Das vierte Abenteuer

Wie Gold gemacht wird


[107] Als ein reuiger Sünder lief ich schnurstraks zum Herrn Waldhäusero, den ich auch zu Hause traf. Der weißbärtige Mann ließ seine großen schwarzen Augen so durchdringend auf mir ruhen, daß ich den Blick zu Boden senkte. Demütig übergab ich meinen Empfehlungsbrief vom Oheim. Als ihn Waldhäuser gelesen, bot er mir freundlich die Hand und lud mich zum Sitzen ein. »Willkommen, Johannes! Ei, was macht denn der gute Tobias?« Nachdem ich Rede gestanden, fuhr Waldhäuser fort: »Und nun erzähle Er mir von Seinem Vater, meinem lieben Freunde Martino Tilesio. Das ist ein selten gotterfüllet Herze, und der Sohn ist glücklich zu preisen, so von diesem edlen Stamme Herkunft, Beispiel und Lehre empfangen.« Bei so liebreicher Anerkennung meines Vaters brach ich in Tränen aus, zumal das Gewissen mir vorhielt, wie wenig ich zu Prag meines Vaters Lehre und Beispiel beherziget hatte. »Was weinet Er, Johannes?« sprach Waldhäuser väterlich. – »Ach Herr, ich bin nicht wert eines solchen Vaters Sohn zu heißen. Seit der Zeit, da ich allein in der Welt stehe, hab ich meinem Vater Unehre gemacht. Ach, daß er anoch lebte, mich von schlimmen Wegen abzubringen .....« – »Wie denn?« unterbrach mich Waldhäuser, »lebt er denn nicht mehr?« Unter anhaltenden Tränen tat ich Bericht. Wie mich dann Waldhäuser über mein Treiben zur Rede stellte, beichtete ich alles haarklein. »Und nun, Johannes,« sprach er, »was willst du beginnen? Möchtest bei mir bleiben? Nun wohl, bist willkommen, und ich will dir ein andrer Vater sein. Versprich mir aber, nie wieder zur Äpfelkammer zurückzukehren und alle Brücken, so dich dem törichten Leben wieder überliefern könnten, hinter dir abzubrechen.«

In aufrichtiger Reue und Dankbarkeit gab ich meine ganze Seele Herrn Waldhäuser hin, worauf er: »Es wohnen in dir[108] zween Menschen, Johannes, die streiten mitsammen. Der eine Mensch trachtet nach Schätzen, so die Motten und der Rost fressen, und obwohl mir dein Oheim Tobias recht lieb ist, muß ich doch tadeln, daß er in dir den goldgierigen Menschen großgezogen hat. Hüte dich vor dem Dämon, der über dich, wie über Tobiam, schon eine gefährliche Macht gewann. Rettung findest du bei dem andern Menschen, so heimlich dir im Herzen lebt, wiewohl, er lange geschlafen hat. Das ist dein besser Selbst, die kostbare Erbschaft, von deinem Vater empfangen. Martinus Tilesius suchte alleweil mit seinem unschuldsvollen Herzen ewig Gut. Es dir zu weisen, lieber Johannes, sei meine Aufgabe, und nichts Geringeres kannst du von mir lernen, als wie jener Stein der Weisen zu erlangen, so den Adepten zu allen wahren Schätzen leitet. Ein Alchymist möchtest du sein und gläubest gar, die Goldbereitung sei dir gelungen. Ich aber sage dir: jenes Gold, so den Bereiter ins Unheil lockt, ist nicht wert, gesucht zu werden, und kein Schatz, vielmehr des bösen Feindes Köder. Was würde es dir helfen, wenn du herausbrächtest, was für ein Stoff in jenem Glase gewesen, wo dein rosenfarben Öl sich bildete? Überlege dir, was du in deiner jetzigen Verfassung mit dem gewonnenen Golde beginnen würdest? Täte es dich nicht in deinen alten Torheiten bestärken und vielleicht zu argem Tun verführen? Gülden lodern die Höllenflammen, und das Gold bereitet denen eine Hölle auf Erden, so nicht den echten Stein der Weisen haben. Der ist nichts andres als der Heilige Geist im Menschen. Auf ihn allein kommt es an. Hast du ihn nicht, so hilft dir kein Gold der Erde, sintemalen du es nicht anzuwenden verstehst. Hast du aber den Stein der Weisen, so bedarfst du keines Goldhaufens. Verschmähest es nämlich, deine Staubhülle in Üppigkeit zu betten und durch dargereichtes Gold Menschenseelen zu knechten und zu verderben. Um froh und friedlich zu leben, bedarfst du keines andern Gutes als rechter Arbeit.«

Lange war's her, seit einer so treuherzig und weise zu[109] mir geredet hatte. Meines seligen Vaters gedacht ich, und voll Zähren stund mir das Auge.

»Du hast mir erzählt, Johannes«, fuhr Waldhäuser nach einer Pause fort, »es sei dir beim Schmirsel geglückt, Gold zu bereiten, und ich möchte dir meine Ansicht darlegen. Ich glaube nicht, daß menschlicher Kunst die Goldmacherei gelingt, ebensowenig, wie es unser Witz fertig bringt, eine Kornähre nachzumachen. Kornähren erhalten wir erst dadurch, daß wir sie von der Natur aus ihrem Samen herauswickeln lassen. Dieselbe Meisterin, so die Ähren herauswickelt, gehört auch zur Umwandlung der Stoffe in Gold. Menschliche Wissenschaft kann vielleicht gewisse Reguln solcher Transmutatio herausfinden, schwerlich aber derart anwenden, daß unter unsern Fingern Gold entsteht. Was aber ruhmredige Goldmacher von ihren gelungenen Experimenten schwätzen, dünket mich Fabel. In deinem Falle, Johannes, hast du dich selber getäuscht, da deine Beobachtung der Umstände ungenau war. Das herfürgekommene Gold war in den verwendeten Stoffen zuvor enthalten. Um sicher zu gehen, hättest du erst den Silberkalk daraufhin prüfen sollen, ob er keine Spur von Gold enthält, hättest dich auch hüten müssen, ein unrein Gefäß zu benutzen. Wer weiß, ob im Gefäße nicht der leicht übersehbare Rest einer wasserklaren Goldlösung gewesen ist?« – Betreten schwieg ich, Waldhäuser sah mir ins Auge und nickte. Dann stund er auf: »Wohlan! Das Nächste kommt zuerst: begib dich nunmehr auf deine Kammer, wasche dich, tu auch von deinem Herzen das Unreine ab. Bis zum Nachtmahl magst du einsam bleiben, auf deinem Kämmerlein oder auch im Garten. Gott befohlen, mein Kind!« Und Waldhäuser rief nach seiner Haushälterin, einer freundlichen Witfrau, die mich auf meine Kammer führte. Hier säuberte ich mich und sann der Rede Waldhäusers nach. Auch in den Garten ging ich, der hinter dem Hause lag, von den Nachbargärten durch hohes, mit Eppich übersponnenes Gemäuer getrennt.[110] Erster Frühling hatte die Knospen aus den Bäumen gelockt, im Gesträuche raschelte ein Gelbschnabel, der seinen Flötenruf erschallen ließ. Ich sog der Erde Odem, Trostes voll, wie ein Flüchtling, so nach Gefahren auf einmal geborgen.

Demütigen Schweigens nahm ich neben Waldhäuser und seiner Haushälterin das Nachtmahl ein, indessen mein neuer Lehrmeister weitere gute Rede tat. »Hast du dir auch klar gemacht, Johannes, zu welchem Zwecke du ein Heilkundiger werden möchtest? Gelüstet es dich, Geheimnisse der Natur zu ergründen? Nun gut; aber sage mir, ob du vom Schmirsel irgendein ander Geheimnis gelernt hast als Finten, deinem Nächsten das Geld aus der Tasche zu locken? Jedenfalls bist du zwei Jahre nur darauf ausgewesen, Geld zu gewinnen. Gesetzt nun den Fall, du hättest einen Haufen Goldes, was würdest du damit beginnen? Ich weiß wohl, daß sich allerlei kaufen lässet, danach einen eiteln Sinn gelüstet, als Haus, Prunkgewand, Pferde, Wagen und Diener, kostbar Tafelzeug, Pasteten und Gebratenes, duftige Weine und Konfekt. Suchest du alle solche Dinge, Johannes? und willst du ihretwegen heilkundig werden? Dann laß dir sagen: bist kaum etwas Besseres, denn ein gemeiner Beutemacher« Darin bestehet kein großer Unterschied, daß der Beutemacher seinem Opfer die Degenspitze auf die Brust setzet und ruft: Geld her oder stirb! Während du an Stelle des Degens den grimmen Knochenmann anwendest, so daß der Kranke denkt: Vor dem Sterben kann mich nur dieser Medikus erretten; ich will ihm Geld geben, sonsten holt mich der Tod. Solch ein Beutemacher, so den Spießgesellen Tod zum Ausbeuteln voranschickt, ist der Schmirsel, und auch du, Johannes, wolltest einer werden. Ei schäme dich, mein Kind, und suche bessere Würde. Höre, was mir gestern fürgekommen, und was eigentlich, wiewohl in wechselnder Form jeden Tag meinem Berufe begegnet. Zu einem Manne werd ich geholt, und meine Untersuchung findet heraus, daß er tödlich[111] am Kopf erkrankt ist, allenfalls aber gerettet werden kann, so ich ihm den Schädel mit einem Meißel öffne. Wie ich ihm selbes dargelegt habe, so faltet der Mann die Hände, und, nachdem er sich mit seinem Gott beraten, spricht er voll Ergebung: ›Wohlan, öffne Er mir den Schädel nach seiner Kunst.‹ Nun gib stille Antwort, Johannes, ist solch erstaunlich Vertrauen, das schier an ein Wunder grenzet, etwan wert, daß man Mißbrauch mit ihm treibe? Wer um schnödes Geld diesem Patienten den gefährlichen Schnitt beibringt, ist ein Kumpan von Totschlägern. Kannst du es übers Herze bringen, deinem Nächsten, der dir wie einem Gotte Zutrauen schenket, dadurch zu vergelten, daß du hinter des Gottes Maske einen Geldschneider birgst? Narr, laß fahren allen Trug und trachte nach der Wahrheit. Ein Tor lässet sich vom Schein begaukeln. Willtu wissen, worin dein wahres Heil zu suchen, so bedenke ein Wort, das du oft gedankenlos in der Schulstube und auf der Kirchenbank ins Ohr genommen hast: Wenn ich mit Menschen- und Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Aus diesem Grunde, mein Kind, lerne zuvörderst lieben und finde dich wieder zurück auf jenen rechten Weg, wo du schon einmal gewesen und Novize der Heilkunst worden bist. Hast mir ja berichtet, wie du in Schlesien, vom Mitleide bewegt, darauf gesonnen hast, ein lahm Kindlein genesen zu lassen, und wie du es mit Antimon geheilt hast. Damals, lieber Johannes, mit sechzehn Jahren warst du mehr heilkundig als unter Schmirsels Leitung. Komm morgen mit mir, meine Kranken besuchen. Es sind zumeist Menschen ohne Geld und Gut, Beistandes und Trostes bedürftig. Wenn du bei ihnen sitzest, findest du ein besser Gut und Glück als in der Äpfelkammer bei der törichten Jungfrau und ihrem benebelnden Wein. Den bessern Menschen werden die armen Patienten aus dir herauslocken, und das ist höherer Sold für dich, als wenn das schlimme Gold den Lumpen in dir immer dreister und feister macht.«
[112]

An einem Abend des Junimonds lustwandelte ich zur Moldaubrücke und starrte in den finstern Strom, der hinter den Brückenpfeilern rauschend strudelte. Wie diese unrastig tosende Flut kam mir das Treiben für, dem ich zwei Jahre gehuldigt hatte. Verblendet mußte ich gewesen sein, daß ich mich an Jungfer Sicsatis hängen gekonnt. Aufseufzend fühlte ich mein Herz erleichtert, und voller Vertrauen hub ich die Augen vom schwarzen Strom zu den Funkelsternen, so auf der Himmelsaue bunt erblüheten. Eine tiefe Sehnsucht ergriff mich, Waldhäusers Weisheit in mich aufzunehmen. Ich kehrte heim, und da in des Meisters Museo noch Licht war, klopfte ich an. Er ließ mich ein, und ich sahe, daß inmitten des Raumes auf der Bahre, neben der ein Totengerippe stund, eine Kindsleiche lag, die der Meister eben seziert hatte. Er deckte sie mit einem schwarzen Tuche und fragte nach meinem Begehr.

»Guter Meister«, sagte ich, »gestattet, daß ich noch bei Euch bleibe, solange Ihr wachet, um vielleicht die Wohltat Eurer Lehre zu genießen. So Ihr aber noch mit der Leiche zu tun habet, will ich stille zuschauen oder Euer Famulus sein.« »Ich plaudere gern noch ein Stündlein mit dir«, antwortete Waldhäuser. »Laß uns auf den Altan treten, der Sommernacht zu genießen.«

So gingen wir zur Altantür hinaus, und der duftige Odem des Gartens umhauchte uns. Gesträuche blühten, Nachtigallen wetteiferten mit süßem Schlagen. Da in den Nachbarhäusern alle Lichter erloschen, so kam das Leuchten der Sterne zu voller Pracht. Schweigsam empfanden wir den holden Zauber dieser Nacht. Dann meinte Waldhäuser sinnend: »Wie sicher und ruhevoll wandeln droben die Sterne! Hingegen wie unbeständig ist des Menschen Los! Kein Tag wird ihm vergönnet, ohne daß sich ein Zweifel begeben kann, so ihn aus seinem Gleise herauswirft, keine Stunde, kein Augenblick ist in unserer Macht; es kann ein Wechsel mitten im traulichen[113] Wesen entstehen. Niemals ist die Gesundheit unbeweglich, und alle sind wir dem Tode einen Dienst schuldig. Denke nur, wie es dem Menschenkindlein ergangen, das entseelt auf der Bahre liegt. Es ist eine Waise, ein siebenjährig Knäblein, hold von Angesicht und ein Liebling derer, so um ihn waren. Jauchzend klettert der Knabe auf einen Lindenbaum, stürzt aber mit dem brechenden Aste herunter und ist im Nu eine Leiche. Da haben wir den raschen Wechsel, der auf einmal zur Betrübnis führet. Drum, Johannes, mach dich ledig vom Vertrauen auf Fortunas Beständigkeit. Die Gemahlin des Königs in Hispanien hat nicht uneben dies Sinnbild verwendet, daß sie einen Pfauen auf eine Kugel gesetzt und die Auslegung beigefügt: vanitas, Eitelkeit. Gleicherweis spricht auch der Prediger: Es ist alles ganz eitel, und die Toten, so schon den Odem verhauchten, sind eher zu preisen als die Lebendigen. Nun ja, drum war es nicht ganz recht von mir gesagt, als ich den Sturz dieses Kindes ein Unglück nannte. Soll man etwan klagen, daß jemand zu früh in den Schoß der Ewigkeit kommt, gleich als hätte ein Mensch den Himmel in diesem Angsthause gefunden? Als Trost sollten wir es betrachten, daß wir nicht ewig in dem irdischen Jammerwesen stecken bleiben.«

Nachdem wiederum Schweigen eingetreten war, wagte ich die leise Frage: »Wo mag nur das Himmelreich sein, das den abgestürzten Waisenknaben aufgenommen hat? Ist es droben bei den Sternen?« – Und Waldhäuser: »Das Himmelreich wird offenbar an den Sternen, doch betrachte es nicht als einen entlegenen Ort. Gib acht, mein Kind, daß du zunächst begreifest, was ein Symbolum oder Bildnis. Das Auge schaut etwan eine brennende Kerze, und die Seele denkt dabei an der Wahrheit Leuchten. Gleichermaßen bedeutet Sonnenwärme die Liebe, Kälte hingegen Gleichgültigkeit und Haß, Finsternis, Wahn und Lüge. Bedenken wir nun, daß durch den Himmel die Sonne ihre Bahn zieht, die uns des Tages Licht beschert und unser Auge die Form[114] und Farbe aller Wesen erblicken lässet, so dürfen wir das blaue Zelt als des Lichtes Quellenland betrachten. Sehnet sich nun unser Herze nach der Wahrheit, so lenkt es den Blick gen Himmel, als müsse von dort auch dem inneren Menschen Erleuchtung kommen. In diesem Verstande hast du recht, Johannes: das Waisenkindlein ist bei den Sternen. Denn es ist dem ewigen Lichte einverleibet. Dabei aber darfst du nicht vergessen, daß unser aller Meister spricht: Inwendig in euch ist das Himmelreich. In der Menschenseele soll es werden, wie droben am himmlischen Gezelt; weit sei die Seele, das Unendliche zu umfahen, zahllose Lichter müssen in ihr aufblühen, und ruhevoll in steter Ordnung und heimlicher Melodei vollziehe sich des Menschen Trachten und Treiben. Nur so, mein Kind, eroberst du das Himmelreich. Die Kunst aber und Kraft, es aufzuschließen, ist dem verliehen, so den Stein der Weisen hat. Ihn sucht der wahre Alchymist, und auch du, Johannes, sollst danach trachten.«

Wie bei einem Wundertraume staunend fragte ich: »Den Stein der Weisen? Wie soll ich hoffen, den zu erlangen?« – Und die Antwort lautete: »Darfst nicht denken, es sei ein Stein gemeint, aus irdischen Stoffen bereitet. Man sagt freilich, der Stein der Weisen habe sich am Ringe Salomonis befunden. Inmaßen aber dieser König ein Buch von der Weisheit verfaßt hat, so bedeutet Salomonis Ring sein Verlöbnis mit der himmlischen Sophia oder Weisheit, der Stein am Ringe die Kraft, das göttliche Licht zu spiegeln und auszustrahlen. So ist der Stein der Weisen nichts anderes denn die heilige Weisheit im Menschen. Wahrlich, ich sage dir, nur wer den Stein der Weisen hat, ist echten Goldes Bereiter. Du machest große Augen, Johannes, möchtest wohl wissen, was für ein Gold ich das echte heiße. Wohlan, darunter versteht der alchymistische Adept kein irdisch Metall, sondern etwas Geistliches, wie überhaupt sämtliche Metalle, ihre Mischungen und Umwandlungen, Gleichnisse für Qualitäten und Vorgänge der Seele sind. Sobald du dein Auge für[115] das Reich der Sinnbilder aufschleußest, wirst du seltsame Zusammenhänge und Entsprechungen darin entdecken. Sie haben den Grund geliefert für alle geheime Wissenschaft, so für die Mysterien der Andacht, auch für die Sterndeuterei, endlich für die Alchymie. Erinnere dich, daß manche Sterne den Namen von Gottheiten führen: Jupiter, Mars, Venus und Saturn, der Sonnengott Sol und die sanfte Luna wurden von den Alten als Götter verehrt. Kein Wunder, daß man darauf verfiel, zwischen den Herzensqualitäten dieser Götter und ihren Gestirnen eine heimliche Entsprechung anzunehmen. Von Menschen, zornigen, herrischen Gemütes, sagte man, sie seien im Zeichen des roten Mars geboren. Den Abendstern hielt man für eine astralische Macht, von der verliebte Neigung ausgehet. Nun aber bedenke, daß die Planetennamen auch von Chymikern angewandt werden, Metall zu bezeichnen: Sol oder sein Symbolum, der Kreis, bedeutet das gelbstrahlende allerwertvollste Metall; Luna oder eine Mondsichel ist des Silbers Bezeichnung. Das Eisen heißet Mars als des Kriegsgottes Werkzeug. Venus, die cyprische Göttin, bedeutet das Kupfer; der trübselige Unglücksstern Saturn das Blei. Dieser Hinweis nun sei für dich, mein Johannes, ein Schlüssel, das edle Geheimnis der Alchymie zu eröffnen. Unter den Metallen nämlich nicht minder wie unter den Sternen werden Eigenschaften des inneren Menschen verstanden. So ist das Eisen, auch Mars benamset, des Herzens wilder Drang, zu herrschen und zu kriegen. Das schwerfällige Blei bedeutet niederdrückendes Unheil und Schwermut. Venus oder das Kupfer ist die Minne, Silber oder Luna Keuschheit und Unschuld. Das Gold aber bezeichnet das höchste Gut des inneren Menschen, jenen Schatz im Acker, dem das Himmelreich gleichet. Wenn nun der wahre Alchymist danach trachtet, aus niederen Metallen höhere zu bereiten, so kommt es ihm nicht darauf an, den einen Erdenstaub in den andern umzuwandeln, sondern die niederen Herzensqualitäten zu adligen und in das[116] allerhöchste Gut, in des Herzens Gold, zu transmutieren. Ich spüre wohl, Johannes, daß meine Lehre dir neben dem Staunen auch etliche Enttäuschung bereitet. Denn ich kann mir denken, daß ein unerfahren Kind noch nicht auf den rechten Spürsinn gekommen, so das Köstlichste zwischen Himmel und Erde in seinem ganzen Wohlschmack empfindet. Doch harre nur, wirst schon seiner schmecken lernen; laß erst noch viel bitterer die Enttäuschung deine Zunge plagen. Enttäuschung, dies bittere Kraut, ist ja ganz unentbehrlich, willst du den Stein der Weisen bereiten.«

