16.

Dieser Art von Festspielen ist in vielen Beziehungen nahe verwandt das Oratorium oder wie es auch genannt wird die azione sacra1.

Filippo Neri (geb. 1515 gest. 1595)2 ließ bei den eigenthümlichen andächtigen Versammlungen, welche er im Betsaal (oratorio) hielt, auch geistliche Gesänge (laudi spirituali), eine Art von Motetten, vortragen. Da die weltliche Oper gegen das Ende des sechzehnten Jahrhunderts als eine neue Erfindung einen großen Reiz ausübte, wurde in jenen Versammlungen ihrer Tendenz gemäß, die verschiedenartigen Mittel geistiger Cultur und heiteren Lebensgenusses zu erbaulichen Zwecken zu verwenden und dadurch zu veredeln, auch eine geistliche Oper zur Aufführung gebracht. Das erste Werk der Art, das oratorio dell' anima e del corpo von Emilio de Cavalieri wurde im Jahr 1600 im Oratorio der [320] Chiesa nuova auf einer Bühne mit Decorationen, von agirenden Sängern im Costum und mit Tänzen aufgeführt3. Dann wurde es feststehende Sitte, anfangs um der weltlichen Oper ein Gegengewicht zu geben, bei den Andachten im Betsaal dramatische Aufführungen zu veranstalten, deren Stoff der Bibel entlehnt4 und in einer Weise behandelt war, daß mit der Unterhaltung auch Erbauung beabsichtigt wurde. In der Form, sowohl was den dialogischen Text als auch die musikalische Bearbeitung desselben anlangte, schlossen steh diese biblischen Dramen, welche von dem Orte ihrer Aufführung Oratorien genannt wurden, ganz der Oper an und wurden auch später noch wie diese auf den zu diesem Zweck errichteten Bühnen mit Decorationen und im Costum aufgeführt5. Diese Darstellungen wurden nachmals auf die Fastenzeit beschränkt, in welcher die Aufführung von Opern nicht gestattet war, und vertraten gewissermaßen die Stelle derselben. Obgleich die Vorstellung mit Action und Costum in der Kirche6 mehr und mehr einer concertmäßigen Aufführung Platz machte, so blieb doch die Form derselben die dramatische oder wenigstens dialogisirte7. So wurden sie dann auch in den Kirchen mit dem Gottesdienst [321] in der Art in Verbindung gesetzt, daß denselben eine Messe und eine von einem Knaben gehaltene Rede voranging8, zwischen den beiden Abtheilungen des Oratoriums aber eine Predigt gehalten wurde9.

Die Ausbildung der azione sacra hielt gleichen Schritt mit der Opera seria, als deren Halbschwester man sie anzusehen gewohnt war. Apostolo Zeno war es, welcher dem Oratorium, indem er Einheit der Handlung, der Zeit und des Orts und eine strengere Behandlung der dramatischen Darstellung einführte, die bestimmte Form gab, welche dann von Metastasio in ähnlicher Weise wie die Oper vervollkommnet wurde10. Es war festgesetzt, daß dasselbe, wenn es mehrere Abtheilungen hatte, nicht in drei sondern in zwei Theile (parte) zerfiel, weil die Predigt in die Mitte verlegt wurde; übrigens entspricht die Einrichtung ganz der Oper. Die einzelnen Personen treten redend auf; für den Dialog ist das Recitativ verwendet, als Ausdruck der gesteigerten Empfindung tritt die Arie ein, seltner ein Ensemblesatz; dagegen fehlen Chöre nie und werden mehr angewendet als in der Oper, und zwar stets so daß der Chor als an der Handlung Theil nehmend gedacht wird. Der Stoff ist der Bibel, meistens dem alten Testament, oder doch der Legende entlehnt wie Santa Francesca Romana (von Al. Scarlatti) oder Metastasios berühmte Sant' Elena al Calvario. Er ist mit einiger Freiheit zu einer Handlung ausgebildet, oder vielmehr, da es zu einer eigentlich dramatischen [322] Handlung nicht kommt, um die Begebenheit in einer Reihe dialogisirter Scenen darzustellen, sind Personen und Motive je nach Bedürfniß hinzuerfunden. Dies ist mit Maaß geschehen um den Charakter der Tradition nicht zu beeinträchtigen und auch Metastasio hat auf Liebesmotive gänzlich verzichtet. Die dichterische Sprache sucht einigermaßen den biblischen Typus zu wahren11, doch gewinnt der lebhaft rhetorische Stil der italiänischen Poesie darüber entschieden die Oberhand, nur daß das Tändelnde und Spielende möglichst vermieden wird12. Die Natur des Stoffes und die Tendenz der Erbauung bringt es mit sich, daß moralische und religiöse Betrachtungen den Hauptinhalt der Gespräche und fast den einzigen der Arien und Chöre ausmachen, die bei der ganzen Haltung der Oratorien selten eine bestimmte, individuelle Charakteristik haben. Hierin sowie in dem Mangel an dramatischer Handlung steht die azione sacra der sogenannten azione teatrale noch näher als der eigentlichen Opera seria13.

Die Sage von Judith ist in dem berühmten Oratorium [323] Metastasios La Betulia liberata, welches nach mehreren Anderen14 auch Mozart componirt hat, in folgender Art behandelt15.

Ozia, umgeben von den verzagten Einwohnern Betulias, macht ihnen wegen ihres Kleinmuths Vorwürfe und erklärt seinen Vorsatz die Stadt dem Feinde nicht zu übergeben. Amital und Cabri entwerfen ihm eine Schilderung von den Leiden, die das Volk durch Hunger, Durst und Krankheit zu ertragen hat; vergebens erinnert er sie, wie der Herr ihren Vätern geholfen habe, sie verlangen die Unterwerfung unter Holofernes, nur mit Mühe erlangt er einen Aufschub von fünf Tagen und fleht mit dem Chor zu Gott um Mitleid und Hülfe. Da tritt Judith auf, sie entsetzt sich über diesen Entschluß und schilt die Kleinmüthigen, die an Gottes Hülfe verzweifeln, oder ihr bestimmte Grenzen zu stecken sich vermessen: il primo è vile, temerario il secondo. Ihre Arie mag als Maßstab für den Stil dieser Poesie gelten:


Del pari infeconda

d'un fiume è la sponda,

[324] se torbido eccede,

se manca d'umor.

Si acquista baldanza

per troppo speranza;

si perde la fede

per troppo rumor.


Sie ermahnt die Betroffenen zum Vertrauen und zur Geduld, und verkündet daß sie einen großen Entschluß gefaßt habe, den jetzt noch Niemand zu erfahren begehren möge; während sie sich vorbereite, sollen Alle sich zum Gebet vereinigen; der vorige Chor wird wiederholt. Carmi bringt Achior als Gefangenen, der auf Befragen erzählt, daß Holofernes ihn, weil er ihm von dem Muth der Israeliten, der wunderbaren Macht ihres Gottes, der sie unbesiegbar mache so lange sie ihm gehorsam wären, berichtet habe, in die Stadt geschickt habe um ihn mit derselben zu verderben. Als Judith naht, läßt man sie mit Ozia allein, der mit Erstaunen gewahrt, daß sie sich reich geschmückt hat; sie verlangt mit ihrer Magd aus dem Thor gelassen zu werden, ohne etwas Näheres anzugeben. Ozia willfahrt ihr, und der Chor drückt (in der Ferne) sein Erstaunen über ihr Unternehmen aus.

Zu Anfang des zweiten Theils sucht Ozia dem Heiden Achior in einer gründlichen, ziemlich langen Disputation zu beweisen daß es nur einen Gott gebe. Ehe er ihn ganz überzeugt hat, tritt Amital auf und meldet wie eine allgemeine Todtenstille sich über die Stadt gelagert habe, der Ausdruck der aufs Aeußerste gestiegenen Noth und Verzweiflung. Geschrei und Tumult unterbricht sie: Judith kehrt zurück und berichtet in ausführlicher Erzählung, wie es ihr gelungen sei Holofernes zu tödten; als sie dem ungläubigen Achior das abgeschnittene Haupt entgegenhält, wird dieser vor Schreck ohnmächtig. Nach Judiths Arie kommt er wieder [325] zu sich und erklärt daß er nun zum Glauben an den einen Gott Abrahams bekehrt sei, auch Amital thut ob ihres Kleinmuths Buße. Nun tritt Carmi auf und erzählt, wie sie auf Judiths Geheiß ein Kriegsgeschrei erhoben, und daß dann die Assyrier als sie entdeckt daß Holofernes ermordet sei von Entsetzen ergriffen in wirrer Flucht sich selbst aufgerieben hätten16. Ein Danklied an Gott, welches Judith mit dem Chor anstimmt, macht den Beschluß.

Die Componisten schritten auf dem Wege, welcher ihnen durch die Dichter gewiesen war, unbedenklich vorwärts und behandelten auch ihrerseits das Oratorium vollkommen wie die Opera seria17, sie waren durch das geringere Maß dramatischen Lebens sogar in der Handhabung ihrer an sich mehr concertmäßigen Formen weniger eingeengt. In der Form ist daher durchaus kein wesentlicher Unterschied zu bemerken, es ist dieselbe Behandlung des Recitativo secco undobligato, der Arien und sogar auch der Hauptsache nach der [326] Chöre; eine größere Freiheit ist nur darin gegeben daß die Baßstimme für den Sologesang im Oratorium zulässig war. Nun hätte allerdings dem Gegenstand und der Bestimmung nach die geistige Auffassung eine ganz andere und von Ernst und Andacht beseelt sein sollen. Allein so wenig wie die dichterische Behandlung einen kirchlich frommen Charakter hatte, so wenig war dies in der Musik der Fall, die noch dazu den moralisch philosophischen Anstrich, welchen der Text durch die gehäuften Reflexionen erhielt, mit ihren Mitteln sich nicht geben konnte. Allerdings schließen die im Oratorium darzustellenden Situationen das Tändelnde und Ueppige und die Leidenschaft der Liebe in ihren verschiedenartigen Aeußerungen gradezu aus und halten auch da, wo sie nicht pathetisch sind, doch eine ernste Grundstimmung fest, welche den Charakter der Musik im Allgemeinen bestimmt; allein dieser wird dadurch von dem der Oper nicht in seinem Wesen verschieden, sondern nur äußerlich modificirt: jedes einzelne Musikstück eines Oratoriums würde in einer Opera seria bei der entsprechenden Situation vollkommen am Ort sein ohne aus dem Charakter zu fallen, und umgekehrt Arien, welche in einer Opera seria eine Stimmung ausdrücken, die an sich auch für das Oratorium passend wäre, würden ohne den Charakter desselben zu stören in demselben Platz finden. Auch wurde das Oratorium ebenso wie die Oper als eine Gelegenheit für Sängerinnen und Castraten angesehen, Kunst und Virtuosität des Gesanges geltend zu machen, die Bravur war von der Kirche sowenig als von der Bühne ausgeschlossen, und auch in dieser Beziehung hielt man wohl ein gewisses Maaßhalten für schicklich, aber ein wesentlicher Unterschied fand hier ebensowenig Statt. Die Richtung der Kunst begegnete steh wie gewöhnlich mit der Neigung des Publicums, das es als sein Recht ansah in den Fasten, wo keine Opern gestattet waren, [327] die entsprechende Unterhaltung vom Oratorium zu verlangen, und die Täuschung, mit welcher es sich diese Unterhaltung, weil es sie in der Kirche fand, als Gottesdienst und Erbauung anrechnete, blieb nicht aus.

Mozarts Musik zur Betulia liberata steht ganz auf diesem Boden. Auf der Originalpartitur18 ist leider nicht, wie sonst in den meisten Fällen, eine Angabe über Zeit und Ort der Vollendung und Aufführung zu finden; die Handschrift aber wie die Beschaffenheit der Composition weisen unzweifelhaft auf die Jahre 1770–1773 hin. Da nun im März 1771 Mozart in Padua den Auftrag erhielt ein Oratorium zu schreiben19, so hat die Vermuthung daß dieses eben Betulia liberata sei, Alles für sich. Ueber die Besetzung der Solopartien ist wie über die Aufführung unter diesen Umständen nichts Näheres anzugeben20.

[328] Die Symphonie ist in den üblichen drei Sätzen geschrieben, die alle kurz gehalten und im Charakter ernster sind – die Tonart in allen ist D-moll –, namentlich der letzte Satz hat natürlich keine Spur von der ausgelassenen Lustigkeit, die ihn bei den Opernouvertüren charakterisirt. Es ist mehr Einheit in dieser Symphonie als sonst gewöhnlich der Fall ist, die Motive passen zu einander, auch die Stimmführung ist selbständiger und es finden sich Ansätze zu imitatorischer Behandlung, ohne daß es indessen zu eigentlicher Verarbeitung käme21.

Auf die Symphonie folgt ein Seccorecitativ, welches für den Dialog durchgehends angewendet ist; und es ist charakteristisch, daß die langen predigtartigen Reden, die rhetorisch aufgeputzten Reflexionen ohne irgend hervorgehoben zu werden in einem Strich des gewöhnlichen Recitativs fortgehen. Es bedurfte eines ganz ausgezeichneten declamatorischen Vortrags und einer sehr empfänglichen Aufmerksamkeit, wenn dieser Theil des Oratoriums bei solcher Behandlung die beabsichtigte Wirkung ausüben sollte. Nur zweimal ist das begleitete Recitativ angewendet. Zuerst als Judith auftritt und das Volk schilt (n. 5); dies ist ganz in der Weise der Oper gehalten, die lebhafte Declamation wird durch kurze charakteristische Instrumentalsätze unterbrochen, welche passend erfunden und, namentlich in der Modulation, geschickt behandelt sind; das Ganze ist ausdrucksvoll und lebendig. Ferner trägt Judith die lange Erzählung von ihrem Abenteuer mit Holofernes (n.11) in einem begleiteten Recitativ vor. Der [329] Charakter der Erzählung, die nur als eine bedeutende hervorgehoben werden sollte, verbot hier eine ähnliche Behandlung und so werden denn die begleitenden Accorde von den Saiteninstrumenten – meistens in ziemlich hoher Lage, wogegen die Altstimme der Judith scharf absticht – ausgehalten. Dies wird aber auch mit sehr geringer Abwechslung durchgeführt, nur selten tritt eine bewegte Figur ein, und an eine im Einzelnen ausgeführte Charakteristik ist dabei nicht zu denken. So sind z.B. da wo Judith berichtet, wie sie im entscheidenden Augenblick zu Gott geflehet, die Worte des Gebets durchaus nicht, weder durch ariosen Gesang noch veränderte Begleitung hervorgehoben. Man würde diese Einfachheit heute wahrscheinlich langweilig finden und in der That könnte im Einzelnen mehr geschehen sein; man sieht wohl, daß damals auch in der Kirche die Arien als die Hauptsache angesehen wurden. Indessen darf man nicht vergessen, daß der kunstgerechte Vortrag eines ausgebildeten Sängers auch im Recitativ damals mit Recht hoch gehalten wurde und kann sich wohl gestehen daß die jetzt übliche Detailmalerei, die den Sänger wie den Zuhörer wie in Windeln einschnürt nicht minder ermüdend wirkt.

Die Solopartien sind durch alle vier Singstimmen vertreten, denn Amital, Cabri und Carmi sind Sopran, Judith Alt, Ozia Tenor und Achior Baß; Schade, daß sie nirgend zu einem Ensemble vereinigt sind, nicht einmal ein Duett kommt vor.

Judith hat außer einem Solo mit Chor, wovon nachher, drei Arien zu singen. Die erste (n. 5), deren Text oben mitgetheilt ist, kann weder eine eigentliche Bravurarie sein noch den heroischen Charakter der Judith aussprechen; indessen ist Alles gethan, sie der ersteren soviel als irgend angeht zu nähern. Sie drückt nicht eine eindringliche ernste Mahnung [330] aus, die durch gesteigerte Kraft dem vorangehenden Recitativ die Krone aufsetzt, sondern in ziemlich lebhafter Bewegung soll sie durch eine gewisse, allerdings gemäßigte Anmuth eher einen Gegensatz zum Recitativ bilden, und es ist soviel wie möglich geschehen dem Text eine dankbar gefällige Arie abzugewinnen; auch Passagen sind angebracht, doch sind sie nicht vorherrschend noch ausgedehnt. Dies mochte wohl mit durch die Individualität des Sängers bedingt sein, denn auch die zweite Arie (n. 7) Parto inerme e non pavento ist ohne Passagen, obgleich sie durchaus im Charakter einer großen heroischen Opernarie gehalten ist: sie fängt mit dem beliebten lang ausgehaltenen Ton an. Sie ist im Ganzen kräftig und würdig gehalten, allein in der Ausdrucksweise welche der Oper eigen ist. Die letzte Arie (n. 11) Prigioner che fà ritorno dagli errori al dì sereno hat als Hauptsatz ein sehr langes, namentlich auch in der Begleitung sorgfältig ausgeführtes Adagio, das durch einfachen Gesang und ernste Haltung der Stimmung Judiths, die so eben ihr Abenteuer berichtet hat, recht wohl entspricht; allein es fehlt derselben an Schwung und an empfundener schöner Melodie, wie sie Mozart später zu Gebote stand. Der kurze Mittelsatz in 3/8 fällt dagegen so sehr aus der Stimmung, daß man ihn steh nur aus der Gewohnheit, die einen Gegensatz der Art verlangte, erklären kann. – Die Altstimme ist in dem Umfange


16.

benutzt; die tiefen Töne nur gelegentlich und ohne dem Sänger Veranlassung zu geben damit zu prunken, wie denn die ganze Partie keine Bravurpartie im engeren Sinne ist.

Daß diese Beschränkung nicht auf der Auffassung des Oratorienstils beruhte, steht man aus den Partien der Amital und des Ozia. Die erste Arie der Amital (n. 3):

[331] Non hai cor, se in mezzo a questi

miserabili lamenti

non ti scuoti, non ti desti,

non ti senti intenerir


ist zwar im Ganzen einfach und ohne Passagen, allein als Allegrosatz einer großen seriosen Arie behandelt, dem dann ein Mittelsatz in 3/8 entgegengestellt ist. Man sieht, die Rücksicht auf den Sänger und eine bereits feststehende Form ist dabei vor dem was die Situation und der Text verlangten, entscheidend gewesen. Die zweite Arie (n. 10) dagegen:


Quel nocchier, che in gran procella

non s'affanna e non favella,

è vicino a naufragar


ist eine recht eigentliche Bravurarie mit Passagen, lang ausgehaltenen Tönen, in lebhafter Bewegung, mit reicher figurirter Begleitung, und in ihrem ganzen Zuschnitt aufs Gefallen eingerichtet; wozu die Situation ebenso wenig Veranlassung giebt als die Worte des Textes, obwohl man zugeben muß daß diese eigentlich zu gar keiner Musik Veranlassung geben. Die letzte Arie (n. 13) Con troppo rea viltà quest' alma ti oltraggiò ist dem Text angemessen ernst und feierlich gehalten, ohne daß dem Sänger die Gelegenheit seine Kunst zu zeigen darum gänzlich benommen wäre.

Aehnlich verhält es steh mit der Partie des Ozia. Seine erste Arie (n. 1) D'ogni colpa la colpa maggiore è l'eccesso d'un empio timore ist eine breit angelegte Bravurarie mit Passagen bis


16.

, die sich den Vorzug die erste zu sein zu Nutz macht und sich lang ausdehnt; übrigens hat sie den ernsten Charakter, wie er für heroische Figuren in der Oper ausgeprägt war. Die zweite Arie (n. 9) Se Dio veder tu voi, guardalo in ogni oggetto ist sehr weich und anmuthig [332] gehalten; sie erinnert von allen am meisten schon an späteren Mozartschen Stil sowohl in manchen Einzelnheiten der Melodienbildung und der Begleitung, obgleich diese nicht grade die bedeutendsten sind22, als auch in der ganzen Auffassung und im Charakter. Dabei fehlt es auch nicht an Passagen und anderweitiger Veranlassung für den Sänger sich auszuzeichnen.

Minder bevorzugt ist die Baßpartie des Achior und nicht eigentlich bravurmäßig behandelt. Die eine Arie (n. 6) Terribile d'aspetto macht einen mehr lärmenden als rauschenden Eindruck, wozu die Art der Begleitung nicht wenig beiträgt, und die mit dem Gegenstand allenfalls übereinstimmt, da die entsetzliche Erscheinung des Holofernes geschildert wird23. Die zweite Arie des bekehrten Achior (n. 12) Te solo adoro, mente infinita, ist sehr einfach, aber ohne bedeutende Erfindung und Charakteristik; die Begleitung ist theilweise, aber auch nur in der einfachsten Weise, imitatorisch gehalten.

Die beiden Arien des Cabri (n. 2) Ma qual virtù non cede und Carmi (n. 14) Quei moti che senti sind in der [333] Weise, wie sie für Secondarier geschrieben wurden, im Ganzen einfach, nicht ohne Ausdruck, aber doch nicht bedeutend und eigenthümlich.

Die hergebrachte Form der Arien ist fast durchgehends festgehalten. Der zweite Satz ist nicht immer durch Veränderung im Tact und Tempo, übrigens aber bestimmt genug unterschieden, gewöhnlich kurz und ziemlich oberflächlich behandelt; das Dacapo tritt regelmäßig ein, aber meist so, daß nur der letzte Theil des ersten Satzes wiederholt wird. Dieser ist in der gewohnten Weise breit angelegt, mit langen Ritornellen, die Cadenz fehlt nicht und wird in der S. 301 angegebenen Weise herbeigeführt. Die Begleitung ist ebenfalls der Anlage wie der Behandlung der Instrumente nach von der in der Oper gebräuchlichen nicht verschieden, doch ist sie mit mehr Sorgfalt ausgeführt, als es dort gewöhnlich ist. Eigenthümliche Begleitungsfiguren zeigen sich namentlich in der zweiten Geige, zuweilen auch in der Bratsche, und werden festgehalten, hie und da finden sich imitatorische Ansätze, auch die Blasinstrumente machen gelegentlich Versuche selbständig aufzutreten. Was der Art geschehen ist, das ist mit sicherem Geschick gemacht, aber es steht noch einzeln da und hat der Behandlung des Orchesters noch kein durchgreifendes selbständiges Gepräge gegeben.

Auch die Chöre, obwohl sie mehr Platz einnehmen als gewöhnlich in der Oper, schließen sich doch eng an die Opernchöre an. Der Schlußchor des ersten Theils (n. 8):


Oh prodigio! oh stupor! Privata assume

delle pubbliche cure

donna imbelle il pensier! Con chi governa

non divide i consigli! A rischj esposta

imprudente non sembra! Orna con tanto

studio se stessa, e non risveglia un solo

dubbio di sua virtù! Nulla promette,

[334] e fà tutto sperar! Qual fra viventi

può l'autore ignorar di tai portenti?


ist seinem Inhalt wie der Form nach kein lyrischer Erguß der Stimmung, sondern eine Betrachtung, wie sie etwa für ein Recitativ passend ist; der Componist hat einen festgeschlossenen Chor daraus gemacht. Das Bindemittel liegt in der Begleitung, welche zwei markirte und gegeneinander abstechende Motive abwechselnd festhält; die Durchführung ist keine contrapunktische, sondern eine harmonische, und die geschickte, einfache aber reiche Modulation ist es, welche diesem Satz Interesse und Bedeutung giebt. Die Singstimmen sind weder der Begleitung gegenüber noch unter einander selbständig, das melodische Element tritt auch in der Oberstimme wenig hervor, sie geben die Harmonie in vollen Accorden an und nur in sofern die Declamation es erforderlich macht, erscheint im Rhythmus eine mäßige Bewegung. Da aber die Lage der Singstimmen für den Klang aufs Beste benutzt, da die Modulation interessant ist, die begleitenden Figuren charakteristisch ins Ohr fallen und im Ganzen ein würdiger Ernst kräftig ausgedrückt wird, so ist dieser Chor von entschiedener Wirkung und in seiner Gattung vortrefflich; er zeigt eine vollkommene Meisterschaft über die Mittel und den Ausdruck.

In anderer Weise und unter sich ähnlich sind die anderen Chöre gehalten; beide sind Gebete, beide sind mit Solo verbunden. Der erste Satz (n. 4) ist sehr einfach. Ozia singt mit einer einfachen, fast liedartigen, schön geführten Cantilene von weichem Charakter voll innigen Gefühls vor24:


[335] Pietà, se irato sei,

pietà, Signor, di noi:

abbian castigo i rei,

ma l'abbiano di te,


worauf der Chor ebenso einfach und kurz die beiden letzten Zeilen wiederholt und abschließt. Der zweite Vers ist in demselben Charakter gehalten aber in veränderter Composition; hierauf wird der erste wiederholt und mit einer wirksamen Steigerung zum völligen Schluß geführt: ein sehr wohlklingendes, schönes Musikstück, abgerundet in der Form und von rührendem Ausdruck.

Größer angelegt ist der letzte Chor. Der Chor beginnt mit den Worten:


Lodi al gran Dio, che oppresse

gli empj nemici suoi,

che combattè per noi

che trionfò così,


denen Judith in zwei Strophen antwortet, welche den Sieg über den übermächtigen Feind näher schildern, dann fällt der Chor mit den obigen Worten wieder ein; beides wiederholt sich dreimal, so daß der Chor den Wechselgesang beschließt, auf welchen dann noch eine allgemein moralische Betrachtung als Schlußchor folgt. Um nun dem Refrain des Chors eine erhöhte Kraft und Bedeutung zu geben hat Mozart dazu eine uralte kirchliche Melodie gewählt:


16.

16.

[336] Man sieht, es ist dieselbe, welche im Eingange des Requiem zu den Worten Te decet hymnus in Sion et tibi reddetur votum in Ierusalem angewendet worden ist25. Hier ist sie vierstimmig gesetzt, jedesmal mit theilweise veränderter Harmonie; die Harmonisirung ist würdig und kräftig, und bei aller Einfachheit interessant und bedeutend; die Singstimmen sind gut geführt und obgleich sie nicht contrapunktisch behandelt sind, durch einzelne freiere Bewegungen charakteristisch und lebendig. Dazu kommt eine mit jeder Wiederholung wechselnde Figur, welche von den Geigen ausgeführt wird, – während der Baß und die Bläser den Chor unterstützen – zuerst in laufenden Sechzehnteln, dann in Triolen, das drittemal rhythmisch verschieden charakterisirt. Alles ist mit großer Leichtigkeit und Sicherheit ausgeführt und ohne Ansprüche zu machen von guter und ernster Wirkung. Bei der vierten [337] Wiederholung hat Mozart den im zweiten Theil etwas abgeänderten Cantusfirmus der Tenorstimme zugetheilt, indem er den Sopran mit dessen Anfangsnoten einen Takt vorangehen läßt:


16.

16.

Von hier geht er in den Schlußchor über. Die Solopartie der Judith ist, wie es der Text mit sich brachte, frei gehalten. Sie hat einen durchaus einfachen, würdigen und ernsten Charakter und ist in der Anlage von der Weise der Arien wesentlich unterschieden, und eher einem durchcomponirten Liede zu vergleichen; indessen tritt das melodiöse Element etwas [338] vor dem declamatorischen zurück. Obgleich die Sologesänge wie begreiflich vor dem schweren Gewicht des Chors zurückweichen, so sind sie es doch, in denen der Charakter der Judith mit dem meisten Ernst und der größten Bedeutung ausgedrückt ist. Ueberhaupt kann man wohl darauf als einen bedeutsamen Umstand aufmerksam machen, daß Mozart auch hier am meisten Eigenthümlichkeit, Wahrheit und Ernst entfaltet, wo er es sich gestatten konnte, von der bestimmten überlieferten Form abzuweichen und sich freier zu bewegen.

Der Schlußchor ist lebhafter und glänzender und man kann in der allgemeinen Anlage die Weise erkennen, welche für Schlußchöre damals überhaupt beliebt war, allein es ist Maaß gehalten und der Charakter desselben ist nicht ohne Kraft und Würde.

Daß die Auffassung und Behandlung des Oratoriums, wie sie hier vorliegt, nicht aus Mozarts Eigenthümlichkeit oder besonderen Verhältnissen hervorgegangen sondern die allgemein übliche gewesen sei, erhellt bei einer Vergleichung mit anderen gleichzeitigen Oratorien z.B. denen von Hasse, welche man unbestritten zu seinen vorzüglichsten Werken zählte. Wenn man nach den Lobsprüchen, welche Hiller dem Oratorium Sant' Elena al Calvario ertheilt26, sich eine Vorstellung [339] von der dort herrschenden Auffassung gemäß den heutigen Begriffen von geistlicher Musik bilden wollte, so würde man sich sehr getäuscht finden. Von diesem, wie von den übrigen Hasseschen Oratorien, gilt im Wesentlichen dasselbe, was wir in dem Mozartschen erkannten, daß auch im Oratorium die Kunst des Sängers das maßgebende Element und daß der Ausdruck der Empfindung, der Auffassung wie der Form nach, mit dem der Oper wesentlich übereinstimmend ist. Die Unterschiede, welche sich allerdings leicht wahrnehmen lassen, sind unwesentliche und solche, die in der veränderten Geschmacksrichtung theils der Zeit, theils des Componisten begründet waren27. Ich führe eins an, das zu vergleichen [340] hier nicht ohne Interesse ist. Hiller sagt: »Nach einem kurzen Recitativ tritt ein Chor ein, der feierlicher, ungekünstelter und rührender nicht gedacht werden könnte. Man läßt uns (und was könnte in dem Munde frommer Pilger schicklicher sein?) einen bekannten Gesang, der uns in der Kirche schon oft gerührt und erbauet hatte, die Melodie O Lamm Gottes unschuldig unerwartet und auf die simpelste Art hören, dessen ganzer Schmuck beinahe nur in der Abwechslung der Stimmen und der verschiedenen Instrumente besteht, die den Gesang unter sich theilen; Baß und Violinen gehen indeß in[341] Bewegung immer unisono fort und beleben den Gesang; eine Simplicität die mehr werth ist als zehn Fugen, und die mehr Einsicht in das wahre Schöne des Gesangs verräth als der künstlichste Contrapunkt«28. Es ist wahr, der Chor ist von sanfter angenehmer Wirkung; die rhythmische und harmonische Behandlung des Chorals zeugt für Hasses Geschmack, der ihn dem italiänischen Stil seines Oratoriums homogen zu machen wußte, allein die eigentliche Bedeutung und Wirkung des Chorals ist dadurch gebrochen29. Die Art wie Mozart die katholische Kirchenmelodie unverändert eingeführt hat ist in jeder Hinsicht bedeutender und großartiger. Ich führe hier Hasse an, weil er zu Mozarts Zeit als ein Zeuge der guten alten Zeit gepriesen wurde, die in dieser Hinsicht eben nicht sehr verschieden dachte. Wie stark auch in Grauns Tod Jesu diese Richtung sich ausspricht, weiß jeder; daß auch andere Elemente sich darin geltend machen, erklärt sich leicht aus den protestantischen Einflüssen, unter denen dieses Oratorium zu Stande kam. Und selbst Händel, der von den italiänischen Oratorien ausging, ist durch die religiöse Empfindungs- und Denkweise so gut als durch äußere Verhältnisse des Landes, in welchem er lebte, bestimmt worden seinen Oratorien [342] ihre eigenthümliche Richtung und Ausbildung zu geben30, welche allerdings nur durch eine großartige Natur und Kunst lebendig werden konnte, wie wir sie an Händel bewundern31.

Fußnoten

1 Eine gründliche Detailforschung über die Geschichte des Oratoriums und die sehr verschiedenartigen Momente, welche auf die Ausbildung desselben zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten Einfluß gehabt haben, fehlt leider noch. Die Aufsatze von Fink (in Ersch und Gruber Encyclopädie III, 4 p. 405ff.) und Keferstein (A. M. Z. XLV p. 873) sind ganz unbefriedigend.


2 Es wird kaum nöthig sein an Göthes Charakteristik in der italiänischen Reise (W. XIX S. 325ff.) zu erinnern.


3 Kiesewetter Schicksale und Beschaffenheit des weltlichen Gesanges S. 44f.


4 In den Mysterien und verwandten Aufführungen des Mittelalters waren schon biblische Geschichten dramatisch dargestellt worden; hier handelte es sich besonders um die musikalische Behandlung in der durch die Gesange der Oper eingeführten Eigenthümlichkeit.


5 Winterfeld Joh. Gabrieli II S. 151ff. Kiesewetter a.a.O. S. 58.


6 Im Theater führte man in den Fasten auch später noch Oratorien förmlich auf. So sah Goethe (Werke XIX S. 182) in Neapel die Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar. Vgl. auch Dittersdorf Lebensbeschreibung S. 144ff.


7 Sie waren mitunter in lateinischer Sprache gedichtet, z.B. Hasses Serpentes (die eherne Schlange).


8 Auch dies war schon bei Neris Erbauungen so angeordnet, Winterfeld a.a.O. II S. 150.


9 S. die Berichte über solche Aufführungen in Bologna bei Hiller, wöchentl. Nachr. I S. 47, in Rom bei Burney Reise I S. 276ff. In Wien wurden Oratorien regelmäßig in der kaiserlichen Kapelle aufgeführt; später wurden sie im Theater zu wohlthätigen Zwecken gegeben.


10 Calsabigi dissertaz. (vor Metastasio opp. VIII p. CIII ff.)


11 Metastasio belegt die einzelnen Sentenzen und Ausdrücke fleißig mit Stellen der Bibel und der Kirchenvater.


12 Andres (giudizio sulle opere del Metastasio vor dessen opp. XI p. XXXIV) drückt sich darüber so aus:Nella Betulia liberata e in altri oratorj vi sono cantici sacri e religiosi, in cui nel più amichevole vincolo si vedono unite la religione e la poesia vestire le Muse del maestoso manto dell' espressioni scritturali.


13 Sav. Mattei (la filosofia della musica vor Metastasios opp. III p. XLVI ff.), der sonst mit Einsicht und Eifer über die Entartung der Oper handelt, spricht die Erwartung aus, daß von Metastasios Oratorien, die ihm vere compitissime tragedie sind, die Regeneration der Oper ausgehen werde; und Calsabigi (a.a.O. p. CVII) findet sie den antiken Tragödien im Wesentlichen verwandt, denen man sie durch geringe Modificationen ganz nahe bringen könne.


14 Es war zuerst in Wien mit Musik von Reutter im Jahr 1734 aufgeführt; später nach der Composition von Flor. Gaßmann (Dittersdorf Selbstbiogr. S. 203), welche Salieri theilweise umgearbeitet im Jahr 1821 wieder zur Aufführung brachte (Wiener mus. Ztg. V S. 294). Auch Cafaro componirte dasselbe und in Dresden Schuster u. Naumann (Reichardt Berl. mus. Ztg. I p. 171f.), in Berlin Mussini (ebend. II S. 39).


15 Die handelnden Personen (interlocutori) sind:


Ozia, principe di Betulia.

Giuditta, vedova di Manasse.

Amital, nobile donna Israelita.

Achior, principe degli Ammoniti.

Cabri, capi del popolo.

Carmi, capi del popolo.

Coro degli abitanti di Betulia.


16 Ich gebe hier eine Probe der Darstellung im Recitativ:


Ecco ciascuno

precipita alla fuga, e nella fugaA1

l'un l'altro urta, impedisce. Inciampa e cade

sopra il caduto il fuggitivo: immerge

stolido in sen l'involontario acciaro

al compagno il compagno; opprime oppresso,

nel sollevar l'amico il fido amico.

Orribilmente il campo

tutto rimbomba intornoA2 u.s.f.


17 Scheibe (krit. Musicus 22 S. 216) bemerkt daß die Italiäner ihre Oratorien ganz nach der theatralischen Schreibart und den Regeln der Singspiele componirten, und findet den einzigen Unterschied in der Veränderung der Instrumente und daß sie in traurigen Stücken den Ton der Instrumente durch die Dämpfung derselben mäßigen.


18 Die Originalpartitur in zwei Bänden von 240 Seiten ist bei André (Verzeichn. 24). – Das Oratorium enthält 15 Nummern.


19 Leop. Mozart schreibt nur (14. März 1771): »Wolfgang bekam auch eine Arbeit, indem er ein Oratorium nach Padua componiren muß.« Da Misliweczeck im October 1770 in Bologna ebenfalls ein Oratorium für Padua schrieb, wie L. Mozart berichtet (27. Oct. 1770), das also für die Fasten 1771 bestimmt war, so konnte Wolfgangs Auftrag nur auf die Fasten 1772 gehen. Wahrscheinlich wollte man sich über die Wahl des Textes noch erst verständigen, daher dieser nicht angegeben wird.


20 André giebt in seinem handschriftlichen Verzeichniß an, zufolge einer Bemerkung auf dem Textbuch – das ich nicht gesehen habe – sei dies Oratorium in den Fasten 1786 aufgeführt und Mozart scheine dazu noch einen Einleitungschor Qual fiero caso und ein Quintett Te solo adoro componirt zu haben. Hierüber habe ich nichts Näheres ermitteln können. Jene beiden Musikstücke sind nicht bei André; auch finden sie sich in Mozarts eigenem Catalog seiner Compositionen von 1784 an nicht verzeichnet. Ferner hat Hr. Dr. Leop. v. Sonnleithner, der darüber genaue Nachforschungen angestellt hat, mir mitgetheilt daß dies Oratorium im Jahr 1786 in Wien nicht aufgeführt worden ist, und in den Concerten der Tonkünstlergesellschaft in Wien überhaupt nicht.


21 In dieser Symphonie sind außer Oboen und Fagotts, vier Hörner (in D und F) und Trompeten (in D) verwendet. Die Blechinstrumente sind im ersten und letzten Satz stark gebraucht und in ganz ähnlicher Weise, wie es jetzt gewöhnlich ist.


22 Eine Wendung, deren Mozart sich in späterer Zeit mit Vorliebe bedient, findet sich in diesem Oratorium mehrmals in derselben Weise angebracht.


16.

23 Diese polternde Behandlung der Baßstimme war damals häufig und eben deshalb schloß man sie von der Opera seria aus. Mattheson bemerkt gegen Raguenet, der die Basse der französischen Oper als einen Vorzug derselben vor der italiänischen hervorhebt (Critica Musica I S. 110f.): »Ob wir gleich hie zu Lande noch mit ziemlichen Bassen versehen sind, ziehen wir doch eine saubere Discant- und Alt-Stimme, ja bisweilen einen Baritono den groben Bässen vor. – Daß die tiefen Singbasse einer Harmonie viele Majestät, viele Harmonie und force geben, ist unstreitig; ob aber allemahl etwas agreables, und nicht vielmehr sehr oft was rudes und entsetzliches dabei vermacht sey, will dem Zuhörer überlassen.«


24 Das Solo des Ozia begleiten die Geigen pizzicato in einer Bewegung, die wohl an Harfen erinnern soll.


25 Es ist, wie mir berichtet worden, der zweitheilige Tropus des neunten Kirchentons (tonus peregrinus) zum Psalm In exilu Israel de Aegypto.


