II.
(1814.)

Schubert's Aufenthalt im Convict währte vom October 1808 bis zu Ende desselben Monats 1813, mithin volle fünf Jahre. In dem Stimmorgan des nun bald siebenzehnjährigen Jünglings war nämlich um diese Zeit jene Wandelung eingetreten, welche man mit »Mutiren« der Stimme zu bezeichnen pflegt, und er konnte demnach als Sängerknabe nicht mehr verwendet werden. Franz hätte zwar seine Studien daselbst noch über die erste Humanitätsclasse hinaus fortsetzen können, denn der Kaiser, welcher von dem Verhalten der Convictszöglinge fortan auf das genaueste unterrichtet war, gestattete sein ferneres Verbleiben darin1; er hatte aber keine Lust noch weiter zu studiren, zumal er sich einer Wiederholungsprüfung[33] hätte unterziehen müssen, und verließ die Anstalt, um zunächst in das väterliche Haus zurückzukehren2.

Nach einer Angabe Ferdinand Schubert's3 war die Aufforderung zum Militärdienst, nach einer anderen Version aber das Bestreben des Vaters, ihn vom Componiren abzuhalten und einer anderen Beschäftigung zuzuführen, die Ursache, daß Franz sich längere Zeit hindurch dem Lehrfach widmen mußte. Während des Schuljahres 1813–1814 studirte er zu diesem Ende bei St. Anna Pädagogik und übernahm sodann in des Vaters Schule das Amt eines Gehülfen in der Vorbereitungsclasse (ABC-Schule), das er nun durch drei Jahre zwar mit innerlichem Widerstreben, aber trotzdem mit Pflichttreue und einem Eifer versah, der sich mitunter, wenn er es mit einem störrigen Kinde zu thun hatte, zu Ungeduld und Jähzorn steigerte4.

Um so erstaunlicher erscheint seine Productivität, namentlich im Jahr 1815. Schon im Beginn des Pädagogenthums fand er Gelegenheit, sich durch eine Kirchencomposition hervorzuthun, die seinen Namen in weiteren Kreisen bekannt machte und ihm die Anerkennung seiner musikalischen Freunde, insbesondere seines Lehrers Salieri, in hohem Grad eintrug. Es war dies die Messe in F, welche er zur Feier des hundertjährigen Jubiläums der Lichtenthaler Pfarrkirche schrieb, und deren Aufführung (am ersten Sonntag nach dem Theresentag)[34] er unter Mitwirkung Josef Mayseder's an der ersten Violine in Person dirigirte. Die Sopranpartie sang Therese Grob5, eine Lieblingssängerin des Componisten und[35] einer Familie angehörend, zu welcher Schubert damals und bis gegen das Jahr 1820 hin in freundschaftlichen Beziehungen stand. Salieri, hoch erfreut über die Arbeit seines Zöglings, umarmte diesen am Schluß der Aufführung, indem er ihm zurief: »Franz, du bist mein Schüler, der mir noch viele Ehre machen wird«6.

Die Messe7 wurde bald darauf in der Augustinerkirche unter Umständen wiederholt, welche die Aufführung zu einem Familienfest gestalteten. Franz stand am Dirigentenpult, sein Bruder Ferdinand spielte die Orgel, den Sopranpart trug wieder Therese Grob vor und in die übrigen Stimmen hatten sich Freunde und Bekannte getheilt. Als regens chori fungirte Michael Holzer. Der Vater beschenkte seinen Sohn Franz nach diesem Fest mit einem fünfoctavigen Clavier8.

Auch ein Salve regina9 für Tenor, ein Lied: »Wer ist wohl groß« mit Chor und Orchesterbegleitung, fünf Menuette und sechs Deutsche, für Streichquartett und[36] Waldhörner gesetzt, drei Streichquartette10 eine mäßige Anzahl Lieder (darunter zehn auf Gedichte von Mathisson) fallen in diese Zeit. Unter den letzteren befindet sich eines: »Auf den Sieg der Deutschen« betitelt, ein tanzartiges unbedeutendes Strofenlied11 mit Begleitung von Saiteninstrumenten, ohne Zweifel eine Gelegenheitscomposition, die auf die glückliche Beendigung des Krieges gegen Frankreich Bezug hatte und vielleicht im Freundeskreis gesungen wurde. Endlich ist noch einer großen vierhändigen Sonate12 in C-Moll zu erwähnen, welche aber unvollendet geblieben ist.

Am 15. Mai 1814 beendete Franz die im Jahre 1813 in Angriff genommene »natürliche Zauberoper«: Des Teufels Lustschloß13 in drei Acten von Kotzebue. Das Stück[37] ist, so weit es den musikalischen Theil betrifft, in gereimten Jamben geschrieben, enthält aber viel gesprochenen Dialog.

Der Inhalt desselben ist folgender: Oswald Ritter von Scharfeneck hat Luitgarde, die Nichte des Grafen von Schwarzberg, da dieser die Verbindung beider nicht zugeben wollte, heimlich aus des Oheims Schloß entführt und geheirathet. Nach längerer Abwesenheit kehrt er mit ihr in die Heimat zurück, um sich auf seinem Besitzthume niederzulassen. (Hier beginnt das Stück.) Die Scene stellt eine rauhe Gegend dar; der Wagen des Ritters ist eben auf dem schlechten Wege entzwei gebrochen; Diener sind um Luitgarde beschäftigt, und Robert, Oswald's treuer Begleiter, eilt voraus, um für sie und das Gefolge Unterkunft zu suchen, die er denn auch in einem nahen Wirthshause findet. Oswald und Luitgarde folgen ihm nach. Die Wirthin begrüßt die beiden Fremdlinge und läßt sich mit ihnen in ein Gespräch ein. Bald darauf tritt ein Bauer in die Stube, um dem Ritter kundzuthun, daß die Gegend ringsumher unter dem Banne eines Zauberschlosses leide, welches, dem nächtlichen Spuk nach zu urtheilen, nur des Teufels Schloß sein könne. Oswald beschließt, allen Warnungen zum Trotz, den Bann zu brechen, und eilt mit Robert in das Schloß. Sie treten in einen fantastisch aufgeputzten, mit Statuen und einem Grabdenkmal geschmückten Saal. Alsbald beginnt der Zauberspuk. Eine colossale, aus der Erde herausreichende Hand versetzt Robert einen Schlag und verschwindet, worauf dieser eine der Statuen zu Boden wirst und Oswald das Gleiche mit einer zweiten Statue versuchen will. Diese aber wirst ihm ihren Handschuh zu Füßen, den er aufhebt und mit ihr den Kampf beginnt, an welchem alsbald noch weitere vier Statuen[38] mit gezückten Schwertern theilnehmen. Während des Gefechtes steigt eine schwarzgekleidete Amazone vom Grabdenkmal herab und bietet dem Ritter Herz und Hand, mit dem Bedeuten, daß er sterben müsse, wenn er sie nicht annehme. Oswald, eingedenk seiner Luitgarde, weist das Anerbieten zurück, worauf ein aus dem Boden herauftauchender Käfig ihn umfängt und mit ihm versinkt. – Im zweiten Act finden wir Robert weheklagend auf der Erde liegen und nach seinem Gebieter rufen; zu ihm gesellt sich Luitgarde, die den Gatten sucht. Diesen, der in eine gräßliche Höhle hinabgesunken, erwartet das Blutgericht. Ein türkischer Marsch ertönt, welchem ein Chor der Jungfrauen folgt. Die Amazone sucht den Ritter abermals zu überreden, aber auch diesmal widersteht er ihren Lockungen. Da erschallt der Ruf zur Rache; Oswald soll vom Felsen gestürzt werden. Die Todtenglocke läutet, ein Trauermarsch spielt und die Todtenbahre wird herbeigebracht. Männer und Jungfrauen singen im Chor. Ein Knappe ruft Oswald zu, der Gattin zu vergessen; ein Sclave flüstert ihm in's Ohr, sich zu verstellen und dem Wunsch der Amazone nachzukommen, da er nur so sich retten könne. Der Verrath des Sclaven aber wird entdeckt und dem Ritter befohlen, zum Zeichen seiner Liebe für die Fürstin den Sclaven mit dem Schwerte zu durchbohren. Er weigert sich dessen, und mit der Waffe, die man ihm in die Hand gegeben, bahnt er sich den Weg auf einen Felsen. Dort von allen Seiten angegriffen und nicht mehr im Stande zu widerstehen, wirst er die Waffe von sich und stürzt sich von der Klippe in den Abgrund.

Im dritten Act erscheint Luitgarde, um ihren Gemahl trauernd. Robert tritt zu ihr. Da taucht aus der Erde[39] Oswald's Waffenrüstung heraus. Luitgarde eilt auf diese zu; die Trophäe verschwindet. Verzweifelnd an der Rettung des Gatten, befiehlt sie Robert, in seine Heimat zurückzukehren und sie hier sterben zu lassen. Robert aber erklärt, bei ihr ausharren zu wollen, und um seinen Muth zu zeigen, stürzt er sich auf das in einer alten Mauer im Hintergrunde befindliche große Thor und führt gegen dasselbe gewaltige Stöße. Das Thor springt krachend auf, die Mauer bricht zusammen und man erblickt nun auf einem Felsen den Knappen mit dem Beil, neben ihm den Block. Ein zweiter Knappe verkündet der trostlosen Luitgarde, daß Oswald seit einer Stunde todt sei. Entschlossen, ihrem Gatten in das Grab zu folgen, klimmt sie auf den Felsen, legt ihr Haupt auf den Block und erwartet den Todesstreich.

Da wird Oswald, gefesselt und mit verbundenen Augen, daher gebracht. Man nimmt ihm die Binde weg, und als er Luitgilden erblickt, entwindet er sich den Armen seiner Häscher, eilt auf den Felsen, stürzt den Henker in die Tiefe und schließt sein Weib in die Arme. – Die kaum Geretteten sehen sich neuen Gefahren preisgegeben. Von allen Seiten ergießen sich Wasserströme und drohen, fortan anschwellend, allem Lebenden den Untergang. – Ein Donnerschlag und die Felsen stürzen zusammen, an ihrer Stelle erscheinen Rosenbeete, die Wasser verlaufen sich. Nun erscheint Graf Schwarzberg mit Gefolge und beruhigt das vor seinem Anblick zurückprallende Paar mit der Erklärung, daß er selbst den ganzen Zauberspuk ersonnen und mittelst Maschinerien, unterirdischer Gänge, Vermummungen seiner Leute u.s.f. durchgeführt habe, um Oswald und seiner Gattin Treue auf[40] die Probe zu stellen. Da diese sich so glänzend bewährt habe, so sei ihnen auch ihr Vergehen verziehen.

