|
[516] Ich bin der Träumlesjörg, erpicht auf Märle –
Ein Schwab; er wird mit vierzig Jahren klug.
Mir bleibt als Galgenfrist noch manches Jährle,
Doch vom Sinnieren krieg' ich nie genug.
Schön Märle spinnen gilt mir mehr denn Klugsein;
Da reimt sich, was dem Herzen wohlgefällt.
Die Leute sagen: Traum, der müsse Trug sein –
Doch was mich trog, war nur die kluge Welt.
So laß mich, Welt! Verstöre nicht mein Sinnen!
Laß wandeln mich auf Klee am Hügelhang.
Ein Engel, den ich ahne, lockt mein Minnen –
Wie Harfentraum im Winde sein Gesang.
Der Engel schwebt mir vor; ich möcht ihn schauen.
Doch bleibt er heimlich – wie durch Buchenwald
Der blaue Himmel flirrt, und wie durch Auen
Im krautverwachsnen Bett ein Bächlein lallt.
Ich seh' ihn elfenhaft auf Halmen schaukeln
Auf einmal ist es lila Rittersporn.
Ich seh' sein blaues Kleid durch Aehren gaukeln –
Ein Pfauenfalter taumelt übers Korn.
[517]
Wo bist du? Schwebtest du zu Bergverstecken?
Da ragt auf Beeten Mohn mit Silberköpfen;
Um Stangen rankt der Hopfen; Brombeerhecken –
Die Perlen funkelschwarz an Blätterzöpfen.
Auf Rasen kurze Rast bei Apfelbäumen –
Aus breitem Wipfel lockt die goldne Frucht.
Und immer süßer gibt es da zu träumen,
Und immer höher lockt des Engels Flucht.
Ihr Wolkenlämmer droben, weiß Gewimmel,
Wer ist euch Hirtin? Sie, die mich entzückt?
Darf ich zur Aether-Au? Und hat der Himmel
Dem Jörg die Jakobsleiter hergerückt?
*
Hinan die Stufensteige zwischen Reben!
Ein Lachen, horch! Es war dein Silberlaut!
Wo steckt mein Schelm? Und willst du stets entschweben,
Mein süßes Rätsel, lose Elfenbraut?
»Hier ist es lauschig!« winkt das Wengerthäusle –
»Mein Traubenstock umarmt Gebälk und Mauer.
So komm und finde hier dein Herzensmäusle,
Das blonde Kind vom Glastelfinger Bauer!« –
»Nicht hier! Fort flog sie!« hör' ich Bienen raunen –
»Im Stüble hat sie kurz sich aufgehalten.«
Ich rasch das Trepple hoch – und steh' in Staunen:
Sie ist nicht hier – jedoch ich seh' ihr Walten.
[518]
Der Tisch gedeckt – den konnte sie nur decken!
Purpuren im Pokale glüht der Wein;
Auf blütenweißem Linnen Weizenwecken;
Im Wasserglas der Unschuld Röselein.
Ich spür's, wer das beschert. Darf ich mich setzen?
Wie Grüßen kommt ein Hauch vom Rosenglas.
Als wär's ein Abendmahl, will ich mich letzen
Am sanften Brot, am kühlen Feuernaß.
Doch wo ist sie? Mich rührt ein wonnig Bangen –
Wie einst den Knaben beim verschollnen Lied,
Das fern am Dorf zwei Liebesleute sangen,
Wann dunkel sie der Sonntagabend schied.
Ich sinne, vor den Augen beide Hände;
Ich seufze: Bleibt mir Liebchen ewig weit? –
Auf einmal blaut es durch die Fingerwände:
Da ist sie wieder, ist ihr Veilchenkleid!
Die Augen auf! Durchs Fenster seh ich blauen
Die Alb – wie Sagenberge von Kristall.
Hier deine Heimat! lächeln Wald und Auen –
Dein Engel ist's – den hast du überall.
*
Sei, wo du willst – im Herzen blüht dein Minnen;
Und wo du schwärmst, da hast du deinen Traum.
Die lautre Heimat, finde sie tief innen
Und greife nicht hinaus in fremden Raum!
[519]
Sei kein Laternle du, das seinen Schimmer
Auf dunkle Pfade wirst – und nach ihm hascht!
Gib's auf, o Närrle! Draußen wird ja nimmer,
Was innen glimmt, als Beute überrascht.
Und zweifelst du, so suche Glastelfingen!
Geh' fragen nach des Michelbauers Maid!
Vernimm's von Wandrern, die schon lange gingen;
Sie seufzen: Glastelfingen? Himmelweit!
Versuch's und steige! Magre Haberfelder
Und kahle Bühle, die noch höher sind;
Morast mit finstern Binsen; Tannenwälder
Umstarren wüst ein Felsenlabyrinth.
Ein Glöcklein wimmert von der Bergkapelle,
Und droben siehst du blaue Schleier wehn:
Drei Glockenblumen sind's, die an der Schwelle
Der öden Felsengrotte schweigsam stehn.
Zuletzt ein Berg – wie Glast der Abendwolke.
Das möchte, denkst du, Glastelfingen sein!
Da wäre Jörg entrückt dem klugen Volke,
Das Märlesträume hält für Gaukelschein!
Jedoch der Berg ist Glas! Da muß man zagen!
So glatt und steil – kein Fuß, der da sich hält.
Ob Mann und Roß das Abenteuer wagen,
Sie gleiten ab – da liegen sie zerschellt.
Glücksritter einst, nun bleichende Gerippe;
Der Schädel grinst, ins Leere krallt die Faust;
Gen Himmel trotzt die unerreichte Klippe –
Und horch, mein Engel singt, so droben haust:
[520]
»Ich bin's, die dich gelockt – bin die Walküre
Von Glastelfingen, Michels Töchterlein.
Der will nicht, daß mich Ungestüm entführe;
Wer rauben will, der mag des Todes sein.
Sei du, wie jene nicht, die hergezogen,
Als gält's, vom Himmel reißen einen Stern!
Ei Märlesjörg! Sinnierend komm' geflogen!
Wer lieben kann, hat nie das Liebchen fern.
Schon selig bist du, weil ich dir gefalle.
So hast du mich – und mein und dein sind gleich.
Dies Engelheim, die blaue Aetherhalle,
Ist deiner Sehnsucht heimlich Innenreich.
Und alle Sehnsucht soll Erfüllung werden.
Was einer liebt, das wird er selber sein!
Der Erdengier gebührt das Reich der Erden –
An Erde klammert sich das Totenbein.
Zwar wirst auch du, am Glasberg hingesunken,
Den Stürmern gleich, wie Fackelbrand verglühn –
Doch aus der Asche soll dein Heimwehfunken
Beseligt still zur Sternenheimat sprühn.«
[521]
Buchempfehlung
Ein reicher Mann aus Haßlau hat sein verklausuliertes Testament mit aberwitzigen Auflagen für die Erben versehen. Mindestens eine Träne muss dem Verstorbenen nachgeweint werden, gemeinsame Wohnung soll bezogen werden und so unterschiedliche Berufe wie der des Klavierstimmers, Gärtner und Pfarrers müssen erfolgreich ausgeübt werden, bevor die Erben an den begehrten Nachlass kommen.
386 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro