ein Rollen, ein Peitschengeklatsch

Und Getrappel/ goldflirrender Schein;

Und sieh, die Morgensonne strahlt

Zum offenen Fenster herein.[116]

Im Bette lieg ich/ es war ein Traum!

Nicht Kugeln, die Schwalben girren

Und schießen um mein ländliches Dach.

Und droben im Mattblau schwirren

Lichtfrohe Lerchen. Durch tauige Flur

Trabt munter das Pferd mit dem Wagen;

Drauf sitzt der junge Bauer und schmaucht

Sein Pfeifchen mit Behagen

Und fährt so sicher hinein in die Welt ...


Ich aber, ich seufze und schwanke

Und bin auf bangem Lager hier

Ein zweifelnder Gedanke.

Noch hält der Zorn, der glühende Traum

Mein Herz in banger Stockung,

Und schon umschmeichelt mich so süß

Des Lebens liebliche Lockung.

Da schwindelt mir; Verwirrung, Scham,

Sie überfluten heiß mich;

O ich vermessner, armer Tor!

Was bin ich? Und was weiß ich?

Ich bin nur ein Halm im wogenden Feld

Und wähnte, ich sei das Feld;

Und ich wanke, schwanke in Lieb und Haß,

Und mir däucht, ich bewege die Welt.

O ich Irrtum und schwächlicher Widerspruch!
[117]

Und doch! Was hier erwacht

So grimm und kühn, ist Irrtum nicht,

Ist Zwietracht nicht, ist Macht.

Ich bin die einige Macht, bin Lieb

Und Haß mit einem Male,

So einig wie Kastanienfrucht und ihre Stachelschale.

Und die hassende Liebe, der liebende Haß,

So in mir gärt und schafft,

Das ist der Menschheit Lebensdrang,

Ist die weltbewegende Kraft.

Ich will! Und dieser Kraftstrom wird

Durch alle Zeiten wallen,

Wird Arme breiten sehnsuchtsvoll

Und Fäuste drohend ballen.

Ich will! Und wenn mein trotziger Mund

Auch längst im Tode schwieg,

Ich will! Und ewig ist mein Kampf,

Und ewig ist mein Sieg!

Quelle:
Bruno Wille: Der heilige Hain. Jena 1908, S. 115-118.
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