Erster Auftritt.

[136] Der Doge wandelt schwermüthig auf und ab. In einiger Ferne Flodoardo nachdenkend an einen Baum gelehnt.


DOGE bleibt steh'n, trocknet die Augen.

Wirklich? – Thränen? Seltne Gäste,

Seit der Knabenzeit mir fremd!

O, der Mittag meiner Jahre

Ist vorbei! Der Abend kömmt.

Nur der Morgen und der Abend

Pflegen ihren Thau zu weinen;

Und der Greis ist wieder Kind.

Nein, ich würde so nicht trauern,

Waffenbruder, mein Canari!

Hätt' in offner See- und Landschlacht

Dir ein Todesengel lächelnd

Des Vollenders Kranz gereicht.

Aber du, so schmählich, meuchlings,

In dem mitternächt'gen Schlummer

Hingewürgt von tück'scher Faust;

Aus dem Bett, aus dem Palaste[136]

Bei den silbergrauen Locken

Jammervoll hinausgerissen,

Und ins Meer hinausgeworfen ...

O entsetzlich! – Warum schlief

Diese Nacht der Vorsicht Auge?

Warum hat des Schicksals Weisheit

Diesen makellosen Greis

An des Mörders Dolch geliefert,

Und, gewogner dem Verbrecher,

Diesen seiner Straf' entrückt?

Was frommt Gottesfurcht auf Erden,

Wenn der Himmel mit den Sündern

Gegen Heil'ge sich verschwört?


Er verhüllt das Gesicht.


Ruhig, Alter! – Ruhig, Wahnsinn!


Indem er Flodoarden erblickt, und sich ermannt, nach einer Pause.


Ihr noch immer dort, Herr Ritter?

FLODOARDO herankommend.

Mein erlauchter Herr und Fürst!

DOGE.

Eure Trauer ist gerecht,

Meinen Freund hab' ich verloren;

Ihren Stolz die Republik!

Aber Ihr verlort den Vater!

Es entehrt des Mannes Wange

Nicht die Thrän' um solches Gut.

Doch verbannt das stumme Brüten

Dieses unfruchtbaren Grams.

Geht, und heilt ihn durch den Zorn[137]

Um die gräuelvolle That,

Bis das schwarze Blut des Mörders

Unterm Henkerbeile fließt,

Und die satte Rache wieder

Euch die erste Freude gönnt.

FLODOARDO.

Der soll nimmer uns entrinnen!

Ganz Venedig lärmt empört.

Hunderttausend Augen forschen

Auf dem Land und auf dem Meer

Nach dem Bösewicht umher.

Und in allen Häusern schallet

Laute Klage um Canari;

Denn er war der Schutzgeist Aller ...

Und ich – durft' ihn Vater nennen.

DOGE.

Kaum nur wißt selbst Ihr, wie brünstig

Euch das edle Herz geliebt hat;

Mit wie glänzenden Entwürfen

Es sich trug für Eure Zukunft.

Selbst zum Erben seiner Güter

Waret Ihr von ihm erlesen. –

Doch er ist nicht mehr! – So nehm' ich,

Als Vermächtniß des Erwürgten,

Euch an meinem Herzen auf.

Immer blieb ich noch der Schuldner

Eurer Waffenthat auf Corfu,

Und der Rettung Rosamundens. –

Kommt – gebt mir Canari's Platz –

Nennt mich Vater. Seid mir Sohn.[138]

FLODOARDO.

O mein Fürst, werd ich mich je

Solcher Gnade würdig finden?

DOGE.

Dankbarkeit ist keine Gnade;

Und unwürdig meines Herzens

Kann der Retter Rosamundens,

Kann Canari's Sohn nicht sein.

FLODOARDO.

Aber, wenn ich's jemals würde! –

Ach, wer darf fürs Schicksal bürgen,

Und fürs schwache Herz des Menschen?

Wenn sich je, durch meine Schuld,

Eure unverdiente Huld

Wider mich in Fluch verkehrte! ...

Vatersegen baut den Kindern

Freudenhütten hier auf Erden;

Aber Vaterfluch schreit Sündern

Bis zum Weltgerichte nach.

DOGE.

Eure Rede däucht mir seltsam.

Was bewegt Euch, mehr den Fluch,

Der Euch nicht bedräut, zu fürchten,

Als, was gern ich will gewähren,

Meinen Segen zu begehren?

FLODOARDO vor ihm hinkniend.

O, ich fleh' um diesen Segen,

Theurer Fürst und Herr, und – Vater!

DOGE gerührt.

Gott mit Euch. – Von Herzensgrunde

Wie ein Vater für den Sohn,[139]

Wünsch' und bet' ich um Gedeihen

Vor der ew'gen Liebe Thron;

Möge mild des Herren Engel

Eure Wege vorbereiten;

Möge selbst des Lebens Trübsal

Euch nur heiligen und läutern.

Tausendfält'ge Früchte soll

Eurer Thaten Aussaat bringen;

Selbst des Feindes Tück' und Mißgunst

Helfe Euch zum Wohlgelingen;

Daß der Fallstrick Euern Füßen

Eine Leiter, und das Gift

Euern Wunden Balsam werde.

Flodoardo Mocenigho,

Bess'res kann ich nicht gewähren!

Und der Himmel wird erhören.

Stehet auf, mein Sohn, und werdet

Meines Alters treuer Stab.

