Bedeutung

[146] Bedeutung – Der Aufmerksamkeit der Grammatiker konnte es nicht entgehen, daß die Worte ihrer Disziplin, daß sogar die Worte der ganz gewöhnlichen Sprache einen Inhalt haben, einen Sinn, eine Bedeutung; der Aufmerksamkeit der Logiker konnte es wieder nicht entgehen, daß die Inhalte ihrer Begriffe und die Bedeutungen ihrer Sätze an menschliche Sprache geknüpft sind. Die Folge der einen wie der andern Aufmerksamkeit war, daß recht früh zwischen dem Worte (dem Satze) und seiner Bedeutung unterschieden wurde. Wie zwischen dem Sprechen und dem Denken. Das war eine tote Unterscheidung, ein anatomisches Verfahren, so lange man nicht ausdrücklich bemerkte, daß auch das lebendige Wort eine Bedeutung habe.

Tote Worte gibt es nur auf den Seziertischen der Etymologen und in den Wörterbüchern. Dann auch noch in schlechten Büchern. In der lebendigen Sprache ist das Wort von seiner Bedeutung so wenig zu trennen, wie ein lebender Organismus von seiner »Seele« zu trennen ist; wer erst weiß, daß es eine besondere Seele gar nicht gibt außerhalb der Sprache, der möchte geneigt sein, die Bedeutung die Seele des Wortes zu nennen.

Ein Wort, das keine Bedeutung hätte, wäre also noch kein Sprachwort, wie denn die meisten Worte eines Papageien noch keine Sprachworte sind.

Jedem besonnenen Leser von Wörterbüchern muß es nun auffallen, daß man in einem großem Artikel eines ernsthaften Wörterbuches viele Bedeutungen des Wortes findet, historisch oder logisch geordnet, aber niemals die Bedeutung; je kleiner und elender so ein Wörterbuch ist, desto falscher und irreführender begnügt es sich damit, eine einzige Übersetzung anzuführen, die Bedeutung. Was nun in den kümmerlichsten[146] Hilfsmitteln zur Erlernung oder zum praktischen Gebrauche einer fremden Sprache offenbare Armut ist, was bei Reisen in fremden Ländern die Quelle unendlicher und oft spaßhafter Verwechselungen wird, das Bestreben nämlich, jedes Wort der einen Sprache mit einem Worte der andern Sprache wiederzugeben – das war bis vor kurzer Zeit das Ideal philosophischer Lexika und des philosophischen Wortgebrauchs überhaupt. Der Adept der Philosophie stieß während seiner Reise in das fremde Land des abstrakten Denkens bei jedem Schritte auf Fremdworte, deren Erklärung er sich zunächst aus einem philosophischen Fremdwörterbuche holte; da erfuhr er schnell und zuverlässig die Bedeutung aller philosophischen Termini technici. Je älter der Adept wurde, je fleißiger er Geschichte der Philosophie trieb, d.h. die Originalwerke der bedeutendsten Denker aller Zeiten las, desto deutlicher mußte ihm werden, daß die Termini technici der Philosophie (nebst ihren Übersetzungen und Ersetzungen) eine einzig wahre, eine unveränderliche Bedeutung nicht haben, daß es die Bedeutung neben den Bedeutungen gar nicht gibt. Die neuesten philosophischen Wörterbücher, das deutsche von Eisler und das englische von Baldwin, an die beide ich auch an dieser Stelle den Dank für unzählige Literaturangaben abstatten möchte, haben begriffen, daß die Bedeutung eines Terminus nur aus der Geschichte des Terminus kennenzulernen ist, und bringen zu dieser Geschichte von überall her reichlich Materialien bei; freilich bemühen sich beide Lexika allzu häufig, überdies noch die Bedeutung festzustellen, als ob irgendein Begriff außer in seiner Geschichte noch einmal da wäre. Was man für die gegenwärtige Bedeutung des Wortes ansehen mag, ist doch auch nur à peu près zu bestimmen, wenn man zwischen den miteinander kämpfenden Richtungen der Gegenwart eine Resultierende zieht und sich entschließt, diese Resultierende für die Weltanschauung der Gegenwart oder gar für die endgültige Weltanschauung zu halten; auch die gegenwärtige Bedeutung jedes Wortes ist historisch geworden. Das Wörterbuch der Philosophie, das sich ein philosophisches Wörterbuch nicht zu nennen wagte, kann jedem Versuch einer Wortgeschichte[147] noch eine Kritik der augenblicklichen Bedeutung oder der streitenden Bedeutungen hinzufügen.

Man sieht daraus, was man davon zu halten habe, wenn in ganz modernen Darstellungen der Logik von einer Bedeutung an sich, von einer objektiv-idealen Bedeutung (Husserl) die Rede ist. Obgleich auch da ein Unterschied zugrunde liegt, der, wenn klar festgehalten, das unfruchtbare Suchen nach der Bedeutung hätte beenden müssen. Ich meine den Unterschied zwischen Begriff und Bedeutung.

Man kann von einem Worte sagen, daß es eine Bedeutung habe; wie man von einem Dinge sagen kann, daß es Eigenschaften habe, obwohl das Ding nichts ist außer und neben seinen Eigenschaften. So ist auch das Wort kein möglicher Bestandteil der Sprache mehr, wenn man seine Bedeutung wegdenkt. Die Bedeutung mag richtig oder falsch sein, klar oder unklar, usuell oder okkasionell, allgemein angenommen oder auf einen kleinem Kreis beschränkt, mag der Gemeinsprache oder der Zunftsprache angehören: immer gehört die Bedeutung unablöslich zum Worte und ist in der wirklichen Psychologie des Denkens nicht von ihm zu trennen. Die Bedeutung ist ein rein psychologischer Begriff.

Der Begriff hat nur in der Logik eine Bedeutung. Man kann nicht gut sagen: das Wort hat einen Begriff. Der Begriff ist nicht eine Eigenschaft des Wortes, sondern das Wort selbst, insofern man mit ihm logische Operationen vornehmen will. (Vgl. Art. Begriff.)

Ich wüßte nicht zu sagen, wer zuerst das deutsche Wort Bedeutung in diesem psychologischen Sinne geprägt hat; wenn man davon spricht, daß etwas Unwirkliches, ein Traum z.B., etwas Wirkliches bedeute, so muß man den Traum erst deuten, übersetzen, damit er einen Sinn gebe; so wird bedeuten noch und wurde in ältrer Zeit sehr häufig für interpretieren gebraucht. Für Auslegen von Worten der eigenen Sprache im Verhältnis zu fremden oder dunkeln oder mehrdeutigen Worten. Aus diesem Grunde wäre es sehr verlockend, das Grundwort deuten wie das Wort deutsch von ahd. diot (Volk) herzuleiten,[148] so daß deuten hieße: populär, verständlich machen. Deutsch war schon im Gotischen = heidnisch, volksmäßig; Luther konnte barbaros mit undeutsch übersetzen, im Sinne von undeutlich. (In den Judenschulen ist, wie ich erfahre, die Frage sehr geläufig: »Was ist taitsch?« im Sinne von: »Was bedeutet das?«) Hält man aber die jetzige Bedeutung von deuten für die ursprüngliche, nämlich: weisen, ein Zeichen geben, deiknynai, so könnte (ich kann es nicht belegen) Bedeutung eine alte Übersetzung von connotatio sein, welches Wort im Mittelalter gebräuchlich war und neuerdings durch Mill wieder zum englischen Terminus geworden ist. Es ist nicht richtig, engl. connotation mit Mitbezeichnung oder Nebenbedeutung zu übersetzen; die Vorsilbe be (ahd. bi = nhd. bei) in Bezeichnung, Bedeutung ersetzt schon genügend die lat. Vorsilbe con und hat sie wohl übersetzt; connotation will im Sinne von Mill eben nur den Bedeutungsinhalt eines Wortes ausdrücken, freilich auch daneben den Inhalt im Gegensatze zum logischen Umfang; was connotatio im Sprachgebrauche des Scholastikers mit ängstlicher Unterscheidung ausdrückte, das braucht uns nicht mehr zu kümmern.

Über den Bedeutungswechsel habe ich (K. d. Sprache II, S. 248 ff.) ausführlich gesprochen; zu vergleichen wären Pauls Prinzipien der Sprachgeschichte (3. Aufl. S. 67) und Bréals Essai de Sémantique. Beide Forscher waren es offenbar müde geworden, dem Lautwandel weiter nach vermeintlichen Gesetzen nachzuspüren; Bréal drückt dieses Gefühl in der einleitenden Idée de ce travail sehr hübsch aus: Si l'on se borne aux changement des voyelles et des consonnes, on réduit cette étude aux proportions d'une branche secondaire de l'acoustique et de la physiologie; si l'on se contente d'énumérer les pertes subies par le mécanisme grammatical, on donne l'illusion d'un édifice qui tombe en ruines. Der strengere Paul, der kein minder feines Ohr für die innere Sprachform besitzt als der Franzose, nimmt auf den Zusammenhang mit der geltenden Wissenschaft mehr Rücksicht, begnügt sich auch mit der herkömmlichen Bezeichnung Bedeutungswandel; ob die neue Disziplin nicht besser[149] als Semantik vielleicht Semasiologie hieße, wage ich nicht zu entscheiden; unter jedem Namen könnte sie, fruchtbringender als die Lehre vom Lautwandel, die wertvollsten Beiträge zur Geschichte des menschlichen Denkens geben – wie dieses Wörterbuch hoffentlich auf einigen Seiten.

Die englische Bedeutungslehre (significs) steht einer Kritik der Sprache nicht gar fern. Sie unterscheidet genau zwischen der usuellen Bedeutung (dem herrschenden Sprachgebrauche), der individuellen Bedeutung (der Absicht des Redners oder Schriftstellers beim Gebrauche eines Wortes) und der Wertbedeutung einer Vorstellung. In diesem letzten Sinne ist bedeutend ein Lieblingswort des alternden Goethe gewesen; schon Jacob Grimm hat diesen individuellen Sprachgebrauch liebevoll und fast zärtlich gebucht: »Goethe führt das Wort zu oft im Munde, als daß es nicht aus der lebhaftem Vorstellung des Anbetenden, ahnen Lassenden unvermerkt, obwohl unverschwendet, in die abgezogenere des Wichtigen, Entscheidenden, Ausgezeichneten, Großen, übergegangen wäre;« und Grimm bemerkt auch schon, daß in der Gemeinsprache unbedeutend (= insignifiant) früher da war als dieses bedeutend (= significans).

Quelle:
Mauthner, Fritz: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 21923, Band 1, S. 146-150.
Lizenz:
Faksimiles:
146 | 147 | 148 | 149 | 150
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Nachkommenschaften

Nachkommenschaften

Stifters späte Erzählung ist stark autobiografisch geprägt. Anhand der Geschichte des jungen Malers Roderer, der in seiner fanatischen Arbeitswut sich vom Leben abwendet und erst durch die Liebe zu Susanna zu einem befriedigenden Dasein findet, parodiert Stifter seinen eigenen Umgang mit dem problematischen Verhältnis von Kunst und bürgerlicher Existenz. Ein heiterer, gelassener Text eines altersweisen Erzählers.

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon