129. Auf eine Debora unter dem Volk des Herrn

[361] 1734.


Du Oel-Kind hör', ich preise meine Liebe

Die Meine, Deine und der Brüderschaft,

Für ihre an dich angewandten Triebe,

Für ihren Blik der Gnade und der Kraft.

Die Gnade macht dich weinen,

Die Kräfte glühn und scheinen,

Nun kommt das Oel dazu,

Und will dein Amt mit Jesu Christi Seinem

Vereinigen, damit es Wunder thu.


Der Heer-Fürst ist dein Mann, du Tochter Gottes,

Wir haben billig Lieb und Furcht für dich;

Die Streiter tragen Seinen Theil des Spottes,

Die Braut zeigt ihren Blut- und Salbungs-Strich.

Der Freund, der ihr gewogen,

Hat ihr den Strich gezogen,

Indem Er sie umfaßt,

Indem sie an der Mutter Brust gesogen,

Indem ihr Herz und Seines eingepaßt.
[361]

Was soll ich dir zu deinem Tage sagen?

Es wird mir schwer, die Worte fehlen mir.

Denn erstlich weiß ichs nicht so vorzutragen,

Als ichs in meinem Herzen drinne spür.

Zum andern, o du Dirne

Mit der gesalbten Stirne!

Wir sind beynahe eins.

Wir wachen beide über Zions Thürne,

Bald führest du mein Amt, bald führ ich deins.


Nach dieser Pflicht und anbefohlnen Gnade,

Geliebte Schwester, so ermahn ich dich,

Zu wandeln auf dem gleichgemachten Pfade,

Dem Haupt und der Gemeine würdiglich,

Und keine Kraft zu sparen,

Ob du gleich nach den Jahren

Kaum Jünglings-mäßig bist,

Da du geboren wardst1 hab ich erfahren

Was Fleisch und Blut des Menschen-Sohnes ist.


Du köntest billig mehr von mir begehren,

Als du bis itzo noch an mir gesehn,

Weil meine Tage schon so lange währen,

Und mir so manche Gnade schon geschehn.

Doch der mein Herze kennet,

Und mich zum Knecht ernennet,

Der weiß, wie schwer es geht,

Und wie hingegen Er mit dir gerennet,

Und dich schon lange an Sein Creutz erhöht.


So gehe dann in dieser selgen Führung

Das künftge Jahr mit grossen Schritten fort,

Erfahre Seine wesentliche Rührung,

Und blikke manchmal nach dem Ruhe-Port:

Doch laß es bey den Blikken,

Und fleißigem Beschikken[362]

Der oberen Gemein,

Du aber mußt dich nicht vom Ort verrükken,

Und froh, und arbeitsam, und innig seyn.


Wenn du einmal wirst ausgewirket haben,

So wirst du Zeit genug im Schoosse ruhn:

Das ist der Zwek von unsren Zeugen-Gaben,

Daß wir, weils Tag ist, etwas sollen thun.

Nun bete Du: Hegai,

Hier ist mein Mardachai

Und ich bin Deine Magd,

Wir wollens machen wie Dein Knecht vor Ai,

Mach Du es wie Dein Knecht zu Gilgal sagt.

Fußnoten

1 Im November 1715.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 361-363.
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