Siebenter Auftritt.

[115] Die Vorigen. Falieri.


PAROZZI.

Ha, bist du's? Warum so spät?

Nun fehlt uns noch Contarino

Und Abbate Tolomeo.

FALIERI.

Wartet nicht auf Tolomeo,

Denn er ist beim Nuntius.

PAROZZI.

Um den Handel abzuschließen,

Den wir gestern ihm geboten?

Alles, Alles geht vortrefflich.

Schon die meisten Klöster wirken

Für uns thätig auf das Volk.

Rom verleiht uns Gold und Segen

Für die Hoffnung, daß wir bald

Die Gewalt des heil'gen Stuhls

In Venedig mehren werden.

Auch das Arsenal ist unser,

Jeden Tag, wann wir es fordern.

FALIERI.

Wirklich? O du Tausendkünstler!

Ist der alte, blöde Fuchs[115]

In die Eisen dir gelaufen?

Sprich doch!

PAROZZI.

Er hat angebissen!

Lange sperrte sich der Hauptmann!

Endlich rollt' ich sein Gewissen

Ohne Müh, wie einen Faden,

Ueber hundert kleine Rollen

Voller goldenen Dukaten.

MEMMO.

Und nicht zu vergessen, Leutchen,

Immer ärger schimpft Janhagel

Auf den Dogen und sein Kleeblatt.

Seht doch, heißt es, den Tyrannen!

Herrscht er nicht mit Eigenmacht

Unbedingter, als ein König?

Müssen nicht die Signoria,

Die Pregadi und Quaranti,

Und die Savi und die Capi,

Stumm nach seinem Pfeifchen tanzen?

Sind nicht die Inquisitoren,

Und der ganze Zehner-Rath

Sammt und sonders, Gliederpuppen,

Welche die Holzköpfe schütteln,

Heben, bücken, nicken lassen,

Wie er sie am Drahte zupft?

FALIERI.

Alle Karten liegen gut!

Nur einmal das Spiel begonnen!

PAROZZI.

Doch bei Bechern nicht und Mädchen,[116]

Und nicht an der Pharobank,

Wird die Kraft der Republik,

Und die Freiheit hergestellt.

Kinder, es ist hohe Zeit!

Täglich stürzen wir uns tiefer

In das weite Meer der Schulden,

Wo zuletzt der beste Schwimmer

Jämmerlich ertrinken kann.

MEMMO.

Freilich; ja! Das sag' ich immer,

Morgens aus den schönsten Träumen

Pochen Gläubiger mich wach!

Abends schläfern sie mich wieder

Mit Jeremiaden, ein.

FALIERI.

Sämmtlich sind wir Patienten

In dem gleichen Lazareth.

MEMMO.

Seht Ihr, sagt' ich Euch nicht immer:

Lasset uns fein züchtig leben?

Aber das war Wind in Wind.

PAROZZI.

Kyrie Eleïson!

Schweigt von Eurer Reu' und Buße!

Wollet Ihr, wie Cato, Brutus,

Für die Republik Euch wagen?

Oder feigen Knaben gleichen,

Die, der Ruthe zu entwischen,

In der Herzensangst, den Aeltern

Ueberm Kopf das Haus verbrennen?

Meinerseits beklag' ich nicht,[117]

Daß ich etwas Wildfang war;

Nicht mit andern Alltagsmenschen

Hinterm Tisch zusammenschnurrte,

Federn schnitzte, Männchen malte

Und vor einer Maus erschrack.

Kühne Geister unserer Art

Sind der faulen Welt vonnöthen,

Wie Sturmwinde der Natur,

Die den stillen Sumpf der Luft

Frei von giftg'en Dünsten fegen.

Geister unsers Gleichen treiben

Die Gewohnheit aus dem Gleise,

Brechen, was unhaltbar ist,

Daß das Bess're Raum gewinne;

Spornen Kräfte, wecken Leben,

Und beflügeln neu das Streben

Der entschlafften, trägen Menschheit

Zu den Zeilen der Vollendung.

MEMMO.

Ganz vortrefflich! Unterdessen,

Eh' wir für die Menschheit sorgen,

Thu'n wir, glaub' ich nicht gar übel,

Erst an unser Haus zu denken. –

Wie, wenn all' die schönen Plane

Für Venedigs Freiheit scheitern?

Wie, wenn das Despotenjoch,

Das wir zu zerbrechen schwören,

Stärker hält, als wir vermuthen?

Seht, ein Feldherr vor der Schlacht

Hält zwar nur den Sieg im Auge,[118]

Doch bereitet er mit Umsicht

Auch den sichern Rückzug vor.

PAROZZI.

Jetzt liegt, Alles gegen Alles,

Da, auf einer einz'gen Karte.

Mög' es enden, wie es wolle,

Mit Verderben oder Sieg,

Stets, und das bleibt unser Trost,

Endet glanzvoll unsre Rolle.

Hinter sich darf Niemand schau'n;

Jedem von uns droh'n im Nacken

Schand und Elend oder Tod.

Vor uns aber winkt ein Ziel,

Werth, das Leben dran zu setzen.

Alles schon ist angebahnt,

Jeder Zufall schon berechnet;

Und die Augen uns'rer Feinde

Sind durch Zauberhand geblendet,

Bis die Pulvermine springt,

Und der Abgrund sie verschlingt. –

Alles oder nichts! va banque!

Bald entweder stehen wir glorreich,

Schöpfer einer neuen Schöpfung;

Oder wir, und unsre Feinde,

Finden gleichen Untergang

Im Zusammensturz des morschen

Tausendjährigen Gebäu's!

Und die alterthümlichen

Ungeheuren Trümmer werden

Uns ein majestätisch Grab.[119]

MEMMO.

Majestätisch oder nicht;

Grab bleibt doch am Ende Grab.

FALIERI zu Memmo.

Sieh, Parozzi möchte sagen:

Wenn's mit Brutus hinken will,

Muß man Catilina spielen.

Und am Ende hat er Recht.

Oder sollten wir, wie andre

Arme Schlucker unsers Adels,

Säck' aus unsern Mützen machen,

Um vom Markt uns selber drin

Mageres Gemüs zu betteln?

MEMMO.

Horch! – Mir däucht, die Pforten gehn!

Das ist Riegelschlag, Parozzi!

PAROZZI.

Still! der schreitet schwer und langsam

Durch den Gang. Es ist ein Fremder.


Eilt zur Thüre.


FALIERI.

Wenn's nicht Tolomeo ist!


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 115-120.
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