16.

Mozart hat, wie wir sahen, das Lustspiel von Beaumarchais Le mariage de Figaro ou la folle journée nicht aus Noth, nicht auf fremde Eingebung, sondern nach eigener [192] Entschließung sich zum Operntext bearbeiten lassen1. Das große Interesse welches dieses Stück allgemein erregt hatte, ein Interesse, das durch den Namen und die politische Stellung des Verfassers sowie durch die ungewöhnlichen Verhältnisse, unter denen es in Paris zur Aufführung gebracht war, nicht wenig gesteigert worden war2, konnte Mozarts Aufmerksamkeit wohl auf dasselbe richten, um so mehr als Paisiellos Barbiere di Seviglia, welchem das frühere berühmte Lustspiel von Beaumarchais zu Grunde lag, außerordentliches Glück gemacht hatte. Vergebens hatte Mozart unter der großen Menge italiänischer Operntexte nach einem brauchbaren gesucht, der Versuch durch Varesco einen neuen zu erhalten,[193] war ebenfalls fehlgeschlagen; in der opera buffa, welche es in ihrer damaligen Entwickelung nur auf einzelne drastische Scenen und karikirte Figuren anlegte, war das nicht zu finden, was Mozart als wesentliche Bedingung der dramatischen Wirksamkeit erkannt hatte, lebendige durch die Nothwendigkeit ihrer Entwickelung spannende Handlung und sichere, naturgemäße Charakterzeichnung der handelnden Personen. Beides fand er in Beaumarchais Lustspiel in ausgezeichneter Weise.

Bekanntlich ist die Hochzeit des Figaro in gewisser Weise eine Fortsetzung des Barbiers von Sevilla; es sind großentheils dieselben Personen, welche in beiden auftreten, die veränderten Verhältnisse, unter welchen die Handlung in der Hochzeit des Figaro vor sich geht, sind auf die Voraussetzungen des früheren Stücks gegründet und für die Würdigung der Motivirung und Charakteristik ist es mitunter wichtig diesen Zusammenhang sich gegenwärtig zu halten.

Graf Almaviva, nachdem er mit Figaros Hülfe dem Doctor Bartolo seine reizende Mündel Rosine entführt hat, nimmt denselben ebensowohl als Marcelline, die Duenna Rosines, in seine Dienste, sowie er auch den Musikmeister Basilio mit in sein Schloß zieht. Es währt nicht lange daß er seiner Gemahlin überdrüssig nach anderweitiger Zerstreuung sich umsieht, und so fällt unter anderen sein Auge auf Susanne, die Kammerjungfer der Gräfin, Figaros verlobte Braut, welche er durch Basilio, der auch hier den Gelegenheitsmacher spielt, für sich zu gewinnen sucht. Mit dem zur Hochzeit bestimmten Tage beginnt das Stück. Von Susanne erfährt Figaro wie der Graf ihr nachstellt; gleich ernstlich besorgt um seine Liebe und um seine Ehre ist er sofort entschlossen durch jede List den Grafen zu überraschen und zu beschäftigen, damit er der Vollziehung [194] ihrer Ehe kein Hinderniß in den Weg legen könne. Denn dieser sucht, so lange er Susannes Gunst nicht sicher ist, wenigstens ihre Hochzeit zu verschieben, und dazu bietet ihm Marcelline die Hand, welche in Figaro verliebt ihm Geld geliehen und dagegen von ihm das schriftliche Versprechen erhalten hat, ihr das Darlehen zurückzuzahlen oder sie zu heirathen. Bei der drohenden Gefahr Figaro an Susanne zu verlieren hat sie den Doctor Bartolo zu ihrem Beistande aufs Schloß beschieden und dieser ist um so lieber bereit ihr Anrecht zu unterstützen, als er sich dadurch nicht allein an dem verhaßten Figaro rächt sondern auch den Ansprüchen Marcellines auf seine eigene Hand entgeht, mit welcher er vor Jahren einen Sohn erzeugt hat, der noch als kleines Kind geraubt worden ist. Während sich dies Ungewitter über dem Haupt der Liebenden zusammenzieht, wird Susanne von dem Pagen Cherubin, einem so eben zum Jüngling heranreifenden, schönen und ausgelassenen Knaben, in ihrem Zimmer aufgesucht. Der Graf hat ihn bei Fanchette, der Tochter seines Gärtners Antonio, gefunden, mit welcher er selbst zu liebeln sucht, und ihn aus dem Dienst geschickt; Susanne soll nun die Gräfin, seine Pathe, für die er leidenschaftlich schwärmt, um ihre Vermittelung bitten, daß er bleiben dürfe. Während sie reden, kommt der Graf, vor dem Cherubin sich schnell hinter einem großen Lehnsessel verbirgt; er verspricht Susanne eine Mitgift, wenn sie ihm am Abend eine Zusammenkunft bewilligen wolle, sie aber weist ihn strenge zurück. Darüber kommt Basilio zu; indem der Graf sich vor diesem hinter demselben Lehnsessel versteckt, schlüpft Cherubin auf denselben und verbirgt sich unter einem darauf liegenden Kleide. Basilio wiederholt Susanne die Anträge des Grafen und da sie ihn zurückweist, macht er boshafte Anspielungen auf den Pagen, der nicht bloß bei Susanne [195] in Gunst stehe sondern auch der Gräfin unverschämt den Hof mache. Hierdurch entrüstet tritt der Graf hervor, befiehlt den Pagen sofort wegzujagen, und als Susanne für ihn bittet, erzählt er wie er ihn in seinem Versteck im Hause des Gärtners überrascht habe und entdeckt dabei Cherubin auf dem Lehnsessel. Da dieser aber Zeuge dessen was so eben vorging geworden ist, verleiht er ihm, um ihn zu schonen und doch loszuwerden, eine Officiersstelle in seinem Regiment mit dem ausdrücklichen Befehl sich sogleich nach Sevilla in die Garnison zu begeben. Indem kommt Figaro an der Spitze der festlich geschmückten Dorfbewohner herein. Der Graf hat bei seiner Vermählung das sogenannte Herrenrecht aufgehoben; auf Figaros Anstiften kommen seine dankbaren Unterthanen jetzt bei der ersten Hochzeit welche seitdem gefeiert wird, ihn zu bitten, selbst in feierlicher Ceremonie der Braut den Brautkranz aufzusetzen. Er hofft daß der Graf diesem Ansinnen sich nicht werde entziehen können; dieser verspricht es auch, verlangt aber einige Stunden Aufschub, um die Feierlichkeit glänzender zu machen.

Figaro versäumt indessen nicht, um den Grafen zu beschäftigen, eine neue doppelte Intrigue anzuspinnen, bei welcher mitzuwirken auch die Gräfin, durch die ihr treu ergebene Susanne von allem in Kenntniß gesetzt, sich entschließt. Um die Stellung, welche dieselbe sowohl zu Figaro als zu Susanne einnimmt, und ihre Bereitwilligkeit selbst durch eine gewagte Täuschung den Grafen zu seiner Pflicht zurückzuführen, richtig zu würdigen darf man nicht vergessen, daß die Gräfin Almaviva die Rosine des Barbier von Sevilla ist. Sie liebt ihren Gemahl, sie hat das volle Gefühl ihrer Würde, allein die Verhältnisse unter denen sie aufgewachsen, die Umstände durch welche sie Gräfin Almaviva geworden ist, üben doch einen gewissen Einfluß auf sie aus. Figaro hat nun den [196] Grafen, der auf die Jagd geritten ist, durch ein anonymes Billet das ihm Basilio zusteckt vor einem Nebenbuhler gewarnt, der mit der Gräfin ein Stelldichein verabredet habe; die Eifersucht, hofft er, soll denselben von der Hochzeit ablenken. Auf der anderen Seite will er ihn dadurch sicher machen, daß Susanne ihm die erbetene Zusammenkunft im Garten verspricht; an ihrer Stelle soll dann Cherubin, der auf Figaros Betrieb noch da geblieben ist, als Mädchen verkleidet sich einfinden. Der Page kommt um Toilette zu machen, betrübt zeigt er sein Officierspatent vor, das ihn von der Gräfin entfernt, – das man wie sich dabei ergiebt zu besiegeln vergessen hat – und verräth seine schwärmerische Verehrung für die Gräfin, die auf einen Augenblick dadurch gerührt zu werden scheint; plötzlich klopft der Graf, der in eifersüchtiger Regung gleich wieder umgekehrt ist. Cherubin flüchtet sich ins Nebenzimmer, das die Gräfin verschließt, und wirst dort während der Graf seine verlegene Gemahlin mit Fragen bestürmt einen Sessel um; die Gräfin erklärt hierauf, Susanne sei darin, verbietet aber daß sie herauskomme oder auch nur antworte und verweigert dem Grafen den Schlüssel. In der größten Erbitterung führt dieser, nachdem er sorgfältig alle Thüren verschlossen hat, die Gräfin mit sich fort um eine Art zu holen, mit der er die Thür einschlagen will; Susanne, die während dieser Scene im Alkoven versteckt war, befreit sogleich Cherubin. Weil sonst kein Entkommen möglich ist springt dieser aus dem Fenster in den Garten und sie geht an seiner Stelle ins Cabinet. Als der Graf mit der Gräfin zurückkommt, entschlossen Gewalt anzuwenden, gesteht sie ihm daß der Page im Nebenzimmer sei, was ihn in die äußerste Wuth versetzt: da tritt zu beider Erstaunen Susanne heraus; die Gräfin faßt sich, und die Frauen erklären ihm nun, man habe ihn nur strafen wollen, [197] Figaro habe als Einleitung für diese ganze Neckerei den Brief geschrieben; der Graf muß um Verzeihung bitten, die er mit Mühe erlangt. Als darauf Figaro mit der Meldung eintritt alles sei zur Hochzeit bereit, verlangt der Graf erst Aufschluß über das Billet, Figaro läugnet darum zu wissen und wird, da ihm der Zusammenhang nicht klar ist, nur mit Mühe von den Frauen zum Geständniß gebracht. Kaum scheint so alle Gefahr beseitigt, da bringt der halbbetrunkene Gärtner seine Klage beim Grafen an daß vor Kurzem ein Mensch aus dem Fenster des Cabinets gesprungen sei und ihm seine Blumen ruinirt habe; Figaro, der den Pagen gesprochen hat, bekennt, er sei dort bei Susanne gewesen und aus Furcht vor dem Toben des Grafen in den Garten gesprungen. Der Gärtner meint freilich, er habe eher Cherubin zu erkennen geglaubt, will ihm aber nun doch ein Papier, das er verloren habe, zurückgeben; aber dies nimmt der Graf, dessen Argwohn neu erregt ist, an sich und verlangt daß Figaro es nahmhaft mache; die Gräfin erkennt das Patent des Pagen und soufflirt durch Susanne Figaro, der sich dadurch auch aus dieser Schlinge zieht. Aber nun erscheint Marcelline, unterstützt von Bartolo und macht Figaros Eheversprechen geltend; hocherfreut verspricht der Graf ihr sogleich die gerichtliche Untersuchung ihrer Ansprüche und weiß Basilio, der Marcelline für sich zur Ehe verlangt, auf eine Weise zu entfernen, daß er sich zugleich an demselben für das ihm zugesteckte Billet rächt.

Ehe die gerichtliche Verhandlung beginnt, faßt die Gräfin den Plan anstatt des verkleideten Cherubin, von dem nun nicht mehr die Rede sein kann, selbst in Susannes Kleidern dem Grafen das Rendezvous zu geben und Susanne muß daher dem Grafen ihre Bereitwilligkeit, ihn im Garten zu erwarten auf eine schlaue Weise anzeigen. In Folge der darauf [198] vorgenommenen Proceßverhandlung wird Figaro verurtheilt Marcelline sogleich die schuldige Summe zurückzuzahlen, und da er das nicht kann sie zu heirathen. Der Graf scheint am Ziel seiner Wünsche, allein die Ausflüchte, welche Figaro macht, daß er die Erlaubniß seiner Eltern haben müsse, die er aber selbst nicht kenne, führen zu der Entdeckung daß er jener einst geraubte Sohn von Bartolo und Marcelline ist, die nun zugleich mit ihm ihre Hochzeit zu feiern beschließen; Susanne, welche mit dem von der Gräfin ihr geschenkten Geld kommt um Figaro auszulösen, ist anfangs empört ihn in Marcellines Armen zu sehen, dann ebenso erfreuet über die glückliche Lösung des Räthsels.

Bei der feierlichen Hochzeitsceremonie – bei welcher Cherubin, durch Fanchette verkleidet, unter den jungen Bauermädchen erscheint und erkannt wird, wodurch der Graf schließlich doch noch die richtige Aufklärung über die Scene am Morgen erhält – steckt Susanne dem Grafen ein von der Gräfin dictirtes Billet zu, in welchem sie den Ort des Stelldicheins bestimmt hat; es ist mit einer Nadel zugesteckt, welche er ihr zum Zeichen des Einverständnisses zurückschicken soll. Figaro sieht daß er das Billet liest und sich an der Nadel sticht, ohne bemerkt zu haben daß Susanne es ihm gegeben hat; als er nachher von Fanchette erfährt daß sie vom Grafen den Auftrag hat Susanne die Nadel zurückzubringen, erräth er leicht, was das zu bedeuten habe. Außer sich vor Eifersucht bestellt er seine Eltern und Freunde in die Nähe des verabredeten Ortes und begiebt sich selbst dorthin um die Schuldigen zu überraschen und zu strafen.

Im Dunkel der Nacht kommen die Gräfin in Susannes Kleidern und diese in denen der Gräfin um ihre Männer auf die Probe zu stellen, denn Susanne ist bereits durch [199] Marcelline unterrichtet und gewarnt. Kaum ist die Gräfin allein, so naht sich zu ihrem größten Schrecken Cherubin der vermeintlichen Susanne und sucht ihr einen Kuß aufzudrängen; diesen bekommt der Graf, der in dem Augenblick dazwischen tritt, die Ohrfeige aber, welche von diesem dem Pagen zugedacht war, nimmt Figaro, der sich lauschend genähert hat, in Empfang. Mit seiner Gemahlin allein sagt der Graf ihr die größten Schmeicheleien, beschenkt sie mit Geld und einem kostbaren Ring und will sich dann mit ihr entfernen, wird aber von ihr in der Dunkelheit verlassen und sucht sie vergebens. Mittlerweile kommt Susanne zu dem empörten Figaro, der sie aber, als sie einen Augenblick die Stimme zu verstellen vergißt, erkennt und sich sogleich den Scherz macht ihr vorzuschlagen eine Untreue durch die andere zu rächen, worauf sie sich ihm mit Ohrfeigen zu erkennen giebt. Der Friede wird aber durch seine Erklärung leicht hergestellt, und da sich nun der Graf wieder nähert um seine Susanne zu suchen, spielen sie die Liebesscene fort. Wüthend ruft er Leute mit Fackeln herbei, Figaros Freunde eilen herzu, mit ihnen auch die Gräfin und zu seiner Beschämung erkennt er nun, daß es seine Gemahlin war, welche Liebeserklärungen und Geschenke von ihm in Empfang genommen hat; erst die Verzeihung, welche sie ihm zusagt, macht aller Verwirrung ein Ende.

Dies ist der dürftige Abriß des unterhaltenden Intriguenspiels, in welchem unaufhörlich ein Knoten um den andern geschürzt wird, eine Verlegenheit aus der andern erwächst, um immer wieder eine neue Erfindung hervorzurufen; das durch eine Fülle wirksamer Motive und charakteristischer Detailzüge, durch den witzigen, pikanten Dialog voll Satire und Ironie eins der lebendigsten Charaktergemälde seiner [200] Zeit ist3. Da Ponte hat aus demselben mit vielem Geschick seinen Operntext hergestellt, wobei ihm allerdings Mozart nicht wenig behülflich gewesen sein wird. Der Gang des Stücks ist fast ganz unverändert gelassen, die Abkürzungen, welche nothwendig waren, sind zweckmäßig vorgenommen4. So ist namentlich die Gerichtsscene, welche bei Beaumarchais einen bedeutenden Raum einnimmt, auf das für die Handlung wesentliche Resultat beschränkt, andere Nebenmotive sind beseitigt z.B. daß Basilio als Marcellines Liebhaber auftritt; nur selten ist die Deutlichkeit der verwickelten und rasch verlaufenden Handlung dabei etwas gefährdet worden, wie durch die Aenderung daß man von dem Sohne Bartolos und Marcellines vor der Wiedererkennung gar nichts erfährt. Aber mit dem besten Takt sind die Musikstücke an der richtigen Stelle angebracht, ohne daß die Handlung aufgehalten wild, was bei diesem Stücke etwas sagen will, und so daß die musikalische Darstellung volle Freiheit findet sich ihrer Natur gemäß auszubreiten. Die ganze dramatische [201] Anlage brachte es mit sich, daß dabei nicht allein für Arien, sondern fast noch mehr für große und kleine Ensemblesätze verschiedener Art neben den Finales, zu sorgen war – zum großen Vortheil der musikalischen Gestaltung. Es ist nicht ohne Interesse zu verfolgen, wie bei einem so bestimmt vorgezeichneten Gang der Handlung doch die nothwendigen Forderungen der Oper hinsichtlich der Stellung und Abwechslung der Musikstücke befriedigt werden; auch die poetische Fassung derselben ist gewandt und angemessen, oft überrascht es, wie geschickt und artig eine Andeutung bei Beaumatchais für die musikalische Auffassung ausgeführt worden ist. Für die Haltung des Dialogs war das französische Lustspiel von außerordentlichem Vortheil; wie sehr derselbe auch abgekürzt und modificirt werden mußte, immer behielt er von dem Geist und Leben des Originals weit mehr zurück als man in den Recitativen der opera buffa zu finden gewohnt war5.

[202] So waren Le nozze di Figaro durch Charakteristik der auftretenden Personen, durch spannende und rasch sich entwickelnde Handlung und lebendigen, geistreichen Dialog auch den besten Textbüchern der opera buffa überlegen, wie man sich leicht überzeugen kann, wenn man die bedeutendsten und eigenthümlichsten Opern z.B. Castis Re Teodoro oder Grotta di Trofonio damit vergleicht. Ja diese Oper war in den wesentlichen Punkten über die Grenzen der eigentlichen opera buffa hinausgegangen und brachte ganz neue Elemente der dramatischen Gestaltung zur Geltung.

Zwar ein Element ließ die Oper gänzlich fallen, welches die außerordentliche Wirkung des Lustspiels von Beaumarchais vielleicht vor allen begründet hatte, das politische. Nicht allein der Dialog ist mit mehr oder weniger directen Anspielungen auf Mißbräuche des politischen und socialen Lebens, welche nach allen Seiten hin die Schlaglichter seiner Satire und derben Spottes werfen, so ganz durchzogen, daß er dadurch seinen eigentlichen Charakter erhält, sondern die ganze Tendenz geht dahin, den vornehmen Herrn zu schildern, der selbst ohne Ehre und Treue sie von anderen fordert, seinen Lüsten ohne Bedenken alles erlaubt hält, und dadurch die ihm Untergebenen, deren sittliche Rechte er kränkt, herausfordert und berechtigt ihre geistige Ueberlegenheit gegen ihn zu kehren, so daß er am Ende überwunden und[203] beschämt dasteht. Diese Auffassung der vornehmen Welt und ihrer Stellung gegen den Bürgerstand ist mit einer Energie und Malice ausgesprochen, sie fand in der damals herrschenden Stimmung und Anschauungsweise einen solchen Wiederhall, daß die Aufführung des Stückes gegen den ausgesprochenen Willen des Königs als die praktische Bethätigung der dasselbe durchdringenden Grundsätze erschien und Napoleon mit Recht vom Figaro sagen konnte: c'était la révolution déjà en action6. Von allem diesem ist in der Oper jede Spur verwischt, weniger wohl aus Rücksicht auf die Bedenken Kaiser Josephs, als vielmehr in der richtigen Einsicht daß es Elemente sind, welche dem Wesen der Musik völlig widerstreiten7.

Um so bedenklicher aber tritt, nachdem die politische Satire ausgeschieden ist, der Umstand hervor, daß der eigentliche Mittelpunkt der Handlung eine Unsittlichkeit ist, die zwar nicht gerechtfertigt oder beschönigt, aber auch keineswegs mit Ernst und Strenge gestraft, sondern mit einer gewissen Frivolität beseitigt wird. Zwar wird dem vornehmen Wüstling Almaviva aufrichtige und treue Neigung, redliches Pflichtgefühl und ehrenhaftes Benehmen entgegengestellt, allein diese sittlichen Eigenschaften erweisen sich nicht als solche wirksam, vielmehr sind die eigentlichen Hebel der Handlung Schlauheit und Intrigue, mögen diese auch als eine Art [204] von Nothwehr zur Anwendung kommen. Dadurch tritt das Ganze in ein sehr zweifelhaftes Licht, die ganze Atmosphäre des Grafen Almaviva ist keine reine und von der Corruption aller Verhältnisse, welche eine solche Erscheinung allein möglich machte, werden sämmtliche Träger der Handlung mehr oder weniger berührt, wodurch dann namentlich auch die geistreiche, aber mit Zweideutigkeiten stark gewürzte Haltung des Dialogs bedingt wurde. Beaumarchais hatte wohl Gründe zu seiner Rechtfertigung zu sagen daß er ein Sittengemälde seiner Zeit habe aufstellen wollen, und als dessen wesentliche Eigenschaft Wahrheit im Ganzen und in den Einzelheiten in Anspruch zu nehmen, damit es sittlich wirken könne – und die stark ausgesprochne politische Tendenz wies um so bestimmter auf diese seine Absicht hin –; allein ganz abgesehen von dem Bedenken, wie weit der Zweck die angewandten Mittel rechtfertige, so erkennt eine spätere Zeit unschwer daß der Verfasser selbst unter dem Einfluß der Zeit stand, welche er schildert um sie anzugreifen und zu bessern. Allein dies kommt der Oper nicht zu gut; sie kann sich nicht die Aufgabe stellen ein im Detail ausgeführtes Sittengemälde ihrer Zeit darzustellen um dadurch unmittelbar sei es politischen sei es moralischen Einfluß auszuüben; was von diesem Gesichtspunkt aus anderswo gerechtfertigt erscheint, ist es hier nicht. Mag daher der Dialog in vieler Hinsicht gereinigt sein, die Handlung in ihrer Motivirung, die Hauptsituationen, die ganze Anschauungsweise mußte nur um so entschiedener den Eindruck der Frivolität machen. Wie konnte Mozart diesen Gegenstand für seine Oper wählen, das Publicum ihn beifällig aufnehmen?

Vor allen Dingen muß man im Auge behalten daß sowohl die factische Grundlage als die Anschauungsweise, wie sie auch in der Oper noch hervortreten, für jene Zeit volle [205] reale Wahrheit hatten, daß man sich damals in solchen Verhältnissen zu Hause fühlte, und eben das auf der Bühne dargestellt und ausgesprochen fand, was man in dieser Weise selbst erlebte und er fuhr. Was eine spätere Zeit vor allem befremdet und zurückstößt ist der Widerspruch der Darstellungsart mit den eigenen Erfahrungen und Anschauungen, die das Unsittliche als solches um so greller und nackter hervortreten läßt; in dieser Form, mit diesen Ansprüchen darf es sich heutzutage nicht gelten machen, deshalb will man es auch auf diese Weise nicht dargestellt sehen. Ein Blick auf die Unterhaltungslitteratur, auch auf die Opern der späteren Zeit bis auf die Gegenwart herab lehrt deutlich daß die Darstellung des Unsittlichen darin stets eine wesentliche Rolle spielt, aber unter den Formen, welche der Anschauungs- und Handlungsweise der Zeit entsprechen, und ferner daß das Bedürfniß, die sittlichen Gebrechen in ihrer eigenthümlichen Ausbildung dargestellt zu sehen, ein Symptom der sittlichen Krankheit einer jeden Zeit ist. Deshalb darf man nicht erstaunen daß man ein Bild jener sittlichen Corruption, die von der vornehmen Welt aus alle Stände durchdrang, zu einer Zeit, wo alle socialen und politischen Verhältnisse in nothwendiger Folge davon sich bereits in voller Auflösung befanden, mit einem gewissen gierigen Genuß betrachtete. Eben darin lag ein besonderer Reiz, daß man die volle Wahrheit des Dargestellten unwillkürlich empfand und doch vermöge der künstlerischen Darstellungsweise dasselbe als ein Fremdes anschaute, über welches man sich gestellt glaubte; dies um so mehr als die Verlegung in ein fremdes Land, der leichte, mit großer Geschicklichkeit behandelte Localton, über die allzunackte Wirklichkeit einen seinen Schleier legte, der das Interesse erhöhte, ohne das Verständniß zu erschweren.

[206] Dazu kommt daß jene Zeit, die den Figaro hervorbrachte und an ihm Gefallen fand, überhaupt in Litteratur und Kunst wie im Leben in Beziehung auf sinnlichen Genuß und die damit zusammenhängenden sittlichen Verhältnisse ungleich leichter und freier urtheilte als eine spätere, durch schwere Erfahrungen und Kämpfe aller Art ernster gewordene Generation. Es kann hier unerörtert bleiben, wie weit dabei mehr Sitte und Anstand, welche mit den Zeiten wandelbar sind, als die Sittlichkeit wirklich in Frage kommen; jene Erscheinung ist unläugbar und tritt in der Unterhaltungslitteratur wie in zahlreichen Zügen der Denk-und Lebensweise jener Zeit deutlich, oft für uns überraschend genug hervor. Für den nächsten Zweck genügt es an das Zeugniß von Caroline Pichler zu erinnern, welche in Bezug auf eben diese Zeit berichtet (Denkw. I S. 103f.), daß »in Wien damals ein fröhlicher, für jedes Schöne empfänglicher, für jeden Genuß offener Sinn herrschte. Der Geist durfte sich frei bewegen, es durfte geschrieben, gedruckt werden was nur nicht im strengsten Sinne des Wortes wider Religion und Staat war. Auf gute Sitten ward nicht so sehr gesehen. Ziemlich freie Theaterstücke und Romane waren erlaubt und cursirten in der großen Welt. Kotzebue machte ungeheures Aufsehen. – Seine Stücke, sowie Gemmingens deutscher Hausvater, der Ring von Schröder, viele andere, die im Strom der Vergessenheit versunken sind, und eine Menge Romane und Erzählungen (ich weise vor anderen auf Meißners Skizzen hin) waren auf lauter unanständige Verhältnisse gegründet. Ohne Arg und Anstoß sah, bewunderte, las sie die Welt und jedes junge Mädchen. Ich hatte alles dieß mehr als einmal gelesen oder gesehen, der Oberon war mir wohl bekannt, sowie Meißners Alcibiades. Keine Mutter trug ein Bedenken ihre Tochter mit solchen Werken [207] bekannt zu machen, und vor unsern Augen wandelten der lebenden Beispiele genug herum, deren regellose Aufführung zu bekannt war, als daß irgend eine Mutter ihre Töchter in Unwissenheit darüber hätte erhalten können8

Daß Mozart auch in dieser Hinsicht ein Kind seiner Zeit war, daß er sich auf dem Strom des leichten Lebens in Wien mit Behagen gleiten ließ, daß er in lustiger Laune es mit derben und freien Scherzen nicht genau nahm9 ist uns hinreichend bekannt, es darf daher nicht verwundern daß das frivole Element in Beaumarchais Lustspiel ihn nicht abgeschreckt hat. Ebensowenig darf man aber auch voraussetzen daß grade dies ihn angezogen habe, er nahm es wie die meisten als eine damals häufig angewendete Würze mit hin; die Hauptsache war ihm ohne Zweifel die lebendig sich entwickelnde, in jedem Moment spannende Handlung und die treffende, scharfe Charakteristik der Personen. Dies waren eben die Bedingungen des wahrhaft dramatischen Lebens, welche der gewöhnlichen opera buffa vollständig abgingen, [208] die weder an der Handlung noch an den handelnden Personen ein wirkliches Interesse fassen ließ, sondern auf einzelne lächerliche oder auch musikalisch wirksame Situationen gerichtet war, welche man in einen leidlichen Zusammenhang zu bringen sich begnügte, und deren Träger fast durchaus Karikaturen waren. Wahrscheinlichkeit nach der Analogie des wirklichen Lebens ist daher fast nie zu finden und selten genug tritt eine phantastisch-poetische Laune an ihre Stelle; und wo man es versucht hat, diesen karikaturhaften Gestalten und Situationen mehr ernsthafte einzureihen, wird der Abstand zwischen den unvereinbaren Gegensätzen meistens nur um so fühlbarer, eine rechte Einheit aber nirgends erreicht. Im Figaro dagegen beruht das Interesse wesentlich auf der Wahrheit mit der das wirkliche Leben dargestellt ist; die Intentionen der handelnden Personen sind durchaus ernsthaft gemeint und werden mit großer geistiger Energie durchgeführt, die Situationen entwickeln sich daraus ganz folgerichtig; nur die Beleuchtung unter die alles gestellt ist bringt die von Beaumarchais so stark betonte gaieté hervor, welche allerdings keineswegs harmlos und im Wesentlichen auch nichts weniger als musikalisch ist.

Es ist einer der stärksten Beweise für Mozarts außerordentliches Genie daß er, angeregt durch die dramatische Bedeutung des Stücks, ohne Bedenken und gewiß ohne darüber zu reflectiren es unternahm, demselben durch die musikalische Behandlung eine neue Seele einzuflößen; so sicher konnte er sein daß das was ihn innerlich anregte der Keim zu einer lebenskräftigen Schöpfung wurde. Die musikalische Darstellung konnte aber nur dadurch eine wahre werden, daß sie auf das psychische Element zurückgeführt wurde, welches in der Musik seinen Ausdruck erhält, auf die Empfindung10. [209] Indem diese, welche bei Beaumarchais vor den Kräften des Verstandes und Geistes als Hauptfactoren zurückgetreten war, als die wesentliche Potenz sich geltend machte, gegen welche nun jene Elemente sich unterordneten, wurde wie mit einem Schlage das Ganze in eine andere Sphäre erhoben. Beaumatchais sucht durch Rathschläge und Warnungen aufs sorgfältigste zu verhüten daß die Darsteller nicht Handlung und Charaktere ins Gemeine ziehen und durch Uebertreibung karikiren; der für die musikalische Neugestaltung naturgemäße Ausgangspunkt führte von selbst und nothwendig zur Veredlung und Verfeinerung der gesammten Darstellung. Denn theils kommt das wahre und [210] echte Gefühl, welches bei einem Theil der handelnden Personen die eigentliche Triebfeder ausmacht, nun auch in seiner vollen Kraft zur Geltung, theils wird selbst das Verwerfliche oder Bedenkliche dadurch, daß eine starke, ursprünglich natürliche aber irregeleitete Gemüthserregung als die Quelle desselben erscheint, uns menschlich so nahe gerückt und gewinnt eine Bedeutung, daß die künstlerische Darstellung desselben gerechtfertigt erscheint. Hier ist der Musiker auf seinem eigentlichen Gebiet und für den Künstler, der dasselbe zu gewinnen und zu beherrschen vermochte, war nun der Reichthum an dramatischen Situationen und Charakteren ein reiner Gewinn; man sieht von Neuem daß das in die Tiefe dringende wahre Genie Bedingungen der schönsten Leistungen findet, wo der nur über die Oberfläche streifende Blick bloß Schwierigkeiten gewahrt. Es kam darauf an jede der handelnden Personen, da sie ein wirkliches, ihnen am Herzen liegendes Interesse verfolgen, auch in jedem Moment das innerste Gefühl wahr und naturgemäß aussprechen zu lassen, daraus ergab sich von selbst die Aufgabe der echten dramatischen Charakteristik, die Individualitäten scharf und präcis, aber von innen heraus wahr und rein darzustellen, so daß die Uebertreibung der Karikatur nothwendig ausgeschlossen bleibt.

Für die Hauptpersonen den Graf und die Gräfin, Figaro und Susanne, Cherubin liegt dies klar vor; sie sind von ihren Empfindungen und Leidenschaften so völlig beherrscht, in den daraus hervorgehenden Verwickelungen so gänzlich befangen, daß die künstlerische Darstellung sich nur die Aufgabe stellen kann diese Seelenzustände mit der vollsten Wahrheit anschaulich zu machen. Bartolo und Marcelline könnten an sich zu karikaturmäßiger Behandlung einladen, wie denn ja derselbe Bartolo im [211] Barbier von Sevilla zu einer echten Buffopartie geworden ist; hier wird sie schon durch den Umstand verboten daß beide später als Figaros Eltern erkannt werden, wodurch freilich eine komische Situation, aber zugleich eine Lösung herbeigeführt wird, deren gemüthliche Bedeutung nicht nur aufgehoben sondern zum Widerwärtigen verkehrt werden würde, wenn wir diese Eltern als fratzenhafte Personen hätten kennen lernen. Der von Beaumarchais angedeutete Zug daß Marcelline sich gegen Susanne überhebt »parce qu'elle a fait quelques études et tourmenté la jeunesse de Madame«, wodurch sie über das gemeine Wesen einer gewöhnlichen alten Haushälterin hinausgehoben wird, ist allerdings für die musikalische Charakteristik nicht brauchbar, allein Mozart hat in der Situation, wo die komische Seite der Marcelline hervortritt, sie auf eine geschickte Weise zu schonen gewußt. In dem Duett (I, 5) nämlich, in welchem Susanne und Marcelline einander Impertinenzen bis zu gegenseitiger Erbitterung sagen, ist theils dadurch daß das Orchester hauptsächlich die eigentliche Zänkerei ausführt der Ausdruck im Allgemeinen sehr gemildert, theils sind beide Frauenzimmer durch die musikalische Ausführung einander vollkommen gleichgestellt; und da Susanne nun nicht durch wirkliche Ueberlegenheit sondern nur durch ihre jugendliche Anmuth den Sieg über Marcelline davon trägt, so erscheint das Ganze als ein Ausbruch jener eifersüchtigen Empfindlichkeit, der das weibliche Geschlecht vorzugsweise unterworfen ist. Edle Frauennaturen werden zwar, auch wenn sie derartige Regungen empfinden sollten, ihnen nie nachgeben, allein dieser höheren Sphäre gehören beide eben nicht an, beide lassen ihrer gereizten Laune die Zügel schießen. Da sie sich dabei nicht soweit vergessen daß das Zartgefühl beleidigt würde, bleibt der Gesammteindruck ein heiterer und [212] Marcelline wird ihrer ganzen Haltung nach der Susanne nicht untergeordnet11. Später, wo es sich um ernste Dinge für sie handelt, im ersten Finale, wo sie ihre Ansprüche auf Figaro geltend macht, im Sextett, wo sie ihn als Sohn erkennt, ist der musikalische Ausdruck durchaus gehalten und voll wahrer Empfindung. Eine Sängerin, welche dies zur Geltung zu bringen und nach diesen so charakteristischen Zügen ihre Darstellung auszubilden im Stande wäre, würde aus der Marcelline zwar sicherlich keine edle Frauengestalt, aber etwas ganz anderes als die ordinäre alte Haushälterin machen, die man leider gewöhnlich sieht und hört, – wenn man sie hört, da man aus einem mißverstandnen Bestreben nach Illusion anzunehmen scheint, die Mutter des Figaro müsse eine alte Frau sein und wie eine alte Frau singen. Dagegen trägt die Arie der Marcelline (IV, 2) allerdings nichts zur individuellen Charakteristik derselben bei. Ihrem Inhalt nach ist sie weder für die Situation noch den Charakter der Marcelline bedeutend und in ihrer Lehrhaftigkeit unmusikalisch; sie ist auch in der That in der ganzen Oper das einzige Musikstück, das gleichgültig läßt. Erfindung und Ausführung ist nicht bedeutend, der ganze Zuschnitt bis in die Coloraturen – die einzigen der Art welche sich im Figaro finden – altmodisch nach Art der hergebrachten Arien für eine secanda donna: es scheint dies eine der Sängerin zugestandene Beigabe zu sein12.

[213] Basilio, der kalte Verstandesmensch und malitiöse Intrigant, ist durchaus keine Figur, welche durch Karikatur zu [214] einer komischen gemacht werden kann. Ein erster Tenorist hält sich in der Regel zu gut für diese Rolle, ist auch in der Regel nicht gut genug um dieselbe sein und charakteristisch durchzuführen. Kelly13, für welchen sie geschrieben ist, war kein unbedeutender Sänger – er hatte in Neapel unter Aprile seine Schule gemacht und fand in Italien und Wien als Tenorist in Hauptpartien großen Beifall – und ein namentlich durch seine Mimik ausgezeichneter Komiker14. Vergegenwärtigt man sich einen Sänger, der im Stande ist die Malice und den Hohn des Basilio im Terzett (I, 7) mit Feinheit und Charakter wiederzugeben, so tritt diese Partie in einer eigenthümlichen Bedeutung heraus, da sie der angstvollen Erregtheit der Susanne wie dem Zorn des Grafen gegenüber dem Musikstück seinen besonderen Charakter giebt, einen Charakter von Ironie, wie er selten in der Musik seinen Ausdruck gefunden haben mag. Der einzige von Oulibicheff (II p. 45f.) mit Recht hervorgehobene Zug, daß Basilio die Worte, durch welche er anfangs den Grafen zu beschwichtigen suchte: ah del paggio quel ch'ho detto era solo un mio sospetto dann, nachdem der Page auf dem [215] Lehnsessel gefunden worden ist, wiederholt und zwar nun eine Quinte höher15, drückt so treffend die raffinirte Bosheit aus, daß er für die Auffassung der ganzen Partie maßgebend ist, die richtig verstanden fast überall in den Vordergrund tritt16. Im Verlauf der Oper wird Basilio allerdings sehr in den Hintergrund geschoben; die komische Art wie ihn bei Beaumarchais der Graf zur Strafe entfernt, seine Bewerbung um Marcelline hätten an sich dankbare Situationen auch für die Oper gegeben, allein Verkürzung und Vereinfachung waren streng geboten, und so mußten sie dem geopfert werden, was nicht zu entbehren war. Die Arie, welche Basilio im letzten Act gegeben ist (IV, 3), bietet dafür keinen ganz ausreichenden Ersatz. Da Ponte, der wo er sich nicht an Beaumarchais anschließen kann in die Manier der gewöhnlichen libretti verfällt, läßt ihn die Fabel von der Eselshaut erzählen um zu beweisen daß wer sich nur zu schmiegen und verstellen weiß sicher und gut durch die Welt kommt. Die musikalische Darstellung folgt der Erzählung, wobei das Orchester das Detail der Charakteristik ausführt und auch die Tonmalerei nicht verschmäht, ein allgemein beliebtes Mittel der musikalischen Komik, von dem aber Mozart sonst im Figaro in dieser Weise keinen Gebrauch macht17: das [216] Gewitter, das Geheul des wilden Thiers, das ängstliche Zurückweichen sind bescheiden aber vernehmlich ausgedrückt. Indessen sind diese Züge nicht die Hauptsache, die Munterkeit der Erzählung, der Ausdruck von Behaglichkeit mit der er seine Eselshaut gebraucht, und vor allem der, von Oulibicheff (II p. 59) nach Verdienst gewürdigte, unvergleichliche Einfall die Schlußsentenz des herzlosen Feiglings: onte, pericoli, vergogna e morte col cuojo d'asino fuggir si può durch eine Art von militärischem Triumphmarsch zu parodiren, [217] geben der Arie ein so ganz eigenthümliches Gepräge, daß sie mit Humor und seiner Mimik vorgetragen in der That zu einem Charakterbild des Basilio wird, dem eben jede wahre gemüthliche Regung fremd bleibt.

Die Nebenpersonen des betrunkenen Gärtners Antonio und des stotternden Richters Don Curzio hätten unter Umständen zu Karikaturen im Sinne der opera buffa werden können, allein sie treten in Situationen auf, deren Charakter so bestimmt nach einer andern Seite hin ausgeprägt ist, daß sie sich demselben fügen müssen, soll nicht die Harmonie des Ganzen gestört werden, die Niemand schöner zu bewahren gewußt hat als Mozart.

Recht bedeutungsvoll ist es daß die kleine Cavatine (IV, 1) der Barberina (bei Beaumatchais Fanchette) zwar nicht eigentlich karikirt ist, aber doch die Farben stärker aufträgt, als sonst geschieht. Diese Kleine ist in ihrer Neigung zu Cherubin, wie in der Offenherzigkeit, mit welcher sie Alles heraussagt und dadurch für den Grafen zum wahren enfant terrible wird, völlig kindlich, und nicht blos naiv sondern auch ungebildet. Es ist daher nur der Wahrheit gemäß daß sie ihren Schmerz als sie die Nadel verloren hat, ihre Angst, ihre Furcht vor der Strafe mit aller Stärke eines Kindes ausspricht, und wenn man sie jammern, seufzen, weinen hört, so macht das denselben komischen Eindruck, dessen sich ein Erwachsener kaum erwehren kann, wenn ein Kind sich seinem Herzenskummer völlig hingiebt und ihn mit einer Energie ausdrückt, welche zu der geringfügigen Veranlassung in gar keinem Verhältniß steht. Daß die starken Accente, welche Mozart hier gehäuft hat um das Unverhältnißmäßige des kindischen Affects auszudrücken, später vielfach zum Ausdruck wahrer Empfindung verwendet worden sind, kann der Wahrheit seiner Charakteristik keinen Eintrag thun.

[218] Nahe verwandt ist es, wenn der Ausdruck der Empfindung da in ähnlicher Weise übertrieben wird, wo sie als eine unwahre, verstellte charakterisirt werden soll, wie wenn Figaro im letzten Finale der angeblichen Gräfin, die er als Susanne erkannt hat, seine Liebeserklärung macht, und absichtlich noch gesteigert, als er die Eifersucht des Grafen erregen will. Hier sind die schärfften Accente der Leidenschaft parodirend gehäuft. Wie ganz anders spricht derselbe Figaro seine Gefühle aus, wie einfach, wie herzlich und warm empfunden ist der Ausdruck seiner Liebe sowohl im ersten Duett (I, 1), wenn er sich im Messen unterbricht und mit herzlicher Freude an seiner hübschen Braut sagt: si, mio core, or è più bello, als im letzten Finale, wo er der Verstellung ein Ende macht und in höher gehobener Stimmung, im vollen Gefühl seines neu gewonnenen, nun ihm ganz gesicherten Glücks ihr zuruft: pace! pace, mio dolce tesoro! Da ist keine Uebertreibung irgend welcher Art, sondern der reine volle Klang wahrer Empfindung. Nicht anders spricht derselbe Figaro sich aus, wo ihn das aus seiner Liebe hervorgehende, deshalb eben so ernsthafte Gefühl der Eifersucht erregt. Anfangs zwar ist dies Gefühl eigenthümlich gemischt. Durch Susanne selbst gewarnt, weiß er sich ihrer sicher und fühlt sich dem Grafen, mit dem er es jetzt zu thun hat, geistig überlegen, er betrachtet daher seine Situation mit Freiheit und einem Humor, welchen die berühmte Cavatine (I, 3) herrlich wiedergiebt. So heiter sie beginnt, so mischen sich doch in den Ausdruck des Uebermuths und der Beweglichkeit auch Züge von Bitterkeit und Ingrimm, die deutlich verrathen, wie sehr ihm die Sache zu Herzen geht, die er so leicht zu nehmen scheint. Später, als er sich getäuscht glaubt, wie wahr spricht er seinen Schmerz und Unwillen schon in dem der Arie (IV 4) vorangehenden Recitativ aus. Aber seine Eigenthümlichkeit [219] verläugnet sich auch hier nicht, das Bewußtsein des Lächerlichen welches seine Situation hat verläßt ihn nicht, und der Zorn gegen das ganze weibliche Geschlecht, in den er sich immer eifriger hineinredet, nimmt daher unwillkührlich einen komischen Charakter an18, in den sich aber, sowie das Gefühl lebhafter wird, daß er selbst der leidende Theil ist, wieder Züge dieses Schmerzes und Kummers mischen. Diese Mischung warmer Gemüthserregung und unwillkührlicher Reaction des Verstandes durch das Komische ist psychologisch vollkommen wahr und bei einem Charakter, wie Figaro gedacht ist, nothwendig; ihren Ausdruck hat sie erst durch die Musik erhalten, welche hier ein von einer gewöhnlichen Buffoarie sehr unterschiedenes Kunstwerk geschaffen hat. Nicht minder wahr und menschlich befriedigend ist es aber auch, daß Figaro später, als er sich mit eigenen Sinnen von Susannes Untreue überzeugt zu haben glaubt, so daß ihm kein Zweifel mehr bleibt, nur ganz einfach den resignirten Schmerz [220] getäuschter Liebe ausdrückt (S. 457 tutto è tranquillo); eine Stimmung, wie sie bei Figaro nicht lange anhalten kann und daher ganz naturgemäß durch Susannes Auftreten rasch umgewandelt wird19.

Die Sicherheit und Schärfe dieser individuellen Charakteristik tritt noch mehr hervor, wenn man andere Personen in verwandten Situationen daneben stellt. Unmittelbar auf die Arie, in welcher Figaro dem Grafen den Krieg erklärt (I, 3), folgt die Arie Bartolos (I, 5)20, in welcher dieser seinen nahen Sieg über Figaro verkündigt. Auch ihm ist es vollkommen Ernst, Figaro hat ihn grausam betrogen, der lang ersehnte Augenblick ist gekommen, wo er sich an ihm rächen kann und rächen wird: tutta Sevilla conosce Bartolo, il birbo Figaro vinto sarà. Er ist voll Stolz und Selbstgefühl:


la vendetta è un piacer serbato ai saggi,

l'obliar l'onte, gl'oltraggi

è bassezza, è ognor viltà


und so beginnt die Arie mit dem kräftigen und sogar schwunghaften, durch die rauschende Instrumentation noch besonders hervorgehobenen Ausdruck dieses stolzen Selbstvertrauens; [221] er fühlt die ihm angethane Kränkung und die Ehrenpflicht der Rache21 aufrichtig und dies Gefühl giebt ihm eine gewisse Würde. Aber Bartolo ist weder ein großer Charakter noch ein großer Geist; sowie er sich weiter ausläßt über die [222] Art wie er Figaro zu überwinden gedenkt, kommt der Rabulist heraus, welcher sich über seinem eigenen Geschwätz erhitzt und dann erfreut Triumph ruft. Ernst ist es ihm auch damit, und nichts kann verkehrter sein als diese Arie in einer Weise zu karikiren als parodire Bartolo sich selbst mit seiner Würde; das Komische liegt auch hier, wie schon in einem ähnlichen Fall angedeutet wurde (S. 175f.), in dem Widerspruch der an sich unverächtlichen, stolzen Gesinnung, die ihrer Natur nach auf Würde Anspruch macht, und der Kleinlichkeit, welche sie nothwendig verscherzt; beide in ihrem Gegensatz und in ihrem innigen Zusammenhang wahr und treffend zu charakterisiren war die Aufgabe, wenn Bartolo nicht als eine karikirte Fratze sondern als ein Mann erscheinen sollte, der unter veränderten Umständen auch mit Vernunft und Gefühl handeln kann, und Mozart hat sie mit großer Feinheit gelöst22.

Und nun wiederum der Graf!23 In dem Augenblick, wo ihn Susanne erhört hat, glaubt er aus einem Wort von ihr abzunehmen daß sie, um desto sicherer ans Ziel zu gelangen, [223] ihn hintergangen hat. Gekränkter Stolz sich so überlistet zu sehen, getäuschte Hoffnung des so glühend ersehnten Genusses, Eifersucht auf den glücklichen Nebenbuhler, der sein Diener ist, alles dies regt ihn zur heftigsten Leidenschaft auf, die in die echt cavaliermäßigen Worte ausbricht (III, 2):Vedrò, mentr' io sospiro, felice un servo mio! Welchen Ausdruck hat Mozart denselben zu geben gewußt! Während die getäuschte aber nicht besiegte Leidenschaft noch ihren bittersten Stachel tief ins Herz drückt, flammt der verletzte Stolz hoch auf um kein anderes Gefühl mehr aufkommen zu lassen als das der Rache24. Es ist vor allem der vornehme Herr, der seine Ehre empfindlich gekränkt fühlt, weil er die seiner Diener nicht verletzen kann – damals durfte ein vornehmer Herr dies Gefühl als berechtigt ansehen und aussprechen –, daher mischt sich auch in den Ausdruck seines Rachedurstes und seines Siegesgefühls nichts von der seinen Verschlagenheit Figaros oder der Rabulisterei Bartolos, die leidenschaftliche Erregung allein ergießt sich im vollen Strom, nur die vornehme Haltung des Grafen giebt ihr eine bestimmte Fassung. Hier tritt die idealisirende Kraft der musikalischen Darstellung besonders hervor; Beaumatchais legt den Hauptnachdruck auf den [224] guten Ton im Benehmen25, Mozart läßt uns die Leidenschaft des Grafen als eine in der menschlichen Natur tief begründete und von ihm wahr und innerlich empfundene mitempfinden und dadurch unwillkührlich einen Theil der Schuld auf die Verhältnisse übertragen, man fühlt sich eher geneigt ihn wegen seiner Schwäche zu bedauern als zu verachten oder gar zu verlachen. Wie in dieser Arie der Ausdruck des verletzten Stolzes vorwiegt vor dem der getäuschten Neigung, so ist mit richtigem Takt die musikalische Darstellung des Grafen überhaupt fast ausschließlich nach dieser Seite gewendet; Stolz, Eifersucht, Zorn, so wenig gerechtfertigt auch ihre Ausbrüche sein mögen, sind immer würdigere und edlere Motive als eine Liebelei, welche nur sinnliche Regung zum Grunde und frivole Denkart zur Entschuldigung hat. Allerdings in dem hinreißenden Duett mit Susanne (III, 1)26 findet auch dieses Gefühl seinen Ausdruck; allein wie die Situation dadurch für den Zuschauer erträglich gemacht ist daß er weiß, Susanne spielt nur auf den Wunsch der Gräfin diese Rolle, so hat Mozart durch die Feinheit, mit welcher er die kühle, berechnete Mischung von Entgegenkommen und Zurückhaltung in Susannes Benehmen so wiederzugeben wußte, daß der Zuhörer ebenso klar über den wahren Grund desselben ist als er das Mißverstehen des Grafen begreift, in diesem kleinen Duett ein dramatisches Kunstwerk [225] ersten Ranges geschaffen. Gleich die harmonischen Wendungen ihrer ausweichenden Antwort auf seine leidenschaftliche Frage: Signor, la donna ognora tempo ha di dir sì sind ein Meisterstück musikalischer Diplomatie, und der pikante Einfall daß sie auf seine sich drängenden Fragen verrai? non mancherai? wie in der Verwirrung si statt und umgekehrt zu seiner großen Bestürzung antwortet, hat mehr als einen komischen Effect zu bedeuten27; er charakterisirt mit einem treffenden Zug die Sicherheit mit welcher sie mit seiner Leidenschaft spielt, die grade in diesen schmeichelnd sich andrängenden Fragen einen sinnlichen Ausdruck gewinnt, wie sonst nirgend. Denn im Ganzen tritt doch auch hier die Freude über den endlich gewonnenen Sieg vor der sinnlichen Regung entschieden in den Vordergrund.

Das sinnliche Element der Liebe spielt aber im Figaro eine so große Rolle, daß es zu verwundern wäre, wenn die Musik es nirgend wiederzugeben suchte. Wie weit und in welcher Weise die Musik fähig ist, nicht etwa direct oder pathologisch auf die sinnliche Empfindung des Hörers zu wirken, sondern diese Seite der Liebe künstlerisch in Tönen zur Darstellung zu bringen, wie es die bildende und die Dichtkunst vermögen, wird schwer zu bestimmen sein; daß es Mozart gelungen sei mit den Schwesterkünsten erfolgreich zu wetteifern wird Niemand bezweifeln. In der sogenannten Gartenarie der Susanne28 (IV, 5) ist die Sehnsucht der [226] Braut nach dem geliebten Manne mit der größten Zartheit und Innigkeit in der reinsten Schönheit ausgesprochen, aber diese einfachen wie in seliger Ruhe sich wiegenden Töne, die man wie die »gewürzte sommerliche Abendluft« einzuathmen glaubt, sind von einem geheimnißvollen milden Feuer durchglüht, das die Seele im Innersten erbeben macht, berauschend, lockend wie das Lied der Nachtigall29. Mozart hatte Recht die Empfindung der liebenden Braut voll und rein ausklingen zu lassen, denn Susanne hat nur ihren Figaro im Sinn und spricht ihr wahres Gefühl aus; die Situation, welche diesen im Versteck mit dem Argwohn zuhören läßt daß sie den Grafen erwarte, bringt das schillernde Streiflicht hervor, aber auch diese wird dramatisch erst durch die Wahrheit [227] im Ausdruck der Gefühle Susannes völlig wirksam. So wie man nun die Erscheinung Susannes ohne sinnlichen Reiz sich nicht denken kann, so ist auch für ihre Empfindung dieser Schimmer von Sinnlichkeit ein wesentliches Element; nur hat Mozart dasselbe zu einer so edlen Reinheit verklärt, wie es uns nur in den herrlichsten Werken griechischer Plastik entgegentritt. Indessen ist damit der Charakter der Susanne keineswegs erschöpft, und es ist ein Beweis von klarer Einficht, daß diese Seite desselben sich erst dann vor uns so unverhüllt offenbart, nachdem wir die nicht minder wesentlichen Eigenschaften ihrer seinen und heiteren Schalkhaftigkeit, und ihrer aufrichtigen Neigung und treuen Anhänglichkeit haben kennen lernen. Die an sich nicht unbedenkliche Scene, in welcher die Damen den Pagen verkleiden, wird durch die Fröhlichkeit, mit welcher Susanne das Ganze als eine Neckerei behandelt, zu einem heiteren Spiel, dem die Grazie mit der es getrieben wird einen unwiderstehlichen Reiz giebt, wenn nicht etwa die Darstellerinnen durch Koketterie verderben was der Componist gut gemacht hat. Denn diese Arie der Susanne (II, 3) ist schon in technischer Hinsicht ein wahres Kabinetsstück, indem das Orchester ein wohl angelegtes mit dem feinsten Detail sauber ausgearbeitetes Musikstück ausführt, welches in sich abgerundet ein selbständiges Ganze bildet, das aber nicht allein die Situation charakteristisch wiedergiebt, sondern, wenn man es genauer darauf ansieht, in der That nur die Folie für die Singstimme bildet, welche durchaus frei und selbständig in ihrem Gebiete schaltet. Ungleich bewundernswürdiger aber ist die schalkhafte, heitere Laune, welche das ganze ziemlich lange Stück von Anfang bis zu Ende durchweht, ohne sich je zu einer höher erregten Gemüthsstimmung zu erheben noch durch pointirtes Wesen zu reizen: es ist lediglich die Fröhlichkeit der [228] Jugend, welche in Scherz und Tändeln, ohne noch etwas anderes zu suchen, ihre Luft und ihre Befriedigung findet, die mit aller Frische und Anmuth der Jugend ihren Ausdruck gefunden hat. Dieser jugendliche Sinn schließt aber inniges Gefühl keineswegs aus, wo es ernste Dinge gilt: in dem Terzett (II, 4), wo Susanne verborgen dem Wortwechsel zwischen dem Grafen und der Gräfin zuhört, zeigt sie sich tief ergriffen und spricht ihr Mitgefühl ebenso ernst als wahr aus; wie denn diese peinliche Situation von Mozart durchaus nicht mit leichtem Scherz sondern mit tiefem Gemüth erfaßt und dargestellt ist, mit einer inneren Wahrheit die über die Schablone der eigentlichen opera buffa weit hinausgeht30. In ihrem Verhältniß zu Figaro kehrt Susanne wie billig beide Seiten ihres Wesens hervor und es ist sehr verständig so angeordnet daß, nachdem gleich zu Anfang (I, 1) ihre Liebe, zwar in keiner Weise sentimental, aber recht herzlich und wahr sich ausgesprochen hat, unmittelbar darauf in dem zweiten Duett (I, 2) ihre heitere Laune sich äußert. Die Ueberlegenheit welche sie Figaro gegenüber fühlt, der durch sie zuerst von den Nachstellungen des Grafen etwas erfährt, verbunden mit der Sicherheit, welche ihr das Bewußtsein ihrer treuen Neigung beiden gegenüber giebt, läßt sie auch diese schwierige Situation mit Humor auffassen und [229] ihre jugendliche Heiterkeit trägt den Sieg davon, während bei Figaro der Eindruck natürlich ein tieferer ist. Mit der unbefangensten Fröhlichkeit beginnt Figaro, aber wie neckisch verkehrt sich dasselbe Motiv in Susannes Munde zur bedenklichen Warnung, deren Wirkung auf ihn so ernst ist, daß auch ihr herzliches Zureden nicht alle Wolken von seiner Stirn verscheucht31. Die Grundstimmung, wie sie dem Verkehr zwischen Brautleuten zu Grunde liegt, kann nicht lebendiger und wärmer ausgedrückt werden als in diesen Duetts, durch die man sogleich in das richtige Verständniß eingeführt wird. Zum Schluß aber sehen wir noch dies Paar wie im Wetteifer einander zu versuchen und die geistige Kraft zu messen sich gegenübergestellt, als im letzten Finale Susanne in den Kleidern der Gräfin Figaro auf die Probe stellt und dieser, der sie erkennt, mit Humor darauf eingeht: in diesem Duett sprudelt ein Leben und eine Jovialität, wie nie vorher, welche dann nach der Aufklärung sich in den herzgewinnenden Ausdruck der zärtlichen Liebe zu voller Befriedigung auflösen.

Sehr viel einfacher als der complicirte Charakter Susannes ist der der Gräfin und Cherubins. Die Gräfin32 ist allein als die liebende, durch Untreue und Eifersucht gekränkte Gattin dargestellt; das Motiv einer erwachenden, im Keim erstickten, halben Neigung zu dem Pagen ist für die musikalische Charakteristik ganz außer Spiel geblieben, [230] vielmehr ist es die Reinheit und Hoheit ihres Gefühls welche diese so schön zum Ausdruck bringt. Sie leidet, aber sie ist noch nicht hoffnungslos, und die ungeschwächte Empfindung ihrer eigenen Liebe giebt ihr Kraft auf die des Grafen zu hoffen. So tritt sie uns in den beiden schönen Arien entgegen. Die Klarheit und Ruhe einer edlen, in sich gefaßten Seele, über welche Kummer und Sehnsucht erst einen leichten Schatten zu werfen anfangen, ohne ihre Schönheit zu trüben, spricht sich mit dem innigsten Gefühl in der ersten Arie (II, 1) aus; während die zweite (III, 4) dem Moment, wo sie einen gewagten Schritt thun will um den Grafen wieder an sich zu fesseln, gemäß etwas bewegter gehalten ist und trotz der bangen Besorgniß, welche sie nicht zu unterdrücken vermag, doch die freudige Hoffnung auf wiederkehrendes Glück lebhaft ausspricht. Die Reinheit und Wahrheit dieses Gefühls, wie es die Musik ausdrückt, kann denn auch die bedenkliche List, zu welcher sie sich dem Grafen gegenüber berechtigt hält, einigermaßen motiviren. Nicht so scharf gehalten ist die Charakteristik in der großen Arie der Gräfin Al desio di chi t'adora, welche Mozart als man im Sommer 1789 den Figaro in Wien wieder auf die Bühne brachte für die Ferrarese del Bene schrieb33. Offenbar hatte diese eine glänzendere Partie gewünscht und Mozart willfahrte ihr, indem er diese Arie in zwei breit angelegten und in großem Stil ausgeführten Sätzen componirte, welche in ihrer Haltung den großen Arien in Così fan tutte und im Titus verwandt ist. Es ist nicht sowohl die in der Singstimme wie im Orchester hervortretende Bravur, als der viel größere Aufwand von sinnlicher Kraft und Fülle, mit welchem die Grundstimmung der auf die [231] Rückkehr des Geliebten harrenden Sehnsucht ausgedrückt ist, wodurch diese Arie den Charakter der Gräfin nicht wiedergiebt, so wohl sie auch der Situation im Allgemeinen entspricht34. Denn die Gräfin erscheint als die sanfte Dulderin, ihre Liebe ist von einer idealen Reinheit und äußert sich nicht mit Leidenschaft sondern einer süßen Schwermuth; nur die Beleidigungen des Grafen können ihren Zorn und die Verlegenheiten, in die sie sich gebracht sieht, ihre jugendliche Lust an Neckereien und Täuschungen wieder etwas aufregen. In dieser Arie aber spricht eine warmblütige, stark und kräftig fühlende Natur das tief erregte Verlangen einer unbefriedigten Leidenschaft aus, welches die lange Vernachlässigung des Gemahls nur gesteigert hat, ganz verschieden auch von der bräutlichen Empfindung der Susanne. Sieht man von dem besonderen Charakter der Gräfin ab, so ist die Arie dem Ausdruck wie dem Klange nach von wundervoller Wirkung, die noch ganz besonders durch die eigenthümlich schöne Orchesterbehandlung gehoben wird35.

Eine der eigenthümlichsten musikalisch-dramatischen Schöpfungen ist Cherubin36. Beaumarchais hat einen Knaben [232] geschildert, der eben zum Jüngling heranreifend die ersten Regungen der Liebe in sich erwachen fühlt, die in ihrer seltsamen Mischung von Sinnlichkeit und Schwärmerei ihm selbst ein Räthsel sind, dessen Lösung ihn unaufhörlich beschäftigt und in Spannung hält. Das Schloß des Grafen Almaviva ist kein der Unschuld günstiger Aufenthalt, so ist denn auch der schöne Knabe, der allen Frauen gefällt, von Lüsternheit und Vorwitz nicht mehr frei; tu sais trop bien, sagt er zu Susanne, que je n'ose pas oser. Es ist natürlich daß die musikalische Charakteristik sich nur an seine Gefühle hält, die in verschiedenen Nuancen ihren Ausdruck finden. Susanne gegenüber, wo er sich frei gehen läßt, spricht er rückhaltslos die Erregtheit seines ganzen Wesens in der berühmten Arie (I, 6) aus, welche die fieberhafte Unruhe, das tiefe Sehnen nach einem unbestimmten, nicht zu erfassenden Gegenstand so einfach und wahr ausdrückt. Das Schwankende der Gefühle, die noch zu keiner bestimmten Leidenschaft sich gestalten können, aber in rastloser Bewegung derselben entgegenstreben, die Qual und der Genuß dieser nie befriedigten Erregung haben einen wunderbar schönen, auch das sinnliche Element hervorhebenden Ausdruck gefunden. Merkwürdig ist die Einfachheit der Mittel, durch welche diese außerordentliche Wirkung erreicht wird. Eine nicht ungewöhnliche Begleitungsfigur, welche von den Geigen festgehalten wird, dient wesentlich den Charakter der unruhigen Bewegung hervorzubringen, die Harmonie ist überhaupt einfach gehalten und macht nie auffallende Rückungen, starke Drucker und Accente jeder Art sind äußerst sparsam angebracht, und doch ist diese zerfließende Weichheit mit einer [233] verzehrenden Gluth gepaart. Von besonderer Wirkung ist dabei die Instrumentation, die einen ganz neuen Charakter annimmt; die Saiteninstrumente sind gedämpft, die Clarinetten treten zum erstenmal, und sehr bedeutend, sowohl für sich als durch die Mischung mit Hörnern und Fagotts hervor. Eine merklich unterschiedene Schattirung zeigt die Romanze im zweiten Act (II, 2). Cherubin spricht hier nicht unmittelbar seine Empfindung aus, sondern er trägt eine Romanze vor, in welcher sie schon in eine bestimmte Form gekleidet ist, und in Gegenwart der Gräfin, zu der er mit der ganzen Schüchternheit knabenhafter Schwärmerei aufblickt. Die Form ist der Situation gemäß die des Liedes, die Singstimme trägt die schöne, klar dahinfließende Melodie in stetigem Zusammenhang vor, die Saiteninstrumente führen pizzicato eine einfache die Guitarre nachahmende Begleitung durch; allein diese edlen, schön geschwungenen Umrisse werden durch das seine Spiel der Solo-Blasinstrumente wunderbar schattirt und belebt, welche für den Gang der Melodie und die Vollständigkeit der Harmonie an sich entbehrlich sind, aber in den zartesten Zügen das ausführen, was man in der Romanze zwischen den Zeilen lesen soll, was im Herzen dessen vorgeht, der sie vorträgt. Man weiß nicht, was man mehr bewundern soll, die Anmuth der Melodie, die Feinheit der Stimmführung, den Reiz der Klangfarbe, die Zartheit im Ausdruck: das Ganze ist von hinreißendem Zauber. Der Ausdruck der Stimmung ist gehaltener, klarer als in jener Arie, obgleich die Melodie freier geführt, die Harmonie reicher und bewegter ist; allein eine schmachtende Zärtlichkeit, die sich nur in Seufzern zu äußern wagt, verbreitet einen feuchten Glanz über das Ganze.

Leider sind wir durch einen nicht bekannten Umstand um eine dritte Arie Cherubins gekommen. Nach der sechsten [234] Scene des zweiten Akts, in welcher Barberina den Pagen auffordert sie zu begleiten findet sich in der Originalpartitur die Bemerkung: Segue Arietta di Cherubino; dopo l'Arietta di Cherubino viene scena 7ma ch'è un Recitativo istromentato con Aria della contessa. Diese Ariette ist nicht vorhanden und vermuthlich in Folge einer scenischen Veränderung gar nicht geschrieben. Das ist sehr zu bedauern; denn Cherubin der Barberina gegenüber, das gäbe einen wesentlichen Zug, der jetzt im Bilde desselben fehlt. Aber auch so ist dieses Bild ein so anziehendes, eigenthümliches, daß man Cherubin unbedenklich zu den genialsten Schöpfungen Mozarts rechnen darf37.

So sehen wir diese ganze Reihe der handelnden Personen als menschlich fühlende Wesen vor uns, wir verstehen aus dem innersten Kern ihrer Natur heraus ihr Handeln und Benehmen, jeder stellt sich als ein bestimmt ausgeprägtes, von den übrigen unterschiedenes Individuum dar. Es ist begreiflich daß der Meister psychologischer Charakteristik kein Bedürfniß empfand derselben noch durch ein äußerliches Costum zu Hülfe zu kommen und darauf verzichtete durch Anwendung bestimmter musikalischer Formen daran zu erinnern daß das Stück in Spanien spielt. Nur an einer und zwar der passendsten Stelle ist auch dieses Mittel benutzt. Der Tanz, welcher im dritten Akt bei der Hochzeitsfeier aufgeführt wird (III, 8 S. 377), erinnert so bestimmt [235] an die noch jetzt in Andalusien übliche Melodie des Fandango38, daß man nicht zweifeln kann, dieselbe sei damals in Wien bekannt gewesen; und dies wird noch dadurch bestätigt daß auch Gluck in seinem Ballet Don Juan39 dieselbe Tanzmelodie benutzt hat. Vergleicht man Mozarts Tanz mit den beiden andern40, so ergiebt sich daß er aus einigen charakteristischen melodiösen und rhythmischen Elementen des Originals durchaus frei und selbständig ein neues Musikstück gebildet hat, in welchem Würde und Grazie eigenthümlich gepaart sind; die Behandlung der Bässe und Mittelstimmen, das abwechselnde Eingreifen der Blasinstrumente erhöhen das fremdartige Colorit desselben41. Der schöne Marsch, welcher dem Ballet vorangeht, dessen allmähliches Herankommen eine sehr wirksame Steigerung hervorbringt42, erhält besonders durch die bei der häufigen Wendung nach Moll in den Blasinstrumenten abwechselnd durchklingende


16.

[236] eine etwas fremdartige Färbung (III S. 115), ohne übrigens einen bestimmt ausgesprochnen nationalen Charakter zu tragen. Auch die Chöre, welche bei dieser Gelegenheit, von Frauen- oder gemischten Stimmen gesungen werden, machen so wenig als der Chor im ersten Akt (I, 8) Anspruch auf spanische Nationalität, sie sind munter, frisch, sehr anmuthig und entsprechen dadurch auch ohne bestimmte Charakteristik vollkommen der Situation.

Bisher ist hauptsächlich eine Grundlage der musikalischdramatischen Charakteristik ins Auge gefaßt worden, die Tiefe und Wahrheit der psychologischen Auffassung, welche jede Person ihre Empfindungen und Gefühle als Bedingungen ihres Handelns ihrer individuellen Natur gemäß darlegen läßt. Nicht minder bedeutsam als die Individualität der einzelnen Personen sind die eine Situation herbeiführenden Umstände und Verhältnisse, durch welche die Handlung, an der sich verschiedene Personen in mannigfacher Weise betheiligen, bestimmt wird; in der musikalischen Darstellung gehen daraus die Ensemblesätze hervor. Auch hier bleibt die Wahrheit im Ausdruck des Gefühls oberster Grundsatz, aber das Zusammenstoßen verschiedener Personen verlangt auf der einen Seite ein schärferes Hervorheben der individuell charakteristischen Eigenthümlichkeiten, während die Aufgabe ein Ganzes zu schaffen an den einzelnen die Forderung stellt sich diesem Ganzen unterzuordnen. Das ist ohne ein gewisses ausgleichendes Temperament nicht möglich, dieses aber kann wiederum nur in den Bedingungen begründet sein, auf welchen die Möglichkeit des musikalischen Kunstwerks als solches beruht. Gehalt und Form dieser Ensemblesätze[237] ist natürlich mannigfachen Modificationen unterworfen. Manche derselben sind nur eine ausgeführtere, durch Vertheilung unter mehrere Personen reicher gegliederte Exposition einer bestimmten Situation oder Stimmung und daher ihrer ganzen Anlage nach einfach, mag nun der Gegensatz der verschiedenen Personen oder ihre Einigung nach einer bestimmten Richtung mehr hervorgehoben werden. Hieher gehören die ersten Duetts zwischen Figaro und Susanne (I, 1. 2), Susanne und Marcelline (I, 5), das Schreibduett (III, 5), auch das Duett zwischen dem Grafen und Susanne (III, 1); sie unterscheiden sich von den Arien mehr der Form als dem Wesen nach. Wenn während der Ankleidescene Cherubin auf die Aeußerungen Susannes sich einließe, wenn auch die Gräfin sich unmittelbar daran betheiligte, so würde ein solches Duett oder Terzett die Situation mannigfaltiger in den einzelnen Zügen darstellen, die Form würde durch contrastirende Elemente reicher werden, der dramatische Gehalt würde aber von dem, welchen jetzt die Arie wiedergiebt, nicht wesentlich verschieden sein. Auch das Terzett im zweiten Akt (II, 4) hat diesen Charakter: eine Situation, eine Stimmung ist festgehalten, nur in den verschiedenen Personen verschieden wiedergespiegelt. Hier ist also der Ausgangspunkt um die Einheit in der Haltung des Ganzen zu gewinnen bestimmt gegeben und nicht schwer aufzufinden, auch die Forderungen der musikalischen Formgebung z.B. die Wiederholung eines Motivs an verschiedenen Stellen, die Bearbeitung desselben, die Combination verschiedener Motive erweisen sich meist als mit den Forderungen der Situation unschwer in Einklang zu bringen; obwohl ein genaueres Eingehen ins Detail schon hier immer deutlicher zeigen wird, wie nur ein Verein genialer Auffassung und meisterlicher Formgewandtheit eine so völlige [238] Congruenz der musikalischen und dramatischen Gestaltung hervorbringen konnte.

Die Schwierigkeit der Aufgabe steigert sich, je mehr die Musik an der fortschreitenden Handlung sich betheiligen soll. Schon das Duett zwischen Susanne und Cherubin (II, 5), während dessen er zu entkommen sucht und endlich aus dem Fenster springt, giebt hiervon Probe. Obgleich Situation und Stimmung wesentlich eine sind, drückt sich doch die Unruhe und das Hinundherschwanken in so vielen einzelnen, zum Theil widersprechenden kleinen Motiven aus, daß als das eigentlich Charakteristische eine Bewegung hervortritt, die einer wirklich fortschreitenden Handlung sehr nahe kommt. Diese Bewegung aber giebt die Musik mit allen ihren schwankenden Wendungen so charakteristisch wieder, daß sie nur diesem einen Impuls in einer rastlosen Strömung zu folgen scheint; um so mehr erstaunt man daß dies nur die Wirkung einer bestimmt ausgebildeten musikalischen Formung ist, welche ein bezeichnendes Motiv in der entsprechenden Weise durchführt. Die Orchesterpartie des Duetts bildet ein abgeschlossenes, wohlgegliedertes Musikstück, das an sich befriedigt und einen sehr entschiedenen Charakter ausdrückt, der durch die Singstimmen und die Action seine bestimmte Deutung erhält; auch hier sind die Bedingungen der musikalischen Formgebung die maßgebenden, welche die des dramatischen Ausdrucks nicht sowohl sich unterordnen als vielmehr in sich aufgenommen haben43.

Mitten in die Handlung gestellt ist das Terzett im ersten [239] Act (I, 7). Hier sind nicht allein drei Personen von verschiedenartiger Natur einander gegenübergestellt, sondern im Moment der Handlung sind ihre Interessen und Empfindungen völlig getheilt, jede von ihnen wird durch andere Voraussetzungen bestimmt. Die Handlung selbst aber schreitet vorwärts und mit der Entdeckung des Pagen auf dem Lehnfessel tritt eine vollständige Wendung ein, sämmtliche Personen haben nun eine veränderte Stellung zu einander erhalten. Auch hier hat man zunächst zu bewundern, wie treffend und im Einzelnen sein nuancirt der musikalische Ausdruck ist, was besonders da hervortritt, wo die Stimmen zusammengehen z.B. gleich Anfangs (S. 80f.) wo der Zorn des Grafen: tosto andate e scacciate il seduttor! die verlegene Entschuldigung Basilios:In mal punto son qui giunto, die Angst Susannes:che ruina, me meschina! jede individuell scharf charakterisirt zu einem Ganzen verschmolzen sind; dann der Schluß, bei welchem die durch die Ueberraschung hervorgerufene ironische Wendung eine eigenthümliche Steigerung bewirkt, indem des Grafen Unmuth sich gegen Susanne wendet: onestissima signora, or capisco come và, die nun ihrer selbst wegen in Besorgniß ist: accader non puo di peggio, während Basilio seinem Spott freien Lauf läßt: così fan tutte le belle, wo die Charakteristik des Einzelnen nur der Harmonie des Ganzen zu dienen scheint. Aber auch hier finden wir, während die Musik allein der Handlung zu folgen scheint, ein nach den Bedingungen der musikalischen Form wohl angelegtes, streng gegliedertes und durchgeführtes Ganze, und so leicht fügt sich alles zusammen daß man sich über ein glückliches Zusammentreffen dramatischer und musikalischer Effecte freuen möchte, wo man die höchste künstlerische Einsicht zu bewundern hat. Es ist schon darauf hingewiesen, welche komische Bedeutung es[240] gewinnt, wenn Basilio ironisch seine früheren Worte eine Quinte höher wiederholt, was durch die musikalische Form nothwendig bedingt ist; ganz ähnlich ist es, wenn da, wo bei der Rückkehr in die Tonart die Wiederaufnahme des Hauptmotivs erwartet wird, der Graf dieselben Noten, mit welchen er voller Entrüstung auf Susannes Fürbitte ausgerufen hatte: parta, parta il damerino! gegen Susanne selbst wendet:onestissima Signora, or capisco come va – und welche Wirkung macht dabei der Wechsel zwischen f und pp beim Vortrag; oder wenn dasselbe Motiv, welches das Mitleid des Grafen und Basilios mit Susannes Verlegenheit ausdrückt, später zum Ausdruck der Verzweiflung und des Hohns gesteigert wird. Diese und ähnliche Züge der feinsten dramatischen Charakteristik gehen unmittelbar aus der musikalischen Gestaltung hervor, sie gehören auch ganz und gar dem Componisten an, denn der Text giebt dazu gar keine directe Veranlassung.

Ungleich höher gesteigert ist die dramatische Bewegung in den beiden großen Finales. Mit richtigem Takt ist das Finale des zweiten Akts aus den bei Beaumarchais vorhandenen Elementen, abweichend von dessen Aktschluß, den musikalischen Bedürfnissen gemäß construirt. Schon insofern ist es zweckmäßig aufgebauet, als die Zahl der an der Handlung theilnehmenden Personen allmählich zunimmt und dadurch eine wirksame Steigerung der Mittel, die zugleich auf die musikalische Gestaltung Einfluß übt, erreicht wird. Wichtiger ist die Steigerung des dramatischen Interesses, indem aus jeder Losung eines Knotens sich eine neue Verwickelung ergiebt, welche die Handelnden in stets verschiedene Stellungen zu einander bringt. Die einzelnen Situationen bieten die lebendigste Abwechslung dar ohne durch Einmischung fremdartiger Elemente die Einheit zu zerstören, sie bewegen sich [241] in strengem Zusammenhang vorwärts und jede einzelne hält in einer Grundstimmung lange genug an um der für die musikalische Darstellung unentbehrlichen Ausführung Raum zu geben44. So ergeben sich den bestimmt gezeichneten Situationen gemäß acht ausgeführte Sätze nach Anlage und Charakter verschieden, welche das Finale bilden. Daß die bereits hinreichend hervorgehobenen Vorzüge der Wahrheit im Ausdruck und der Schärfe in der individualisirenden Charakteristik sich hier in gesteigertem Maaße bewähren bedarf kaum der Erwähnung. Anstatt einzelne Züge hervorzuheben mag hier vielmehr darauf hingewiesen werden, wie treffend in den einzelnen Sätzen der Gesammtcharakter bezeichnet und festgehalten ist. Das Finale beginnt mit dem Ausdruck der gespanntesten Leidenschaft, der Graf glüht vor Zorn und Eifersucht, die Gräfin im tiefsten Herzen gekränkt durch den ungerechten und so rücksichtslos geäußerten Verdacht zittert und weint, weil sie durch eigene Unvorsichtigkeit für sich und den Pagen das Aeußerste fürchten muß: nirgends in der Oper tritt das pathetische Element in gleichem Maaß hervor, der Conflict ist so stark, das erregte Gefühl von beiden Seiten mit solcher Energie und Lebhaftigkeit ausgesprochen, daß eine ernsthafte Katastrophe bevorzustehen scheint. Aber Susannes unerwartete Erscheinung bringt eine völlige Enttäuschung hervor, die nicht treffender ausgedrückt werden [242] kann als durch das rhythmische Motiv, mit dem der zweite Satz45 beginnt. Die spöttische Heiterkeit der Susanne, welche augenblicklich die Situation beherrscht, schlägt den Ton an, aber durch die Unsicherheit der beiden andern wird er in eigener Weise gemildert. Unruhe ist wieder die Grundstimmung des folgenden Satzes, aber diese hat einen ganz veränderten Charakter, da die Hauptpersonen in eine völlig veränderte Stellung zu einander getreten sind, in die sie sich selbst erst finden müssen. Der Graf muß sich gefangen geben, seine Gemahlin versöhnen ohne innerlich überzeugt zu sein, die Gräfin sucht sich zu fassen, ihr Zürnen und Vergeben kommt ihr zwar von Herzen, aber sie fühlt doch daß sie in diesem Augenblick nicht mehr ganz in ihrem Recht ist, Susanne ist bemüht Verständniß und Versöhnung herbeizuführen, wobei sich die Gräfin ihrer Ueberlegenheit und Sicherheit wie unwillkührlich unterordnet: es ist ein kleiner Krieg, der hier mit den artigsten Manieren geführt wird, alle Empfindungen sind gebrochen, keine kommt rein und klar zum Vorschein. Und nun sehe man das Musikstück an. Eine ganze Reihe einzelner kleiner Motive, deren jedes ein eigenthümliches Element der Situation sehr bestimmt charakterisirt, sind locker zusammengefügt, wie in scheinbarer Unordnung durcheinander geworfen, keins wird selbständig ausgeführt, eins treibt das andere fort. Sieht man aber genauer zu, so gewahrt man bald daß theils die einzelnen [243] Motive immer da eintreten, wo der dramatische Ausdruck sie erfordert, und zwar so daß auch hier die Wiederholung derselben ganz eigenthümliche Schlaglichter auf die Situation wirst, theils, ganz abgesehen von diesem Interesse, die scheinbare Unordnung den ganz bestimmt gegliederten Bau einer selbständigen musikalischen Durchführung verbirgt. Eben dadurch wird der merkwürdige Totaleindruck einer trüben, in stetem Bestreben sich aufzuraffen unruhig schwankenden Empfindung hervorgebracht, die auch in den Momenten einer gewissen Beruhigung welche in der Mitte (S. 194ff.) und zum Schluß (S. 204ff.) eintreten – wo dann das herrliche Motiv


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zu seiner eigentlichen Geltung kommt – nicht bloß in den einzelnen scharf schmerzlichen Accenten hervorbricht, sondern die mit einem wahrhaft himmlischen Wohllaut ausgedrückte innere Sehnsucht nach Versöhnung wie mit einem milden Schleier verhüllt. Mit der unbefangensten Fröhlichkeit tritt Figaro in diese Atmosphäre46 und seine frische Lustigkeit wirkt wahrhaft erquicklich, aber bald wird er auch in diesen Nebel gezogen. In der That fühlt er sich sogleich unsicher, da er merkt daß sein Geheimniß verrathen ist ohne daß er den Grund einsieht; der Eifer mit dem der Graf auf ihn eindringt, die Lebhaftigkeit mit der die Frauen ihn auf den rechten Weg zu bringen suchen, sein Zurückhalten und Nachgeben geben dieser Scene etwas wahrhaft Diplomatisches das die Musik durch einen Ausdruck von Würde, die nur mitunter wie unwillkührlich lebhaftere Regungen verräth, [244] und zuletzt in dem köstlichen Ensemble aller vier Stimmen völlig den Charakter des Geheimnißvollen annimmt, wunderbar wiedergiebt. Den vollständigsten Gegensatz zu diesem seinen Spiel macht dann der halbbetrunkene Gärtner mit seiner Denunciation, welche die Handlung belebt und neue Schwierigkeiten hervorruft; dieser Gegner aber verlangt eine ganz andere Behandlung. Dem völlig entsprechend ist auch die musikalische Charakteristik nicht bloß lebhafter sondern auch derber, die einzelnen Züge sind schärfer, stärker markirt; es geht lauter zu, so lange der Gärtner im Vordergrunde steht. Sowie der Graf wieder das Examen mit Figaro beginnt, ändert sich auch der Ton. Das merkwürdige Andante 6/8, in welchem das Motiv


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fast unausgesetzt rastlos in den verschiedensten harmonischen Wendungen durchgetrieben wird, drückt eine Ungeduld aus, die sich kaum zu bezwingen im Stande ist und eine heftige Explosion mit Mühe zurückhält, wie es der Spannung, mit welcher alle dem Gange der Entwickelung folgen, die schließlich doch zu keiner befriedigenden Lösung gelangt, aufs treffendste entspricht. Da tritt zuletzt Marcelline mit ihren Verbündeten auf; an dem festen, kräftigen Schritt den die Musik annimmt, merkt man sogleich, daß ein ganz anderer Kampf beginnt: jetzt wird die Gefahr ernstlich, die Situation verändert sich, es tritt eine andere Gruppirung ein. Marcelline, Basilio, Bartolo stehen auf der einen Seite zusammen, die Gräfin, Susanne, Figaro auf der andern, beide Parteien[245] schlagfertig und kampfgeübt, fest zusammenhaltend, zwischen ihnen der Graf bald hierhin bald dahin gewandt. Als die Verhandlung geendigt, Marcellines Recht anerkannt ist, hat sich das frühere Verhältniß umgekehrt: Marcelline mit den Ihrigen ist im Vortheil, Figaro mit den Seinigen im Nachtheil. Durch eine seine Charakteristik ist es die unterliegende Partei, welche jetzt außer Fassung gesetzt eine ungleich lebhaftere Aufregung äußert, während die obsiegende mit einer Ruhe und Sicherheit, die den Gegner durch Hohn erbittern soll, sich ihres Triumphes erfreuet; in zweimaliger Steigerung des Tempo schließt das Finale in breiter Ausführung dieser endlich gewonnenen, zwar zwiespältigen, aber auf jeder Seite entschieden ausgesprochenen Stimmung, und bringt damit nach dem langen Ringen und Kämpfen die Beruhigung47.

Ganz verschieden ist der Bau des zweiten Finales. Hier werden wir gleich anfangs in die lebendigste Intrigue eingeführt, in Folge deren eine Verwechslung und Ueberraschung die andere drängt. Die Gräfin als Susanne verkleidet erwartet den Grafen, Figaro und Susanne lauschen, da kommt der Page, dann der Graf und nun geht das Spiel an, wo jeder an den Platz kommt, auf den er nicht gehört, das erhält was ihm nicht bestimmt war, und mit einem anderen zu thun hat als er glaubt. Mozart hat allein das Unterhaltende was in dieser stets wechselnden Täuschung liegt aufgefaßt, und die Musik hält den Charakter des heiteren[246] Spiels mit der anmuthigsten Feinheit fest, den Ausdruck der Empfindung, oder auch nur des sinnlichen Reizes hat er hier möglichst zurückgehalten. Dadurch erreicht er daß das Bedenkliche der Situation nicht als dasjenige hervortritt worauf es eigentlich ankomme, sondern gewissermaßen nur als die unvermeidliche factische Grundlage, auf welcher das Spiel sich entwickelt. Daß die Musik nun im Stande ist diesem flüchtigen Spiel auf Schritt und Tritt zu folgen, in allen Wendungen sich demselben anzuschließen ist an sich staunenswerth; die höchste Kunst des Meisters bewährt sich aber auch hier darin, daß ein musikalisch concipirtes und ausgeführtes Ganze, dessen Umrisse sehr bestimmt gezeichnet sind, während das Detail mit großer Freiheit und Leichtigkeit behandelt ist, zugleich das dramatische Leben im Ganzen und Einzelnen zur Darstellung bringt. Nirgends vielleicht tritt das was Zelter (Briefwechsel m. Goethe V S. 434) den Stil der Intrigue nennt, den er als den eigenthümlichen des Figaro lobt, seiner und geistreicher hervor als in diesem Ensemble. Er ist die Wirkung der Kunst nicht allein jede Person ihre Empfindungen und Absichten wahr und treffend ausdrücken zu lassen, sondern zugleich den Charakter und Gang der Situationen, welche jenen von außen her ihre nicht selten ganz abweichende Bestimmung geben, so darzustellen, daß von daher erst das richtige Licht auf jene einzelnen Aeußerungen fällt, endlich aber dem Ganzen eine heitere Färbung zu geben; alles dies ist hier im seltensten Maaße vereinigt. Sowie Figaro und Susanne einander gegenübertreten ändert sich mit Recht Haltung und Ton. Wir haben es hier mit ernsten und wahren Gefühlen zu thun, die durch die augenblickliche Verstellung hindurch sich verrathen und in ihrer Echtheit anerkannt und zur Geltung gebracht werden sollen, hier tritt daher Kraft und Feuer [247] ebensowohl wie Innigkeit der Empfindung als maßgebend für die Darstellung in ihr Recht. Erst mit dem Auftreten des Grafen beginnt wieder das Spiel um ihn zu täuschen, das zu einer Reihe von Ueberraschungen führt, welche in der Erscheinung der Gräfin ihren Gipfelpunkt findet. Die Musik giebt den versöhnenden und beruhigenden Eindruck ihrer Sanftmuth und Güte so innig und bezaubernd wieder, daß man an den Ernst der Aussöhnung glauben muß, und so auch gern die Heiterkeit theilt, mit welcher das Fest nach so vielen Störungen endlich beschlossen wird48.

Neben diesen beiden Finales nimmt einen ganz eigenthümlichen Platz das Sextett (III, 3) ein, welches nach Kellys Angabe (Remin. I p. 260) Mozart das liebste Stück in der ganzen Oper war; diese Vorliebe ist sehr bezeichnend, denn in keinem anderen Stück spricht sich in gleicher Weise sein liebenswürdiger Charakter aus. Während in der Oper die Gerichtsscene weggelassen ist, welche bei Beaumarchais eine bedeutende Stelle einnimmt, ist die Wiedererkennung des Figaro durch Marcelline und Bartolo in den Vordergrund gebracht. Diese hat bei Beaumarchais durch den kühl sarkastischen Ton in dem sie gehalten ist und durch die lange Weigerung Bartolos etwas Peinliches, welches durch die ganze Haltung des Lustspiels in etwas bedingt wird. Das Hervortreten der gemüthlichen Seite, welches die musikalische Fassung überhaupt bewirkte, ließ nun auch in dieser Scene das menschliche Gefühl zur Geltung kommen und [248] derselben wesentlich das Gepräge des Gemüthlichen geben; sie würde rührend sein, wenn nicht die Verhältnisse, aus welchen sie hervorgeht, so eigenthümlicher Art wären. Die Eltern geben sich wie der Sohn dem Gefühl herzlicher Freude und Zärtlichkeit aufrichtig und unbefangen hin49, als Susanne herbeieilt um Figaro loszukaufen; die Heftigkeit, mit welcher sie bei diesem unerwarteten Anblick ihren Zorn über Figaros vermeintliche Untreue ausläßt, ist ganz ernsthaft gemeint und nothwendig, um zu zeigen wie sehr ihr Herz dabei betheiligt ist. Als sie nun unter Liebkosungen derer, die sie für ihre Gegner halten muß, die Wahrheit erfährt50, die der Ueberraschten so unglaublich vorkommt, daß sie Jedem die Bestätigung abfrägt, da nimmt die Situation allerdings etwas Komisches an, das aber lediglich in der plötzlichen und ganz unerwarteten Verrückung aller Verhältnisse liegt, nicht in der Empfindung der Betheiligten, die nur ihrer Sache gewiß sein wollen um sich der innigsten Freude hinzugeben. Und nun quillt die tiefste Befriedigung des Herzens über die Fülle seines Glücks, nickt im lauten Jubel [249] der Begeisterung, sondern mit der stillen Innigkeit eines dankerfüllten Gemüths, wie in einem klaren silberhellen Strom mit bezaubernder Anmuth hervor, daß die Gruppe der Glücklichen, die sich in Liebe gefunden haben, wie von einem milden Lichte verklärt erscheint51. Aber die Glücklichen sind nicht allein und der Contrast der beiden noch gegenwärtigen Personen, sowie er dieses Familiengemälde um so deutlicher hervortreten läßt, bringt auch ein Temperament hervor, welches den Charakter einer rührenden Idylle aufhebt, die hier nicht am Ort wäre. Die eine Person ist der Graf, der seine Pläne scheitern sieht und mit Mühe Zorn und Schmerz soweit zurückhält, daß er sich nicht verräth und bloßstellt. Die andere ist der einfältige, stotternde Richter Don Curzio, der als ein Werkzeug des Grafen seine Sentenz gesprochen hat und nun mit Staunen sieht was um ihn vorgeht; unfähig eines andern Gedankens als daß aus der Hochzeit nun nichts werden kann, spricht er bald diesem bald jenem nach, hält sich dabei hauptsächlich an seinen Herrn und Meister und weiß zuletzt nichts Besseres zu thun als mit diesem einzustimmen. Dieser merkwürdige musikalische Effect, wenn der Tenor in der höhern Octave mit dem Baß des Grafen geht, macht den Eindruck der schneidendsten Ironie, indem dieser dumme Mensch, der nichts von dem empfindet was den Grafen im Innersten aufregt, während er ihn anstarrt unwillkührlich ihm nachbetet. So dient er, wie im Terzett [250] des ersten Acts Basilio, obgleich in ganz anderer Weise, dazu dem Ausdruck der Gemüthsbewegung der übrigen Personen ein komisches Element beizumischen, das den Grundton des Ganzen nicht beeinträchtigt, sondern nur modificirt. Diese Gestalt aber gehört wiederum ganz Mozart an, und wie er eine so durchaus komische Figur so in die wesentlich rührende Situation hineinstellt, daß sie ihre volle Wirkung thut ohne die Wahrheit im Ausdruck der herzlichen Empfindung zu stören, vielmehr durch sie erst die rechte Gesammtwirkung erzielt wird, das ist ein neuer Beweis für Mozarts unendlich tiefe Auffassungs- und Darstellungskraft des Dramatischen.

Kelly, der diese wie er sagt hervorragende Partie gern neben der des Basilio übernahm, erzählt (Remin. I p. 260ff.) daß Mozart ihn gebeten habe während des Singens nicht zu stottern um den Eindruck der Musik nicht zu stören. Er habe ihm entgegnet, daß es unnatürlich sei wenn ein Stotterer plötzlich ohne Anstoß singe und daß er seine Partie so auszuführen denke daß die Musik in keiner Weise beeinträchtigt werden solle; er habe endlich erklärt daß er lieber die Rolle abgeben wolle, wenn er sie nicht nach seinem Willen spielen könne. Darauf habe Mozart denn auch nachgegeben, und der Erfolg sei glänzend gewesen, das ganze Publicum, Mozart selbst habe unendlich gelacht, der Kaiser Bravo! gerufen und das Sextett habe wiederholt werden müssen. Nach der Vorstellung sei Mozart zu ihm auf die Bühne gekommen, habe ihm beide Hände geschüttelt und gesagt: »Bravo, junger Mann, Sie haben mich zum Dank verpflichtet, und ich gestehe, daß Sie Recht hatten und ich Unrecht.« Das war gewiß liebenswürdig von Mozart, aber ohne Zweifel war seine erste Ansicht richtig. Einem Meister in der Mimik mochte ein solches Kunststück gelingen, aber Don Curzio [251] darf auf keinen Fall im Sextett durch karikirte Komik zur Hauptperson gemacht werden52.

Das Sextett ist namentlich geeignet uns über die Weise in welcher Mozart seine Darstellungsmittel anwendete manchen Aufschluß zu geben. Vor allem tritt uns hier seine Kunst die einzelnen Elemente zu gruppiren und dadurch ein in jedem Moment klares übersichtliches Ganze herzustellen glänzend entgegen. Das Verständniß und die Wirkung der Musik beruht wesentlich, wie dies von der Architektur gilt, auf der Eurhythmie der Verhältnisse; ist auch ein eigentlicher strenger Parallelismus der einzelnen Glieder nur unter gewissen Verhältnissen anwendbar, so muß die Symmetrie derselben doch dem Gefühl des Hörers stets gegenwärtig sein. Dies gilt wie von der Bildung der einzelnen Perioden so auch von der Composition eines größeren Ganzen; je reicher die Mittel sind, je complicirter die Aufgabe ihrem Inhalte nach ist, um so wichtiger wird ein fest umrissener Grundplan, der für die Freiheit der lebendigsten Durchbildung des Einzelnen erst die rechte Sicherheit bietet. Bei einer dramatischen Aufgabe muß natürlich die Charakteristik der Situation in gleicher Weise maaßgebend für diese Gliederung sein als das Gesetz der musikalischen Formgebung. Den Einigungspunkt dieser verschiedenen Potenzen mit sicherem Gefühl zu finden und von diesem Mittelpunkt aus das Ganze fest und klar zu organisiren ist eine von Mozarts bedeutendsten künstlerischen Eigenschaften. In unserm Sextett bilden zunächst Marcelline, [252] Bartolo und Figaro eine natürliche Gruppe, sie kündigen sich gleich als musikalisch zusammengehörig an und bleiben meistens zusammen, wobei wiederum der Sache angemessen Marcelline und Bartolo einander genauer entsprechen, während Figaro das verbindende Glied dieser kleinen Gruppe bildet. Ihnen gegenüber stehen der Graf und Don Curzio, die wiederum zusammenhalten, aber mit größerer Freiheit in der Bewegung des Einzelnen. Mit Susanne tritt ein neues Element ein; da sie anfangs Figaro feindlich entgegentritt, so gesellt sie sich in der musikalischen Gestaltung dem Grafen zu: es stehen jetzt zwei scharf charakterisirte Gruppen von je drei Personen einander gegenüber, deren jede in sich wieder bestimmte Gliederung und lebendige Bewegung hat. Die darauf erfolgende Aufklärung löst das Ensemble zunächst in ein Einzelgespräch auf, nach derselben ist die Situation verändert. Susanne ist jetzt zu Figaro, Marcelline und Bartolo getreten, diese bilden nun eine Gruppe, deren Hauptperson zwar Susanne ist, doch ohne daß die anderen ihre Selbständigkeit aufgeben. Dieser concentrirten Hauptmacht gegenüber gewinnt der Ausdruck der unzufriedenen Minorität an Schärfe und Energie, der sich schließlich zum Unisono steigert. Diese Andeutungen werden genügen um zu zeigen, mit welcher architektonischen Festigkeit ein Tonstück aufgebauet ist, das den Hörer zunächst nur die völlige Freiheit einer lebendigen dramatischen Bewegung wahrnehmen läßt. Es verhält sich nicht anders in den andern Ensemblesätzen, und namentlich in den lang ausgedehnten Finales beruht das klare Verständniß, die Leichtigkeit mit welcher man überall folgt, die Steigerung des Interesses wesentlich auf dieser strengen Gesetzmäßigkeit der Composition, welche die einzelnen Glieder im richtigen Verhältniß zu einander und zum [253] Ganzen hält, ohne die Freiheit das für jeden Moment Passende auszudrücken irgend zu beschränken. Auch in den Duetts und Arien ist dieselbe Sicherheit der festen Umrisse, verbunden mit gleicher Beweglichkeit in der Detailausführung, um so leichter zu erkennen, je einfacher und knapper die Form ist.

Das vorherrschend dramatische Element auch in der musikalischen Gestaltung hat im Allgemeinen die Anwendung einfacher Formen und eine gewisse Beschränkung in der Ausführung bedingt. Nur ausnahmsweise ist in den Arien die hergebrachte Form in zwei ausgeführten Sätzen angewendet, meistens ist die Cavatinen- oder Rondoform zu Grunde gelegt und mit aller Freiheit aber in der Regel nach knappem Zuschnitt behandelt, auch die Mehrzahl der Duetts ist in ähnlicher Weise angelegt. Mozart hat sie deshalb auch gewöhnlich Duettino, Arietta überschrieben. Aber weder die engen Raumverhältnisse noch das lebendigste dramatische Interesse haben ihm je einen Vorwand gegeben, auf eine fest gegliederte, abgerundete Form zu verzichten; es ist vielmehr im höchsten Grade zu bewundern, wie er immer den Punkt zu treffen weiß, von wo aus ein Ganzes sich organisirt. Namentlich tritt dies in den einzelnen Sätzen der Finales hervor, deren jeder im vollständigen Verlauf eine naturgemäße Steigerung erfährt, welche zu einem beruhigenden Abschluß führt, der aber zugleich auf das neu eintretende Element vorbereitet und den Contrast um so wirksamer macht.

Was von den musikalischen Formen im Allgemeinen gilt findet natürlich auch Anwendung auf die Behandlung des Einzelnen, zunächst der Singstimmen. Die dramatische Charakteristik erfordert die vollkommenste Freiheit jeglicher Mittel; breit ausgesponnene Cantilenen, kürzere melodiöse Phrasen, scharf ausgeprägte Motive, die erst in der Verarbeitung ihre [254] volle Geltung erlangen, vorwiegend declamatorischer Vortrag, der sich bis zum leichten Gesprächston herabstimmt – alles kommt an seinem Platz zur Verwendung, oft in raschem Wechsel und in bunter Mischung. Die Hauptsache ist auch hier wieder, daß nicht allein das rechte Mittel da angewendet wird, wo es die rechte Wirkung macht, sondern daß alle zu einander ins gehörige Verhältniß gesetzt werden, daß eins das andere nicht störe sondern hebe, und vor allem daß sie zu einer Totalwirkung zusammengreifen, daß ein einheitliches Ganzes von bestimmtem Charakter und übereinstimmender Färbung herauskommt. Je complicirter die Aufgabe ist, um so schwieriger wird sie, und die Feinheit im Gebrauch der Gesangsmittel wie die Harmonie der Wirkung tritt daher in den großen Ensemblesätzen am bewundernswürdigsten hervor; allein wer darauf Acht geben will, wird sich an derselben vollendeten Kunst auch im kleinsten Gesangstück erfreuen; man betrachte nach dieser Nichtung hin, um nur dies anzuführen, das Sextett und das zweite Duett, welche beide so sehr verschieden und doch durch Feinheit des Details und schlagende Wirkung in ihrer Art gleich ausgezeichnet sind. Im Allgemeinen aber tritt als die natürliche Wirkung des consequenten Verfolgens jener beiden Gesichtspunkte die große Einfachheit in der Behandlung der Singstimmen sehr bemerkenswerth hervor.

Der Gesang ist hier lediglich das Mittel um die innere Empfindung auszudrücken; und nicht nur der Wahrheit wird die größte Einfachheit am besten die nen, sie ist ebenfalls durch die vielseitige Combination verschiedenartiger Motive geboten, welche einfache Grundelemente voraussetzt um zu klarem Verständniß zu gelangen. Diese Einfachheit aber ist keine abstracte, weder zur nichts bedeutenden Charakterlosigkeit verflacht, noch auf jeden Reiz und Schmuck verzichtende, [255] es ist die Einfachheit einer tiefen und edlen Natur, die sich unbefangen giebt wie sie ist. Aber alle Virtuosität, welche die Kunst des Singens als solche geltend machen will, ist ausgeschlossen53.

Ein wesentliches Mittel sowohl die Charakteristik schärfer auszuführen als dem Colorit Haltung zu geben fand Mozart im Orchester. Nach dem was über seine Meisterschaft in der Behandlung der Instrumente schon wiederholt bemerkt wurde, ist es überflüssig noch besonders darauf hinzuweisen, daß ihm alle Mittel, welche die reichste und mannigfachste Mischung der Klangfarben eines vollen Orchesters für charakteristischen Ausdruck und Reiz des Wohllauts darbietet, völlig zu Gebote standen und daß er davon den freiesten Gebrauch macht. Auf die Zeitgenossen machte auch hier die glänzende und seine Benutzung der Blasinstrumente einen außerordentlichen Eindruck und in der That etwas dem leichten zarten Gewebe der Blasinstrumente bei Cherubins Romanze (II, 2) Aehnliches hatte man so wenig gehört, als den weichen schmelzenden Klang in der Arie desselben (I, 6). Heutzutage würde man freilich eher das seine Maaßhalten in der Verwendung der Blasinstrumente54, und die meisterhafte Behandlung der Saiteninstrumente[256] bewundern, welche durchweg den Grundton des Orchesters bilden und dabei eine aus der selbständigen Bewegung der einzelnen Instrumente hervorgehende stets frische und lebendige Vielseitigkeit entwickeln; vor allem aber die tüchtige Gesundheit der Klangwirkung im Allgemeinen, welche im Kräftigen wie im Zarten gleich wohllautend bleibt, die Einheit in der Gesammthaltung, welche nicht durch stets wechselnde Combinationen zu blenden und weder durch massenhaftes Verschwenden noch raffinirtes Aufsparen der Mittel einzelne glänzende Effecte zu erreichen strebt, sondern alles mit Einsicht und Maaß zusammenhält, und indem sie auf die einfachste Weise am rechten Ort das Rechte zu thun weiß nie um die nöthige Steigerung verlegen ist. Die oben berührte Einfachheit in der Behandlung der Singstimmen bedingt von selbst eine entsprechende Einfachheit der Instrumentalpartien, was sich am deutlichsten da zeigt, wo sie obligat auftreten. Vergleicht man in dieser Beziehung Idomeneo und die Entführung, so fällt der Unterschied sehr in die Augen; und wenn schon in der Entführung im Verhältniß zu Idomeneo das Orchester überhaupt leichter, durchsichtiger behandelt ist, so wird auch nach dieser Seite hin im Figaro eine größere Sicherheit offenbar.

Aber die Stellung welche hier dem Orchester in der gesammten musikalischen Gestaltung gegeben ist darf man nicht bloß als einen Fortschritt gegen frühere Opern ansehen, sie ist eine wesentlich neue Leistung55. Hier zueist tritt in der Oper das Orchester nicht nur als ein integrirender Theil des Ganzen auf, sondern als ein gleichberechtigter, der mit allen seinen Kräften, in Gemäßheit der Bedingungen seiner künstlerischen Existenz und Wirksamkeit durchaus selbständig für die musikalisch-dramatische Darstellung thätig ist. Diese Aufgabe konnte erst gestellt werden, nachdem für die Instrumentalmusik [257] eine Ausdrucksfähigkeit, für das Orchester eine Durchbildung gewonnen war, wie Haydn und Mozart sie demselben gegeben hatten. In dieser seiner Selbständigkeit stellt es sich weder über noch gegen die Singstimmen, beide gehören nothwendig zusammen, eins ist in keinem Moment ohne das andere gedacht; beiden ist ein gemeinsames Ziel gesteckt, die lebendige, ins Einzelnste durchgebildete, charakteristische Wiedergabe der dramatischen Situation durch die musikalische Darstellung. Dieses wollen sie gemeinsam erreichen, jede Kraft ihrer individuellen Natur gemäß; die wahrhafte Verschmelzung beider zu einer, in dieser Einheit erst vollkommen wirksamen Kraft ist durch das richtige Verhältniß bedingt, welches jeder einzelnen die größte Wirksamkeit möglich macht. Nur in diesem Sinne kann von einer Unterordnung die Rede sein, welche immer nur eine momentane, durch die Rücksicht auf die individuelle Natur der Mittel im Verhältniß zu einem bestimmten zu erreichenden Zweck gebotene sein kann. So gefaßt dient das Orchester nicht mehr den Singstimmen zur Begleitung, sondern es ist ein selbständiges mit ihnen zusammenwirkendes Darstellungsmittel. Und so tritt uns das Orchester im Figaro durchaus entgegen.

In manchen Sätzen theilt die Instrumentalpartie mit den Singstimmen die Aufgabe in einer Weise daß sie den Vorrang zu behaupten scheint, z.B. in der Arie der Ankleidescene (II, 3), wo das lebendige, im Detail sein ausgeführte und anmuthige Orchesterspiel nicht allein den Faden festhält, sondern auch die Charakteristik durchführt; in anderen ist dem Orchester die Durchführung eines oder mehrerer Hauptmotive übertragen, wodurch die feste Grundlage gewonnen wird auf der die Singstimmen sich frei bewegen, wie in dem Duett zwischen Susanne und Cherubin (II, 5), in einzelnen Sätzen der Finales z.B. dem Andante 6/8 im [258] ersten (S. 241ff.), dem ersten des zweiten Finale; und es wird wenig Nummern geben, wo nicht vorübergehend das Orchester die eine oder andere Function übernimmt, um die Charakteristik näher auszuführen, wie in Basilios Erzählung von der Eselshaut (IV, 3) und in Figaros Arie (I, 9), wo das Orchester die Schilderung des militärischen Lebens auf seine Weise ausdrückt. Artiger ist in diesem Sinn das Orchester wohl nie verwendet worden als in dem sogenannten Schreibeduett (III, 5). Zum Schluß des Recitativs56 dictirt die Gräfin die Ueberschrift: canzonetta sull' aria, und sowie Susanne anfängt zu schreiben, beginnen Oboe und Fagott das Ritornell und führen von da an die Rolle durch zu erzählen was Susanne schreibt, während sie schweigen, so oft [259] die Gräfin dictirt57. Allein diese und viele ähnliche Züge, wie sein und bedeutend sie sein mögen, machen nicht den eigentlichen Charakter aus, Einzelnheiten der Art waren früher und von Anderen mit Glück versucht. Das Wesentliche besteht darin daß durch die Oper hindurch, fast unausgesetzt das Orchester seinen eigenen Weg verfolgt, auf eigene Hand möchte man sagen mitspielt, so daß meistentheils die Instrumentalpartie auch ohne die Singstimme ein vollständiges, befriedigendes Ganze ausmacht. Und zwar beruht dies nicht darauf daß die Motive der Singstimmen auch dem Orchester gegeben sind, was natürlich häufig der Fall ist, sondern darauf daß dasselbe theils dieselben Motive mit den Singstimmen, aber in eigenthümlicher Weise behandelt, wodurch ein fortwährender Wechsel, eine beständige Kreuzung dieser Darstellungsmittel hervorgebracht wird, theils aber [260] auch selbständig eigene Motive in der mannigfachsten Weise neben den Singstimmen durchführt und dadurch nach allen Seiten hin das ausführt und detaillirt, was der Gesang in einer bestimmten Weise andeutet. Es ist nicht zu sagen, in welchem Grade durch diese Führung des Orchesters das dramatische Leben erhöhet, das Interesse der Handlung gesteigert wird, indem ebensowohl die Grundstimmung festgehalten als eine continuirliche Rührigkeit und Beweglichkeit von da ausgeht, die den sinnlichen Eindruck der Handlung um vieles verstärkt.

Was in dieser Beziehung die Instrumentalmusik zu leisten fähig ist beweist am schlagendsten die Ouverture, bei welcher Mozart der von Beaumarchais gewählte Nebentitel La folle journée vorgeschwebt zu haben scheint. Charakteristisch ist gleich eine Aenderung, welche Mozart mit derselben vorgenommen hat. Von Anfang her war das rasch hinströmende Presto von einem langsameren Mittelsatz unterbrochen. In der Originalpartitur findet sich an der Stelle, wo der Rückgang ins erste Thema gemacht wird (S. 13) ein Halt auf der Dominantseptime, welchem ein Andante 6/8 in D-moll folgte, von dem aber nur ein Takt erhalten ist


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[261] Das Blatt, auf welchem der Verlauf desselben und der Uebergang ins Presto skizzirt war, ist ausgerissen und die durch vi-de eingeschlossene Stelle durchstrichen. Man sieht daß Mozart, als er die in gewohnter Weise in den Hauptstimmen skizzirte Ouverture instrumentirte, anderen Sinnes wurde. Vielleicht hat ihm der nach Art eines zarten Siciliano beginnende Mittelsatz nicht gefallen, jedenfalls hat er es für die Einleitung zu seiner Oper passender gefunden den Ausdruck der heitersten Rührigkeit durch nichts Fremdartiges zu stören. Und was für ein fröhliches lebendiges Treiben herrscht auch in diesem Satz von dem ersten neugierigen Murmeln der Geigen bis zur jubelnden Schlußfanfare! Eine schöne, muntere Melodie treibt die andere vor sich hin, das perlt und rauscht und schäumt von Lust und Behagen, wie ein frischer Bergquell der im Sonnenschein lustig über die Steine hüpft; einzelne starke Schläge reizen elektrisirend die Bewegung und als einmal eine leise Wehmuth durchzuschimmern scheint, da verklärt sich die lustige Fröhlichkeit zum innigsten Ausdruck des Glücks und der Befriedigung. Leichter und loser gefügt kann kaum ein Musikstück sein, von Arbeit und Durchführung ist gar nicht zu reden; wie die Regungen einer heiteren, poetisch angeregten Stimmung unvermerkt [262] entstehen und in einander übergehen, so schlingt sich ein Motiv ins andere, das Ganze wächst vor uns auf: es ist da; und wie eine schöne Natur durch ihre bloße Gegenwart beglückt und erfreuet, so wirkt auch diese Musik unmittelbar auf den Zuhörer und hebt ihn unvermerkt zu jener lichten olympischen Heiterkeit der homerischen leicht lebenden Götter empor.

Eine andere nicht minder wichtige Function erfüllt das Orchester, indem es sich an der psychologischen Charakteristik betheiligt, nicht allein insofern es durch den Wechsel der Klangfarben und andere ähnliche Mittel einzelne Züge hervorhebt und dadurch Licht und Schatten und Colorit hervorbringt, wie der Gesang allein es nicht vermag, sondern durch positives Eingreifen. Keine Empfindung ist so einfach daß sie durch einen bestimmt gefaßten Ausdruck auf einmal erschöpfend dargestellt werden könnte; während nun der Singstimme die wesentlichen Hauptzüge zugewiesen werden, übernimmt es das Orchester die zarten Nebenregungen des Gemüths auszudrücken, ja die streitenden Widersprüche im Innern der Seele, aus welchen die Empfindungen sich entwickeln, bloßzulegen, wie es von allen Künsten allein die Musik vermag. Durch diese Ausführung erhält die psychologische Charakteristik eine so tief begründete Wahrheit, einen so vielseitigen Reichthum des individuellen Lebens, daß sie ganz wesentlich beiträgt Personen und Situationen den Zauber des unmittelbar und unwiderstehlich Ergreifenden zu verleihen, auf dem die eigentlich dramatische Wirkung beruht. Den Eindruck empfindet Jeder der Mozarts Musik empfindet; wer demselben in seinen Einzelnheiten nachgehen will, der wird nicht nur über den Reichthum und die Feinheit der Detailzüge, welche aus dem innersten Seelenleben geschöpft sind, sowie über die Meisterschaft mit welcher die [263] Mittel der Instrumentation zu ihrer Darstellung verwandt sind erstaunen, sondern ebensosehr über das richtige Maaßhalten, über den sicheren Takt in der Behandlung dieser Feinheiten, ohne welche wie in einem Portrait die Wahrheit unlebendig bleibt, während sie unpassend hervorgehoben zur Unwahrheit und Karikatur führen. Ueberhaupt hat sich Mozart durch die Herrschaft über das Orchester und durch die genaue Kenntniß der Wirkungen, welche er dadurch hervorbringen konnte, nie verleiten lassen dasselbe ungebührlich hervorzuheben; so wenig er materiell die Singstimmen dadurch beeinträchtigt, so wenig giebt er durch geistiges Interesse demselben das Uebergewicht. Er hat stets im Auge behalten, daß alle Factoren eines Kunstwerks in jedem Moment zusammenwirken müssen, jedes nach seiner Art und dem Zweck gemäß, wenn ein Ganzes entstehen soll. Daß die Zeitgenossen diese Leistung nicht durchaus richtig würdigten, daß die für sie neue und überraschende Wirkung des Orchesters ihr Urtheil gefangen nahm kann nicht Wunder nehmen58, so wenig als daß die Nachahmer sich zunächst an die materiellen Effecte und nicht an die geistige Bedeutung der gesteigerten Instrumentirung hielten.

[264] Es ist kaum nöthig darauf hinzuweisen daß die Freiheit mit welcher die Singstimmen mit einander, das Orchester für sich und beide zu einem Ganzen vereinigt verwandt werden um in den Formen eines musikalischen Kunstwerks der dramatischen Charakteristik lebendigen Ausdruck zu geben, der höchste Gewinn künstlerischer Einsicht und Meisterschaft ist. Die vollkommene Selbständigkeit, mit welcher jedes Element an seiner Stelle wie bewußt zum Ganzen mitwirkt, setzt nicht bloß die feinste Empfindung und Beobachtung des wahren Ausdrucks, sondern eine völlige Freiheit in der Anwendung aller musikalischen Formen voraus; diese echte Polyphonie, aus welcher alles wahre Leben hervorgeht, ist begründet auf contrapunktische Studien, deren reife Früchte uns überall geboten werden, so selten auch die strengen Formen der contrapunktischen Schreibweise uns unmittelbar entgegentreten.

Bisher ist Mozarts Musik von uns wesentlich aus dem Gesichtspunkt betrachtet worden, wie sie mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln und aus den inneren Bedingungen musikalischer Formgebung heraus die Empfindungen und Gefühle der handelnden Personen in lebendiger Wahrheit, der Individualität der Personen und Situationen gemäß charakteristisch auszudrücken mit Erfolg bestrebt ist59. Damit [265] ist allerdings die Grundlage jeder dramatischen Darstellung gewonnen, allein es kommt hier noch ein anderes wesentliches Moment in Betracht. Es genügt nicht Leidenschaft und Empfindung wahr, individuell charakteristisch auszudrücken, es muß der allgemeine Ton gefunden werden, welcher für jede einzelne Aeußerung das richtige Maaß und Verhältniß bestimmt, und dieser ist hier durch die komische Behandlung des Stoffes gegeben. Eben diese aber bietet der musikalischen Darstellung ungewöhnliche Schwierigkeiten, weil ihr ursprüngliches Interesse das der Satire und Ironie als unmusikalisch beseitigt, das Element der Intrigue aber, welches als Haupthebel des komischen Effects zurückbleibt, an sich ebenfalls wenig musikalisch ist. Die handelnden Personen sind ihrer Grundanlage nach, wie wir sahen, nicht [266] eigentlich komisch und die musikalische Charakteristik hat dadurch daß sie das Element der Empfindung zum maaßgebenden gemacht das komische keineswegs begünstigt; auch die Situationen sind großentheils von der Art daß sie die Empfindungen und Interessen der handelnden Personen in sehr ernsthafter Weise erregen. Auf der anderen Seite aber sind weder Charaktere noch Handlungen so geartet daß sie ein wahrhaft tragisches Interesse in Anspruch nehmen, daß in der Handlung ein wirkliches Pathos sich entwickeln könnte; der Versuch, die musikalische Darstellung dieser Sphäre zu nähern, wäre daher ein entschieden verfehlter. So blieb also dem Componisten nur übrig theils die einzelnen komischen Züge des ununterbrochenen Intriguenspiels, welche sich musikalisch wiedergeben ließen, hervorzuheben und soweit thunlich als Motive zu verwerthen – und es ist wiederholt darauf aufmerksam gemacht, mit welcher Feinheit und Laune Mozart dergleichen wirksam zu machen weiß –, theils die Charakteristik der Personen in einer Weise zu halten, daß die Komik der Intriguen, in deren vielverschlungene Irrgänge sie verwickelt werden, völlig frei sich entfalten und an ihnen wirksam werden kann, ohne daß das Interesse welches man an der gemüthlichen Darstellung nimmt dadurch beeinträchtigt werde. Dies ist die wichtigere Aufgabe – denn auch die reichste Fülle einzelner Züge bringt kein Ganzes hervor – und die bei weitem schwierigere. Die wunderbare Kunst mit welcher Mozart sie gelöst hat ist das glänzendste Zeugniß seiner Genialität und macht vor allem den Figaro zu einem der größten und staunenswerthesten Meisterwerke, die es überhaupt in aller Kunst aller Zeiten giebt. Eine Reihe individueller Charaktere, Stimmungen und Empfindungen in den verschiedensten Nuancen so darzustellen, daß das Gebiet der eigentlichen Leidenschaften, der heftigen und gewaltigen [267] Gemüthserregungen nie oder nur ausnahmsweise und vorübergehend berührt wird, ohne je zur Monotonie, Mattigkeit, Schwäche herabzusinken, sondern stets das Interesse gespannt zu halten und zu steigern – das ist nur einem großen Meister gegeben. Die ganze Haltung der Oper mußte, um eine schon gebrauchte Bezeichnung anzuwenden, mehr ethisch als pathetisch sein. Der Charakter, das Gemüth in den seinen, leiseren Wellenschlägen seiner Empfindungen, die kaum merklichen Gefühlsregungen, in denen das Leben der Seele sich unausgesetzt offenbart sind das eigentliche Object der musikalischen Darstellung, und die psychologische Detailcharakteristik, auf welche so vielfach hingewiesen ist, ergiebt sich als mit Nothwendigkeit bedingt durch die Haltung welche dem Ganzen zukam. Daher sind es vorzugsweise die zarteren Empfindungen, welche angedeutet werden um den Grundzügen des Charakters eine feinere Schattirung zu geben; durch die Liebe zieht sich ein leiser Hauch von Sehnsucht, Zorn und Eifersucht werden durch einen Zug des Schmerzes als Seelenleiden charakterisirt60: wir sollen ihnen als menschlich fühlenden Naturen unsere Theilnahme schenken. Man sehe nur wie sein und edel, wie maßvoll gehalten der Ausdruck der Gefühle im Terzett des zweiten Acts ist, so daß die Situation unsere ganze Theilnahme in Anspruch nimmt; allein von einer Erregung des Gefühls, wie eine [268] verwandte Situation in der Tragödie sie hervorrufen würde, kann dennoch ebensowenig die Rede sein, als man bei dem darauf folgenden Duett zwischen Susanne und Cherubin, so lebhaft auch die Angst und Spannung ausgedrückt ist, ernstlich afficirt wird.

Nur bei dieser Anlage der psychologischen Charakteristik war es möglich nicht allein die edelste Schönheit und die feinste Anmuth der Form zu wahren, sondern alles mit einer jugendfrischen Heiterkeit zu erfüllen, welche nach allen Seiten hin Licht und Klarheit ausstrahlt, daß es dem Zuhörer in dem glücklichen Behagen, mit welchem er sich dem künstlerischen Spiel hingiebt, frei und leicht wird. Wer kann, um auf wenige Beispiele hinzudeuten, das Schreibduett, dies Kleinod der süßesten Anmuth und Lieblichkeit, die Romanze Cherubins, die Gartenarie Susannes oder, um auf das Gebiet der guten Laune und Jovialität überzugreifen, Figaros Non più andrai61 hören, der nicht – ganz abgesehen von den gemüthlichen Saiten welche dabei in ihm wiederklingen – von einem unwiderstehlichen Gefühl stiller Befriedigung, ich möchte sagen Glückseligkeit beschlichen wird? Es ist nicht der sinnliche Wohllaut, die Schönheit der Form allein, welche [269] diese Wirkung hervorbringt, es ist die vollendete künstlerische Harmonie, welche auch den Zuhörer harmonisch stimmt. Darin erkennt man aber den Abglanz von Mozarts eigenthümlichster Natur; weich und theilnehmend für Anderer Leiden und Freuden, glitt er gern und leicht über ihre Schwächen und Fehler hinweg, auch wo sie ihn hart berührten, im Innersten glücklich, wenn er den edlen Regungen seines Herzens nachgeben konnte und stets geneigt in unbefangener Fröhlichkeit dieses Glückes zu genießen. Diese Eigenschaften des Menschen wirkten auch im Künstler; die heitere Laune, welche den Figaro beherrscht, würde uns nicht so innerlich erfassen, wenn wir sie nicht als die schöne Wirkung der Seelengüte empfänden, die sich künstlerisch in der wunderbaren psychologischen Charakteristik ausspricht, welche eben die Bedingung jener Heiterkeit ist62. Diese eigenthümliche Mischung der anerkennenden Theilnahme für die menschliche Empfindung mit der das Gemüth befreienden Heiterkeit, auf welcher die edelste und höchste Komik beruhet63, darf man als etwas echt Deutsches in Mozart in Anspruch nehmen, und es ist bezeichnend genug daß Italiäner und Franzosen jenes ihnen fremde Element, wenn auch einseitig aufgefaßt, als das für Mozart charakteristische hervorheben, [270] während sie das komische eben jener Mischung wegen nicht als vollgültig anerkennen64.

Faßt man alles zusammen, so leuchtet ein daß Mozarts Figaro vor den Leistungen der opera buffa nicht etwa nur durch ein interessanteres Textbuch, durch einen größeren Reichthum und höhere Schönheit der Melodien, durch sorgfältigere und kunstvollere Factur qualitative Vorzüge besaß. Indem die Wahrheit der dramatischen Charakteristik auf den mit tiefer psychologischer Einsicht gewonnenen Ausdruck der inneren Seelenzustände der Handelnden begründet und zur lebendigsten Individualität ausgebildet als das oberste Princip der musikalischen Darstellung geltend gemacht wurde, dessen Anwendung eine Verschmelzung der gemüthlichen Theilnahme an menschlichen Empfindungen und Gefühlen mit der Wirkung [271] des Lächerlichen, mithin eine höhere Auffassung des Komischen bedingt, war ein wesentlich Neues gewonnen, das dieopera buffa mit ihren Karikaturen und Possen nicht einmal angestrebt hatte. Haben wir hier vielmehr den Einfluß der französischen Oper zu erkennen65, wie Gluck66 und Gretry67 sie gestaltet hatten68, so offenbart sich dem letzteren gegenüber, der hier zunächst in Betracht kommt, auf den ersten Blick die ungleich tiefere und vielseitigere musikalische [272] Durchbildung Mozarts, welche ihm nicht allein den ganzen wirklichen Besitz der italiänischen Oper, von dem Gretry nur ein geringes Theil herübergenommen hatte, zu neuem Gewinn zu verwerthen sondern alle Mittel musikalischer Kunst frei zu verwenden gestattete. Aber auch was die dramatische Charakteristik und den Ausdruck des Gefühls anlangt, wo Gretrys Verdienste unleugbar sind, bewährt sich Mozart als die ungleich tiefere, reifere und edlere Natur. Nichts wäre verkehrter als die Meinung, Mozart habe mit einem geschickten Eklekticismus verschiedene Vorzüge der italiänischen und französischen Oper zu vereinigen gewußt: vielmehr hat er, nachdem von hier und von da einseitig die entgegenstehenden Eigenschaften entwickelt worden waren, kraft der Genialität seiner universalen Natur es vermocht eine Oper zu schaffen, welche die dreifache Aufgabe der dramatischen Darstellung des Komischen durch die Musik als eine ihrem innersten Wesen nach einige auffaßt und löst. Wenn es ein Zufall ist daß Figaro nach einem französischen Lustspiel zu einer der Sprache und Form nach italiänischen Oper bearbeitet und von einem Deutschen in Musik gesetzt wurde, so ist doch dieses Zusammentreffen nicht ohne Bedeutung: auch die nationalen Gegensätze erscheinen hier zu einer höheren Einheit verschmolzen.

Wirst man einen vergleichenden Blick auf die italiänischen Opern jener Zeit, welche dem Figaro zum Theil siegreiche Concurrenz machten, auf Sartis Fra i due litiganti il terzo gode, auf Paisiellos Barbiere di Seviglia und Re Teodoro, auf Martins Cosa rara und Arbore di Diana, auf Salieris Grotta di Trofonio, so ist der erste Eindruck vielleicht der der Ueberraschung so manches dort zu finden was an Mozart erinnert, und was der gegenwärtigen Zeit als specifisch Mozartsch erscheint, weil sie es durch ihn kennt. [273] Bei genauerer Prüfung ergiebt sich aber daß diese Aehnlichkeiten sich auf Formales, meistens auf gewisse Wendungen beschränken, welche das Wesentliche nicht treffen, welche mehr als Individuen den der Zeit angehören, die ja auch in Sitten und Sprache Erscheinungen hervorruft, die Jedermann als bequemes Verkehrsmittel sich aneignet. In allem Wesentlichen und Bedeutenden wird ein sorgfältiges Eingehen die Eigenthümlichkeit und Ueberlegenheit Mozarts nur um so sicherer herausstellen. Ohne Zweifel haben alle diese Opern Vorzüge, welche noch heute alle Anerkennung verdienen. Sie sind mit Geschick und Leichtigkeit, mit voller Sicherheit des theatralischen Effects und der musikalischen Factur gemacht, voll Lustigkeit und Leben, es fehlt weder an hübschen Melodien, noch an prächtigen Einfällen – es würde zu weit führen das im Einzelnen zu belegen und nachzuweisen –, allein von allen diesen Vorzügen geht Mozart keiner ab, und immer sind es nur Einzelnheiten jener Opern, welche man Mozartschen an die Seite setzen oder vielleicht ihnen vorziehen kann; in manchen einzelnen Leistungen aber – ich erinnere nur an die Behandlung des Orchesters und die Gliederung der Ensembles – kommt keiner von ihnen Mozart gleich. Allein, was viel wichtiger ist, es fehlt ihnen im Ganzen was Mozart groß macht über alle, weil es ins Ganze geht, die geistige Organisation aus dem innersten Wesen heraus, die psychologische Tiefe, die Innigkeit der Empfindung, die darauf beruhende Charakteristik, die aus dieser hervorgehende Einheit in der Handhabung der Mittel und Formen, der Adel und die Anmuth welche einen tieferen Grund als die sinnliche Schönheit haben. Jene Opern sind längst von den Bühnen verschwunden, weil die gelungensten Einzelnheiten kein Ganzes auf die Dauer halten, sie haben [274] nur noch ein vorwiegend historisches Interesse69: Mozarts Fi garo ist lebendig auf den Bühnen und in jedem musikalisch gebildeten Kreise, unsere Jugend wird daran herangebildet, unser Alter erfreuet sich nicht nur seiner Jugenderinnerung wegen mit steigendem Genuß, es bedarf keiner äußeren Vermittlung zu seinem Verständniß: es ist der Pulsschlag unseres eigenen Lebens den wir fühlen, die Sprache des eigenen Herzens die wir vernehmen, der unwiderstehliche Zauber unvergänglicher Schönheit der uns fesselt – es ist die echte, ewige Kunst, die uns frei macht und glücklich.

Fußnoten

1 Auch Kelly (Remin. I p. 257) bestätigt es daß Mozart selbst den Stoff ausgewählt habe.


2 Beaumarchais hatte seine Komödie bereits gegen Ende des Jahrs 1781 vollendet und beim théâtre français eingereicht, wo man sie bereitwillig zur Aufführung annahm. Allein nachtheilige Gerüchte veranlaßten Ludwig XVI sich das Stück vorlesen zu lassen, er fand es abscheulich und erklärte daß es nie gespielt werden solle. Die Aufmerksamkeit auf dasselbe wurde nur um so größer, man drängte sich dazu es im Mannscript vorlesen zu hören; eine Partei am Hofe interessirte sich für die Aufführung, die Schauspieler wünschten sie, das Publicum verlangte sie immer dringender: sie wurde ein Gegenstand des öffentlichen Interesses. Beaumarchais verstand es alle Umstände geschickt zu seinem Vortheil zu benutzen: im Juni 1783 sollte sein Lustspiel bei Hofe aufgeführt werden, das Publicum war versammelt, da kam unmittelbar vor dem Anfang ein neues Verbot des Königs. Jetzt murrte man laut über Tyrannei und Unterdrückung, das Stück erhielt schon vor der Aufführung eine politische Bedeutung. Endlich gelang es bei Hofe den König zu überreden, daß er eine Privataufführung bei einem Fest gestattete, welches Hr. v. Vaudreuil dem Grafen Artois im September 1783 gab, und Beaumarchais wußte die Sachen so zu wenden, daß auch die öffentliche Aufführung im April 1784 erfolgte. Die Wirkung war außerordentlich und durch das Zusammentreffen aller Umstände erhielt das Lustspiel einen unbestreitbaren Platz unter den Vorbedeutungen der Revolution. Eine ausführliche Darstellung giebt L. de Lomenin Beaumarchais et son temps II p. 293ff.


3 Das Stück wurde in verschiedenen Uebersetzungen sehr bald auf allen Bühnen Deutschlands heimisch. Neuerdings hat A. Lewald eine neue Uebersetzung desselben gegeben (Beaumarchais, Stuttg. 1839).


4 Im Jahr 1793 hatte man in Paris den unglücklichen Einfall Mozarts Musik mit dem vollständigen Dialog von Beaumarchais zur Aufführung zu bringen (Castil-Blaze l'acad. imp de mus II p. 19); Beaumarchais war mit dieser Einrichtung nicht unzufrieden, wohl aber mit der Darstellung (Lomenin Beaumarchais II p. 585ff.). In einem Bericht über die Aufführung (Berl. mus. Ztg. 1793 S. 77) heißt es: »Die Musik hat uns schön, reich an Harmonie und mit vieler Kunst gearbeitet geschienen. Die Melodie ist angenehm, ohne eben pikant zu sein. Einige Ensemblestücke darinnen sind von der höchsten Schönheit. Viele Arien haben aber nicht die Wirkung gethan, die man davon erwarten darf, wenn sie in ihrer rechten Bewegung ausgeübt werden. Diejenigen welche die Partitur kennen versichern, daß fast alle Satze zu langsam vorgetragen worden seien.«


5 Deutsch ist die Oper mehrmals, aber immer sehr mittelmäßig bearbeitet. Von wem die zuerst übliche Uebersetzung, nach der sie z.B. in Berlin 1790 aufgeführt wurde (Schneider Gesch. der Oper in Berlin S. 59), herrührt weiß ich nicht; im Jahr 1791 bearbeitete Knigge die Oper für Schröder in Hamburg (Aus einer alten Kiste S. 177. Meyer, Schröder II S. 55); 1792 gab man sie in Wien nach einer Uebersetzung von Gieseke, den wir noch kennen lernen werden; 1794 erschien die Bearbeitung von Vulpius. Eine neue Bearbeitung welche nicht allein da Pontes Versen, sondern dem was Mozart aus denselben gemacht hat, gerecht zu werden suchte, wäre ein dringendes Bedürfniß; sie würde vielleicht die Darsteller veranlassen Auffassung und Spiel aus der musikalischen Gestaltung abzuleiten und vielmehr Mozarts Charakteristik zur Geltung zu bringen als Beaumarchais Eigenthümlichkeiten in die Oper hineinzutragen. Für die Einführung der Seccorecitative statt des gesprochenen Dialogs sprach sich Hoplit aus (N. Ztschr. f. Mus. XLI S. 113f.), der wohl nie die gedruckte Partitur des Figaro gesehen hat, da er meint die Recitative seien nur noch in Mozarts Original zu finden. Allerdings sind durch den Dialog nicht allein manche hübsche Einzelheiten weggeschnitten, wie die allerliebste kleine Ensemblestelle nach dem Sextett (S. 339), sondern auch Unzuträglichkeiten entstanden. So nimmt es sich ziemlich ungeschickt aus, wenn Figaro im zweiten Akt (S. 132) den Anfang seiner Cavatine in das Gespräch hineinsingt; noch übler ist es, wenn gegen den Schluß des dritten Akts (S. 362) das Gespräch, welches in vollem Gange ist, ohne allen inneren Grund mit dem herannahenden Marsch als Recitativ fortgesungen wird. Manches der Art ließe sich mit einiger Aufmerksamkeit beseitigen, und ob die Einführung der Recitative nicht dem Verständniß der Handlung erheblich schaden würde ist wohl zu überlegen.


6 Sainte-Beuve causeries du lundi VI p. 188.


7 Man kann den Unterschied nicht besser erkennen als wenn man den berühmten Frondeur-Monolog des Figaro im fünften Akt mit der Eifersuchtsarie der Oper vergleicht. Auch die Anspielungen auf das Herrenrecht hätte man füglich ganz weglassen können, da ihr wesentliches Interesse ein politisches ist; noch heute würde man, wenn man sie striche und irgend ein einfaches, leicht zu findendes Motiv statt dessen einführte, der Oper ein unser Gefühl sehr verletzendes Element nehmen.


8 Was kann von unseren Sitten mehr abstechen als wenn ein junges Mädchen ihrem Bräutigam schreibt: »Ich wünsche Ihnen bald den neuen Amadis in die Hände, das lustigste, launigste Buch. Wie wird Ihnen Olinde darin gefallen? Herr Amadis ist ein wenig zu butterartig, er schmelzt bei jedem Sonnenblick.« Und dieses junge Mädchen ist Caroline Flachsland, und der Bräutigam ist Herder. S. Aus Herders Nachlaß III S. 67.


9 Auch im Figaro findet sich ein oft bemerkter musikalischer Scherz der Art. In der Cavatine (I, 3) und der letzten Arie (IV, 4) Figaros treten die Hörner sehr auffallend hervor, und in der letzteren ergänzen sie die Worte il resto non dico, già ognuno lo sà so vernehmlich daß kein Zweifel über die Anspielung bleiben kann, welche Mozart damit machen wollte. Man erzählt sich sogar, er habe in seiner Partitur hinzugeschrieben corni obligatissimi, allein dies ist nicht wahr. Man mag über einen solchen Spaß urtheilen wie man will; die Wirkung des Musikstücks wird in keiner Weise dadurch bestimmt, ob man ihn beachtet oder nicht.


10 Die geistige Umwandlung, welche Mozart mit dem französischen Lustspiel in diesem Sinne vornahm, ist oft hervorgehoben, z.B. von Beyle (vies de Haydn, Mozart et de Métastase p. 359ff.), welcher bei bewundernder Anerkennung Mozarts meint, Fioravanti oder Cimarosa würden die leichte Heiterkeit des Originals vielleicht noch besser wiedergegeben haben. Oulibicheff, der hierüber neben manchen schiefen auch sehr treffende Bemerkungen macht, scheint doch auch die Umwandlung für nicht ganz vollendet zu halten (II p. 48). Rochlitz äußerte sich dahin (A. M. Z. III S. 594f.): »Figaro ist bekanntlich gar kein Sujet für die Oper, eben darum, weil er ein vortreffliches Lustspiel ist. Die Charaktere des Grafen und der Gräfin sind meines Erachtens die in sich selbst musikalisch vollendetsten. Figaro hat natürlich in einer Kunst welche keine Begriffe darstellt verlieren müssen; ebenso Susanne. Die süße, leichtfertige, gar zarte Natur Cherubins hätte nicht verlieren müssen, war aber für Mozarts Natur nicht ganz. Cherubin ist reifer – wenn man ja will schwerer, Susanne ernster, Figaro deutscher geworden. Aber wie es dem Componisten gelungen ist die Charaktere, wie sie nun sind, besonders in den hier überaus reichen und ausgeführten Ensembles zu halten: das ist und bleibt ganz meisterhaft.« Dagegen wird in einem begeisterten Aufsatz in der revue de deux mondes (XVIII p. 844ff. übersetzt A. M. Z. XLII p. 589ff.) Mozart als der Meister gepriesen, der Beaumarchais Werk das gegeben habe, was ihm mangelt, was nur Mozart in diesem Stoff habe ahnen können, die Poesie. Vgl. Hotho, Vorstudien für Leben und Knust S. 69ff.


11 Wenn man das bekannte sehr charakteristische und unterhaltende Zankduett der beiden Frauen in Aubers Maurer vergleicht, wird man eingestehen, daß dort der unverkennbar größere Realismus der musikalischen Darstellung der Feinheit und Grazie im Ausdruck und in der Ausführung einigermaßen Abbruch gethan hat.


12 Die Besetzung des Figaro bei der ersten Aufführung war nach Mozarts thematischem Verzeichniß folgende:


Il conte AlmavivaSgre. Mandini.

La contessaSgra. Laschi.

SusannaSgra. Storace.

FigaroSgre. Benucci.

CherubinoSgra. Bussani.

MarcellinaSgra. Mandini.

BrasilioSgre. Ochelly.

So schreibt Mozart den Namen;

Kelly wurde, wie er selbst

erzählt (Rem. I p. 139)

in Italien Okelly genannt.

Don CurzioSgre. Ochelly.

So schreibt Mozart den Namen;

Kelly wurde, wie er selbst

erzählt (Rem. I p. 139)

in Italien Okelly genannt.

BartoloSgre. Bussani.

AntonioSgre. Bussani

BarberinaSgra. Nannina Gottlieb,

welche später die Pamina

in der Zauberflöte sang.


Oulibicheff behauptet (II p. 40): Très heureusement pour nous et très malheureusement pour le pauvre maestro le sort se plut à réunir dans la troupe italienne qui devait jouer Figaro des chanteurs aussi médiocres qu'aucun de ceux qui se soient jamais coalisés et entendus pour la ruine d'un chef-d'oeuvre. Das widerspricht allen übereinstimmenden Berichten über die ausgezeichneten Leistungen jener italiänischen Operngesellschaft, »deren Vollendung sowohl des Einzelnen als des Ensemble den Freunden keinen Wunsch, den Feinden keinen Stoff zum Tadel übrig ließ« (A. M. Z. XXIV S. 270), sowie dem was wir von einzelnen Mitgliedern erfahren. Wenn er die Einfachheit des Gesanges, das Fehlen der Coloraturen im Figaro dem Unvermögen der Sänger zuschreibt, wodurch Mozart gezwungen worden sei aus der Noth eine Tugend zu machen, so hat er nicht bedacht daß dieselben Sänger in vielen anderen italiänischen Opern Glück machten, die nicht so einfach waren, und Mozarts Einsicht und richtigem Gefühl offenbares Unrecht gethan. – Daß von den deutschen Sängerinnen keine verwendet wurde, weder die Lange, noch die Cavalieri oder die Teyber, auf welche Mozart doch beim Sposo deluso selbst gerechnet hatte (S. 173), ist auffallend und war wohl in den Parteiungen bei der Oper begründet. Durch da Ponte (mem. II p. 109. 110. 135f.) erfährt man daß die Cavalieri von Salieri, dessen Schülerin sie war (Mosel, Salieri S. 184), in sehr auffallender Weise begünstigt wurde, also natürlich zu ihm stand.


13 Michael Kelly – der uns in seinen Reminiscences (Lond. 1826) eine unterhaltende Darstellung seines Lebens gegeben hat – ist in Dublin 1764 geboren. Er war in einer musikalischen Familie erzogen und ging 1779 nach Neapel, um sich dort hauptsächlich unter Apriles Leitung zum Sänger zu bilden; er war schon auf mehreren italiänischen Bühnen mit Beifall aufgetreten, als er 1783 in Wien engagirt wurde. Von da ging er im Februar 1787 nach London, anfangs mit Urlaub, nahm dann dort seinen dauernden Aufenthalt und erwarb sich als Sänger und später auch als Componist eine geachtete Stellung bis zu seinem Tode im Jahr 1825.


14 Er erzählt, wie er durch seine Mimik Casti und Paisiello so in Erstaunen setzte, daß sie ihm, einem sehr jungen Menschen, die schwierige Rolle des Gafforio im Re Teodoro übertrugen, in welcher er Furore machte (Rem. I p. 241ff.).


15 Die Wirkung wird dadurch noch erhöhet daß in der Erzählung des Grafen, wie er den Pagen bei Barberina entdeckt habe, dasselbe Motiv angewendet ist. Wenn man nun sieht wie dieser überraschende Effect in der einfachsten Weise durch den natürlichen Entwickelungsgang der musikalischen Structur erreicht ist, so kann dies die Bewunderung vor der Einsicht des genialen Meisters nur steigern.


16 Man kann Aufführungen erleben, bei welchen diese ganze Stelle als eine müssige Wiederholung gestrichen ist.


17 Das din din, don don im Duett zwischen Susanne und Figaro (I, 2) kann man schwerlich zur Tonmalerei rechnen, so wenig als man Wortmalerei darin finden wird; es ist kaum mehr als eine Interjection, nur daß die musikalische den Vorzug hat daß sie zu einem Motiv in der Structur des Ganzen ausgebildet wird. Ebensowenig gehört dahin der militärische Charakter in Figaros Arie Non più andrai (I, 9); denn da sich in der Musik bestimmte Formen und Wendungen ausgebildet haben um das Kriegerische auszudrücken, so müssen dieselben natürlich da zur Anwendung kommen, wo die entsprechenden Ideen angeregt werden, und hier, wo Figaro dem Pagen das Bild seines militärischen Lebens ausmalt, wirst ihm das Orchester gewissermaßen das Spiegelbild zurück. Sehr weislich hat sich aber Mozart gehütet auch die Einzelnheiten dieser Schilderung musikalisch wiederzugeben, was ihn zu einer verkehrten Tonmalerei geführt hätte, sondern er beschränkt sich auf die allgemeinsten, durch die nächste Ideenassociation hervorgerufenen Anklänge. Wie weit der Einfluß solcher Ideenassociationen reiche, um theils unwillkührlich theils bewußt den musikalischen Ausdruck in bestimmter Richtung zu gestalten, ist meistens schwer zu entscheiden. So ist im ersten Duett zwischen Figaro und Susanne (I, 1) das Motiv des Basses mit dem entsprechenden der ersten Geige gewiß sehr passend für den das Zimmer ausmessenden Figaro und besonders in der Verkürzung


16.

tritt das immer weitergreifende Spannen sehr deutlich heraus. Daß die Situation das Motiv hervorgerufen habe ist gewiß, ob Mozart dadurch die Handlung des Messens habe ausdrücken wollen ist sehr zu bezweifeln, an Tonmalerei ist aber dabei sicherlich nicht zu denken.


18 Hier einer von den vielen Zügen, welche Mozart dem Text abzugewinnen wußte. Die wenig schmeichelhafte Charakteristik der Frauen lautet: queste chiamate dee


son streghe che incantano per farci penar,

sirene che cantano per farci affogar,

civette che allettano per trarci le piume,

comete che brillano per toglierci il lume


und so fort bis es endlich heißt


amore non senton, non senton pietà –

il resto non dico, già ognuno lo sà.


Kaum hat er das fatale il resto non dico heraus, so ist es, als könne er nicht wieder davon kommen; es heißt dann


son streghe che incantano – il resto non dico

sirene che cantano – il resto non dico


u.s.f., was nun auch zu einer entsprechenden musikalischen Behandlung dieser Worte Veranlassung giebt. Wie dann zuletzt die Hörner ihm in die Ohren rufen was er selbst nicht sagen will, ist schon bemerkt wor den.


19 Benucci, welchen Mozart gleich anfangs auszeichnete (S. 161. 172) und für den er mit sichtlicher Vorliebe den Figaro schrieb, galt »in Ansehung des natürlichen Spiels für den besten Buffo, den man in Wien gesehen hatte« (Berl. Litt. u. Theat. Ztg. 1783 S. 313), seine Stentorstimme preist Kelly (Rem. I p. 259). »Er vereinigt mit seinem ungezwungenen vortrefflichen Spiel eine äußerst runde, schöne, volle Baßstimme. Er ist ein ebenso vollkommner Sänger, als er ein trefflicher Schauspieler ist. Er hat die seltne, so löbliche Gewohnheit daß er nichts übertreibt« (Berl. mus. Ztg. 1793 S. 138f.).


20 Der bereits erwähnte Buffani, welcher Bartolo und Antenio sang, scheint schon im Jahr 1772 bei der italiänischen Oper in Wien gewesen zu sein, welche er im folgenden Jahr verließ. Ihm wird eine »ausgebende Baßstimme« nachgerühmt (Müller genaue Nachr. S. 73).


21 Ein seiner Zug ist in der gedruckten Partitur verballhornt worden. Bei der Stelle S. 34


16.

und der entsprechenden S. 58 ist schon Takt 2 und 4 f statt fis gedruckt; aber dieses unmittelbare Zusammenrücken von Dur und Moll ist von Mozart oft und mit großer Feinheit angewendet worden und auch hier charakteristisch, wie das Gefühl der erlittenen Kränkung allmählich bitterer und schärfer wird.


22 Die deutschen Bearbeitungen haben leider auch hier die einzelnen Züge der Charakteristik verwischt. Köstlich ausgedrückt ist die Stelle: Coll' astuzia, coll' arguzia, col giudizio, col criterio, si potrebbe ... hier nimmt das Orchester das ebenangeführte Motiv auf, wie um ihn aufzustacheln, wird aber bald abgeflacht, indem er sich besinnt: si potrebbe, si potrebbe – plötzlich bricht es ab: il fatto è serio, wozu das ganze Orchester mit einem äußerst frappanten Accord einfällt; darauf mit der Ruhe des Selbstvertrauens: ma, credete, si farà, und nun ergießt sich der Platzregen von Mittelchen, mit denen er sich zu helfen weiß.


23 Steffano Mandini – so nennt ihn da Ponte (mem. II p. 67) – wird von Kelly (Remin I p 121. 196) als einer der ersten Buffosänger jener Zeit neben Benucci gepriesen. Er ging 1789 nach Paris, wo er namentlich in Cosa rara außerordentliches Glück machte, und überhaupt hinsichtlich der Stimme und Gesangsbildung wie des Spiels als einer der verzüglichsten Künstler galt, so daß Choron ihn seinen Schülern als das Ideal eines Sängers zu nennen pflegte (P. Scudo, musique ancienne et moderne p. 22f.).


24 Auch in der wunderbaren Stelle, welche sich aus den unmittelbar vorhergehenden scharf accentuirten Klagetönen mit neuer Kraft emporschwingt


16.

ist das durch den chromatischen Gang der Mittelstimmen herbeigeführte nebeneinandergestellte Dur und Moll von unnachahmlicher Wirkung.


25 La corruption du coeur, sagt er, ne doit rien ôter au bon ton de ses manières. Dans les moeurs de ce temps-la les grands traitaient en badinant toute entreprise sur les femmes.


26 Kelly erzählt (Rem. I p. 258f.), als er eines Abends zu Mozart gekommen sei, habe der ihm gesagt, so eben habe er ein kleines Duett (das oben genannte) für den Figaro vollendet, das sie dann am Klavier zusammen gesungen hätten; und noch im Alter sei es ihm eine freudige Erinnerung, daß er zuerst dies Duett gehört habe, durch welches nachher so Viele entzückt worden wären.


27 Rochlitz A. M. Z. III S. 395.


28 Anna Selina (Nancy) Storace, für welche diese Rolle geschrieben ist, wurde 1761 in London geboren, wo ihr Vater, ein geborner Neapolitaner, als tüchtiger Contrabassist und Musiklehrer geachtet war. In jungen Jahren genoß sie den Unterricht von Sacchini und Rauzzini und vollendete ihre Bildung im Conservatorium von S. Onofrio in Neapel. Sie betrat die Bühne zuerst in Florenz 1780 mit großem Beifall, sang dann in Lucca und Livorno (KellyRem. I p. 96ff.), und machte besonders in Venedig Furore (Kelly Rem. I p. 190), von wo sie 1783 nach Wien kam. Auch dort war sie außerordentlich beliebt; »indem sie, wie damals keine in der Welt, und wie nur wenige jemals, alle Gaben der Natur, der Bildung und der Geschicklichkeit, die man sich nur für die italiänisch-komische Oper wünschen mag, in sich vereinigte« (A. M. Z. XXIV S. 284). Im Jahr 1787 ging sie nach London und hat dort mit Ausnahme der Jahre 1796 bis 1801, die sie in Italien zubrachte, bis zum Jahr 1808 als Primadonna geglänzt. Dann verließ sie die Bühne und starb 1814 (Parke mus. mem. II p. 108ff.). Sie war edel und freigebig, in ihrem Benehmen offen und unbefangen; Kelly, der sie genau kannte, giebt für beides anziehende Belege (Rem. I p. 247. 268).


29 Die Arie erinnert sehr angemessen an ein Ständchen schon durch die Pizzicaco-Begleitung, welche in der Cavatine Figaros (I, 3) und der Romanze Cherubins (II, 2) ebenfalls die Guitarre repräsentirt. Sie giebt der Stimme freien Spielraum, und die nur leicht hineinspielenden Soloinstrumente (Flöte, Oboe, Fagott), wie die zarte Figur der ersten Geige gegen den Schluß dienen nur dazu den vollen Klang der Singstimme noch schöner hervortreten zu lassen. Der Eindruck des Genusses an der Sehnsucht wird ganz besonders auch durch die einfache Harmonie hervorgebracht, deren Bewegung man kaum spürt, als könnte jede Aenderung diese stille Seligkeit nur stören. Doch welche Analyse dringt in dies Mysterium des schaffenden Genius ein? – Einem mitunter, zu meiner Verwunderung auch von Koßmaly (Oulibicheff, Mozarts Opern S. 369f.) ausgesprochenen Tadel daß diese Arie für Susanne zu edel und sein gehalten sei, glaube ich im Text begegnet zu sein.


30 Das Terzett ist interessant durch eine Aenderung, welche Mozart damit vorgenommen hat. Ursprünglich war allenthalben, wo die Stimmen zusammengehen, der Gräfin die höchste gegeben, was darauf an allen Stellen, wo es der dramatische Ausdruck gestattete, so abgeändert ist, wie wir es kennen, daß Susanne die höchste Partie singt; dabei sind hier und da kleine Modificationen in der Stimmführung nöthig geworden. Ob Rücksichten auf Sgra. Laschi oder auf die Storace Grund dieser Aenderung waren ist unbekannt, ein rein persönlicher war es wohl gewiß. In den beiden Finales war diese Stellung der beiden Sängerinnen entschieden, als es an die Ausarbeitung ging.


31 Beyle meint daß Mozart in diesem Duett allein den eigentlichen Charakter des französischen Lustspiels wiedergegeben habe, und selbst hier sei Figaros Eifersucht gar zu ernsthaft genommen (vies de Haydn, Mozart et de Métastase p. 361f.).


32 Ueber Sgra. Laschi, welche die Gräfin sang, berichtet der schon mehrfach erwähnte Reisende (Cramer Mag. f. Mus. 1788 II S. 48) mit Erstaunen daß sie in Wien wenig distinguirt werde, ob sie gleich in einer Manier und mit einer Geschicklichkeit und Geschmack singe, dergleichen in Italien unter die Seltenheiten gehöre.


33 Sie ist in seinem thematischen Verzeichniß im Juli 1789 eingetragen; gedruckt im Anhang der Partitur.


34 Sie muß damals an die Stelle von Susannes Gartenarie gesetzt sein; auf diese Situation paßt der Text, und so konnte ihr auch das Recitativ, welches ursprünglich jene Arie einleitete, nicht unpassend vorgesetzt werden.


35 Es sind von Blasinstrumenten 2 Bassethörner, 2 Fagotts und 2 Hörner angewendet, die zum Theil concertirend hervortreten, und überhaupt dem Ganzen eine eigenthümlich volle und weiche Klangfarbe geben.


36 Sgra. Bussani war nach da Ponte, der freilich seinem eigenen Geständniß zufolge ihr entschiedenster Gegner war, keine Sängerin von großem Verdienst und habe sich hauptsächlich durch ihre, wie er sagt, smorfie und pagliacciate beim großen Publicum sehr beliebt gemacht (mem. II p. 169 vgl. p. 136). Ein anderer Berichterstatter (Berl. mus. Ztg. 1793 S. 134) lobt ihre schöne tiefe Stimme, obwohl sie hinsichtlich des Vortrags nicht zu den ersten Sängerinnen gerechnet werden könne; auch er meint, ihr schöner Wuchs und ungezwungenes Spiel käme ihr auf dem Theater sehr zu Statten. Dagegen fand man, als sie 1808 aus Lissabon nach London kam, daß sie eine starke Stimme habe, ihr Alter und Aeußeres sie nicht mehr empfehle (Parke music. mem. II p. 25).


37 Dem oben angeführten, unbegreiflichen Urtheil von Rochlitz kann man die der Franzosen gegenüberstellen, von denen Beyle sagt: Beaumarchais a peint Chérubin d'une manière charmante, Mozart, employant une langue plus puissante a laissé bien loin d'arrière lui le charmant comique des Français; und der Aufsatz in der revue de deux mondes behauptet, den Cherubin, welchen alle Welt kenne und liebe, habe nicht Beaumarchais sondern erst Mozart geschaffen.


38 Sie ist von Dohrn im Anhang einer Schilderung dieses Tanzes mitgetheilt N. Ztschr. f. Mus. XI S. 168.


39 Dies Ballet wurde 1761 in Wien aufgeführt (Schmidt Gluck S. 83); das fragliche Stück findet sich in Wollancks Klavierauszug II, 17.


40 Sie sind in der Notenbeilage IV zusammengestellt.


41 Bei den Worten des Grafen, welcher sich mit der Nadel gestochen hat, fällt das Fagott mit einigen klagenden Tönen ein


16.

die sehr komisch dazu passen. Sie sind aber nicht hier erst angebracht um den Schmerz auszudrücken, sie gehören zur Tanzmusik und sind schon vorher an der entsprechenden Stelle gehört, so wie sie auch nachher wieder vorkommen; der Scherz liegt eben in dem scheinbar zufälligen Zusammentreffen der Tanzmusik mit dem Moment der Situation.


42 Es ist schon darauf hingewiesen (II S. 469) daß man von fern zuerst den zweiten Theil des Marsches hört, – der Zug ist also schon einige Zeit in Bewegung.


43 Das Duett wie es gedruckt ist hat an drei Stellen eine Abkürzung erfahren, nach S. 168, Takt 4 sind vier, S. 169 Takt 3 sind zwei und S. 169 Takt 10 wieder vier Takte weggestrichen, die alle an ihrem Platz sind, da sie die Handlung nicht aufhalten und das Ganze besser gliedern. Die fehlenden Takte sind in der Notenbeilage V mitgetheilt.


44 Dieser stetige Zusammenhang und die feste Organisation der einzelnen Glieder des Finale ist selten zu finden, meistens sind es nur locker zusammengereihte Scenen; nicht nur die Scene wechselt öfters, sondern auch die Handlung wird nicht zusammenhängend fortgeführt z.B. selbst in Castis Re Teodoro. Da Ponte, welcher sehr ergötzlich die Moth beschreibt, die einem Dichter die Convenienz mache im Finale alle handelnden Personen zusammenzubringen a dispetto del criterio, della ragione e di tutti gli Aristotili della terra (mem. II p. 62), hat hier wenigstens keine großen Schwierigkeiten gefunden.


45 Andante di molto hat ihn Mozart überschrieben und nicht Andante con moto, wie gedruckt ist, wobei zu bemerken ist daß Susanne aus dem Kabinet kommt tutta grave. Beiläufig bemerke ich daß das von Mozart bemerkte Tempo des Terzetts (II, 4) Allegro spirituoso; im ersten Finale S. 207 Con spirito (ohne allegro), S. 241 Andante (ohne ma non troppo), S. 265 Più Allegro ist; und im zweiten Finale S. 498 Più Allegro fehlt. Ohne alle Tempobezeichnung sind II, 1. 2. III, 3.


46 Von großer Wirkung ist das auf den Schluß in Es-dur unmittelbar eintretende G-dur; der einzige Effect der Art, denn die folgenden Sätze bewegen sich ganz einfach durch C, F, B-dur wieder nach Es-dur.


47 Holmes erzählt (life of Mozart p. 269) ohne seine Quelle anzugeben, die ich auch nicht nachweisen kann, Mozart habe dies Finale in zwei Nächten und einem Tag geschrieben, während deren er ohne Unterbrechung gearbeitet habe; im Laufe der zweiten Nacht sei er von einem Unwohlsein befallen worden, das ihn aufzuhören zwang als nur noch einige Seiten zu instrumentiren waren.


48 Da Basilio und Don Curzio, sowie Bartolo und Antonio von je einem Sänger gegeben wurden, erklärt es sich daß in der Partitur zwar alle vier Personen genannt, aber nur zwei musikalische Partien geschrieben sind; es traten also Statisten im entsprechenden Costum auf. In den Klavierauszügen sind die Personen hier zum Theil aufs unsinnigste angegeben.


49 Der italiänische Text ist einfach und verständig.


Marc. Riconosci in questo amplesso

una madre, amato figlio!

Fig. Padre mio, fate lo stesso,

non mi fate più arrossir.

Bart. Resistenza

la coscienza

far non lascia al tuo desir.


Statt dessen läßt Knigge Bartolo sagen:


Lange sprach zu deinem Vortheil

eine inn're Stimme schon


was in seinem Munde lächerlicher Unsinn ist.


50 Ein hübscher Zug ist es daß die herzliche Melodie, mit der Marcelline den Sohn begrüßt, ins Orchester verlegt ist, während sie sich Susanne gegenüber als seine Mutter bekennt.


51 , Von wahrhaft ergreifender Wirkung ist es daß die ganze schöne Stelle sotto voce vorgetragen wird, was Mozart überhaupt nicht bloß als musikalisches Effectmittel sondern mit tiefer psychologischer Wahrheit anwendet. – Anfangs hatte er die reizende Melodie der Susanne (S. 332f.) auch dem Fagott und der Flöte gegeben, dann aber beide Instrumente (die Flöte ist in der gedruckten Partitur geblieben) ausgestrichen um die Singstimme frei walten zu lassen. Ueberhaupt ist die Instrumentation im Sextett sehr mäßig gehalten.


52 Dagegen kommt es wohl vor daß man diese Person als einen musikalischen Pleonasmus ganz streicht. Wenn man doch wenigstens, wo man keinen eignen Sänger daran wenden will, Basilio bei dieser Scene gegenwärtig sein ließe und ihm diese Partie übertrüge. Versteht er Ironie und Malice in seinen Vortrag zu legen, so wird dieselbe freilich eine andere Färbung erhalten, aber sie wäre auf diese Weise doch zu halten.


53 Es ist charakteristisch daß die Coloratur am Schluß der Arie des Grafen (III, 2) nicht ursprünglich von Mozart geschrieben war, sondern erst später, offenbar auf den Wunsch des Sängers hinzugefügt ist (III S. 446). Auch die bravurmäßige Arie der Gräfin in F-dur ist wie wir sahen erst später einer Sängerin zu Gefallen eingelegt.


54 Daß Posaunen nie, Trompeten und Pauken außer der Ouverture, dem Marsch mit Chor (III, 7) und den Schlußsatzen der Finales nur in drei Arien – des Bartolo (I, 4), Figaro (I, 9) und des Grafen (III, 2) – wo sie durchaus charakteristisch wirken, angewendet sind, will nicht viel sagen; die echte Sparsamkeit zeigt sich nicht im bloßen Verzichten auf gewisse Mittel, sondern in der Weise wie man die, welche zur Hand sind, zu Rathe hält.


55 Vgl. Koßmaly zu Oulibichef, Mozarts Opern S. 368.


56 Hier hat sich noch die Spur einer Redactionsänderung erhalten. Anstatt der jetzigen Schlußtakte des Recitativs, welche von fremder Hand in die Originalpartitur eingetragen sind


16.

standen dort ursprünglich folgende, später ausgestrichene


16.

16.

auf welche das kleine Duett in B-dur nicht unmittelbar folgen konnte. Es scheint als ob anfänglich nach Anleitung von Beaumarchais Dialog eine bewegte Scene zwischen der Gräfin und Susanne vorangehen sollte, die dann gewiß mit Recht aufgegeben wurde.


57 Dieser allerliebste Zug ist durch die deutschen Uebersetzungen gänzlich verwischt, in welchen die Gräfin erst nach dem Ritornell zu dictiren anfängt.


58 Die Aeußerung Kaiser Josephs ist schon S. 192 erwähnt. Carpani sagt (Le Haydine p. 49): Legare il canto collo strumentale in modo che udir non puossi una sol voce espressa come sembra aver fatto tal volta qual rarissimo ingegno di Mozart è non lodevole cosa; und bestimmter an einer anderen Stelle (p. 35): quello abuso di porre negli accompagnamenti cantilene troopo diverse e distinte dalla cantilena principale della parte cantante finirà col guastare totalmente la musica in Europa. Gretrys in jeder Beziehung schiefes Urtheil, das er auf eine Frage Napoleons ausgesprochen haben soll: Cimarosa met la statue sur le théâtre et le piédestal dans l'orchestre; au lieu que Mozart met la statue dans l'orchestre et le piédestal sur le théâtre, ist von Fétis Biogr. univ. IV p. 414 richtig gewürdigt.


59 Dies ist freilich auch gelegentlich geläugnet worden. In der Uebersetzung von Gretrys Versuchen (S. 189) sagt K. Spazier, ein Freund Reichardts und Bewunderer der aus dessen Kreis hervorgegangenen Versuche, in eigenthümlicher Weise Glucks Grundsätze über dramatische Musik weiter auszubilden, übrigens keineswegs ein Gegner Mozarts, den er vielmehr für ein größeres musikalisches Genie als Gluck (S. 94), für einen großen Instrumentalcomponisten (S. 184) erklärt: »Abgerechnet daß unser Mozart überhaupt nicht viel höhere Cultur und geläuterten Geschmack genug hatte, um schlechte Verse für sein wahrhaft musikalisches Genie zu verschmähen und die Weihe guter Gedichte mit ganzer Seele zu empfinden, so ist zuverlässig gewiß, daß der Zwang der Poesie überhaupt sein reiches üppiges Genie genirt habe, und daß aus dem Widerstreben seines Hanges zu freien genialen Ausflügen mit den Fesseln der Gedichte sich die Anomalie in seinen dramatischen Compositionen und das oft sehr mittelmäßige Verhältniß einer schön und reich concertirenden Musik mit dem Sinn und Bau der Verse sich größtentheils sehr gut erklären lasse. Die Oper Figaro z.B. insonderheit das unaussprechlich reiche und herrliche Finale des zweiten Akts muß man größtentheils aus dem Gesichtspunkt der Concertmusik betrachten wenn man es mit dem Sinne derselben recht reimen will.« Rich. Wagner dagegen – der von Gluck sagt, er gebe sich Mühe in der Musik richtig und verständlich zu sprechen, während Mozart seiner kerngesunden Natur nach gar nicht anders als richtig sprechen könne (Oper u. Drama I S. 132f.) – behauptet das Wichtigste und Entscheidendste für die Musik habe Mozart in der Oper geleistet und hier »das unerschöpfliche Vermögen der Musik dargethan jeder Anforderung des Dichters an ihre Ausdrucksfähigkeit in undenklichster Fülle zu entsprechen, und bei seinem ganz unreflectirten Verfahren habe der herrliche Musiker auch in der Wahrheit des dramatischen Ausdrucks, in der unendlichen Mannigfaltigkeit seiner Motivirung, dieses Vermögen der Musik in bei weitem reicheren Maaße aufgedeckt als Gluck und alle seine Nachfolger« (a. a. O. S. 53f.).


60 Diese allerdings sehr eigenthümlichen Züge sind nicht selten als die eigentlichen Grundzüge von Mozarts ganzem Wesen aufgefaßt. So nennt ihn Beyle (vie de Mozart, Haydn et de Metastase p. 87) ce génie de la douce mélancolie, er vergleicht ihn mit Dominichino und setzt hinzu (p. 269): quant à Mozart, il faudrait que le Dominiquin eût eu un caractere encore plus mélancolique pour lui ressembler parfaitement. Dagegen verdient bemerkt zu werden, daß im Figaro nur zwei Sätze in Molltonarten geschrieben sind, die Arie der Barberina (IV, 1) und der erste Satz des Duetts zwischen dem Grafen und Susanne (III, 1).


61 Diese Arie ist ebenso sehr durch die gutmüthige Laune, welche sich darin ausspricht, als durch die frische Lebendigkeit der Schilderung ausgezeichnet. Ohne eine Spur von dem Sarcasmus, welchen Beaumarchais Figaro verräth, hält er dem über seine Entfernung vom Schloß niedergeschlagenen Cherubin eine ermunternde Lection und sein Zuruf am SchlußCherubin alla vittoria, alla gloria militar!, der feurig genug herauskommt, wird erst dadurch komisch daß dieser gar nicht in der Stimmung ist an Kriegsruhm zu denken. Das alberne Spiel mit Susanne welches Cherubin meistens vornimmt, so daß er auf Figaros Worte nicht achtet und dieser die Arie wie zu seinem eigenen Vergnügen singt, zerstört freilich die beabsichtigte Wirkung gänzlich – aber was kümmert das unsere gewöhnlichen koketten Cherubins?


62 Wenn es wahr ist, was man wohl gesagt hat (A. M. Z. XXIV S. 282) daß Mozart den Figaro besonders hochhielt, so kann man sich das recht gut erklären; diese Musik ist der treueste Ausdruck seiner Natur.


63 Es ist klar, daß diese Auffassung des Komischen bis zu der Tiefe hinabsteigt, in welcher das Tragische und Komische ihre gemeinsame Wurzel haben. »Mozart war vielleicht der einzige, der gleich groß im Komischen als im Tragischen sein konnte« schreibt Körner an Schiller (III S. 168); wie es Sokrates bei Plato vom dramatischen Dichter verlangt, was aber nur die höchste Genialität erreicht hat.


64 Carpani (Le Haydine p. 202f.): Io credo, che debbasi a Boccherini quella tinta di malinconico che il Mozart non seppe nascondere nè meno nelle sue opere buffe, e che gli toglie di poter in questo genere uguagliarsi ai Galuppi, ai Paesielli, ai Piccini, agli Anfossi, ai Cimarosa, ai Guglielmi, ai Sarti ec. ec. per cui l'opera buffa giunse a quel grado di perfezione che si desiderava ancora nella seria. Beyle (vie de Haydn, Mozart et de Métastase p. 362f.):L'opéra de Mozart est un mélange sublime d'esprit et de mélancolie, tel qu'il ne s'en trouve pas un second exemple. La peinture des sentiments tristes et tendres peut quelquefois tomber dans l'ennuyeux: ici l'esprit piquant du comique français, qui brilla dans toutes les situations, repousse bien loin le seul défaut possible du genre. Pour être dans le sens de la pièce, la musique aurait du être faite à frais communs par Cimarosa et Paesiello. – Comme chef-d'oeuvre de pure tendresse et de mélancolie, absolument exempt de tout mélange importun de majesté et de tragique, rien an monde ne peut être comparé aux Nozze di Figaro. Auch der Verfasser des oben erwähnten Aufsatzes in der revue de deux mondes sagt, Mozart sei kein komisches Genie, seine Fröhlichkeit gehe nie über ein unbeschreibliches Lächeln hinaus, das auch Thränen nicht ausschließe.


65 Wir sahen schon daß Mozart besonders die französischen Meister des Ausdrucks wegen studirte (III S. 300).


66 H. Berlioz voy. mus. II p. 267f.: Chez les Allemands, je no connais pas de compositeur dramatique qui se soit écarté d'une manière sensible de la doctrine de Gluck; parmi ceux qui l'ont adoptée et développée, il faut citer Mozart qui, dans Don Juan, le Mariage de Figaro, la Flute enchantée et l'Enlèvement du Sérail, n'a laissé échapper quelques rares vocalisations de mauvais goût et d'une expression fausse, que lorsqu'il y a été contraint de vive force par le caprice souvent irrésistible des chanteurs. On a dit que Mozart avait beaucoup emprunté à l'ancienne école italienne, le fait peut être vrai pour la coupe de quelques-uns de ses airs, encore la beauté raphaélesque de son dessin mélodique, la variété de son harmonie et son instrumentation si riche et si savante, ne permettent-elles guère d'apercevoir ces prétendus emprunts; mais quant à l'ordonnance générale du drame musical, à la profondeur d'expression avec laquelle chaque caractère est trace et soutenu, il faut bien reconnaître qu'il a suivi et accéléré le mouvement imprimé à l'art, de ce côté, par la puissance du génie de Gluck.


67 Vgl. II S. 208ff.


68 Tieck Dramaturg. Blätter II S. 325: »Aus deropera buffa bildete sich bei den Franzosen jene leichte und lichte Gattung, in der Gretry, Dalayrac und andere so erfreulich erschienen, eine bestimmte Annäherung zum wahren Romantischen, und dieser komischen Oper haben wir die unsterblichen Werke unseres Mozart zu danken, der die Kunst gleich bis an ihre äußersten Gränzen geführt und der Musik eine Form gegeben hat, in welcher sie, als in einer wahren und nothwendigen immer dar fortwirken, wachsen, sich neu verwandeln und unermüdet spielen und ringen kann.«


69 Die einzige Oper jener Periode, welche sich neben den Mozartschen erhalten hat, Cimarosas Matrimonio segreto kann schon deshalb hier nicht in Betracht kommen, weil sie nach Mozarts Tode im Jahr 1792 von Cimarosa auf Veranlassung Leopolds II geschrieben ist; das Libretto ist nicht von da Ponte, wie man gesagt hat, sondern von Bertati verfaßt (da Ponte mem. II p. 160). Aber wie hoch man auch die liebenswürdige, anmuthige und lebendige Musik dieser trefflichen Oper über die italiänischen Opern jener Zeit stellen mag, dem Figaro kann sie nicht gleichgesetzt werden.


Quelle:
Jahn, Otto: W.A. Mozart. Band 4, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1859, S. 1.
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