Zweiter Auftritt

[61] Die Vorigen. Emmy tritt ihrem Vater zur Linken.


ALLE. Es lebe die Braut! Emmy Perth lebe hoch!

PERTH. Was ist das, du siehst ja so traurig aus, Emmy? Eine Braut muß fröhlich sein. Er spricht leise mit ihr weiter.

BLUNT. Ja, eine Braut muß ein fröhliches Gesicht haben! Weißt du noch, Suse, wie du Braut warst –

FRAU BLUNT. J, so schweig doch still!

BLUNT. Damals hatt'st du ein ganz andres Gesicht, ein ganz andres Gesicht!

FRAU BLUNT. Mußt du denn immer reden!

BLUNT. Ja, wenn ich nicht reden soll, da muß ich trinken Er ergreift ein Glas und trinkt.

Frau Blunt macht eine abwehrende Bewegung.

Alle setzen sich, teils erzählen sie sich leise, teils verhalten sie sich ruhig.

Ein Teil der Bauern, Bäuerinnen, Tänzer und Tänzerinnen verliert sich unauffällig nach rechts und links.

Aufwärter räumen während des Liedes die Tische und Stühle hinten lautlos und wenig bemerkt weg.


PERTH. Nun, Emmy, was fehlt dir denn? Er tritt mit ihr vor.

[61] Nr. 11. Lied.


EMMY.

Dort an jenem Felsenhang

Lauschte ich den Weg entlang,

Georgen zu erspähen;

In der Abendsonne Strahl

Glüht und zittert Berg und Thal,

Er läßt sich nicht sehen!

Wenn beim frohen Hochzeitsfest

Mich der Bräut'gam warten läßt:

Soll mich das nicht traurig machen?


Dort im Strauch mit süßem Schall

Lockt und girrt die Nachtigall,

Und er ist noch ferne;

Durch der Bäume grünes Reis

Lauscht der Vollmond; still und leis'

Flimmern schon die Sterne!

Alles zeigt, der Abend kam,

Und noch fehlt der Bräutigam:

Soll mich das nicht traurig machen?

PERTH spricht. Ei nun, er wird schon kommen! Du weißt, daß heute des Fräuleins Geburtstag war, und da konnte der arme Junge gewiß nicht so zeitig fortkommen.

EMMY. So ein vornehmes Fräulein möchte ich sein, Vater; da ließ mich George gewiß nicht warten. Sie geht mit Perth zurück und beobachtet nach links, ob George kommt.

BLUNT der mit Gadshill, Green und Scrop am Tisch rechts sitzt. Er wird schon kommen, sag' ich euch. Eine Braut ist wie eine volle Flasche Wein, die vergißt man nicht.

GREEN der leise mit Scrop gesprochen hat. Ja, ja, wie ich Euch sage, Nachbar Scrop, in der vergangenen Nacht! Er steht auf.

SCROP ebenso, auffällig laut. Das wäre ja entsetzlich!

Alle Sitzenden stehen neugierig auf.

Aufwärter räumen unauffällig auch den Tisch und die Stühle links weg; nur der Tisch und die Stühle rechts bleiben stehen.


PERTH kommt vor. Nun, was giebt's denn hier?[62]

SCROP. Green erzählt eben, die Tochter des reichen Berkley, drei Stunden hinter Davenaut, sei vergangene Nacht durch einen Vampyr umgebracht worden.

Green tritt in die Mitte.


ALLE versammeln sich um Green. Wie? Was sagt Ihr? Ein Vampyr?

GREEN. Nicht anders; ich war heute Morgen dort. Die Tochter war Braut, heute sollte die Hochzeit sein. In der Nacht, Glock' zwölf Uhr, vermißt der Vater die Tochter, alles wird gleich aufgeboten, sie zu suchen! Endlich findet man sie tot in der Vampyrhöhle.

EMMY. Das arme Mädchen!

FRAU BLUNT. Hat man denn den Vampyr auch gefunden?

GREEN. Freilich, der Vater hat ihn totgestochen.

FRAU BLUNT. Gott sei Dank!

GREEN. Ja, was hilft das, so ein Geschöpf ist ja nicht umzubringen! Sticht man's heute tot, so steht es morgen wieder lebendig auf!

SCROP zu Green. Habt Ihr schon einmal einen Vampyr gesehen?

GREEN tritt an Emmy vorüber zwischen Perth und Scrop. Nein, Gott sei Dank! Aber ich habe mir sagen lassen, sie sollen totenblaß aussehen, und ihre Opfer am liebsten im Mondenschein aufsuchen, weil dieser eine heilbringende Kraft für sie hat und sie unter seinem besonderen Schutze stehen.