Der Oper geht eine Ouverture14 voraus, ein rasch dahinbrausendes charakteristisches Tonstück von unverkennbar Schubert'schem Gepräge. Der erste Act beginnt mit einer Introduction, in welcher Robert und die Bedienten des Grafen Oswald beschäftigt sind. Im weitern Verlauf gesellen sich einige Bauern dazu, und es entwickelt sich ein lebhaftes Ensemble, womit dieses erste Musikstück abschließt. Die zweite Nummer ist ein in Strofenform gehaltenes Trinklied Robert's; diesem folgt ein Duett zwischen Oswald und Luitgarde, eine Arie der letzteren, ein Quartett (Oswald, Robert, ein Bauer und die Wirthin), eine Baßarie des Bauers, ein Terzett (Oswald, Robert und die Wirthin), eine Arie der Wirthin und ein Lied Oswald's. Nach diesem beginnt der Geisterspuk und ein Ensemble, an welchem sich Oswald, Robert, eine Amazone und vier Statuen betheiligen15. Die Scene verwandelt sich sodann in den antiken Tempel mit dem Grabmal, und eine Arie Robert's schließt den ersten Act16.[41]

Der zweite beginnt der Situation gemäß mit einem düsteren Vorspiel (Grave D-moll 4/4). An dieses reihen sich Recitativgesänge Robert's und Luitgarden's und eine Arie des ersteren an. Aus der Ferne ertönt sanfte Musik17, die immer näher herankommend in einen mit dem vollen Lärmapparat türkischer Musik ausgestatteten Marsch übergeht. Jungfrauen erscheinen mit Lauten. Flöten und Cimbeln, ihren Gesang (ein Strofenlied) begleitend. Bald aber ändert sich die Situation; dem Triumphmarsch folgt ein Trauermarsch, an welchen sich der Chor der Männer und Jungfrauen anschließt. Ein Ensemblestück (Oswald, der Knappe, die Schöne, der Sclave und der Chor) beendet diesen Act18.

Der dritte enthält nur zwei Musikstücke: Ein Terzett (Oswald, Robert, Luitgarde) und einen Schlußchor. Vollendet wurde die Oper am 14. Mai 1814. Zu öffentlicher Aufführung ist sie nie gelangt. Schubert hat übrigens dieses Zauberspiel in demselben Jahr noch einmal componirt, und soll diese zweite Bearbeitung eben jene gewesen sein, mit welcher er seinen Lehrer Salieri überraschte19. Von den[42] drei Acten sind nur der erste und der letzte erhalten, der zweite ist der Vernichtung anheimgefallen20.

In den letzten Tagen des Jahres 1814 machte Schubert die Bekanntschaft eines Mannes, zwischen welchem und ihm sich bald darauf ein Verhältniß eigenthümlicher Art bilden und befestigen sollte, welches, wenn man die beiden Persönlichkeiten in Betracht zieht, in dieser Weise kaum seines Gleichen gehabt hat. Jener Mann war der durch seine poetischen Leistungen und sein tragisches Lebensende bekannte Dichter Mayrhofer.

Johann Mayrhofer21 wurde am 3. November 1787 – mithin beinahe ein Decennium vor Schubert – in Stadt Steyr in Oberösterreich geboren. »Aus demselben Füllhorn«, sagt Ernst Freih. v. Feuchtersleben, »welches jenes herrliche Land mit allen Reizen der Natur überschüttet hat, fielen auch die Blumen auf seine Wege, die sein Leben schmückten. Das Gefühl für die Schönheit der Welt war seine eigentliche Muse, die ihn auf dem dunklen Lebenswege geleitete, seine erste Erinnerung, und die ihm am längsten treu geblieben ist. Er absolvirte die Gymnasialstudien und sodann die philosofischen im Lyceum zu Linz. Auf seines Vaters Wunsch, der ihn zur Theologie bestimmt hatte, trat er als Kleriker in das Stift Sct. Florian, wo er drei Jahre[43] hindurch verblieb und sich während dieser Zeit viel mit alten Sprachen beschäftigte, deren Kenntniß ihm in seinen späteren Bestrebungen sehr zu Statten kam. Nachdem er bereits das Noviziat abgelegt hatte, entschloß er sich, seinem bisherigen Beruf zu entsagen und in Wien die Rechte zu studiren, die er denn auch, Dank der ihm eigenen Beharrlichkeit, mit bestem Erfolg absolvirte. Hier nun war es, wo sein Streben eine entschiedenere Richtung und seine poetische Productionskraft lebendigere Impulse erhielt. Dem bisher fast ausschließlich nach innen gewendeten, einsamen Autodidakten that sich eine bedeutende, reiche Außenwelt auf, die, in Verbindung mit dem ihm innewohnenden Ernst und sittlichen Gehalt, nur Erfreuliches wirken konnte. Bald schloß er sich strebenden, fröhlichen und mannigfach begabten jungen Männern gesellig an, und es entwickelte sich da eine Seite seines Wesens, die früher bei einer Art jugendlichen Einsiedlerthums nie recht herausgetreten war, eine gemüthliche frohe Laune von der besten kernhaften Qualität. Sie war ein Element in der Complexion dieser ernsten tüchtigen Natur, und ist auch später nicht ganz von ihm gewichen, wenn sie sich gleich allmälig mehr verbarg und jenen minder schuldlosen Charakter annahm, den er selbst als kaustisch zu bezeichnen pflegte. Wurde aber der Witz in ihm seltener, so wirkte er, wo er hervorbrach, nur um so schlagender.«

»Das in seinem Nachlaß vorgefundene Gedicht ›Mephistofeles‹ drückt diese gemüthliche Bitterkeit vollkommen aus. Es ist die Stimmung, die einen tüchtigen Menschen befällt, der gern mit andern des Lebens froh werden möchte, und nun sehen muß, wie diese sich das Leben verderben und ihm dazu. Für solche Stimmungen erfand er sich eine Dichtungsform,[44] die er ›Sermone‹ nannte, und worin er seine Galle über dasjenige ausließ, was an den Menschen gemein und für ihn verletzend war. Denn so derb sein Charakter auf der einen Seite, so sittlich-zart bis zum Krankhaften war sein Gemüth auf der andern. Er hatte darin eine große Aehnlichkeit mit dem Verfasser vonDia-Na-Sore Wilhelm Meyern22, der überhaupt auf Mayrhofer am bleibendsten einwirkte. Beide machten an die Welt und an sich selbst übertriebene Ansprüche und zerfielen dadurch mit sich und der Welt; beide waren gleich rechtlich und gleich hypochondrisch, nur daß Mayrhofer sich durch poetische Gestaltung mit den Dingen der Außenwelt eher abzufinden wußte«.

»Diesen Vorzug verdankte er ganz hauptsächlich dem Einflusse Goethe's, der ihm in jener Epoche zum größten Heile gedieh. Er lebte noch jene Zeit mit, in welcher neue Werke des Dichterfürsten erschienen und auf das Publicum wirkten. Ihm war übrigens dieser gerade damals alles, als die Welt anfing, sich vom Dichter abzuwenden, und der nicht mehr verstandene Goethe interessirte ihn mehr als der allbewunderte. Ward ihm Goethe auf diesem Wege nützlich, so war dagegen[45] Herders Art, Alles im Großen und Ganzen anzuschauen und die Elemente des Weltalls in Einem Glauben und Einer Religion versöhnend zu einigen, seiner Denkart am angemessensten«.

»Wird nun noch Feßler23 genannt, dessen ahnungsvolle Betrachtungen über Musik, Weiblichkeit, ethische und religiöse Simbolik in dem Buch: ›Rückblick auf meine siebenzigjährige Pilgerfahrt‹ wohl geeignet waren, den eigenen Ansichten Mayrhofer's einen gewissen Nimbus zu verleihen, so dürften die Hauptmomente angegeben sein, welche in der ersten Bildungsperiode entscheidend auf Mayrhofer einwirkten. Im Zug der letzten Denkreihen gelangte er dann bis zu den fabelhaften Büchern, die dem dreimal großen Hermes zugeschrieben werden, und über deren Inhalt er sich in den abenteuerlichsten Gesprächen ergehen konnte«.[46]

Solcher Art war der wunderliche Mann, der im Jahre 1814, also im 27. seines Lebens, zu dem damals achtzehnjährigen Schubert in ein geistiges Verhältniß trat, das in Mayrhofers Leben den Mittelpunkt ausmachte, und mehr als alle anderen Vorkommnisse den Dichter in ihm zur Reise brachte, – ein Verhältniß, welches, da Schubert ein musikalisches Genie war, in seiner Art eben einzig dasteht.

»Meine Bekanntschaft mit Schubert,« so erwähnt Mayrhofer in seinen Aufzeichnungen, »wurde dadurch eingeleitet, daß ihm ein Jugendfreund mein Gedicht: ›Am See‹ zur Composition übergab. An des Freundes Hand betrat Schubert das Zimmer, welches wir fünf Jahre später (1819) gemeinsam bewohnen sollten. Es war in einer düstern Gasse. Haus und Gemach haben die Macht der Zeit gefühlt, die Decke ziemlich gesenkt, das Licht von einem großen gegenüberstehenden Gebäude beschränkt, ein überspieltes Clavier, eine schmale Bücherstelle – so war der Raum, welcher mit den darin zugebrachten Stunden meiner Erinnerung nicht entschwinden wird24. Wie der[47] Frühling die Erde erschüttert, um ihr Grün, Blüthen und milde Lüfte zu spenden, so erschüttert und beschenkt den Menschen das Gewahrwerden seiner productiven Kraft; denn nun gilt Goethe's:


Weit, hoch, herrlich der Blick

Rings in's Leben hinein,

Von Gebirg zu Gebirg

Schwebet der ewige Geist

Ewigen Lebens ahndevoll.


Dieses Grundgefühl und die Liebe für Dichtung und Tonkunst machten unser Verhältniß inniger; ich dichtete, er componirte was ich gedichtet, wovon vieles seinen Melodien Entstehung, Fortbildung und Verbreitung verdankte«.

Schon im Jahre 1815 wurde Mayrhofer durch dieses gemeinsame Streben zu größeren dichterischen Versuchen aufgemuntert. Er verfaßte zwei Operntexte, von welchen Schubert den einen, »Die beiden Freunde von Salamanca«, in Musik setzte, der andere »Adrast«, sich im Nachlaß des Dichters vorfand.

In den Jahren 1817 und 1818 verband sich Mayrhofer mit einigen Freunden (Spaun, Kenner, Ottenwald, Kreil25 u.s.w.) zur Herausgabe einer Zeitschrift, welche die Förderung echt menschlichen und zugleich vaterländischen Sinnes bei den Jüngeren zum Zweck hatte, und von welcher unter dem Titel: »Beiträge zur Bildung für Jünglinge« (bei Härter in Wien) zwei Bände erschienen.[48]

Die Gefühle, welche in der kurz vorher abgeschlossenen denkwürdigen Kriegsepoche jeden Deutschen ergriffen, hatten sich auch Mayrhofers bemächtigt. Patriotischer Sinn, der sich mit den Idealen von Humanität und Selbstbeglückung durch den Glauben an eine in Natur und Geschichte sich offenbarende Vorsehung verband, sammelte seine Strahlen zu dem letzten Gestirn, das von nun an die immer dunkler werdenden Pfade des gemüthskranken Dichters noch erleuchtete.