Nachdem ich diesen Worten staunend nachgesonnen, entgegnete ich: »Eure Lehre, weiser Meister, hat mir mit nichten Enttäuschung beigebracht, wenigstens fühlt sich zu dieser Stunde mein Herz so wunderbarlich frei und reich, daß ihm kein Zweifel an der von Euch gespendeten Wahrheit kommt. Drum, edler Meister, treuen Dank!«

Waldhäuser reichte mir freudig die Hand. »Wohlan, mein Kind, halte den Segen der Stunde fest, und damit du ihn tiefer in dich aufnehmest, laß uns noch ein Weilchen im Freien unter Sternen weilen, indessen ich, gleich den Nachtigallen drunten, im Flötenton meine Andacht in die Nacht ströme.« Und er holte seine Flöte, auf der er kunstvoll zu spielen wußte. Sanft und rein, klagend und doch voll Seligkeit schwollen die Töne und bebeten in die Weite, zur Wunderwelt der Lichtsymbola. Wie aber die rührende Weise verklungen, nahm mich der Meister sacht am Arm, trat mit mir ins Museum, wo noch immer die Lampe leuchtete, und an der Bahre das Totengerippe Wacht hielt. Von der Leiche tat er das schwarze Tuch hinweg; das entseelte Knäblein lag wie ein schlafender Engel. Unter Zähren lächelnd betrachtete ich die schöne Bildung des erblichenen Antlitzes, den sanften Mund, die zugeschlossenen Augen, die güldenen Locken. Auch Waldhäuser war in den Anblick versunken. »Dank!« flüsterte er nickend; »Dank für Unterweisung und Demonstratio!« Dann tat er einen sehnsüchtigen Aufblick, als öffne sich die[117] Zimmerdecke und lasse die Sterne hereinstrahlen, und sprach in einer melodischen Art, die nichts seinem Flötenspiel nachgab:


»Fahre wohl, verklärte Seele!

Bis uns lacht ein Wiedersehn,

Wann auch ich aus Staubes Höhle

Darf zu Funkelsternen gehn.


Liebreich winkt ein Hirt: Willkommen

Auf besonnter Blumenweid!

Lämmlein, bist mir angenommen

In der Unschuld weißem Kleid.


Gnade Gott, wir könnten alle

Gleich so erdenledig sein,

Daß wir zum Schalmeienschalle

Hüpften in den Himmel ein.


Träumen laßt mich, Funkelsterne!

Hebt mich über Gräber weit!

Ach, ich traue dir so gerne,

Heimweh nach der Ewigkeit.«


Mit diesem Erlebnis schloß mein Aufenthalt bei Waldhäuser. Nie sah ich ihn wieder, – so daß sein Fahrwohl ungeahnt auch mir galt, – mit der Einschränkung, daß ich nicht wie der tote Knabe mit Unschuld bekleidet war. Immerhin hatte ich Sehnsucht nach dem himmlischen Kleide und war dessen sicher, daß es sich weben lasse aus Waldhäusers Weisheit.

Quelle:
Bruno Wille: Die Abendburg. Jena 1909, S. 106-118.
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