§. 22.

[251] Alle diese Auszierungen brauche man aber nur, wenn man ein Solo spielet; und dort sehr mäßig, zur rechten Zeit, und nur zur Abwechselung einiger öfter nach einander kommenden Passagen. Und man sehe wohl auf die Vorschrift des Componisten: denn bey der Anwendung solcher Auszierungen verräth man am ehesten seine Unwissenheit. Absonderlich aber hüte man sich vor allen willkührlichen Zieraten, wenn mehrer aus einer Stimme spielen. Was würde es vor eine Verwirrung geben, wenn ieder nach seinem Sinne die Noten verkräuseln wollte? und wurde man nicht letzlich wegen der verschiedenen ungeschickt eingemischten abscheulichen Schönheiten keine Melodie mehr verstehen? ich weiß wie bange einem wird, wenn man die singbarsten Stücke durch unnötige Verzierungen so erbärmlich verstümpeln höret. Ich will in dem folgenden Hauptstücke hiervon etwas mehrers reden.

Fußnoten

1 Wenn sich andere bey diesem Mordanten, oder Mordente, nach der Wortforschung, vom mordere mit dem (Beissen) lustig machen; da sie ihn einen Beisser nennen: so darf ich vom französischen pincé, welches Zwicken, Zupfen oder Pfetzen heißt, wohl sagen: daß der Mordant oder das französische so genannte Pincé ganz still und geschwind sich an die Hauptnote machet, selbe ungefehr anbeisset, zwicket oder pfetzet; gleich aber wieder ausläßt.


2 Was? Den Schuß aus dem Reiche der Musik verbannen? – – – Das wollte ich nicht wagen: Denn er hat sich nicht nur in die schönen Künsten, sondern aller Orten eingedrungen. Ja wo man nichts davon wissen will, dort riechet es erst recht sehr nach Pulver. Quisque suos patimur Manes – – –. Virgil.


Quelle:
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule. Wien (1922), S. 251.
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