[32] Melodey. Herr Jesu Christ ich weiß gar wohl.
Ich sterb und komme vors Gericht,
Ich muß die Erde meiden;
Allein die Stunde weiß ich nicht,
Wenn ich von hier soll scheiden.
Ist nun mein Geist darzu geschickt,
So werd ich ewiglich erquickt!
Wenn Gott das Urtheil fället.
Ich weiß nicht, wenn der Todes-Schlag
Den Lebens-Baum zernichtet;
Ob sich sein Stamm am hellen Tag,
Zum schnellen Falle richtet:
Ich weiß nicht, welche Zeit er fällt.
Wie nun hiebey der Geist bestellt,
Darnach wirds ihm auch gehen.
Drum bitt ich dich aus Herzens-Grund,
O Herr der Herrlichkeiten
Du wollest mich zur Todes-Stund
Durch deinen Geist bereiten.
Gieb, daß ich sey bey Tag und Nacht
Auf meine Sterbens-Zeit bedacht,
Damit ich nicht verderbe.
Vor allen tilge meine Sünd
Mit Jesu Schweiß und Blute.
Schau Vater auf dein heilig Kind!
Blick auf die Geisel-Ruthe:[32]
Schau seinen Tod! dieß halt ich dir
Mit Buß und wahrem Glauben für;
So kan ich allzeit sterben.
Ist Sünd und Tod auf mich erboßt,
Und will mir Grauen machen;
So komm zu mir mit deinem Trost;
So kan ich ihrer lachen.
Flöß in mein Herz den Lebens-Saft,
Und gieb mir Stärkung, Muth und Kraft;
So kan ich frölich sterben.
Herr! schenk mir deine Freudigkeit
Die Welt mit Lust zu lassen,
Und jene süße Ewigkeit
Mit Freuden zu erfassen.
Gieb mir zu meinem Todes-Schrit,
O Gott! die Glaubens-Flügel mit;
So kan ich seelig sterben.
Laß nicht die Lampe des Gebeths
Verlöschen, noch versiegen:
Laß mich dieß einge, bitt ich stets,
Zu eigen überkriegen;
So ruf ich, wenn mein Faden reißt:
Dir Herr! befehl ich meinen Geist;
So kan ich seelig sterben.
Drum Herr! bereite meine Seel,
Das sie kan allzeit sterben:
Und soll denn meine Leibes-Höhl,
Als wie ein Baum verderben;
So mache mich darzu bereit;
So kan ich in die Ewigkeit
Zu jeder Stunde gehen.
[33]
Ausgewählte Ausgaben von
Poetische Rosen in Knospen
|
Buchempfehlung
»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro