IX.
(1821.)

Das Jahr 1821 ist in Schubert's kurzem Lebenslauf insoferne eines der bedeutungsvolleren, als seine Leistungen im Liederfach damals zuerst dem großen Publikum bekannt, die Herausgabe mehrerer seiner Compositionen auf eine für ihn vortheilhafte Weise eingeleitet und ihm von hochgestellten und einflußreichen Männern so warme Anerkennungen seines großen Talentes und seiner Verdienste um die musikalische Kunst zu Theil wurden, daß es den Anschein gewinnt, als habe es nur von ihm abgehangen, von dieser günstigen Constellation Nutzen für sich zu ziehen und sein Loos für längere Zeit, vielleicht für immer zu verbessern.

Gleichwie der bis auf die neueste Zeit fortgepflanzte Glaube, daß an Mozart's kümmerlicher Lage hauptsächlich die Gleichgültigkeit des Wiener Publikums Schuld gewesen sei, derzeit gründlich1 widerlegt ist, so wird auch die Behauptung, daß Schubert zumeist von schlimmen Freunden umgeben gewesen und daß diese für die gedrückte Lage, in der er sich nicht selten befunden, verantwortlich zu machen[198] seien, auf das rechte Maß zurückgeführt werden müssen. Allerdings hatte er, wie dies auch bei anderen Meistern in seiner Kunst der Fall war, gegen den Unverstand und Eigennutz der Verleger zu kämpfen, auch das große Publikum war nicht immer geneigt, seine Compositionen nach Gebühr zu würdigen, und selbst dem Wiener Musikverein, der doch berufen war, die Tonkunst in jeder Weise zu fördern und namentlich einheimische Talente zu unterstützen, konnte er nur zu geringem Dank verpflichtet sein; denn dieser hat, wie die Concertprogramme unwiderleglich darthun, verhältnißmäßig wenig Notiz von ihm genommen und an der großen C-Sinfonie zwiefaches Unrecht begangen. Damit ist aber noch nicht dargethan, daß Schubert von aller Welt verlassen und verrathen im Leben dagestanden habe und daß er genöthigt gewesen sei, sein Talent nur zum Vortheil Anderer ausnützen zu lassen. Es hat ihm zu keiner Zeit an theilnehmenden Menschen gefehlt, welche sein Genie erkannten und ihn mit Rath und That zu unterstützen bereit waren. Daß er sich zu diesen nicht in gleichem Maße hingezogen fühlte, sondern, seiner Neigung folgend, mit Personen verkehrte, die sich wohl seiner Lieder freuten, aber in ihm mehr den gemüthlichen Gesellschafter als den schaffenden Künstler hochschätzten, und die, zum Theil selbst mit ihrer Existenz ringend, nicht in der Lage waren, ihm thatkräftig unter die Arme zu greifen, kann weder diesen noch jenen zum Vorwurf gemacht werden. Schubert selbst wußte übrigens recht wohl, was er von seinen Genossen zu halten hatte, und seine Gutmüthigkeit hinderte ihn nicht, sich über ihre Schwächen in harmlosen Scherzen zu ergehen und von der Dienstbeflissenheit des Einen oder Andern willig Gebrauch zu machen.[199]

Die wenigen günstigen Gelegenheiten, welche sich ihm zur Consolidirung seiner äußeren Lage darboten, ließ er (wenn die mir darüber gemachten Mittheilungen auf Wahrheit beruhen) ungenützt vorübergehen. Vollkommene Freiheit der Bewegung war das Element, in welchem er sich wohl fühlte und dem er alle anderen Rücksichten zum Opfer brachte. Während er aber diese Unabhängigkeit auf der einen Seite wirklich erwarb und bewahrte, ging er derselben in anderer Beziehung verlustig. Auf Schubert's künstlerisches Wirken waren diese Verhältnisse allerdings von keinem Einfluß. Sein Productionsvermögen wurde durch die Unbilden des Lebens nicht gehemmt; trotz bitterer Erfahrungen hat er seine Mission in herrlicher Weise erfüllt und in dem Bewußtsein seines Werthes und dem Glück unversiegender Schaffenskraft reichen Ersatz für den Abgang anderer Erdengüter gefunden.


Die Eingangs erwähnte Anerkennung seiner musikalischen Verdienste von Seite einflußreicher Personen findet in den unten folgenden Documenten ihren Ausdruck.


Im Jänner 1821 schrieb der damalige Hofmusikgraf Moriz von Dietrichstein an Michael Vogl: »Ich bitte Sie, lieber Freund, dies dem wackern Schubert gütigst zu übergeben. Möchte es ihm einigen Vortheil gewähren; denn seitdem ich das Genie dieses jungen, kräftigen, ungemein viel versprechenden Tonsetzers ergründet, gehört es zu meinen sehnlichsten Wünschen, sub umbra alarum tuarum für ihn zu wirken, so sehr ich es vermag. Guten Morgen, liebster Freund rara avis in terra, oder vielmehr rarissima
[200]

Folgen die drei Zeugnisse nachstehenden Inhaltes:


Daß Herr Franz Schubert, gewesener Schüler des k.k. ersten Hofkapellmeisters Hrn. Anton Salieri, sowohl durch seine tiefen Kenntnisse in der theoretischen und praktischen Harmonie, als durch die sich eigen gemachten übrigen, zur Vocal-Composition erforderlichen Hülfswissenschaften und durch sein ausgezeichnetes Talent einer unserer hoffnungsvollsten jungen Tonsetzer sei, von welchem sich die Oper überhaupt und das k.k. Hofoperntheater, welchem er seine Arbeiten vorzugsweise zu widmen wünscht, insbesondere, die erfreulichsten Kunsterzeugnisse versprechen darf, bezeuge ich hiemit.


Wien, am 16. Jänner 1821.


Ignaz Franz Edler v. Mosel,

k.k. wirklicher Hofsecretär.


Daß Hr. Franz Schubert seines rühmlichen, vielversprechenden Musiktalentes wegen, welches vorzüglich in der Composition sich auszeichnet, von einer h. Hoftheater-Direction in diesem Fache mit Auszeichnung zur allgemeinen Zufriedenheit schon verwendet worden ist, bezeugt hiermit


Wien, 27. Jänner 1821.

Josef Weigl,

k.k. Hofopern-Director.


Pr. k.k. Hoftheater-Direct.-Kanzlei,

Wien d. 29. Jänner 1821.

Antonio Salieri,

k.k. Hofkapellmeister.


Leopold Offersmann v. Eichthal,

k.k. Hofsecretär und Kanzlei-Director.

Coram me:


Joh. Gr. Barth-Barthenheim,

n.ö. Regs.-Secretär noe. Stadthauptmann.
[201]

Durch Neigung wie durch Pflicht veranlaßt, ausgezeichnete musikalische Talente vorzüglich im Vaterland zu erforschen und ihre edlen Bestrebungen nach Kräften zu fördern, gereicht es mir zum besonderen Vergnügen, hiemit zu erklären, daß Herr Franz Schubert, welcher seine erste musikalische Bildung im Convict erhielt, so lange er sich daselbst als Chorsänger der k.k. Hofkapelle befand, seither in dem Zeitraum von wenigen Jahren durch angebornes Genie, eifriges Studium des strengen Satzes und häufige treffliche Vorarbeiten bereits die sprechendsten Beweise seiner ebenso gründlichen, als Gefühl und Geschmack vereinigenden Kenntnisse geliefert habe und daher nur zu wünschen übrig bleiben muß, daß diesem achtungswerthen Manne die Gelegenheit dargeboten werde, so schöne Blüthen zum Gedeihen der Kunst überhaupt und der dramatischen Musik insbesondere zu entfalten.

Am 24. Jänner 1821.

Moriz Graf Dietrichstein,

k.k. Hofmusikgraf.


Diese Zeugnisse2, in welchen insbesondere Schubert's Verdienste um das Operntheater hervorgehoben werden, lauten ebenso ehrenvoll als aufmunternd und spricht namentlich aus jenem des edlen Grafen von Dietrichstein eine so warme Anerkennung der musikalischen Thätigkeit und Tüchtigkeit unseres Tondichters, daß sie bei vorkommender Gelegenheit immerhin als wichtige Belege und nachdrückliche Empfehlung dienen konnten. Ob Schubert jemals davon Gebrauch gemacht,[202] ist mir nicht bekannt geworden; ohne Zweifel hat er sie (im Jahre 1826) seinem Gesuche um die Verleihung der Vicehofkapellmeister-Stelle beigeschlossen.

Schubert's erstes öffentliches Auftreten als Liedercomponist und die in Folge dessen angebahnte Verbreitung seiner Compositionen steht in unzertrennlichem Zusammenhang mit einer Wiener Familie, in welcher die musikalische Kunst zu einer Zeit, wo die Concertmusik nicht jene Ausdehnung und Bedeutung hatte, deren sie sich heut zu Tage erfreut, eine ausgezeichnete Stätte fand. Es ist dies die Familie von Sonnleithner.

Dr. Ignaz Edler von Sonnleithner3, k.k. Rath, Advocat und Professor in Wien, vereinigte in den Jahren 1815–1824 in seiner Wohnung im Gundelhof eine bedeutende Anzahl von Künstlern und Kunstfreunden zu periodischen Uebungen, die jedoch allmälig den Charakter von Productionen annahmen4. Sinn und Liebe für Musik hatte[203] er von seinem Vater, dem als Rechtsgelehrter und Tonsetzer geachteten Dr. Christof von Sonnleithner5 überkommen, und da er überdies im Besitz einer ebenso weichen als kräftigen und umfangreichen Baßstimme war, und mehrere seiner zahlreichen Nachkommen, unter diesen namentlich der älteste Sohn Leopold, derzeit Hof- und Gerichtsadvocat in Wien, ebenfalls Neigung und Anlage zur Ausübung der Tonkunst zeigten, so fand er schon im eigenen Hause die Elemente zu Gesangsübungen vor, welche jedoch durch das fortwährende Hinzutreten neuer Gesangs- und Instrumentalkräfte sich nach und nach zu Concerten von so bedeutendem Ruf gestalteten, daß dem allzulebhaften Andrang von Zuhörern durch die Ausgabe von Eintrittskarten vorgebeugt werden mußte. In diesem Kreise wurden nun vor allem die Werke der anerkannten Meister der Tonkunst geehrt und gepflegt, zugleich aber auch neue entschiedene Talente aufgenommen und ihre Compositionen zu Gehör gebracht. Hier kam Schubert's »Prometheus«, in welcher Cantate Leopold von Sonnleithner (am 24. Juli 1816) im Chor mitgewirkt hatte, zwar nur mit Clavierbegleitung, aber mit bestem Erfolg zur Ausführung; hier wurde am 19. November 1819 »das Dörfchen«, am 30. März 1821 der »Gesang der Geister über den Wassern«, und am 9. Juni 1822 der 23. Psalm (für Frauenstimmen) vorgeführt. Am 1. December 1820 erfuhr der »Erlkönig«, von Gymnich6 daselbst vorgetragen, jene glänzende Aufnahme,[204] welche auf die Herausgabe der Schubertschen Compositionen von entscheidendem Einfluß war. Am 25. Jänner 1821 sang Gymnich das erwähnte Lied zum ersten Mal öffentlich in einer der Abendunterhaltungen des sogenannten kleinen Musikvereins im Hause »zum rothen Apfel« in der Singerstraße, bei welcher Gelegenheit der anwesende Componist dem Publikum vorgestellt wurde. Am 8. Februar sang Josef Goetz ebendaselbst »die Sehnsucht« und Frl. Sofie Linhardt (später verehelichte Schuller) die Lieder: »Gretchen am Spinnrad« und »der Jüngling auf dem Hügel«, und am 8. März trug Josef Preisinger die »Gruppe aus dem Tartarus« vor, welche Lieder, mit Einschluß des im Jahre 1819 in einem Concert des Violinspielers Jäll von Jäger vorgetragenen »Schäfers Klagelied«, wohl die ersten Schubert'schen Gesänge waren, die öffentlich zu Gehör gebracht wurden.

Leopold v. Sonnleithner, mit Schubert's Compositionen schon früher durch Schulfreunde bekannt geworden, hatte die Abschriften derselben, die von Hand zu Hand gingen, gesammelt und in's Reine geschrieben, und unternahm es nun, für dieselben einen Verleger zu suchen. Als aber sowohl Diabelli als Haslinger (selbst ohne Honorar) die Herausgabe mit dem Bemerken ablehnten, daß sie sich wegen Unbekanntheit des Compositeurs und der Schwierigkeit der Clavierbegleitung keinen Erfolg davon versprechen könnten, wurden von den eben genannten beiden Kunstfreunden, im Vereine mit noch zwei Männern, welche sich ebenfalls für Schubert interessirten, die Kosten für das erste Heft zusammengelegt, und im Februar 1821 erschien der »Erlkönig« im Stich. Dr. Ignaz v. Sonnleithner verkündete dies in der Abendgesellschaft seinen Gästen,[205] worauf die Anwesenden sogleich auf hundert Exemplare subscribirten, und damit waren auch die Kosten des zweiten Heftes gedeckt. Auf diese Weise wurden die ersten zwölf Hefte für eigene Rechnung gestochen und bei Diabelli in Commission verkauft. Der Erlös reichte hin, Schubert's hie und da auftauchende Rückstände zu tilgen und ihm selbst noch einen erheblichen Geldbetrag in die Hand zu geben.

Sein erstes Auftreten als schaffender Künstler eröffnete demnach unter den günstigsten Vorbedeutungen.

Am 7. März 1821 aber sollte der Vortrag des »Erlkönig« durch Vogl in einer im Kärnthnerthor-Theater veranstalteten Akademie dem Genius vollends die Bahn brechen.

Es war dies die alljährlich am Aschermittwoch – damals an dem erwähnten Tage – von der Gesellschaft adeliger Damen »zur Beförderung des Guten und Nützlichen« unter dem Protectorate der Gräfin Therese Fürstenberg (geb. Fürstin Schwarzenberg) veranstaltete musikalisch-declamatorisch-coreografi sche Akademie. Der k.k. Regierungsrath und Secretär der Gesellschaft, Dr. Josef Sonnleithner, arrangirte das Concert und veranlaßte dabei auf seines NeffenDr. Leopold Sonnleithner Anregung die Aufführung von drei Schubertschen Compositionen7.[206]

Die Ballade vom »Erlkönig« mußte auf stürmisches Verlangen wiederholt werden. Im Vocalquartett »Dörfchen«, welches auch gefiel, wirkten die Herren Josef Barth und Goetz (Beamte in Diensten des regierenden Fürsten Schwarzenberg), Wenzel Nejebse (derzeit kais. Rath) und der vor kurzem verstorbene Oberlandesgerichtspräsident Joh. Carl Ritter v. Umlauff (damals »angehender« Justizbeamte) mit; im Goethe'schen »Geisterchor« außer den genannten Herren noch: Weinkopf, Frühwald und zwei Chorsänger des Theaters. Von diesem letzteren Chor waren reichliche Proben gehalten worden; auch soll er (nach Versicherung des Herrn v. Umlauff) exact vorgetragen worden sein; nichts desto weniger war der Eindruck dieser allerdings schwierigen Musik auf das Publicum ein verwirrender8. Die Sänger,[207] erfüllt von der Erhabenheit des Tonwerkes, erwarteten rauschenden Beifall, die Zuhörer aber blieben stumm, und die acht Opfer musikalischen Unverstandes zogen, wie von einem kalten Sturzbad überschüttet, verdutzt von dannen. Schubert selbst ärgerte sich nicht wenig über dieses dem Geisterchor beschiedene Fiasco.

Der »Erlkönig« und die übrigen erwähnten Lieder fanden nun reißenden Absatz9. Die Auflage war bald vergriffen und die Verleger zeigten sich plötzlich willfährig.

Das erstgenannte Lied wurde als op. 1 dem Beschützer und Gönner des Componisten, Moriz Grafen von Dietrichstein: »Gretchen am Spinnrad« als op. 2 dem Reichsgrafen Moriz Fries gewidmet. Die Dedicationsangelegenheit hatten die Herren Leopold von Sonnleithner, Josef Hüttenbrenner und Ignaz v. Mosel in die Hand genommen10; denn Schubert selbst kümmerte sich um derlei[208] Angelegenheiten in der Regel eben so wenig, als er – ohne eine gewisse Nöthigung – zu bewegen war, den für die Aufführung seiner Compositionen erforderlichen Proben in Person beizuwohnen11. Die Dedication trug übrigens diesmal dem Tondichter eine Rolle Ducaten ein.

Der im Theater verunglückte »Geisterchor« wurde noch am 30. März in einer Abendgesellschaft bei Dr. Ignaz v. Sonnleithner unter lebhafter Theilnahme der Zuhörer aufgeführt, und bei dieser Gelegenheit auch mehrere Lieder des genialen Tondichters vorgetragen. Nach dieser Zeit scheint der »Geistergesang« der Vergessenheit überantwortet zu sein; es findet sich wenigstens bis in die neuere Zeit herauf keine Spur von weiteren Aufführungen desselben vor12.[209]

Außer den eben genannten Compositionen waren es noch die beiden Männerquartette: »Die Nachtigall« von Unger, und »Geist der Liebe« von Mathisson, welche, und zwar das erstere am 27. April 1821 in einem Wohlthätigkeitsconcert, für welches es componirt war, im Operntheater, letzteres am 15. April 1822 in Merk's Concert im landständischen Saal von den Herren: Barth, Tieze, Johann Nestroy und Wenzel Nejebse, und am 24. Sept. von den Herren Heitzinger, Rauscher, Ruprecht und Seipelt mit großem Beifall zum ersten Mal gesungen wurden13. Am 8. October sang Vogl abermals den »Erlkönig« in einem Concert im Operntheater.

Unter den eben erwähnten Quartettsängern standen namentlich Tieze und Umlauff in einem näheren Verhältniß zu dem Componisten. Tieze glänzte damals bei allen Productionen Schubert'scher Gesänge als Solo- und Quartettsänger in erster Reihe und trug wesentlich zu ihrem Erfolg bei. Der Componist pflegte ihn gerne am Clavier zu begleiten.

Umlauff schied noch im Jahr 1822 aus jenem Männerverein aus, dem es beschieden war, Schubert's mehrstimmige Gesänge zuerst in die Oeffentlichkeit einzuführen. Als[210] »angehender« Justizbeamte einem Ruf in die östlichen Provinzen folgend, verließ er Wien, fand aber bald Gelegenheit, auch in jenen fernen Gegenden die Musikfreunde mit den Liedern jenes Tondichters bekannt zu machen, dessen Stern er bei seinem ersten glanzvollen Aufgang gesehen hatte14.[211] Schubert's Verhältniß zu dem mehrstimmigen, insbesondere auch dem Männergesang wird in der »Ueberschau« seiner Gesammtwerke noch zur Sprache kommen.

Die musikalische Thätigkeit unseres Tondichters in diesem Jahr faßt sich in Folgendem zusammen: Er skizzirte eine Sinfonie (in E), welche – nach einer Mittheilung Ferd. Schubert's – im Jahre 1846 in den Besitz Felix Mendelssohn-Bartholdy's als ein Geschenk des Ersteren an Letzteren übergegangen ist. Im März schrieb er Variationen für Clavier »über ein Thema, welches alle Wiener Componisten variirt haben.« In diese Zeit und die zunächst folgenden drei Jahre fällt die Composition des größten Theiles der von ihm massenhaft hingeworfenen, mitunter sehr reizenden Tanzmusik15, die er bei verschiedenen Gelegenheiten[212] improvisirte, um sodann jene Tänze, welche ihm zusagten, aufzuschreiben.

Von bedeutenderen Liedern sind hervorzuheben: »Suleika« (I. u. II.), »Versunken«, »Grenzen der Menschheit« und »Mahomet's Gesang« von Goethe. Letzterer, in der Singstimme und namentlich in der rollenden Clavierbegleitung großartig angelegt, ist Fragment geblieben16.

In eben diesem Jahre erhielt Schubert, wahrscheinlich auf Vogl's Zuthun, von der Direction des Operntheaters die Einladung, zu der Oper »Das Zauberglöckchen« (les clochettes) von Herold zwei Einlagenummern zu componiren, welcher Aufforderung er um so bereitwilliger nachkam, als es ihn überhaupt drängte, sich wieder mit Theatermusik zu befassen und von der Bühne herab die ihm noch versagte allgemeine Anerkennung zu gewinnen. Er schrieb eine Tenorarie für[213] »Azolin«, die der Sänger Rosner17 vortrug, und ein komisches Duett der Prinzen »Bedur« und »Cedur«, welches Siebert und Gottdank sangen. Mit diesen beiden Musikstücken, deren Autorschaft dem Publicum und selbst Schubert's Bekannten geflissentlich verheimlicht wurde, feierte Schubert einen ihm wohlthuenden Triumf über diejenigen, die ihm alle Befähigung für Opernmusik absprachen, ja sogar an seinen Liedern zu mäkeln anfingen. Die beiden Einlagsnummern gefielen entschieden am besten, und wenn die etwas gedehnte und hoch gelegene Tenorarie18 verhältnißmäßig weniger ansprach, so war dagegen das Duett19 von durchgreifendem Erfolg begleitet.

Uebrigens fand Herold's Oper nur geringe Simpathie im Publicum, da man in ihr vor allem »den Klang aus der Zauberwelt« vermißte, und so verschwand »das Zauberglöckchen«[214] sammt den Schubert'schen Einlagen bald und für immer von den Brettern20.

Eine natürliche Folge des musikalischen Rufes, dessen sich Schubert bereits erfreute, waren häufige Einladungen in Musikliebende Kreise und dadurch herbeigeführte Bekanntschaften mit Personen von verschiedenem Rang- und Lebensstellung. Er selbst trug kein ausgesprochenes Verlangen Gesellschaften zu besuchen, in welchen er genöthigt war, aus der ihm angebornen Schüchternheit, Wortkargheit und einem gemüthlichen Sichgehenlassen herauszutreten, konnte aber doch nicht umhin, so mancher freundlichen Aufforderung da- und dorthin Folge zu leisten. Immerhin stellt sich die Anzahl jener Wiener Familien, zu welchen er, sei es nun aus musikalischen Beweggründen oder von Gefühlen wahrer Freundschaft geleitet, längere Zeit hindurch in näherem Verhältniß stand, als eine verhältnißmäßig kleine dar. Der Familien Grob, André, Eßterhazy, Schober, Sonnleithner und Fröhlich[215] wurde bereits erwähnt; fügt man diesen noch die Namen Spaun, Hönig, Bruchmann, Witteczek, Kiesewetter, Wagner, Ritter von Frank, Lascny, Pinterics und Collin bei, so dürfte die Liste dieser Art von Bekanntschaften nahezu erschöpft sein21.

In dem Hause des Matthäus von Collin22 lernte Schubert den als Componist und Musikliterat bekannten Hofrath Mosel23, den Orientalisten Hammer-Purgstall, den Grafen Moriz Dietrichstein, die Schriftstellerin Caroline Pichler und[216] den auch als Dichter geachteten Patriarchen Ladislaus Pyrker24 kennen, die insgesammt an seinen Leistungen regen Antheil nahmen. Namentlich erfreute sich der Patriarch an Schubert's Liedern, wie aus dem folgenden, von Venedig am 18. Mai 1821 datirten Briefe hervorgeht, welchen Pyrker an Schubert richtete, als dieser ihn gebeten hatte, die Widmung jenes Liederheftes anzunehmen, in welchem sich »der Wanderer« befindet. Das Schreiben lautet:


»Hochzuverehrender Herr!


Ihren gütigen Antrag, mir das vierte Heft Ihrer unvergleichlichen Lieder zu dediciren, nehme ich mit desto größerem Vergnügen an, als es mir nun öfters jenen Abend in das Gedächtniß zurückrufen wird, wo ich durch die Tiefe Ihres Gemüthes – insbesondere auch in den Tönen Ihres Wanderers ausgesprochen – so sehr ergriffen ward! Ich bin stolz darauf, mit Ihnen ein und demselben Vaterlande anzugehören und verharre mit größter Hochachtung Ihr


ergebenster

Johann L. Pyrker m.p.

Patriarch.«


Im Jahre 1825 traf Schubert mit diesem in dem Wildbad Gastein zusammen, wo er sich abermals seines freundlichsten Entgegenkommens zu erfreuen hatte und zwei seiner Gedichte in Musik setzte.

Während dem allgewaltigen und weltmännischen Beethoven fast ausschließlich in den Kreisen der hohen Aristokratie gehuldigt[217] wurde, bewegte sich der anspruchslose Schubert seiner Art gemäß vorzugsweise in schlichter bürgerlicher Gesellschaft25.

Einflußreicher als diese Familien war auf Schubert jener Kreis junger, strebender Männer – meist heitere Junggesellen, – von welchen er sich zu Anfang der zwanziger Jahre und sofort bis an sein Lebensende umgeben sah, ein Freundeskreis, dessen belebenden Mittelpunkt Franz von Schober bildete. Es ist charakteristisch für Schubert's Künstlernatur, daß der bei weitem größte Theil dieser Jünglinge keine Musiker von Fach waren, ja es scheint geradezu dieser Umstand ein Grund mehr gewesen zu sein, daß ihm ihre Gesellschaft besser denn jede andere zusagte.

Mit einigen derselben war er schon in früherer Zeit bekannt geworden, so mit Josef Spaun im Convict, mit Franz von Schober um das Jahr 1816 und mit Anselm Hüttenbrenner um eben diese Zeit. Die eben Genannten, dann Johann Baptist Jenger, Moriz von Schwind, Eduard Bauernfeld26 und Franz Lachner27, welch' letzterer übrigens erst im Jahre 1823 oder 1824 nach Wien kam, standen in vertrauterem Verhältniß zu ihm.[218] Diesen reihen sich zunächst an: Leopold Kupelwieser, Franz Bruchmann28, Johann Senn und der Dichter Mayrhofer. Entfernter als diese, aber immerhin dem Freundeskreis angehörig, umgaben ihn: Dr. Sturm (derzeit Kreisarzt in Wels), Dr. Bernhardt29, von Feuchtersleben30, Hauptmann Mayrhofer von Grünbühel31, die Maler: Wilhelm Rieder (derzeit Custos im k.k. Belvedere), Danhauser und Ludwig Schnorr von Karolsfeld32, der Bildhauer Dietrich, der Litograf Mohn, Freiherr Anton von Doblhoff, die Staatsbeamten Witteczek, Enderes33, Franz Derffel, Josef Groß,[219] Josef Gahy und Nagy34, Weiß und Bayer, von welchen die Meisten damals in blühendem Alter standen35.

Uebersieht man die Reihe dieser Männer, welche Schuberts Genossenschaft bildeten, so treten gewisse Gruppen hervor, welchen die Einen und die Anderen angehören. Da gab es außer Anselm Hüttenbrenner und Franz Lachner, den einzigen Musikern von Fach (die übrigens nur kurze Zeit in Wien verweilten), noch Dichter, Philosofen, bildende Künstler und Personen vom Beamtenstand, die humanistisch-geistiger Bildung geneigt waren. Ihre Bestrebungen und Geistesrichtungen waren sehr verschieden, ihre Ziele lagen oft weit auseinander, der Kitt aber, der sie enger aneinander hielt, war die Jugend36, die Begeisterung und der Drang nach etwas freierer Ausbildung. Daß der wechselseitige Ideenaustausch und namentlich auch die Mittheilungen über nicht musikalische Kunstsachen auch auf Schubert anregend wirkten, ist eine Thatsache, die keiner weitern Erklärung bedarf. Einigen dieser Männer die er als wahre Freunde erkannte und die es auch waren, blieb er bis an sein Lebensende zugethan[220] und bedauerte nur, daß die Vereinigung mit ihnen durch die verschiedenen Bahnen, die sie einschlugen oder andere Zufälle hie und da vor der Zeit sich lösen mußte.

Außer den Genannten wäre noch eine Reihe von Personen aufzuführen, die, persönlich wenig mit Schubert bekannt, desto mehr seinen Werth erfaßten; sodann aber noch eine Schaar solcher, welche, Zugvögeln gleich, an ihm vorüberflogen, nur flüchtige Berührungspunkte mit ihm hatten, daher auch keinen Einfluß auf ihn ausübten, und überhaupt weit entfernt waren, die Bedeutung des Mannes zu ahnen.

In eigenthümlicher Beziehung stand Franz zu seinen nächsten Verwandten. Er war ihnen auf das innigste zugethan und liebte sie herzlich. Von den Brüdern aber ließ sich nur der Landschaftsmaler Carl37 und zwar durch Bestellungen von Bildern zu einiger Annäherung an den Schubertkreis bewegen; die übrigen Verwandten waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt oder räumlich zu weit entfernt und würden sich auch in dem geistig erregten Kreis, dem Schubert angehörte, unbequem und gedrückt gefühlt haben.

In Mitte jener jugendlich brausenden lebensfrohen Genossen und Freunde feierte der vorwiegend ernste, verschlossene, mitunter aber auch zu den tollsten Späßen aufgelegte Schubert seine lustigen Tage. Den künstlerischen Schwer- und Glanzpunkt derselben bildeten die sogenannten »Schubertiaden«,[221] gesellige Unterhaltungen der Schubertfreunde, in welchen Spiele gespielt, getanzt, vorgelesen, deklamirt, ganz hauptsächlich aber Schubert'sche Compositionen, insbesondere neuentstandene Lieder, vorgeführt wurden. Die Schubertiaden beschränkten sich nicht blos auf Wien38, sondern fanden auch an anderen Orten statt, wenn eben Schubert und Genossen sich zu längerem Aufenthalt daselbst zusammenfanden, so beispielsweise in Linz, in St. Pölten, auf Schloß Ochsenburg (bei St. Pölten) und in Atzenbruck, einem in der Nähe von Abtstetten in Niederösterreich gelegenen Sommersitz, den ein Oheim Schober's bewohnte, und wo dieser alljährlich ein durch drei Tage währendes Fest veranstaltete, »an dessen gemüthliche und geistige Genüsse sich (wie Herr v. Schober mir mittheilt) gewiß jeder der Theilnehmer sein Lebelang mit Freuden erinnern wird.« Zu diesem Lustgelage war jedesmal eine größere Gesellschaft von Damen und Herren, darunter Schwind, Bauernfeld, Anton Doblhoff, Leopold Kupelwieser und selbstverständlich auch Schubert geladen, der seine Anwesenheit durch die Composition von Märschen, Ecossaisen und Walzern (»Atzenbrucker Tänze«) illustrirte39.[222]

Abgesehen von den Schubertiaden fehlte es auch sonst nicht an Gelagen, Landpartieen und allerlei Zerstreuungen, in welche der harmlose Franz mit oder gegen seinen Willen hineingezogen wurde. Da mag zuweilen ein Glas Wein zu viel getrunken, über die Mitternachtsstunde hinaus geschwärmt und eine zu den Gesetzen solider Hausordnung in schroffem Gegensatz sich stellende Wirthschaft geführt worden sein40.

Rusticocampius gibt eine Schilderung des Treibens jener Tage in folgenden, – diese Episode aus Schubert's Leben abschließenden – Strofen41:


Die Sehnsucht zieht mit Allgewalt

Durch alle die Tage und Stunden,

Mein Schubert! wie bist du doch so bald

Dem trauten Kreis entschwunden.
[223]

Und war's nach dir so stumm und still,

Wir mußten darin uns schicken,

Ein ewig junger Tonachill

Stehst du vor unsern Blicken.


Gesegnet wer den Lorbeerkranz

Frühzeitig sich erworben,

Und wer in Jugend und Ruhmesglanz

Ein Götterliebling gestorben.


Doch früher hast du gelebt – und nicht

Als Musikgelehrter, als bleicher,

Voll war und rund der Bösewicht,

Ein behaglicher Oesterreicher.


Mit Malern, Poeten und solchem Pack

Hast gern dich herumgeschlagen,

Wir trieben da viel Schabernak

In unsern grünen Tagen.


Ein Dritter noch war – an Gemüth ein Kind

Doch that er Großes verkündigen

Als Künstler – mein lieber Moriz Schwind,

Historienmaler in München.


Er ist eine derbe Urnatur,

Wie aus tönendem Erz gegossen,

So war auch Schubert, – heiterer nur,

Das waren mir liebe Genossen.


Bald sich ein Kranz von Freunden flicht,

Kunst, jugendliches Vertrauen,

Humor verbanden sie – fehlten auch nicht

Anmuthige Mädchen und Frauen.


Da flogen die Tage, die Stunden so schnell,

Da stoben des Geistes Funken,

Da rauscht auch der schäumende Liederquell,

Den wir zuerst getrunken.
[224]

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind!

Es rauschen der Töne Wogen;

Bald ach! ist der Vater mit seinem Kind,

Dem Lied, zum Vater gezogen!


Was ist Beifall der Welt, was Ruhm!

Und Zeitungs-Preisen und Krönen,

Wir hatten das wahre Publicum

Der Guten und der Schönen.


Wie göttlich ein Genie im Keim,

Das in höchst eigener Weise

Sich kräftig entwickelt, süß, geheim,

Im traut verwandten Kreise!


Stellt bei genialer Jugend sich ein

Gott Amor mit seinen Waffen,

Da ist viel holde Luft, viel Pein,

Ein ewiges Gähren und Schaffen.


Real das war der Schubert auch,

Kein künstlicher Textverdreher,

Doch freilich des Gedichtes Hauch

Erfaßt er als Sänger und Seher.


Der Rhythmus gewagt, die Harmonie

Bisweilen auch zerissen,

Doch sprudelt ihm reich die Melodie,

Von der man jetzt nichts will wissen.


Oft ging's zum »Heurigen« zum Wein,

Gleich außerhalb des Thores

Stellt meist sich auch Franz Lachner ein,

Cantores amant humores.


Und frisch nach Grinzing, Sievering

Mit andern muntren Gesellen,

Zikzak gar mancher nach Hause ging,

Wir lachten im Mondschein, im hellen.[225]


9.

so brach der Chor aus,

Wir wollen's dem Leser erklären,

Heißt: C.a.f.f.e.e. – Caffeehaus

Und nächtliches Punsch-Einkehren.


Nicht immer ging es so herrlich zu,

Nicht immer waren wir Prasser!

So trug mir Schubert an das Du

Zuerst mit Zuckerwasser.


Es fehlte an Wein und Geld zumal;

Bisweilen mit einer Melange

Hielten wir unser Mittagsmahl,

Mit diesem Wiener Pantsche.


Die Künstler waren damals arm!

Wir hatten auch Holz nicht immer,

Doch waren wir jung und liebten warm

Im ungeheizten Zimmer.