Dem Studium der Alten lag er mit Eifer ob. Von einem Versuch einer Uebersetzung Herodot's fanden sich in dem Nachlaß Fragmente vor; auch an Horaz übte er seinen Geist, die Stoiker aber blieben ihm Vorbild. Jemehr sich übrigens diese und ähnliche Anschauungen der Gegenwart gegenüberstellten, desto dichter woben sie den Schleier, der seine Seele umfing. Das Studium der Geschichte, in welches er sich durch thätige Theilnahme an den österreichischen Jahrbüchern und an Hormayers Archiv versenkte, war der beste Ableiter dafür; auch wußte der tüchtige Mann den inneren Wirren einen kräftigen Damm entgegenzustellen – angestrengte Beruftsthätigkeit. Mayrhofer wurde als Beamter bei der Censurbehörde angestellt und übte als Regierungs-Concipist und Bücherrevisor seine Pflicht mit so ängstlicher Gewissenhaftigkeit, daß es wohl schien, er suche den Zwiespalt zwischen Ideal und Leben, den er früher in glücklichen Stunden durch poetisches Schaffen auszugleichen fähig war, nunmehr durch grillenhafte Pflichterfüllung zu beseitigen26.[49]

Im Jahre 1819 wurde er Schubert's Zimmergenosse, bei Frau Sanssouci, und blieb es bis in das Jahr 1821, in welchem[50] letzterer aus dieser Wohnung fort in Schobers nahegelegene Behausung (Landskrongasse) übersiedelte. »Während unseres Zusammenseins,« sagt Mayrhofer in einem Tagebuchsaufsatz27, »konnte es nicht fehlen, daß Eigenheiten sich kundgaben; nun waren wir jeder in dieser Beziehung reichlich bedacht, und die Folgen blieben nicht aus. Wir neckten einander auf mancherlei Art und wendeten unsere Kanten zur Erheiterung und zum Behagen einander zu28. Seine frohe gemüthliche Sinnlichkeit und mein in sich abgeschlossenes Wesen traten schärfer hervor und gaben Anlaß, uns mit entsprechenden Namen zu bezeichnen, als spielten wir bestimmte Rollen. Es war leider meine eigene, die ich spielte.«

Im Jahre 1824 gab Mayrhofer auf Drängen seiner Freunde (bei Volke in Wien) im Subscriptionswege ein Bändchen Gedichte heraus, die jedoch bei den damaligen der Lyrik, zumal der österreichischen, ungünstigen Verhältnissen nur geringen Anklang fanden29.[51]

Von Schubert trennte ihn in den folgenden Jahren »der Strom der Verhältnisse und der Gesellschaft, Krankheit und geänderte Anschauung des Lebens. Doch was einmal war, ließ sich sein Recht nicht nehmen.« Nach Schubert's Tod betrat er an dem Tag, an welchem für diesen das Requiem abgehalten wurde, wieder jenes Haus, in welchem er in früheren Jahren den Freund so oft aufgesucht hatte. Zu dichterischer Production regte es ihn seit dem Hingang des liederreichen Sängers immer weniger an. Dazu kam noch die Aufopferung an das reale Leben, die ihn der Muse für lange Zeit entfremdete. Bei Goethe's Tod erklangen die verstummten Saiten noch einmal wieder.

Im Jahr 1835 unternahm er einen Ausflug nach Salzburg, Gastein und in das Fuscher-Bad, und kehrte aus diesem so gestärkt zurück, daß er den Plan zu einem epischen Gedicht30 entwarf. Das Leben schien ihm noch einmal wiederkehren zu wollen. Es war aber nur das letzte Aufflackern der sterbenden Flamme. Der alte Dämon des unglücklichen Mannes, die Hypochondrie, nahm wieder Besitz von dem Dasein, das ihm verfallen war, und führte am 5. Februar 1836 zu jener Katastrofe, welche den Faden seines Lebens gewaltsam entzweiriß31.[52]

Zur Vervollständigung von Mayrhofer's Charakteristik möge noch Folgendes dienen. Sogenannte Litteraten vermied er auf's ängstlichste. Der unbefangene, gesunde, kräftige Naturmensch war ihm der liebste. Die Späße eines derartigen witzigen Menschen, der einer lustigen Abendgesellschaft angehörte, trug er des Morgens darauf in sein Tagebuch ein, wo sie unter Young's »Nachtgedanken« und Herme's »Trismegistos« ihren Platz fanden. Seine Haushaltung war höchst einfach, an Mäßigkeit und Entsagung glich er einem Stoiker. Einige[53] Bücher, eine Guitarre und die Pfeife bildeten seinen Hausschmuck, ein kurzer Schlaf nach Tisch und ein Spaziergang seine Genüsse. Einfach bis zur Vernachlässigung war sein Anzug. Seine Beschäftigungen kehrten Tag für Tag in derselben Ordnung und mit derselben Pünktlichkeit wieder. Seine äußere Repräsentation hatte etwas Starres, wie dies Einsamen oft eigen ist. Unbeugsamer Ernst wurde von grellem Lachen unterbrochen. Sein Gang war fest, seine Handschrift stellte in jedem Buchstaben einen Lanzenschaft vor. Sein Körperbau war gedrungen, mittelgroß, seine Gesichtsformen wenig bedeutend, eher gemein; nur der Mund verzog sich gerne zu einem bedeutenden sarkastischen Lächeln; das Auge blitzte scharf und weitaus mit Adlerblick. Stolz hegte er nur in seinem Innern, andere Menschen überschätzte er. Beifall war ihm gleichgültig, und wer ihm über seine Gedichte Schönheiten sagte, beleidigte ihn.

Nach diesem, von einer gütigen Freundeshand32 entworfenen Bild war Mayrhofer eine ernste, tüchtige, durch und durch sittliche Natur, welche aber von einer nicht geringen Dosis von Pedantismus und Schwerfälligkeit eingeschränkt und niedergehalten wurde. Ein Vergleich mit dem Naturell Schubert's, welches im Verlauf dieser Darstellung geschildert werden wird, läßt auf den ersten Blick die Eigenschaften erkennen, welche sie gemeinschaftlich hatten, sowie auch die gegenseitigen Kanten, die sich bei ihrer Berührung reiben und abstoßen mußten. Wie sehr sich Schubert von den poetischen Gebilden Mayrhofer's angezogen fühlte, bezeugen die vielen[54] und größtentheils bedeutenden Lieder, die er auf dessen Gedichte componirt hat. Darüber, daß sich beide werthschätzten, kann kein Zweifel sein; ebenso verbürgt ist es aber auch, daß Franz nicht gerne längere Zeit hindurch mit Mayrhofer allein zu sein liebte, weil dieser, mit heiteren Neckereien beginnend, im weiteren Verlauf zu Reibungen Anlaß gab, welche Schubert belästigten.

Mayrhofer hat seinen Gefühlen für den zu früh ihm Entrissenen in mehreren Gedichten Ausdruck gegeben33; diesem aber war es beschieden, so manches poetische Gebilde des Freundes in Tönen zu verklären, und das vergänglichere Wort des Dichters in festem Bund mit seinem unvergänglichen Lied der fernen Nachwelt zu überliefern.

1

Dies geschah mit Entschließung vom 21. Oct. 1813 unter der Bedingung, daß er die 2. Fortgangsclasse während der Ferialzeit verbessere, daher die Prüfung wiederhole. In diesem Falle sollte ihm ein sogenannter Merveldt'scher Stiftplatz verliehen werden. (Nach einer Mittheilung des Herrn Ferd. Luib.) – Die Behauptung eines nahen Freundes Schubert's, daß dieser aus dem Convict entwichen sei, wird von anderen Zeitgenossen, namentlich auch von A. Stadler als irrig bezeichnet.

2

Der Tag seines Austrittes liegt zwischen dem 26. October und dem 6. November 1813.

3

In den Aufsätzen: »Aus Franz Sch's Leben«.

4

Seine Schwester Therese theilte mir mit, daß Franz in der Schule strenge und jähzornig gewesen sei, und die Kinder oft in handgreiflicher Weise bestraft habe.

5

Therese Grob war die Tochter des (um jene Zeit 1814 schon verstorbenen) Heinrich Grob und seiner Frau Therese, welch letztere im Lichtenthal ein Seidenfabriksgeschäft besaß. Schubert kam in dieses Haus nach seinem Austritt aus dem Convict, ohne Zweifel angezogen durch die schöne Stimme des Mädchens Therese (damals beiläufig 15 Jahre alt) und das musikalische Talent ihres Bruders Heinrich, der Violoncell und besonders gut Clavier spielte. Für Therese, deren glockenreine Stimme bis in das hohe D reichte, schrieb Schubert ein Tantum ergo und ein Salve regina. Heinrich G. dirigirte zu Schubert's Zeiten (und auch später noch) mitunter die Kirchenmusik auf dem Lichtenthaler Chor, während Schubert sich gewöhnlich unten in der Kirche aufhielt, um die Musik besser zu hören. Selbstverständlich wurde in diesem Familienkreis viel musicirt, und namentlich auch Schubert's Messen für die Aufführungen im Lichtenthal, in Grinzing, Heiligenstadt u.s.w. unter des Componisten Leitung einstudirt. Schubert, der daselbst wie ein Kind des Hauses aufgenommen war, brachte seine Lieder mit (das erste, welches Therese zu Gesicht bekam, war jenes: »Süße heilige Natur«) und schrieb unter anderem auch für seinen Freund Heinrich G. (im Oct. 1816) ein »Adagio et Rondo concertant pour le Pianoforte avec accompagnement de Violine, Viola et Cello« (im Besitz des Herrn Spina). Sein Verkehr mit dem Grob'schen Haus dauerte bis beiläufig zum Jahr 1820, um welche Zeit Therese sich verheirathete und der Tondichter in andere Kreise hineingezogen wurde. Um das Jahr 1837 übersiedelte Heinrich Grob mit seinem Geschäft in die innere Stadt, wo es seit seinem im Jahr 1855 erfolgten Tod von seiner Witwe (einer gebornen Müllner, Holzhändlerstochter) und den zwei Söhnen derzeit noch betrieben wird. Therese, welcher ich diese Mittheilungen verdanke, seit mehr als zwanzig Jahren Witwe des Bäckermeisters Bergmann, lebt noch, als eine frische und heitere Frau, in Wien. – Die Familie Grob soll noch unbekannte Compositionen Schubert's besitzen, deren Einsicht ich aber nicht erlangen konnte.

6

Einer Mittheilung des Herrn Doppler entnommen, welcher bei der Aufführung mitwirkte.

7

Wie auf dem, in Händen des Dr. Schneider in Wien befindlichen Autograf zu lesen ist, schrieb Sch. diese Messe in der Zeit vom 17. Mai bis 22. Juli 1814. Das Kyrie entstand am 17. und 18. Mai, das Gloria am 21. und 22., das Gratias vom 25.–28., das Quoniam am 28. Mai, das Credo vom 30. Mai bis 22. Juni, das Sanctus und Benedictus am 2. und 3., das Agnus Dei am 7. und das Dona nobis vom 15.–22. Juli. DieF-Messe ist nicht im Stich erschienen.

8

So erzählt Ferdinand Sch. in: »Aus Franz Sch's. Leben«. – Therese Grob erinnert sich nicht dieser zweiten Aufführung.

9

Das Autograf besitzt Dr. Schneider. Die Begleitung des Salve regina bilden Violine, Viola, Oboe, Fagott, Horn und Contrabaß.