26 Hiller wöchentl. Nachr. I S. 326ff. 343ff. 353f. Ich führe Einiges daraus an. »Von den Recitativen wollen wir überhaupt sagen, daß sie voller Kraft und Nachdruck, voll wahrer declamatorischer Schönheiten sind, und daß man die ganze Gewalt der Musik empfindet, wenn Hr. Hasse nachdrückliche Worte des Dichters mit einem nachdrücklichen Accompagnement begleitet.« Dies ist sehr wahr, die Recitative sind durchgehends vortrefflich und ausdrucksvoll und manche Stellen von außerordentlicher Schönheit. Es ist unverkennbar, daß damals Componisten, Sänger und Publicum dem Recitativ mehr Beachtung schenkten als dies späterhin der Fall war. Wenn es aber heißt: »Ein Wunsch, ein Gebet an die Liebe, die Hoffnung und den Glauben um heilige Regungen in der Seele kann vielleicht in der Musik nicht andächtiger sein, als es Hr. Hasse in der dritten Arie gemacht hat,« so ist dies Lob und manches entsprechende für uns so unverständlich, wie ähnliche Aeußerungen über die unübertreffliche Wahrheit im Ausdruck der Empfindungen und Leidenschaften in Hasses Opern. Es gehört schon eine gewisse Abstraction, ein historischer Sinn dazu, um bei der Würdigung des Formellen das was ausschließlich der Mode angehört abzustreifen und nicht auf das Urtheil einen bestimmenden Einfluß üben zu lassen; was den Ausdruck der Empfindung anlangt, wird man ganz vorwiegend den Unterschied der Zeiten anerkennen müssen. Die Prophezeiung Hillers, daß Hasses Opern »allemal die Bewahrer des guten Geschmacks, des wahren und ausdrückenden Gesanges auf der lyrischen Bühne sein werden, wenn er auch durch gesuchte und erkünstelte Schönheiten, durch abentheuerlichen Klingklang künftig von derselben verdrängt werden sollte« kommt uns der Hasseschen Musik gegenüber seltsam genug vor, sie ist aber interessant, weil auch sie uns den Weg zeigt, den damals die italiänische Musik nahm. Nur den größten Geistern ist es verliehen, der ewigen Wahrheit und Schönheit so nahe zu kommen, ihr Wesen so tief zu erfassen, daß es ihren Werken auf unvergängliche Weise, durch alle Zufälligkeiten ihres Zeitalters und ihrer Individualität erkennbar eingeprägt ist.


27 Dahin gehört es z.B. daß Hasses Ouverturen nach französischer Art aus einem langsamen Satz und einem fugirten oder imitirten Allegro bestehen. Auch in den Chören tritt das Imitatorische mehr hervor, besonders in S. Elena, weniger schon im Giuseppe riconosciuto; in den Pellegrini al sepolcro di N. S. ist statt des Chors ein frei gehaltenes Quintett, in denSerpentes ist gar kein Chor. Die Arien sind ganz nach dem Schnitt der Opera seria, häufig mit Passagen ganz bravurmäßig ausgestattet, und sehr lang sowie auch die Ritornells; am meisten gemäßigt erscheint dies in S. Elena, im Giuseppe und den Serpentes sind sie vollständig in der alten Opernweise. Auch der Ausdruck unterscheidet sich nur durch den verschiedenen Charakter der Situation von dem in der Oper üblichen. Ein Element des Charakteristischen, das sich bei Hasse nicht selten findet, ist das der Malerei, wozu auch Metastasio namentlich durch die Gleichnisse vom Wind und Meer häufig Veranlassung giebt. Hiller hebt das wiederholt hervor und sagt z.B.: »Die folgende, das Bild einer in Wuth gebrachten Schlange vorstellende Arie hat eine feurige Bewegung, Harmonien, die sich auf mancherlei Art in einander verwickeln, Sprünge und Krümmungen des Gesanges, die man schön finden wird, sobald man sie mit dem Gegenstande, den sie mahlen, zusammenhalt«; er fügt noch hinzu: »Vielleicht ist es Mangel an dieser Aufmerksamkeit gewesen, daß einige diese Arie in einem Passionsoratorio für zu feurig gehalten haben.« Ein anderes Beispiel ist die Arie Senti il mar in den Pellegrini, wo ganz ungewöhnliche Orchestermittel gebraucht sind um das Meer zu malen. Es ist charakteri stisch daß Mozart dagegen diese Art von Malerei von jeher nur äußerst sparsam angewandt hat. Es versteht sich von selbst, daß Passagen, Verzierung und selbst die Melodienbildung vielfach abweichen von der Mozarts, oder vielmehr der damals üblichen, und unter den verschiedenen Hasseschen Oratorien ist der Unterschied sehr merklich. Kraft und Lebendigkeit sind auch jetzt noch unverkennbare Vorzüge Hasses, weich ist er selten, weichlich fast nie.


28 Wenn man sich an die erstaunlichen Leistungen J.S. Bachs auf diesem Gebiet erinnert z.B. gleich an den ersten Chor der Matthäus-Passion, so kann man den Gegensatz verschiedener künstlerischer Richtungen und Persönlichkeiten kaum schlagender als durch ihn und Hasse bezeichnen. – Uebrigens sollte man fast glauben, daß Hiller auf Bach habe hindeuten wollen.


29 Es versteht sich daß Hasse den Choral nicht in seiner protestantischkirchlichen Bedeutung geltend machen wollte und konnte, er verwendete ihn in der Weise einer charakteristischen Decoration und bildete ihn diesem Zweck gemäß um. Diese Reminiscenz erhielt allerdings in Dresden unter einem protestantischen Publicum eine besondere Bedeutung, aber auch ohne diese erfüllte sie künstlerisch ihren Zweck. Wie anderer Art ist die entwürdigende Mißhandlung des Chorals in Meyerbeers Hugenotten!


30 Vgl. Droysen Vorlesungen über die Freiheitskriege I S. 154ff.


31 Daß in Salzburg auch deutsche Oratorien aufgeführt wurden, haben wir schon S. 71ff. gesehen. Für ein solches Oratorium als Einlage scheint eine Sopran-Arie bestimmt gewesen zu sein mit dem Text:


Kommet her, ihr frechen Sünder,

seht den Heyland aller Welt;

sprecht, ist gegen seine Kinder

je ein Vater so bestellt?

Jesus leidet tausend Qualen,

bis er selbst den Geist aufgiebt

um am Kreuz die Schuld zu zahlen,

die der tolle Mensch verübt.


Nach der Handschrift der Partitur (André Verzeichn. 78) gehört sie in die erste Hälfte der Siebziger. Sie ist mit Quartett begleitet, kurz und einfach, nicht nach dem gewöhnlichen Arienzuschnitt, aber nicht bedeutend.


A1 Jud. cap. 15 v. 1.


A2 Jud. cap. 14 v. 18

Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 1, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1856, S. 1.
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