EMMY. Meine selige Großmutter hat mir oft ein altes Märchen von einem Vampyr erzählt.

Die Mädchen umgeben Emmy im Halbkreis.

Die Männer stellen sich hinter ihnen auf.


DIE MÄDCHEN. Ach, laßt hören, laßt hören.[63]

EMMY. Aber es ist schon ganz dunkel!

SCROP. Desto besser! Im Dunkeln hören sich solche Geschichten am besten an.

Nr. 12. Romanze.


EMMY.

Sieh, Mutter, dort den bleichen Mann

Mit seelenlosem Blick.

Kind, sieh den bleichen Mann nicht an,

Sonst ist es bald um dich gethan,

Weich' schnell von ihm zurück!

Schon manches Mägdlein, jung und schön,

That ihm zu tief ins Auge sehn,

Mußt' es mit bittern Qualen

Und seinem Blut bezahlen!

Denn still und heimlich sag' ich's dir:

Der bleiche Mann ist ein Vampyr!

Bewahr' uns Gott auf Erden,

Ihm jemals gleich zu werden!

CHOR.

Denn still und heimlich sag' ich's dir:

Der bleiche Mann ist ein Vampyr!

Bewahr' uns Gott auf Erden,

Ihm jemals gleich zu werden!

EMMY.

Was, Mutter, that der bleiche Mann?

Mir graust vor seinem Blick!

Kind, sieh den bleichen Mann nicht an,

Viel Böses hat er schon gethan,

Drum traf ihn solch' Geschick!

Und ob er längst gestorben nun,

Kann er im Grabe doch nicht ruhn,

Er geht herum als bleiche,

Lebend'ge grause Leiche!

Denn still und heimlich sag' ich's dir:

Der bleiche Mann ist ein Vampyr!

Bewahr' uns Gott auf Erden,

Ihm jemals gleich zu werden![64]

CHOR.

Denn still und heimlich sag' ich's dir:

Der bleiche Mann ist ein Vampyr!

Bewahr' uns Gott auf Erden,

Ihm jemals gleich zu werden!

Mondschein verbreitet sich allmählich.


EMMY.

Wie dauert mich der bleiche Mann,

Wie traurig ist sein Blick!

Kind, sieh den bleichen Mann nicht an,

Sonst ist es bald um dich gethan,

Weich' schnell von ihm zurück!

Er geht herum von Haus zu Haus,

Sucht sich die schönsten Bräute aus,

Zeigt eine sich gewogen,

So wird sie ausgesogen!

Denn still und heimlich sag' ich's dir:

Der bleiche Mann ist ein Vampyr!

Bewahr' uns Gott auf Erden,

Ihm jemals gleich zu werden!

CHOR.

Denn still und heimlich sag' ich's dir:

Der bleiche Mann ist ein Vampyr!

Bewahr' uns Gott auf Erden,

Ihm jemals gleich zu werden!

EMMY.

Es lacht mich an der bleiche Mann

Und heitrer wird sein Blick.

Kind, siehst du ihn noch immer an?

Weh mir, es ist um dich gethan,

Weich' schnell von ihm zurück!

Sein erster Blick, mit Todesschmerz

Durchzuckte er dein frommes Herz,

Ach, laß dadurch dich warnen,

Sonst wird er dich umgarnen!

Denn still und heimlich sag' ich's dir:

Der bleiche Mann ist ein Vampyr!

Bewahr' uns Gott auf Erden,

Ihm jemals gleich zu werden![65]

CHOR.

Denn still und heimlich sag' ich's dir:

Der bleiche Mann ist ein Vampyr!

Bewahr' uns Gott auf Erden,

Ihm jemals gleich zu werden!

EMMY.

Das Mägdlein folgt dem bleichen Mann,

Es lockte sie sein Blick;

Hört nicht der Mutter Warnen an,

Und bald war es um sie gethan,

Nie kehrte sie zurück!

Ein Opfer ward sie seiner Lust,

Mit blut'ger Spur an Hals und Brust

Fand man den Leichnam wieder;

Sie fuhr zur Hölle nieder!

Nun geht sie selber, glaubt es mir,

Umher als grausiger Vampyr!

Bewahr' uns Gott auf Erden,

Ihr jemals gleich zu werden!

CHOR.

Nun geht sie selber, glaubt es mir,

Umher als grausiger Vampyr!

Bewahr' uns Gott auf Erden,

Ihr jemals gleich zu werden!

Lord Ruthwen kommt in einen großen Mantel gehüllt, langsam und unbemerkt während der letzten Takte von links hinten vor der Terrasse und tritt unter die Leute.


Quelle:
Heinrich Marschner: Der Vampyr. Dichtung von Wilhelm August Wohlbrück, Leipzig [o. J.], S. 61-66.
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