Verliebt war Schubert; der Schülerin

Galt's, einer der jungen Comtessen,

Doch gab er sich einer – ganz Andern hin,

Um die – Andere zu vergessen.


Ideel, daß uns das Herz fast brach.

So liebte auch Schwind, wir alle,

Den realen Schubert ahmten wir nach,

In diesem vermischten Falle.

1

Otto Jahn: »Mozart« III. Band, S. 210.

2

Die Originalien erhielt ich von Herrn Herbeck, und befinden sich dieselben in meinem Besitz.

3

Dr. Ignaz v. S., geboren am 30. Juli 1770, starb am 27. November 1831. Dr. Leopold von S. ist am 15. November 1797 geboren, stand daher in gleichem Alter mit Schubert.

4

Die Zusammenkünfte hatten vom 26. Mai 1815 an im dritten Stockwerk des Gundelhofes statt, wo Räumlichkeiten für mehr als 120 Personen vorhanden waren, und zwar wöchentlich alle Freitage Abends, auch in den Sommermonaten; vom October 1816 an aber wegen zunehmender Bedeutung der Productionen nur mehr in den Wintermonaten alle 14 Tage. Am 20. Februar 1824 wurden sie geschlossen. Die vollständig erhaltenen Programme und das Verzeichniß der Personen, welche dabei mitwirkten, geben einen Begriff von dem Musikcultus in diesem Hause. (S. in den Wiener »Recensionen« Nr. 24, achter Jahrgang 1862, den Aufsatz von Sectionsrath W. Böcking: »Musikalische Skizzen aus Alt-Wien.«)

5

Christof von S. starb am 25. December 1785.

6

August Ritter von Gymnich, Staatsbeamter und Gesangsdilettant. – Er starb im darauffolgenden Jahre (am 6. October); Goetz am 9. März 1822, und Tieze, dessen Namen von den Schubert'schen Liedern und Quartetten unzertrennlich ist, am 11. Jänner 1850 im 52. Lebensjahre.

7

Das Programm bestand aus folgenden Stücken: 1. Ouverture zu der Oper »die Templer« von Girowetz; 2. Tableau; 3. Arie von Mozart, gesungen von Wilhelmine Schröder; 4. Violinconcert von Spohr, gespielt von Leon de Lubin; 5. Declamation; 6. »Das Dörfchen«, Vocalquartett von Schubert; 7. Variationen für Clavier von Worczicek; 8. Tableau; 9. Ouverture der Oper »das Zauberglöckchen« von Herold; 10. Arie von Mozart, gesungen von Caroline Unger; 11. Declamation; 12. »Erlkönig«, von Schubert; 13. Rondo für Violoncello, von Romberg; 14. Duett aus Riccardo von Rossini, gesungen von Wilhelmine Schröder und Caroline Unger; 15. Goethe's »Gesang der Geister über den Wassern«, von Schubert. In dem declamatorischen Theil wirkten Sofie Schröder und Frau Korn, in den Tableaux Fanni Elsler mit. Girowetz leitete den musikalischen Theil, Stubenrauch den mimischen. – Sitze zu dieser Akademie waren im Fürstenberg'schen Haus, Himmelpfortgasse Nr. 952, abzuholen. (Wiener Musik-Zeitung 1821.)

8

In einem Bericht in der »Allgem. musik. Zeitung« Nr. 23 vom 21. März 1821 heißt es wörtlich: »Der achtstimmige Chor von Herrn Schubert wurde von dem Publikum als ein Accumulat aller musikalischen Modulationen und Ausweichungen ohne Sinn, Ordnung und Zweck anerkannt. Der Tonsetzer gleicht in solchen Compositionen einem Großfuhrmann, der achtspännig fährt, und bald rechts bald links lenkt, also ausweicht, dann umkehrt, und dieses Spiel immer forttreibt, ohne auf eine Straße zu kommen.«

9

»Erlkönig« wurde am 2. April, »Gretchen am Spinnrad« am 30. April, und »der Wanderer« am 29. Mai 1821 in der Wiener Zeitung angekündigt.

10

Am 17. März 1821 schrieb Hofrath v. Mosel an Josef Hüttenbrenner folgende Zeilen: »Bekannt mit den wohlwollenden Gesinnungen Sr. Excellenz des Herrn Grafen Moriz von Dietrichstein gegen den talentvollen Tonsetzer Herrn Franz Schubert, zweifle ich keineswegs, daß Se. Excellenz die Widmung des, von Herrn Schubert in Musik gesetzten Gedichtes ›der Erlkönig‹ genehmigen werde.« – Die Widmungsangelegenheit für op. 2 besorgte, wie es scheint, Herr Josef Hüttenbrenner, den Text der Aufschrift aber Dr. L. v. Sonnleithner. Letzterer richtete unter dem 13. April an Hüttenbrenner folgende Zeilen: »So eben erhalte ich beiliegenden Zettel von Diabelli. Da Sie die Sache eingeleitet haben, bitte ich Sie dringend, das Nöthige zu veranlassen. Wenn Graf Frieß die Dedication annimmt, könnte der Titel folgender sein: ›Gretchen am Spinnrad‹, eine Scene aus dem Trauerspiel ›Faust‹, von Goethe, in Musik gesetzt und dem Hochgebornen Herrn Reichsgrafen Moriz von Frieß ehrfurchtsvoll gewidmet von, Franz Schubert. Hat Graf Frieß die Dedication noch nicht angenommen, so könnte der Stecher indeß die Platte anfangen, und den Namen freilassen. Belieben Sie deßhalb mit Diabelli zu reden.

Ihr ergebener L.S.«

11

So schrieb Dr. L. v. Sonnleithner am 26. März an Josef Hüttenbrenner: »Ich ersuche Sie gewiß zu besorgen, daß Schubert morgen zu Frl. Linhardt kommt, um mit ihr ›Den Jüngling‹ zu probiren, den sie bei mir singt; dann daß Schubert Mittwoch um 1/212 Uhr zu mir kommt, um seinen ›Geisterchor‹ zu probiren. Ich rechne auf Ihre Gefälligkeit, daß Sie veranlassen, daß Sch. gewiß zu diesen Proben komme. Ich muß mich billig wundern, daß sich Sch. überhaupt nicht bei mir sehen läßt, da ich doch wegen seinem ›Erlkönig‹ und wegen andern Angelegenheiten ihn dringend zu sprechen habe.«

12

Im Jahre 1858 zog ihn der Chormeister des Wiener Männergesang-Vereines Johann Herbeck aus dem Staub hervor, unter welchem er 36 Jahre hindurch geruht hatte, und brachte ihn am Schluß des genannten Jahres und in dem darauf folgenden unter großem Beifalle zu öffentlicher Aufführung.

13

Nach Sch's. Tod, im Jahr 1829, sangen Tieze, Grünwald, Schoberlechner und Richling (am 11. April) eines seiner Quartette in einem Concert des Theatersängers Giulio Radichi. Es scheint dies, bis in die neueste Zeit herauf, das letzte Männerquartett gewesen zu sein, welches in einem öffentlichen Concert vorgetragen wurde.

14

Die Beamtenlaufbahn führte Umlauff damals in die Bukowina, wo er den aus der Türkei geflüchteten Bojaren und Bojarinnen die ersten Schubertschen Lieder vorsang. Ueber Umlauff's Verhältniß zu unserem Tondichter findet sich in dem Buch: »Leben und Wirken eines österreichischen Justizmannes« von dessen Sohn Victor Ritter von Umlauff, folgende Stelle: »Den berühmten Tondichter Franz Schubert lernte er (Carl U.) bereits im Jahre 1818, als dessen großartigste Compositionsgattung, das Lied, fast noch unbekannt war, kennen und wurde ihm bald näher befreundet. Er besuchte ihn häufig des Morgens vor dem Amte, und fand ihn meist im Bette liegend und musikalische Gedanken zu Papier werfend, oder am Schreibtische componirend. Da sang er oft frisch gesetzte Lieder mit Begleitung der Guitarre dem Componisten vor, und wagte sich auch in Streite über den musikalischen Ausdruck einzelner Worte, aber Schubert, der äußerst starrsinnig war, wollte sich niemals zu einer Abänderung des einmal Gesetzten verstehen. Mir ist aus Erzählungen des Vaters nur die einzige Controverse über den Fragesatz: ›O land, wo bist du?‹ im ›Wanderer‹ erinnerlich. Schubert setzte auf ›bist‹ den Nachdruck, Umlauff wollte ihn auf ›Du‹ haben. Schubert verharrte bei seiner Schreibart, welche auch in den Stich überging. Umlauff wirkte auch bei der ersten öffentlichen Aufführung von Gesangswerken jenes großen Tondichters mit, und zwar im Vocal-Quartette ›Das Dörfchen‹ von Bürger und in dem achtstimmigen Gesange ›Chor der Geister über den Wassern‹ von Goethe. ›Das Dörfchen‹ eine leichtere Musikart gefiel ungemein. Der ›Chor der Geister über den Wassern,‹ ein tiefgedachtes, erhabenes Tongemälde, war von den acht Sängern, durchaus tüchtig geschulten Musikern, ausgezeichnet einstudirt und vorgetragen; aber die schwierige Musik war dem an Schubert's Tonweise ohnehin noch ungewohnten Publicum unverständlich; es blieb kalt, keine Hand rührte sich, und die Sänger, welche durchdrungen von der erhabenen Schönheit dieses Tonwerkes, den größten Erfolg erwartet hatten, zogen sich wie von einem kalten Sturzbade getroffen zurück. Trotzdem ließen sie sich den Muth nicht nehmen, kurze Zeit darauf dasselbe Gesangsstück vorzutragen, wobei es in so hohem Grade gefiel, daß es wiederholt werden mußte. Näher befreundet waren ihm ferner die Brüder Carl und Friedrich Groß, von welchen der erstere die Violine, der letztere die Viola ausgezeichnet spielte, die Brüder Carl und Josef Czerny, der Cellist Linke, der ältere und jüngere Giuliani, Barth und Binder, beide Tenoristen und Rauscher, Baritonist am Kärnthnerthortheater, welche alle, so wie Schubert, regelmäßig jede Woche an einem bestimmten Tage im Hause der Frau von André zusammenkamen, und hier bis in die tiefe Nacht Musik trieben.«

15

Nach einem von Herrn Johannes Brahms mir mitgetheilten Verzeichniß sind es nicht weniger als 79 Ländler, Walzer und Deutsche, und 28 Ecossaisen. Die meisten, wenn nicht alle diese Tänze, hat Schubert für Clavier zu zwei Händen componirt, das vierhändige Arrangement besorgten später die Verleger. Die bis zum Jahre 1821 fertig gewordenen »Deutschen« erschienen alsbald bei Diabelli im Stich, welche Angelegenheit Josef Hüttenbrenner besorgte. (In einem Zettel ersucht Schubert den Hofconcipisten Groß, der in seiner Nähe (Wipplingerstraße) wohnte, dem Ueberbringer Josef H. alle »Deutschen« zu übergeben, da sie gestochen werden sollen.) Die veröffentlichten Schubert'schen »Tänze« erschienen aber nicht in der Reihenfolge, in welcher sie im Original enthalten sind. So ist z.B. ein Theil der »Atzenbrucker Deutschen« in op. 9 und 18 zu finden und von den zwölf Walzern: »Deutsches Tempo« kommen 11/2 in den »Deutschen Tänzen« vor. Die Autografe der Ecossaisen (Mai 1820 und Jänner 1823), der »Atzenbrucker« (Juli 1821), »Deutsches Tempo« (Mai 1823) und andere theilweise noch nicht veröffentlichte Tanzmusik besitzt J. Brahms.

16

Die Composition reicht nur bis zu dem ersten Vers der zweiten Strofe.

17

Rosner (Franz), geb. 1800 in Waitzen in Ungarn, gest. 1842 als erster Tenorist am Theater in Stuttgart.

18

Die Tenorarie besteht aus drei Theilen. Sie beginnt Maestoso in E-Moll 4/4, worauf ein Andante C-Dur 4/4 folgt, und ein Allegro E-Moll 4/4 sie abschließt. In dem ersten Theil sieht Azolin die theure Mutter von Martern und Tod bedroht, im Andante zieht ihn die Sehnsucht zu Palmira und in dem Allegro gibt er wieder seiner Angst um das Leben der Mutter leidenschaftlichen Ausdruck.

19

Das Duett (B-Dur 4/4) von Streichinstrumenten, Piccolo, Flöte, Oboe, Clarinett, Horn, Fagott und Triangel begleitet, also etwas »türkischen« Charakters, braust rasch dahin »Bedur« erklärt darin, daß er den ihm unbekannten, rang- und titellosen Azolin, der ihm Palmira rauben wolle, das Genick brechen werde, welchem Vorsatz »Cedur« beistimmt. Der Humor kommt nur in dem Ausruf Beider: »Wir brechen sein Genick«, zum Durchbruch.

20

Die dreiactige Oper, aus dem Französischen desTheaulon von Friedrich Treitschke in's Deutsche übersetzt, wurde am 20. Juni 1821 zum ersten Mal und dann noch sieben Mal gegeben. Nebst Rosner, Siebert und Gottdank wirkten darin noch mit: Wilhelmine Schröder (Palmira), Betti Vio (Ariel), Thekla Demmer (Nair), Frau Vogel (Nurada), Herr Vogel (Sultan), Sebastian Maier (Oberhaupt der Kalender), Saal (Oberbramin) und Weinkopf (Hispel). In der bezüglichen Recension in der »Allg. musikalischen Zeitung«, Bd. 23, S. 536, ist sonderbarer Weise der Schubert'schen Einlagen gar keine Erwähnung gethan. Die Autografe der Schubert'schen Einlagen dürften sich vielleicht in der Bibliothek des Kärnthnerthor-Theaters noch vorfinden; Abschriften der Partituren beider Musikstücke und den Clavierauszug davon besitzt Frhr. Josef v. Spaun in Wien; eine Abschrift des Duetts ist auch in meinem Besitz.