FLODOARDO bleibt noch in tiefer Rührung auf den Knieen, und küßt die Hand des Dogen mit Inbrunst.

O zu viel! – Wie kann ich's meiden,

Daß Euch nie mein Undank kränkt? ...

Ich bin Mensch; nicht sündenrein ...

DOGE.

Ich bin Mensch, und kann verzeih'n!

Mahnt mich einst an diese Stunde.

FLODOARDO steht auf.

O mein väterlicher Fürst,

Diese Huld vernichtet mich! ...[140]

Meine Sprach' erlischt im Seufzer;

Mein Gedanke wird zur Thräne ...

DOGE seine Hand drückend.

Thaten sind die besten Zungen.

Sprecht durch sie zu mir, als Sohn.

Gebt, als Sohn, mir einst Ersatz,

Wenn die Freude meines Alters,

Meine Tochter ... von mir scheidet.

FLODOARDO betroffen.

Scheidet? Wie? ...

DOGE.

Nun darf ich wohl

Das Geheimniß Euch entschleiern.

Doch Geheimniß soll's noch bleiben! – –

Herzog Carlo von Savoyen,

Fürst von Piemont, bewirbt

Sich um Rosamundens Hand.

Er erblickte meine Nichte

Auf dem letzten Carneval,

Und es ward seit jenem Tage

Rosamunde seine Wahl.

Ihr begreift, das Haus Savoyen,

Alt und groß und immer wachsend,

Mächt'gen Königen verwandt,

Mit dem Anspruch auf Morea,

Ja sogar auf Cyperns Krone,

Wird der Republik zu wichtig!

Eine Tochter von Venedig

Auf der Savoyarden Throne[141]

Gibt dem Löwen von St. Marcus

Neue Würd' und neue Stärke.

FLODOARDO.

Ich erkenn' es ... allerdings ...

Also förmlich schon ...

DOGE.

Noch nicht.

Alles Unterhandeln geht

Durch den Weg vertrauter Schreiben

Bis zur Reife des Geschäfts.

Nur das jungfräuliche Sträuben

Meiner Nichte, oder ihre

Allzutreue Zärtlichkeit

Für den Oheim, hindern noch

Die Vollziehung unsers Wunsches.

Aber Rosamunde wird

Endlich ihrem Vaterlande

Opfer bringen. Ehrfurcht zollt sie

Dem Gebot der Staatsklugheit.

Dennoch, nur mit Furcht und Zittern,

Denk' ich, daß erfüllet wird,

Was ich wünsch' und wünschen muß,

Wenn der fürstliche Gemahl

Einst das hochgeliebte Kind,

Meines Lebens Lust, mir nimmt,

Und die Braut er von Venedig

In die eigne Hauptstadt heimführt;

O, fürwahr, dann bin ich, dann

Ein verwaister, alter Mann!

Dann bedarf ich eines Sohnes,

Der mich liebt, wie sie mich liebte.[142]

FLODOARDO.

Wenn es mir auch möglich wäre,

Ihre Zärtlichkeit für Euch,

Gnäd'ger Fürst, zu überbieten,

Dennoch könnte nimmermehr

Auch der reinste Engelwillen

Die erfinderische Sorgfalt

Ihrer Liebe übertreffen:

Niemand ihre zarte Vorsicht

Und die Anmuth ihres Pflegens.

O, sie weiß es. Darum kann sie,

Wird sie nie den theuern Oheim

Fremder Liebe überlassen.

DOGE.

Das ist Rosamundens Sprache.

Aber ihren Eigensinn

Sollt nicht Ihr mit solchen Reden

Zur Halsstarrigkeit verziehn.

Es ist meiner Nichte würdig,

Höheres dem Staat zu leisten,

Als die Krankenwärterin

Eines greisen Manns zu werden.

Ja, ich hoffe, täuscht mich nicht!

Mit entscheidendem Gewichte

Soll einst Euer Wort mit Ansehn

Meinen Wünschen bei der Nichte

Den vermißten Nachdruck geben.

FLODOARDO.

Werd' ich ... kann ich ... die Erwartung ...[143]

DOGE.

Dankbar pflegt sie Euch zu ehren,

Wie sehr billig ist und recht;

Und es wiegt das kleinste Wort

Ihres muthigen Befreiers

In der Wagschal' ihres Urtheils

Schwerer, denn das Flehn der Andern.

Wird sie aber nun vernehmen,

Was Ihr mir geworden seid;

Daß ich, als verwais'ten Sohn

Des ermordeten Canari,

Euch zu mir ans Herz gezogen,

Ins Geheimniß unsers Hauses

Selbst Euch eingeweihet habe:

Dann wird allgemach auch sie

Trauter Euch entgegen treten;

Und Ihr habt das Recht gewonnen,

Ihr ein freies Wort zu sprechen.

Still! dort unter den Cypressen

Naht sich Dandolo. Er sucht mich.

Lasset ihn allein mit mir.

FLODOARDO ab.


Quelle:
Heinrich Zschokke: Gesammelte Schriften. Band 15, Aarau 1865, S. 136-144.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Bozena

Bozena

Die schöne Böhmin Bozena steht als Magd in den Diensten eines wohlhabenden Weinhändlers und kümmert sich um dessen Tochter Rosa. Eine kleine Verfehlung hat tragische Folgen, die Bozena erhobenen Hauptes trägt.

162 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon