102. Mozarteum.

[151] Paris 1. Mai 1778.

– Der kleine Violoncellist Zygmatofsky und sein schlechter Vater ist hier, das werde ich Ihnen vielleicht schon geschrieben haben, ich thue es nur im Vorbeigehen, weil ich just darauf gedacht habe, daß ich ihn in jenem Ort gesehen habe, wovon ich Ihnen nun Meldung thun will, das ist nämlich bei der Mad. La Duchesse de Chabot. Mr. Grimm gab mir einen Brief an sie und da fuhr ich hin. Der Inhalt dieses Briefes war hauptsächlich mich bei der Duchesse de Bourbon, die damals [d.h. bei Mozarts erstem Pariser Aufenthalt] im Kloster war, zu recommandiren und mich neuerdings bei ihr wieder bekannt zu machen und sich meiner erinnern zu machen. Da gingen 8 Tage vorbei ohne mindester Nachricht; sie hatte mich dort schon über 8 Tage bestellt und also hielt ich mein Wort und kam. Da mußte ich eine halbe Stunde in einem eiskalten, ungeheizten und ohne mit Kamin versehenen großen Zimmer warten. Endlich kam die D. Chabot mit größter Höflichkeit und bat mich mit dem Clavier vorlieb zu nehmen, indem keines von den ihrigen zugerichtet sei, ich möchte es versuchen. Ich sagte ich wollte vom Herzen gern etwas spielen, aber jetzt sei es unmöglich, indem ich meine Finger nicht empfinde vor Kälte und bat sie, sie möchte mich aufs wenigste in ein Zimmer, wo ein Kamin mit Feuer ist, führen lassen. »O oui Monsieur, vous avez raison!« das war die ganze Antwort, dann setzte sie sich nieder und fing an eine ganze Stunde zu zeichnen en compagnie anderer Herrn, die alle in einem Cirkel um einen großen Tisch herumsaßen; da hatte ich die Ehre eine ganze Stunde zu warten. Fenster und Thüre waren offen, ich hatte nicht allein in Händen sondern am ganzen Leib und Füßen kalt und der Kopf fing mir auch gleich an weh zu thun. Da war also altum silentium und ich wußte nicht was ich vor Kälte, Kopfweh und Langeweile anfangen sollte. Oft dachte ich mir, wenn's mir nicht um Mr. Grimm wäre, so ginge ich den Augenblick wieder weg. Endlich, um kurz zu sein, spielte ich auf den elenden miserablen Pianoforte. Was aber das Ärgste war, daß die Mad. und all die Herrn ihr Zeichnen keinen Augenblick[152] unterließen sondern immer fortmachten und ich also für die Sessel, Tisch und Mauern spielen mußte. Bei diesen so übel bewandten Umständen verging mir die Geduld, – ich fing also die Fischerischen Variationen an, spielte die Hälfte und stand auf. Da waren eine Menge Elogen. Ich aber sagte, was zu sagen ist, nämlich daß ich mir mit diesem Clavier keine Ehre machen könnte, und mir sehr lieb sei, einen andern Tag zu wählen, wo ein besseres Clavier da wäre. Sie gab aber nicht nach, ich mußte noch eine halbe Stunde warten bis ihr Herr kam. Der aber setzte sich zu mir und hörte mit aller Aufmerksamkeit zu, und ich – ich vergaß darüber alle Kälte, Kopfweh und spielte ungeachtet dem elenden Clavier so, wie ich spielte, wenn ich gut in Laune bin. Geben Sie mir das beste Clavier in Europa und aber Leute zu Zuhörern, die nichts verstehen oder die nichts verstehen wollen und die nicht mit mir empfinden, was ich spiele, so werde ich alle Freude verlieren. Ich habe dem Mr. Grimm nach der Hand alles erzählt.

Sie schreiben mir, daß ich brav Visiten machen werde, um Bekanntschaften zu machen und die alten wieder zu erneuern. Das ist aber nicht möglich, zu Fuß ist es überall zu weit oder zu kothig, denn in Paris ist ein unbeschreiblicher Dreck. Im Wagen zu fahren – hat man die Ehre gleich des Tags 4 bis 5 Livres zu verfahren, und umsonst; denn die Leute machen halt Complimente und dann ist's aus, bestellen mich auf den und den Tag, da spiele ich, dann heißt es: »O c'est un prodige, c'est inconvenable, c'est étonnant!« – und hiemit adieu. Ich habe hier so Anfangs Geld genug verfahren und oft umsonst, daß ich die Leute nicht angetroffen habe. Wer nicht hier ist, der glaubt nicht, wie fatal daß es ist. Überhaupt hat sich Paris viel verändert, die Franzosen haben lange nicht mehr so viel Politesse als vor 15 Jahren, sie gränzen jetzt stark an die Grobheit, und hoffärtig sind sie abscheulich.