10

In B- und D-Dur und in C-Moll. Jenes in B wurde in einer von Herrn Josef Hellmesberger's Quartettproductionen im Jahre 1862 – aber mit Kürzungen und Einschaltungen von Theilen aus anderen Quartetten – zur Aufführung gebracht, und ist in neuester Zeit bei Spina, der das Autograf davon besitzt, in Stimmen im Stich erschienen.

11

Die Textworte lauten:

Verschwunden sind die Schmerzen,

Weil aus beklemmten Herzen

Kein Seufzer wiederhallt.

Drum jubelt hoch ihr Deutsche,

Denn die verruchte Peitsche

Hat endlich ausgeknallt.

12

Das Clavierstück besteht aus einem Adagio, einem Andante amoroso in B, einem Allegro in B und einem Adagio in Des. Das Autograf dieser etwas ungeklärten Arbeit besitzt Herr Statthaltereirath Albert Stadler in Wien.

13

Die Original-Partitur besitzt Dr. Schneider.

14

Diese Ouverture wurde als Einleitung zu Schuberts Operette: »Der häusliche Krieg« (die Verschwornen) in einem Gesellschaftsconcerte in Wien am 1. März 1861, wahrscheinlich zum ersten Male öffentlich aufgeführt, und ist wohl das einzige bis jetzt bekannt gewordene Musikstück dieser Oper.

15

Das Eingreifen der Statuen in den Gesang bezeichnet jedesmal Horn- und Posaunenbegleitung.

16

Derselbe wurde am 11. Jänner 1814 beendet.

17

Andante con moto F-Dur 4/4, von Oboe, Clarinette, Horn und Fagott getragen.

18

Schubert vollendete die Composition am 16. März 1814.

19

Der erste Act, in der Originalpartitur 128 Seiten ausfüllend, wurde am 3. September, der dritte am 22. October 1814 bearbeitet. Inwieweit die zweite Bearbeitung sich von der ersten unterscheidet, bin ich nicht im Stande anzugeben. Die Ouverture ist bei beiden dieselbe, nur ist in die später entstandene als Mittelsatz (Largo) die Musik zum Geisterspuk aufgenommen. – Der musikalische Theil der beiden Bearbeitungen ist mir nicht näher bekannt geworden.

20

Das Autograf besitzt Herr Josef Hüttenbrenner, dem es Schubert an Zahlungsstatt einer kleinen Geldschuld als Eigenthum überließ. Mit dem 2. Act heizten die Hausleute des Herrn Hüttenbrenner im Jahr 1848 den Zimmerofen!

21

Die hier folgende Schilderung Mayrhofers ist Mittheilungen der Herren v. Feuchtersleben, Franz v. Schober und v. Gaby entnommen.

22

Meyern (Wilhelm Friedrich), geb. 1762 zu Ansbach, studirte in Altdorf die Rechte, verlegte sich aber nebstbei auf andere Wissenschaften. Er trat als Artillerie-Lieutenant in österreichische Dienste, folgte 1807 der österreichischen Gesandtschaft nach Sicilien, in späterer Zeit jener in Rom und Madrid und wurde schließlich der Bundes-Militär-Commission in Frankfurt am Main beigegeben, wo er 1829 starb. Er galt als ein Mann von Geist und seltenen Kenntnissen, den jedoch seine Abgeschlossenheit und Unfähigkeit, auch dem äußerlichen Leben einen Werth beizulegen, verhinderten, eine entsprechende Lebensstellung einzunehmen. Sein wunderlicher Roman Dia-Na-Sore (1787–1791) fand großen Beifall.

23

Feßler (Ignaz Aurelius), 1756 zu Czurendorf in Nieder-Ungarn geboren, trat 1773 in den Kapuzinerorden, und wurde 1783 Professor der orientalischen Sprachen an der Universität in Lemberg. Da er zugleich Freimaurer geworden war, verließ er den Kapuzinerorden. Sein im Jahre 1787 in Lemberg aufgeführtes, als gottlos verschrieenes Trauerspiel nöthigte ihn zur Flucht nach Schlesien. 1791 trat er zum Protestantismus über, lebte dann (1796) in Berlin, wo er mit Fichte die Humanitätsgesellschaft stiftete. Im Jahre 1806 verlor er das ihm verliehene Amt eines Consulenten für die katholischen Provinzen, und ging 1809 als Filosofie-Professor nach Petersburg. Des Atheismus beschuldigt und sofort des Dienstes entlassen, übersiedelte er nach Wolsk, um daselbst philantropische Ideen zu realisiren. 1817 wendete er sich nach Sarepta, dem Hauptsitz der Herrenhuter, wo er in seiner Weise wirkte. 1820 wurde er Superintendent, 1833 Kirchenrath in St. Petersburg, und starb daselbst 1839. Sein abenteuerliches Leben beschrieb er in dem Buch: »Rückblick auf meine 70jährige Pilgerschaft«. (1826.)

24

Das hier erwähnte Haus, in welchem Mayrhofer und Schubert zwei Jahre hindurch zusammen wohnten, stand in der Wipplingerstraße und trug die Nummer 420. »Der Dichter und der Tonsetzer« (wie die beiden Musensöhne nach dem Titel einer damals beliebten Operette von den Freunden genannt wurden) hatten ihr Zimmer im dritten Stock, und waren Miethleute der Tabaktrafikantin Sanssouci, Witwe eines französischen Emigranten. Herr Josef Hüttenbrenner wohnte um dieselbe Zeit in dem nämlichen Haus (bei einem gewissen Irrsa) und bezog später das von M. und Sch. bewohnte Zimmer, dasselbe, welches Theodor Körner während seines Aufenthaltes in Wien innegehabt hatte. Frau Sanssouci (in späteren Jahren an den Gefängnißwärter Jaworek verheirathet) gab sich viele Mühe, die Wirthschaft ihrer beiden Zimmerherren in Ordnung zu halten. Das Haus Nr. 420 – auch darum merkwürdig, weil einstens die Zusammenkünfte der Jacobiner in demselben stattfanden – hat in den Vierziger-Jahren einem Neubau Platz gemacht.