21

Auch die Namen Duvudier, Wetzlar, Ulm, Oberst Ettl u.a.m. wurden genannt; es ist mir aber nichts Näheres darüber bekannt geworden.

22

Mathäus von Collin (Bruder des Heinrich C.) war 1779 zu Wien geboren, wurde 1808 Professor der Aesthetik und Filosofie in Krakau, später in Wien. Seit 1813 redigirte er die »Wiener Literatur-Zeitung« und von 1818 an die »Jahrbücher der Literatur.« Im Jahre 1815 übernahm er die Erziehung des Herzogs von Reichsstadt und starb 1824. Seine Dichtungen gab v. Hammer 1827 heraus.

23

Ignaz Franz Mosel, geb. zu Wien im Jahre 1772, trat 1788 in Staatsdienst und verwendete seine Mußestunden zum eifrigsten Studium der Musik, für welche Kunst er schon in frühen Jahren besondere Vorliebe gezeigt hatte. Er componirte das Singspiel: »Die Feuerprobe« von Kotzebue, die Cantate »Hermes und Flora«, die lyrische Tragödie »Salem« und die Oper »Cyrus und Astiages«, die sämmtlich mit theilweisem Erfolge zur Aufführung gelangten; ferner die Ouverture zu Grillparzer's »Ottokar«, die Musik zu den »Hussiten vor Naumburg«, Lieder, Hymnen und Tanzmusik. Im Jahre 1821 wurde er Vicedirector des Hoftheaters, 1829 erster Custos der Hofbibliothek, und starb 1844. Bekannt ist seine, übrigens vielfach angefeindete Neubearbeitung mehrerer Oratorien von Händel.

24

Schubert componirte von L. Pyrker's Gedichten die »Allmacht« und »Das Heimweh«, von jenen der C. Pichler das Gedicht: »Der Unglückliche.«

25

Bei Eßterhazy fungirte er nur als Musiklehrer. – Ein Briefchen der Fürstin Kinsky aus dem J. 1827 deutet darauf hin, daß er in dieses Haus Zutritt hatte.

26

Bauernfeld, 1804 zu Wien geboren, studirte und absolvirte zur Zeit seiner Bekanntschaft mit Schubert die Rechte, und trat (im J. 1826) in den Staatsdienst, den er um das Jahr 1848 verließ.

27

Franz Lachner, geb. 1804 zu Rain bei Donauwörth, versah in Wien anfänglich die Stelle eines Organisten in der evangelischen Kirche, wurde spärer Kapellmeister am Hofoperntheater. Derselbe ist seit 1836 Hofcapellmeister in München.

28

Johann Bruchmann (senior) war Großhändler in Wien; in seinem Haus, das Schubert oft besuchte, wurde musicirt und vorgelesen. Sein Sohn Franz, der Verfasser einiger von Schubert componirten Gedichte, widmete sich dem geistlichen Stand und lebt derzeit in Altötting. Der Frau Justina Bruchmann sind die Lieder in op. 20 gewidmet.

29

Dr. Bernhardt (welchem op. 40 gewidmet ist), ein sehr befähigter und wissenschaftlich gebildeter Mann, trat 1839 in die Dienste der Pforte, gründete die medizinische Schule in Galatta-Serai und starb 1844 in Constantinopel.

30

Dr. Ernst Frhr. v. Feuchtensleben, geb. 1806, gest. 1849.

31

Mayrhofer (Franz Frhr. von), derzeit k.k. Feldmarschall-Lieutenant, war auch literarisch thätig.

32

Ludwig v. Schnorr, geb. 1788 in Königsberg, gest. 1853 in Wien als Custos der Gemälde-Gallerie am Belvedere.

33

Enderes (Carl Ritter von), gest. 1861 als k.k. Hofrath in Pension.

34

Nagy (Carl) lebt als pensionirter Militärbeamter in Wien. – Auch ein gewisser Ludwig Kraißle, Maler und Violinspieler, gehörte dem Schubertkreise an. Derselbe lebt seit langer Zeit in Klagenfurt im Hause Rosthorn.

35

Der künstlerische Nachlaß von Leopold Kupelwieser enthält u.a. auch die Porträtzeichnungen von Schubert, Spaun, Schober, Bruchmann, Franz Mayrhofer, Dietrich, Rieder, Doblhoff u. Senn.

36

Jenger, L. v. Sonnleithner, Kupelwieser und Schober standen ungefähr im gleichen Alter mit Schubert. Tiefen zunächst kamen: Senn und A. Hüttenbrenner, dann Schwind, Bauernfeld, Lachner und Feuchtersleben, die, und zwar die letzten vier genannten, bedeutend jünger waren. Spaun und Schnorr zählten jeder um neun Jahre mehr als Schubert.

37

Nach dem Brief aus dem Jahre 1818 zu schließen, stand nebst Ferdinand auch Ignaz in vertrautem Verkehr zu seinem Bruder Franz. Die Gesellschaft der »Freunde« scheint er aber auch gemieden zu haben, da er als Schullehrer viel beschäftigt war und seine freie Zeit am liebsten bei Hollpein's zubrachte.

38

In Wien wurden die Schubertiaden bei Schober, Bruchmann Spaun, Witteczek u.s.w. abgehalten. Die beiden Ersteren pflegten da vorzulesen.

39

Im Besitz des Freih. Heinrich von Doblhoff in Wien befindet sich eine Zeichnung aus dem Jahre 1821, eine Scene in Atzenbruck darstellend. Es wird da eben eine Allegorie aufgeführt, an welcher Schober, Kupelwieser und mehrere Mädchen theilnehmen. Im Vordergrund sitzt Franz Schubert, mit ernstem Blick auf das dargestellte Bild hinsehend. Die Zeichnung enthält die Porträte von 16 Personen.

40

Ein Vereinigungsort der Gesellschaft, an welche sich Sch. um diese Zeit enger angeschlossen hatte, war das noch bestehende Extrazimmer zu ebener Erde in dem Gasthaus zur »Ungarischen Krone« in der Himmelpfortgasse. Zu den Abendgästen gehörten die Maler Schwind, Kupelwieser, Schnorr und Teltscher, die Dichter Senn und Bauernfeld, die Beamten J. Hüttenbrenner, Berindl und Bernhard Teltscher; der Börsenrath Engelsberg, der (noch am Leben befindliche) Clavierspieler Szalay u.a.m. – Schubert soll in jenem Kreis »der Kanevas« geheißen haben, weil er, wenn ein Fremder eingeführt und der Gesellschaft vorgestellt wurde, immer zuerst seinen Nachbar zu fragen pflegte: »Kann er was?« – Im Jahre 1827 erhielt der korpulente Franz den Spitznamen »Schwammerl«; Groß und Witteczek nannten ihn kurzweg »Bertl«.

41

In dem »Buch von uns Wienern in lustigen gemüthlichen Reimlein von Rusticocampius«. Leipzig 1858.

Quelle:
Kreissle von Hellborn, Heinrich: Franz Schubert. Wien: Carl Gerold's Sohn, 1865, S. 197-226.
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