Nun muß ich Ihnen eine Beschreibung von demConcert spirituel machen. Das muß ich Ihnen geschwind im Vorbeigehen sagen, daß meine Chorarbeit so zu sagen umsonst war, denn das Miserere von Holzbauer ist ohnedieß lang und hat[153] nicht gefallen; mithin hat man anstatt 4 nur 2 Chöre von mir gemacht, und folglich das Beste ausgelassen. Das hat aber nicht viel zu sagen gehabt, denn viele haben nicht gewußt, daß etwas von mir dabei ist, und viele haben mich auch gar nicht gekannt. Übrigens war aber bei der Probe ein großer Beifall, und ich selbst (denn auf das Pariser Lob rechne ich nicht) bin sehr mit meinen Chören zufrieden. Nun aber mit der Sinfonie concertante hat es wieder ein Hicklhackl; da aber glaube ich, ist wieder etwas anderes dazwischen. Ich habe halt hier auch wieder meine Feinde, wo habe ich sie aber nicht gehabt? – Das ist aber ein gutes Zeichen. Ich habe die Sinfonie machen müssen in größter Eile, habe mich sehr beflissen und die 4 Concertanten waren und sind noch ganz darin verliebt. Le Gros hat sie 4 Tage zum Abschreiben, ich finde sie aber noch immer am nämlichen Platz liegen. Endlich den vorletzten Tag finde ich sie nicht – suche aber recht unter den Musikalien – und finde sie versteckt, thue nichts dergleichen, frage den Le Gros: »Apropos, haben Sie die Sinfonie concertante schon zum Abschreiben gegeben?« – »Nein – ich habs vergessen.« Weil ich ihm natürlicher Weise nicht befehlen kann, daß er sie abschreiben und machen lassen soll, so sagte ich nichts, ging die zwei Tage, wo sie hätte executirt werden sollen, ins Concert, da kam Ramm und Punto im größten Feuer zu mir und fragten mich warum denn meineSinfonien concertante nicht gemacht wird? – »Das weiß ich nicht. Das ist das Erste was ich höre, ich weiß von nichts.« – Der Ramm ist fuchswild worden und hat in dem Musikzimmer französisch über den Le Gros geschmält, daß das von ihm nicht schön sei etc. Was mich bei der ganzen Sache am meisten verdrießt, ist, daß der Le Gros mir gar kein Wort davon gesagt hat; nur ich habe nichts davon wissen dürfen. Wenn er doch eine Excuse gemacht hätte, daß ihm die Zeit zu kurz wäre, oder dergleichen; aber gar nichts. – Ich glaub aber, da ist der Cambini, ein welscher Maestro hier, Ursache; denn dem habe ich unschuldigerweise die Augen in der ersten Zusammenkunft beim Le Gros ausgelöschet. Er hat Quintetten gemacht, wovon ich eins zu Mannheim gehört habe, die recht hübsch sind, und die[154] lobte ich ihm dann und spielte ihm den Anfang. Da war aber der Ritter, Ramm und Punto und ließen mir keinen Fried, ich möchte fortfahren und was ich nicht weiß, selbst dazu machen. Da machte ich es denn also so, und Cambini war ganz außer sich und konnte sich nicht enthalten zu sagen: »Questa è una gran testa!« – Nu, das wird ihm halt nicht geschmeckt haben. [Auch jene Sinfonie ist spurlos verschwunden.]

Wenn hier ein Ort wäre, wo die Leute Ohren hätten, Herz zum Empfinden und nur ein wenig etwas von der Musik verstünden und Gusto hätten, so würde ich von Herzen zu allen diesen Sachen lachen, aber so bin ich unter lauter Vieher und Bestien (was die Musik anbelangt). Wie kann es aber anders sein, sie sind ja in allen ihren Handlungen, Leidenschaften und Passionen auch nichts anderes. Es gibt ja keinen Ort in der Welt wie Paris. Sie dürfen nicht glauben, daß ich ausschweife, wenn ich von der hiesigen Musik so rede, wenden Sie sich an wen Sie wollen, – nur an keinen gebornen Franzosen, – so wird man Ihnen (wenns jemand ist an den man sich wenden kann) das nämliche sagen. Nun bin ich hier, ich muß aushalten und das Ihnen zu lieb. Ich danke Gott dem Allmächtigen, wenn ich mit gesunden Gusto davon komme. Ich bitte alle Tage Gott, daß er mir die Gnade gibt, daß ich hier standhaft aushalten kann, daß ich mir und der ganzen deutschen Nation Ehre mache, indem alles zu seiner größeren Ehre und Glorie ist, und daß er zuläßt, daß ich mein Glück mache, brav Geld mache, damit ich im Stande bin, Ihnen aus Ihren dermalen betrübten Umständen herauszuhelfen und zuwege zu bringen, daß wir bald zusammen kommen und glücklich und vergnügt mit einander leben können. Übrigens sein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden. Sie liebster Vater, bitte ich aber, sich zu impegniren indessen, daß ich Italien zu sehen bekomme, damit ich doch hernach wieder aufleben kann. Machen Sie mir doch bald diese Freude, ich bitte Sie darum. Nun bitte ich Sie aber, recht lustig zu sein, ich werde mich hinaushauen, wie ich kann, wenn ich nur ganz davon komme. Adieu.

Quelle:
Mozarts Briefe. Nach den Originalen herausgegeben von Ludwig Nohl. Salzburg 1865, S. 151-155.
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