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[158] Der Doge. Abbate Tolomeo.
DOGE steht still, wie er ihn erblickt.
Ah! Er ist es! – Ich will bleiben.
Schon der Anblick eines Beters
Weckt den Frohsinn im Gemüth,
Und zieht unsre Andacht nach.
TOLOMEO wendet, wie zufällig, das Gesicht; sieht den Dogen und erhebt sich langsam von den Knien.
DOGE nähert sich.
Ich beklag' es, wenn ich Eure
Stille Andacht unterbrach.
TOLOMEO erwiedert durch verbindliche Verbeugung.[158]
DOGE.
Ich vernahm durch meine Nichte,
Daß Ihr mich gesucht, Herr Abt.
TOLOMEO.
Pflicht und Freude, Eurer Durchlaucht
Einen schwachen Dienst zu leisten,
Führte mich zur Insel her.
Heut empfing ich aus Turin,
Von dem Erzbischof ein Schreiben.
Er berichtet: länger könne
Nicht der Herzog von Savoyen
Seiner Sehnsucht widerstehn,
In Venedig Euch zu sehn.
Zwar es rufen ihn Geschäfte
Erst gen Rom, zum heil'gen Stuhl;
Doch von dannen, ohne Weilen,
Will er nach Venedig eilen.
DOGE.
Meinen Dank für diese Botschaft.
An dem heut'gen Tag der Trauer
Hat sie Doppelwerth für uns.
TOLOMEO.
Ich verstehe. Tief und schmerzvoll
Beugte Euch des Schicksals Hand
Heute durch den Tod des Freundes,
Aber in Gebet und Demuth
Werfet Eure Zentnerlast
Vor den Thron des Ew'gen nieder,
Und sein Engel wird erscheinen
Und Euch, aus dem Kelch des Glaubens,
Balsam in die Wunde gießen.[159]
DOGE.
Eine Wunde, frommer Herr,
Bei schon winterweißen Haaren,
Kann zur Noth wohl auch verharrschen;
Heilen aber wird sie nimmer.
Junges Fleisch benarbt sich schnell;
Altes schwer; es läßt dem Tode
Immer gern das Thürlein offen.
Was ein Jüngling einbüßt, kann er,
Auf der weiten Lebensstrecke,
Wieder zu gewinnen streben;
Nicht der Greis, zwei Zoll vom Grabe.
Doch ich murre nicht, und soll's nicht!
Hab' ich mir doch aus Canari's
Reicher Hinterlassenschaft
Schon den besten Theil genommen.
TOLOMEO.
Edler Dulder, wahrhaft großer!
Eure willige Ergebung
In des Himmels heil'gen Rathschluß,
Dies gelass'ne, stumme Trinken
Aus dem bittern Leidenskelch,
Soll auch mir Unwürdigen
Musterbild im Leiden werden.
Wie sich zufällig erinnernd.
Eure Durchlaucht sprach so eben ...
Doch, das ist bloß Nebensache ...
Von der Hinterlassenschaft
Eures frommen Freundes, glaub' ich;
Und von einem schönen Antheil? ...
Meinen Glückwunsch ...[160]
DOGE.
Geht nicht irre!
Den, für welchen er gern lebte,
Seinen Sohn, die einz'ge Freude
Seines Alters, wählt' ich mir.
Diesem will ich Vater werden.
TOLOMEO.
Heil dem Manne, der der Waisen
Und der Wittwen sich erbarmt!
Das ist ein gottselig Werk.
Seinen Sohn? – Wie Jeder glaubte,
Starb der Signor Prokurator
Unvermählt? – Ein Sohn also ...
Wie's die Welt nennt: – Kind der Liebe?
DOGE.
Wohl! im edlern Sinn des Wortes.
TOLOMEO.
Edel? Ach mein theurer Fürst,
Mancher Adel ist auf Erden,
Dessen Stammbaum man im Himmel
Gar nicht kennt und kennen will.
Also unterlag Canari
Einer sündlichen Versuchung!
Und er fuhr in Sünden hin,
Ohne Absolution! – –
Lasset hundert Messen mehr
Für die arme Seele lesen.
DOGE.
Nein, hochwürd'ger Herr, Ihr deutet
Meine Worte falsch. Es ist
Rede hier von einem Jüngling,[161]
Der ihm lieb war, wie sein Kind;
Von dem Ritter Flodoardo.
TOLOMEO.