25

Von den beiden Letzteren wird später (1819) die Rede sein.

26

Bauernfeld gibt (in dem »Buch von uns Wienern in lustig-gemüthlichen Reimlein« von Rusticocampius) folgendes Bild von dem Sonderling:

Halbvergessen ist auch jener

Wiener Dichter, hieß Mayrhofer;

Viele seiner Poesien

Componierte sein Freund Schubert.

So die zürnende Diana

Philoktet und manche andre;

Waren tief ideenreich

Aber schroff, – sowie der Dichter.

Kränklich war er und verdrießlich,

Floh der heitern Kreise Umgang,

Nur mit Studien beschäftigt;

Abends labte ihn das Whistspiel.

So mit älteren Herren saß er,

Mit Beamten, mit Philistern,

Selbst Beamter, Bücher-Censor

Und der strengste, wie es hieß.

Ernst war seine Miene, steinern,

Niemals lächelt' oder scherzt' er.

Flößt uns losem Volk Respekt ein,

So sein Wesen und sein Wissen.

Wenig sprach er, – was er sagte,

War bedeutend; allem Tändeln

War er abgeneigt, den Weibern

Wie der leichten Belletristik.

Nur Musik konnt' ihn bisweilen

Aus der stumpfen Starrheit lösen,

Und bei seines Schuberts Liedern

Da verklärte sich sein Wesen.

Seinem Freund zu Liebe ließ er

In Gesellschaft auch sich locken,

Wenn wir Possen trieben, sah ihn

Stumm dort in der Ecke hocken.

27

In Hormayer's »Archiv« abgedruckt.

28

Ein Lieblingsscherz Mayrhofer's bestand darin, daß er plötzlich mit bajonnetartig gefälltem Stock auf Schubert losging, diesem mit satyrischem Lachen und im oberösterreichischen Dialect zurufend: »Was halt mich denn ab, du kloaner Raker« – worauf ihn Sch. mit den Worten: »Waldl, wilder Verfasser!« – zurückwies. Gaby war mehrmals Zeuge dieser Scenen.

29

Unter den Subscribenten finden sich die Namen: Justina v. Bruchmann, Endres, Gahy, Groß, Hölzl, Hönig, Hüttenbrenner, Kenner, Kreil, Sophie Linhart, Ottenwalt, Caroline Pichler, Pinterics, Sanssouci, Freih. v. Schlechta, von Schober, Moritz Schwindt, v. Sonleithner, Spaun, Vogl, Watteroth und Witteczek; – Personen, die auch mit Schubert mehr oder weniger in Verbindung standen. – In der alten Ausgabe der Mayrhoferschen Gedichte sind die von Sch. componirten durchweg enthalten, während sie in der neuen Ausgabe, mit wenigen Ausnahmen, fehlen.

30

»Der Vogelsteller«, in der neuen Ausgabe der Gedichte enthalten.

31

Einmal kam er frühen Morgens

Ins Burreau, begann zu schreiben

Stand dann wieder auf – die Unruh

Ließ ihn nicht im Zimmer bleiben.

Durch die düstern Gänge schritt er

Starr und langsam, wie in Träumen

Der Collegen Gruß nicht achtend

Stieg er nach den obern Räumen.

Steht, und stiert durchs offne Fenster.

Draußen wehen Frühlingslüfte,

Doch den Mann, der finster brütet,

Haucht es an, wie Grabesdüfte.

An dem offnen Fenster kreiselt

Sonnenstaub im Morgenschein,

Und der Mann lag auf der Straße

Mit zerschmettertem Gebein.

(Rusticocampius.)

Nach einer Mittheilung von M's. damaligem Amtsvorstand (dem derzeit pens. Herrn Regierungsrath Hölzl), hatte sich M. schon früher einmal in einem Anfall von Schwermuth in die Donau gestürzt, war aber herausgezogen und dem Leben wiedergegeben worden. Den Freunden, die ihm Vorwürfe machten, antwortete er apathisch: er hätte nicht gedacht, daß das Donauwasser so wenig kalt sei. – Unmittelbar vor der letzten Katastrofe kam er frühzeitig in das Amt, trat sodann zu einem Beamten, den er um eine Prise Tabak ersuchte, und begab sich in das obere Stockwerk des Amtsgebäudes (am Laurenzerbergl), von wo er sich herabstürzte. Er brach das Genick, lebte aber noch 40 Stunden. Uebrigens hat ihn damals nicht Lebensüberdruß, sondern die fortwährende Angst vor der Cholera zu dem verzweifelten Schritt getrieben. So wenigstens behaupten Herr Hölzl und der Kunsthändler Herr M. Beermann in Wien.

32

Feuchtersleben. Vorrede zur neuen Ausgabe von Mayrhofer's Gedichten.

33

»Geheimniß«, »Nachgefühl an Franz Sch.« (19. Nov. 1828) und »An Franz«, von welchen das erste und die zweite Strofe des zuletzt genannten, dieses unter dem Titel: »Heliopolis«, von Sch. componirt, im Stich erschienen ist.

Quelle:
Kreissle von Hellborn, Heinrich: Franz Schubert. Wien: Carl Gerold's Sohn, 1865, S. 33-55.
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