Mit dem Ruhebecher

[497] Auf einem Heidegang war Hainlin von Regen durchnäßt – heimgekehrt, fühlte er sich von Frost durchschüttelt. Am Morgen fand ihn seine Wirtin im Fieber – er stöhnte – alle Glieder taten ihm weh. Ein Arzt, weither geholt, stellte Gelenkrheumatismus fest. Durch Medikamente brachte er den Patienten aus dem einen Uebel heraus, um ihn dem andern zu überantworten: einem Herzleiden.

Inniger Trost für Hainlin war das Erscheinen Margas an seinem Bette. Von der Heideförsterin hatte sie gehört, jener Herr, der auf dem fernen Hügel manchmal Flöte geblasen, liege gefährlich krank. Da mehrere Kennzeichen auf Hainlin hindeuteten, den sie schon damals, als er dicht bei ihr war, zu erkennen geglaubt hatte, war sie zum Patienten gegangen.

Ueber die Aussprache der beiden kann man Vermutungen hegen; Hainlins Tagebuch besagt nur, Marga habe ihn liebreich gepflegt.

So weit hergestellt, daß der Herzleidende die weite Reise zum Onkel Guhl unternehmen durfte, schrieb er einen Brief an Marianka: »Das Märle vom Glasberg, das ich Dir erzählt hab', bewahrheitet sich an mir: Abgerutscht bin ich, lieg' unten zerschlagen und fühle, daß ich nicht lange mehr dies Dasein werde zu tragen haben. Recht so! Ich passe nicht hinein. Hab' alleweil den Fehler gemacht, von ihm etwas zu erwarten, was es[498] nicht leistet, seiner Natur nach nicht leisten kann. Mein Reich ist nicht von dieser Welt – ist vielmehr jenes heimliche Dörfle, das in der äußeren Wirklichkeit nicht existiert. Mein Glastelfingen soll mich nun ganz haben. Du, liebe Marianka, bist mehr realistisch veranlagt. Drum hab ich für gut befunden, daß wir uns nicht durch äußeres Band aneinander gefesselt fühlen. Als ich Dir den Ring dagelassen hab', ist es nicht bloß die eherechtliche Seite unseres Verhältnisses gewesen, was ich als Kette empfunden hab'. Nein, der Ring ist ein Glied jener Kette, die uns schwache Geschöpfe an die Sinnenwelt schmiedet. Mich wie Dich. Es liegt mir fern, Dich, Marianka, zu kränken – auch damals hab ich das nicht wollen, als ich an das Faust-Wort von den blanken, unfruchtbaren Hexen erinnerte. Deines Herzens Gram laß mich lindern mit einem anderen Faust-Wort. Lies nach, was der Doktor Marianus von den »Leichtverführbaren« sagt:


»Wer zerreißt aus eigner Kraft

Der Gelüste Ketten?

Wie entgleitet schnell der Fuß

Schiefem, glattem Boden!

Wen betört nicht Blick und Gruß,

Schmeichelhafter Odem?«


Recht haben auch die halb erlösten Engel:


»Uns bleibt ein Erdenrest

Zu tragen peinlich –

Und wär' er von Asbest,

Er ist nicht reinlich.«


Ja, »geeinte Zwienatur« ist jedes Menschenkind, und nur die »ewige Liebe« vermag das höhere Element vom niederen[499] zu scheiden, das Gold von der Schlacke. Die ewige Liebe – teure Marianka – die soll uns beisammen halten, und wir vergeben einander die Schwächen, die in unserer körperlichen Ichnatur begründet sind. Bitte, laß mich einsam! Ich reise ins Neckarländle, zum Onkel Guhl, der ein berufener Führer ins Ewige ist. Da möcht ich an meiner Läuterung schaffen, solang ich Odem hab. Uebers Grab hinaus bleib ich der Deine – wie ich Rosel zugehörig bin – und Marga. Glastelfingen ist das Engelheim, wo man nicht freit im irdischen Sinne, wo Eifersucht keinen Sinn hat, weil Mein und Dein im Ewigen verschmelzen

Die paar Monate, die Hainlin noch am Leben blieb, bilden die lieblichste Zeit seines Erdenwallens. Er hauste beim Onkel Guhl in Eberhards Einsiedelei. Umhegt fühlte er sich von der Ewigkeit, deren Donnerwort ihm hier erklungen war, und in ihrem Leuchten verklärte sich sein Schicksal. Neben Onkel Guhl weilten an seinem Lager Rosel an Berta; für etliche Zeit auch Marianka und Marga, die aus Sehnsucht gekommen waren.

»Da hab ich nun« – lächelte Hainlin – »mein Himmelreich im Herzen – ich sterbe umgeben von dem, was ich liebe.«

Friedevoll entschleierte sich ihm das große Rätsel – sein Sterben war, als ob Vollmond aus Wolken quillt.


Der Garten schwarz – Gestalten seh ich kauern,

In Flor gemummt.

Sind's Büsche? Blätter wagen kaum zu schauern,

Alsbald verstummt.


So fremd, so steinern alles, wie besprochen

Von Hexerei.

Die Seelen sind wie Vögel, scheu verkrochen

Beim Eulenschrei.
[500]

Und bist du steinern, Welt, laß dich beschwören:

Sei Seele, Welt!

Geheime Sucht, einander zu gehören,

Hat uns gesellt.


Wir suchen uns, wir liegen auf der Lauer

In Dunkelheit:

O Bann der Fremdheit, löse dich im Schauer

Der Zärtlichkeit!


Komm, Zärtlichkeit! Ich bin allein. Ein Zecher

Bei Ampelschein ...

Wie Rebenblüte duftet mir im Becher

Der Edelwein.


Den Trost der Oede soll ich nicht vermissen:

Aufglüht der Mond –

Ein Fürst in Purpur, der auf Wolkenkissen

Beschaulich thront.


Nun hoch den Kelch! Dir, Vollmond, gilt mein Trinken!

Da lächelt hold

Durch Glas und Rebenflut sein Augenwinken

Wie Bernsteingold.


Ein Kelch, ein blanker, süßen Rausches Quelle

Bist, Mond, auch du.

Dein Licht durchrieselt mich – o kühle Welle

Der Seelenruh!


Erlöser Mond, wenn über Flur und Bäume

Dein Silber haucht,

Wenn Allgefühl die sanften Schwärmerträume

In alles taucht!
[501]

Traumkönig Mond! Es huldigt deinem Glanze

Die Wolkenfee;

Aus ihrem feierlichen Schleiertanze

Blitzt keuscher Schnee.


Zum Sterben süß dies Leuchten! O dies Schweigen

Der Rätselnacht!

Wie's heimlich klingt! So zittern Flöten, geigen

Herbstgrillen sacht.


Mir bangt nach jenem ewigklaren Frieden –

Wer den erlauscht,

Der hat den Becher Gral, ist schon hienieden

Aus Gott berauscht ...


Es tropft der Tau; Nachtmotten surren trunken

Ums Ampellicht –

Und Stirn an Stirn, so bin ich hingesunken

Zum Mondgesicht.


Quelle:
Bruno Wille: Glasberg. Berlin [o. J.], S. 497-502.
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