So? Verzeihung, daß ich irrte!
Ist's der junge Florentiner?
DOGE.
Eben er! Von Euerm Alter!
Tapfer, muthig, ohne Gleichen,
Wie ein alter Paladin;
Bieder, klug – ein wahres Glückskind!
Was er anrührt, wird zu Golde;
Was er unternimmt, gelingt.
TOLOMEO.
O, ich kenn' ihn und verehr' ihn!
Möchte Euch des Himmels Gnade
Durch ihn segnen, theurer Fürst;
Möchte Eure edle Nichte,
Ist sie ihm einst anvermählt,
Jedes Glück an seiner Seite ...
DOGE unterbricht ihn.
He, davon ist keine Rede.
TOLOMEO.
Keine? – doch sagt ganz Venedig,
Daß dem selt'nen Mann gelungen,
Was bisher den reichsten Werbern,
Was sogar auch Fürsten fehlschlug:
Rosamundens Herz zu rühren.
DOGE.
Thorheit, sag' ich, ist's; Verleumdung![162]
TOLOMEO.
Wirklich? Nun, ich glaub' es gern;
Denn die Welt liegt tief im Argen!
Freilich scheint es wohl bedenklich,
Daß so manche Augenzeugen
Wunderbar geblendet wurden.
Mißgunst, Neugier, Eifersucht,
Tragen sonst doch scharfe Ballen!
DOGE.
Und was sah'n sie?
TOLOMEO.
Nichts besondres;
Nichts als das Gewöhnliche
Zwischen einem jungen Paare,
Das schon einverstanden lebt:
Stilles Seufzen und Erröthen; ...
Stummes Deuten, Augenwinke; ...
Selbstvergess'nes Für-sich-Träumen
In der heitersten Gesellschaft;
Rasches Wechseln, wie bei Trunknen,
Zwischen Lustigkeit und Wehmuth; –
Oeftres Sichzusammenfinden,
Immer, wie durchs Ohngefähr.
DOGE in Gedanken verloren.
Sah man das? ... Ich weiß es nicht.
TOLOMEO.
Ah, in dem Fall wird es Pflicht,
Das Geschwätz zu widerlegen.
Denn daß jener junge Mann Euch,
Da Ihr ihn so zärtlich schirmt,
Hinterlistig, frech verrathen, –[163]
Daß er sich vermessen hätte,
Nach des Herzogs eigner Nichte
Seine Schlingen auszuwerfen ...
Himmelschreiend wäre das!
DOGE.
Meine Nichte also, sagt man ...
TOLOMEO ausweichend.
Afterrede bloß, – Verleumdung!
Der Gerechte muß viel leiden.
Will sich Niederträchtigkeit
Ueber das Gemein' erheben,
Geht sie, als Verleumdung, auf;
Speit und lästert. Wenn der Koth
Staub wird, steigt er stolz empor
Und bedeckt die Wiesenblumen
Und des Tempels goldne Kuppeln
Mit – sich selbst.
DOGE.
Ihr habet Recht.
Unterdessen wird mir wichtig,
Der Geschwätze Grund zu kennen.
Sehr gelegen deshalb kömmt
Eben Donna Iduella,
Wie ich sehe gegen uns.
TOLOMEO schnell herumblickend.
Eure Durchlaucht ... ich muß bitten ...
Sehr ... mir Urlaub zu gestatten.
Die gewohnte Stunde schlägt,
Welche mich zur Andacht ruft.[164]
DOGE.
Nur ein Augenblickchen zögert,
Daß Ihr selber ...
TOLOMEO dringend.
Gnäd'ger Herr ...
DOGE gibt das Zeichen der Entlassung.
Sei's! – Es wäre Sünde, wollt' ich
Eurer frommen Neigung Zwang thun.
Schließet mich, hochwürd'ger Herr,
In das heilige Gebet ein.
TOLOMEO ab.
DOGE allein, geht in unruhiger Verlegung einzelne Schritte.
Doch wohl möglich!
Pause.
Nimmermehr!
Was? – Er, den ich an mein Herz nahm,
Eine undankbare Natter? –
Nein, dies denken ist schon Todtschlag.
Pause.
Ja, sehr sonderbar zuweilen!
Läge da des Räthsels Schlüssel
Von des Mädchens Widerstreben?
Ist der Herzog von Savoyen
Ihr verhaßt, weil sie schon wählte?
Wählte? – Wen? – Es macht mich sinnlos.
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