|
»Der Wahrheit ihr Recht – Dem Verdienste seine Krone!« –
Altes Sprüchwort.
Die, in der neuesten Zeit aufgetauchten Irrthümer hinsichtlich des Ortes und der Zeit der Geburt des grossen deutschen dramatischen Tonmeisters Gluck verdanken ihren unwillkommenen Ursprung der voreiligen, ohne weitere Prüfung veranlassten Veröffentlichung eines Taufscheines, dem zwar ein Gluck, aber nicht unser Held zum Gegenstande dient.
Dieser irrthümliche Taufschein, dessen Entdeckung zu Neustadt an der Waldnab ohne Zweifel eine maasslose Freude hervorgerufen hat, erschien, meines Erinnerns, zuerst in der »allgemeinen Bürger- und Bauernzeitung« vom Jahre 1831, wanderte aus dieser von Blatt zu Blatt, von Buch zu Buch, und wusste sich, durch sein urkundliches Ansehen, allenthalben einen so sichern Eingang zu verschaffen, dass er, trotz der überzeugendsten Gründe und unumstösslichen Beweise, die man gegen die Wahrheit jenes Taufscheines aufzubringen bemüht war, nun fast unausrottbar ist, und selbst die ehrenwerthesten Männer gefangen hält. Nur hie und da wagte es eine Stimme, gegen die falsche Angabe ihre Zweifel zu erheben; allein diese Stimme verhallte in den Lüften, sei es, dass es ihr an den zum Kampfe und zum Siege nöthigen Waffen fehlte, sei es, dass es ihr an der diktatorischen Würde eines einflussreichen Wortführers gebrach.[1]
Indessen – warum will man doch, auf die Gefahr eines blossen Taufscheines hin, (deren ich – man höre! – bereits fünf an der Zahl mit dem Namen Christoph aus dem Gluck'schen Stamme zur beliebigen Auswahl hätte beibringen können,) die alten, richtigeren Angaben so vorschnell bei Seite schieben, und dafür – zwar neue – jedoch ganz unrichtige – in das Gebiet der geschichtlichen Tonkunst mit Gewalt einschwärzen? – Warum will man die Wahrheit von dem Throne stossen, und dafür den Irrthum an deren Stelle setzen? – Doch:
»Das eben ist des Irrthums Fluch, dass er,
Fortzeugend, neuen Irrthum muss gebären!«
Aus der obengenannten Bürger- und Bauernzeitung gerieth der falsche Taufschein zuerst in die königlich bayerische Hofzeitung des Jahres 1832, und von da in die bayerischen Blätter für Geschichte, Statistik, Literatur und Kunst, wo man in Nr. 21 desselben Jahres, wenigstens mit Beifügung einiger skeptischer Bemerkungen, die den dortigen Angaben keinen unbedingten Glauben zu schenken geneigt sind, auf der letzten Seite Folgendes liest:
»Gluck's, des grossen Tonsetzers Geburtsort und Geburtsjahr sind bisher verschieden angegeben worden. Nach Forkel, dem Leipziger Conversations-Lexikon, der Biographie universelle u.A. ist Gluck im Jahre 1714 in der obern Pfalz an der böhmischen Gränze; nach F.J. Lipowsky's bayerischem Musik-Lexikon den 14. Febr. 1712 in der obern Pfalz in einem nicht genannten, jedoch an Böhmens Gränze gelegenen Orte geboren. – Gerber's neues Lexikon der Tonkünstler, Leipzig, 1812. 2. Bd. S. 344 meldet: Gluck sei nach einem authentischen Taufscheine im Jahre 1714 zu Weidenwang in der obern Pfalz geboren, wo sein Vater, wie Herr Dlabacz in der Statistik von Böhmen berichtet, Jägermeister beim Fürsten Lobkowitz gewesen.«
Dagegen wird neuerlich in der allgemeinen deutschen Bürger- und Bauernzeitung 1831, Nr. 47 folgender Auszug aus der Taufmatrikel von Neustadt an der Waldnab in der obern Pfalz mitgetheilt: »25. Martii anno[2] 1700 baptizatus est à me M. Andrea Dozler, Cooperatore, Joannes Christophorus Joannis Adami Gluck, venatoris aulici et Annae Catharinae filius legitimus, tenente praenobili Domino Joanne Christophoro Pfreimbder de Bruckenthurn et Altensteinreith.«
Hierüber wird folgende nähere Erläuterung beigefügt: »S. Durchlaucht, der Fürst Ferdinand von Lobkowitz, kaiserl. Prinzipal-Kommissär bei dem Reichstage zu Regensburg, hielt jährlich im Frühling, Sommer und Herbst zahlreichen Hof zu Neustadt an der Waldnab, dem damaligen Hauptorte der im Jahre 1806 von dem Fürsten zu Lobkowitz an das Haus Bayern käuflich übergegangenen vormaligen gefürsteten Reichsgrafschaft Sternstein, wo der berühmte Tonsetzer Joh. Christoph Gluck am 25. März (oder doch kaum mehr als einen Tag früher) 1700 geboren wurde.« (sic!)
»Sein Vater kommt in den Pfarrbüchern wohl noch öfter als Pathe und Trauungszeuge unter der Standesbenennung venator aulicus (Hofjäger), aber nie mehr als Vater vor. Sein Bruder Alexander Gluck starb als fürstlich Lobkowitz'scher Forstmeister zu Eisenberg in Böhmen.« (!) –
»Da Gluck's Hintritt am 15. November des Jahres 1787 erfolgte, so müsste dieser musikalische Reformator, der noch im Jahre 1786 bis zum Weinen in Leidenschaft und Feuer gerieth, wenn die Rede auf eine seiner Opern kam, volle 87 Jahre alt geworden sein!«
»Es wäre nun die Frage, welche von den beiden, so sehr von einander abweichenden Taufzeugenschaften die eigentlich authentische seyn mag. Die Kirchenbücher von Weidenwang und von Neustadt an der Waldnab werden leicht entscheiden lassen, ob wirklich Einem der beiden Ortschaften, und welchem – die Ehre gebühre, der Geburtsort eines so ausgezeichneten Mannes gewesen zu seyn.« –
Dieser Aufsatz ging mit allen seinen Richtigkeiten und Unrichtigkeiten in die 56te Nummer der »Wiener Zeitung« vom Jahre 1832 über, und tauchte im Jahre 1836 in Lewald's »Europa« von Neuem auf, aus welchem Blatte der falsche[3] Taufschein, nun zu wiederholten Malen entlehnt, von Nr. 16 des »Wiener musikalischen Anzeigers« aus demselben Jahre als allerneueste Neuigkeit der Wiener Lesewelt zum Besten gegeben wurde. –
In dem ganzen, oben mitgetheilten Aufsatze sind folgende Hauptangaben durchaus falsch:
1. der aus den Neustädter Kirchenbüchern gezogene Taufschein, insofern er unsern Gluck betrifft;
2. die Angabe, dass Alexander Gluck (der Forstmeister) des Tonsetzers Bruder war, und
3. dass dieser Forstmeister zu Eisenberg gestorben sei.
Der, als kunstsinniger Autographen-Sammler und emsiger Forscher im Gebiete der Tonkunst rühmlich bekannte, nun bereits dahin geschiedene k.k. Hofkapellsänger und Kanzellist im Ministerium des Krieges, Herr Alois Fuchs, dem die liebe gute Sache der Wahrheit so warm, wie manchem andern echten Musikfreunde, am Herzen lag, war der Erste, der in Nr. 45 der »Leipziger allgemeinen musikalischen Zeitung« vom J. 1832 und in Nr. 16 des »Wiener musikalischen Anzeigers« 1836, und endlich wieder in Nr. 164 der »allgemeinen Wiener Musikzeitung« vom J. 1841 dem falschen Taufscheine den Krieg erklärte, und mit Beweisgründen auftrat, denen die gebührende Achtung schon damals nicht hätte versagt werden sollen. Allein umsonst! –
Kein Zeitblatt und kein Werk, ausser den zuvor genannten, hat es der Mühe werth erachtet, von diesen Berichtigungen Kennlniss zu nehmen. Das Ergebniss davon war, dass selbst der Supplementband zu Schilling's »Universal-Lexikon der Tonkunst,« der diese Beweise schon als ein »audiatur et altera pars« in seine Spalten hätte aufnehmen sollen, den alten Irrthum von Neuem aufnahm und sich dabei mit einer Zuversicht gebärdete, als wolle man die nun einmal gefasste Meinung sich durchaus nicht mehr entreissen lassen; ja, man spricht in jenem Artikel über den betreffenden Gegenstand mit solcher Gewissheit, als könne der dort aufgestellte Salz in keinerlei[4] Weise bestritten, umgestossen oder auch nur angefochten werden.
Obschon der Entdecker und unzeitige Mittheiler dieses unechten Taufscheines der guten Sache einen namhaften Dienst zu leisten vermeinte, so hätte er diese Urkunde doch vor ihrer Veröffentlichung einer aufmerksameren Prüfung unterziehen sollen, da man an Jedermänniglich die Forderung zu stellen berechtiget ist, dass solche Schriften, obschon sie auch zur Klasse der Urkunden gehören, mit äusserster Vorsicht zu benutzen sind, weil sie nur eine halbe Beweisfähigkeit haben, indem in grossen Familien desselben Namens (wie es Gluck's Geschlechtstafel weiter unten lehren wird, wo fünf Individuen Namens Christoph erscheinen), die Taufnamen oft wiederkehren, und daher nicht selten zu grossen Irrungen Anlass geben. –
Der Herausgeber dieser Blätter, der seit mehr als achtzehn Jahren so Manches, was Gluck's Lebensumstände betrifft, zu sammeln bemüht war, um einst eine Lebensbeschreibung des grossen Mannes zu versuchen, sieht sich daher in die Nothwendigkeit versetzt, an diesem Orte den kritischen Faden noch einmal aufzunehmen, und jenen Quellen, denen der, unsern Gluck betreffende Irrthum entsprungen ist, die Behauptung entgegen zu setzen, dass es sich mit der ganzen Sache in folgender Weise verhalte:
Der Tonsetzer Gluck ist wohl in der obern Pfalz, jedoch nicht zu Neustadt an der Waldnab; auch nicht am 25. März 1700, sondern zu Weidenwang bei Neumarkt am 2. Juli 1714 geboren, und zwei Tage darauf getauft worden. Seine Aeltern hiessen nicht Johann Adam und Anna Katharina, sondern Alexander und Walburga.
Ich will nun, mit gebührender Würdigung auch der älteren, noch unverfälschten Quellen, die Beweise der so eben angeführten Sätze genau zu entwickeln suchen.
1. Gibt schon Gerber in seinem alten Tonkünstler-Lexikon das Jahr 1714 als Gluck's wahres Geburtsjahr an, während Laborde und Fetis gänzlich irre gehen.[5]
Entscheidend ist der Ausspruch des Prämonstratensers Adalbert Dlabacz;1 dieser unermüdete, für Böhmen und Mähren höchst verdiente Forscher erhielt durch die Verwendung des gelehrten Fortunat Durich, nebst andern, Gluck's Leben betreffenden Notizen, von der verwittweten Marianna von Gluck eine Abschrift des Taufscheines ihres Gatten, der genau dieselben Angaben enthält, die der Herausgeber dieser Blätter im J. 1835 von einigen Verwandten des grossen Tonsetzers empfangen, aufgezeichnet und durch den später erworbenen Taufschein bestätigt gefunden hat.
Allen diesen Daten schenkte ich jedoch erst dann meinen vollkommenen Glauben, als ich mich auch im Besitze des Trauungsscheines sah, den ich nach mehrjährigem Aufsuchen in den Kirchenbüchern der zahlreichen Pfarreien Wiens endlich in der Vorstadt St. Ulrich aufzufinden das Glück hatte: denn nun war ich in der Lage, die Dokumente vergleichen, die Echtheit des einen durch das andere bestimmen und die Beweise für meine Behauptungen weiter verfolgen zu können. In beiden Aktenstücken, die in den Beilagen geboten werden, sind die Namen der wahren Aeltern Gluck's übereinstimmend aufgezeichnet, mithin die Daten richtig. Diesen zufolge waren nicht Johann Adam und Anna Katharina des Tonsetzers Aeltern, sondern die, in dem Weidenwanger Taufscheine genannten Alexander und Walburga.
2. Zwar fand ich in dem, von dem Pfarrbuche der Wiener Vorstadt St. Ulrich gezogenen Trauungsscheine Gluck's den, von dem Bräutigam Christoph Gluck selbst angegebenen Geburtsort Neumarkt in der obern Pfalz: allein, wenn man, von der Erfahrung geleitet, annimmt, dass Männer, weichein einem unbekannten Dorfe das Licht der Welt erblickt haben, und nach ihrem Geburtsort befragt werden, gewöhnlich die nächstgelegene Stadt als solchen bezeichnen: so darf es uns[6] eben nicht befremden, wenn Gluck, in einer Zeit, wo das Gesetz bei Trauungen noch keinen Taufschein forderte, lieber die bekannte Stadt Neumarkt, als das, nur zwei bayerische Chaussée-Meilen davon entlegene, und wenig gekannte Pfarrdorf Weidenwang als seinen Geburtsort angegeben hat. Wenigstens beweist diese Urkunde, dass Gluck nicht zu Neustadt an der Waldnab geboren worden sei, und dass dessen Aeltern nicht Johann Adam und Anna Katharina, sondern Alexander und Walburga geheissen haben.
3. Einen giltigen Beweis für die Richtigkeit des Gluck'schen Geburtsjahres 1714 liefert auch die Todtenmatrikel der Pfarrkirche zu den Paulanern in der Wiener Vorstadt »die Wieden«, und die genau damit übereinstimmende Todtenliste der Wiener Zeitung vom J. 1787, wo es an beiden Orten klar ausgesprochen ist, dass unser Gluck am 15. November 1787 im 73. Jahre seines Alters (nicht aber im 87.) gestorben ist.
4. Erhielt ich durch die Verwendung Sr. Excellenz des Hrn. Grafen Moriz von Dietrichstein, meines ehemaligen hohen Chefs, auf ämtliches Einschreiten Einer hohen königl. bayerischen Gesandtschaft am k.k. österreichischen Hofe, von dem königl. bayerischen Landrichter zu Neustadt an der Waldnab, Hrn. Freiherrn von Lichtenstern, welchem ich, nächst der genannten hohen Gesandtschaft, zum innigsten Danke verpflichtet bin, ausser dem erbetenen legalisirten Taufscheine, noch andere, die Familie Gluck's betreffende, aktenmässige, aus Ehe- und Kaufverträgen und aus Brief-Protokollen bestehende Mittheilungen, welche, verbunden mit den bereits erwähnten Urkunden und den, in meinem Besitze befindlichen Vormerkungen aus Familien-Papieren und des Tonsetzers Verlassenschafts-Abhandlung, mich in den Stand setzten, die Beweisesbeilagen, für den wahren Geburtsort, die wahre Geburtszeit, und die wahren Aeltern des Letzteren hier auf einander folgen zu lassen. Sie sind:
A. Der echte, nun in meinen Händen befindliche Taufschein, nebst dem eines jüngeren Bruders. (Siehe die Beilage A.)[7]
Aus diesem Taufscheine, dem zum Ueberflusse noch jener eines andern, um zwei Jahre später gebornen Bruders beigefügt wurde, ersieht man, dass der Tonsetzer Gluck am 4. Juli des Jahres 1714 zu Weidenwang getauft worden ist, und dass die in demselben angeführten Aeltern genau dieselben sind, welche der Pater Dlabacz angegeben hat.
B. Der Trauungsschein unseres Tonsetzers. (Siehe die Beilage B.)
Dieses Dokument führt den schlagenden Beweis, dass der Tonsetzer Gluck nicht zu Neustadt an der Waldnab geboren worden sei, und dass dessen Aeltern nicht die in dem Neustädter Taufscheine genannten, sondern die vom Pater Dlabacz, in Uebereinstimmung mit dem Weidenwanger Taufscheine angeführten Alexander und Walburga seien. Rücksichtlich der, in dem so eben angeführten Trauungsscheine als Gluck's Heimatsort vorkommenden Stadt Neumarkt habe ich oben meine Ansicht ausgesprochen.
C. Ein für unsern Tonsetzer ausgestelltes Lebenszeugniss. (Siehe die Beilage C.)
In der neuesten Zeit brachte der bereits erwähnte Herr Alois Fuchs noch ein höchst interessantes, unserem Zwecke dienendes Original-Dokument bei, welches derselbe vor beiläufig acht Jahren sammt andern Autographen aus Paris empfangen hat. Es ist dies ein sogenanntes, von dem damals am Wiener Kaiserhofe befindlichen königl. französischen Botschafter Marquis de Noailles, auf Ansuchen Gluck's ausgestelltes Lebenszeugniss, womit der Tonsetzer die, für die wiederholten Aufführungen seiner Opern in der Hauptstadt Frankreichs fällig gewordenen Tantièmes zu beheben gesonnen war, oder wirklich behoben hat.
Dieses Dokument, zu dessen Erwerbung Hrn. Alois Fuchs ein überaus glücklicher Zufall verhalf, wurde der musikalischen Welt in der Wiener Musikzeitung des Jahres 1844, Nr. 42 ohne Verzug mitgetheilt, und dürfte vollkommen hinreichen, den Schlussstein der Beweise für den wahren Geburtstag unseres Gluck zu bilden, jeden ferneren Zweifel in dieser Sache[8] niederzuschlagen, und durch des Tonsetzers eigenes Geständniss mit authentischer Bestimmtheit darzuthun, dass dieser berühmte Meister der Töne zwei Tage vor dem Empfange der heiligen Taufe, und zwar am 2. Juli 1714 geboren worden sei.
D. Gluck's Todtenschein.
Derselbe liegt hier vor, und wird in der Beilage D. wörtlich mitgetheilt.
Auch in der Todtenliste der Wiener Zeitung des Jahres 1787 liest man: »Den 15. November starb (vor der Stadt) Herr Christoph Ritter von Gluck, kais. Hofmusik-Compositor, alt 73 Jahre in seinem Hause auf der Wieden, Nr. 74.« –
Diese Todtenscheine liefern in Uebereinstimmung mit dem Weidenwanger Taufscheine und der Angabe des Pater Dlabacz den Beweis für die Richtigkeit des von uns bereits angegebenen Geburtsjahres des Ritters von Gluck.
E. Als eine zwar überzählige, jedoch höchst merkwürdige und Gluck's Verehrern gewiss nicht unwillkommene Beweises-Zugabe für meine Behauptungen mag noch folgende Geschlechtstafel der Familie dieses Namens liefern, und zugleich die Pentas meiner Beweise schliessen.
Diese Geschlechtstafel ist um so authentischer, als dieselbe theils nach den, mir durch Eine hohe königl. bayerische Gesandtschaft von dem Herrn Landrichter zu Neustadt an der Waldnab zugekommenen Kauf- und Eheverträgen und Briefprotokollen, theils nach den von mir gesammelten Vormerkungen aus Familien-Papieren, Kirchenbüchern und Verlassenschafts-Akten mit gewissenhafter Genauigkeit und sorgfältiger Prüfung zusammengestellt worden ist, und daher nur dasjenige bietet, worüber ich die sichersten Erhebungen zu machen im Stande gewesen bin.
Die erste Spur des Gluck'schen Stammes findet sich, laut Bericht des Herrn Landrichters zu Neustadt an der Waldnab,[9] Freiherrn von Lichtenstern2 bereits im Jahre 1649.
Der, auf diesen Umstand bezügliche Artikel dieses Berichtes lautet so:
»Es wurde am 29. Jänner des Jahres 1649 ein Melchior Gluck, welcher Musquetier in einem churbayerischen Regimente gewesen war, mit Katharina, Tochter des Peter Kreuzer aus Frauenberg, zu Neustadt getraut. Diesem Ehebündnisse entspross am 14. November desselben Jahres ein Sohn, Namens Johann Nicklas.«
Der, wahrscheinlich im darauf folgenden Jahre3 geborne Johann Adam Gluck, zweiter Sohn aus der Ehe dieses Kriegers, ist unsers Tonsetzers Grossvater, nicht aber, wie die Neustädter meinen, dessen Vater. –
Dieser Johann Adam Gluck, fürstlich Sagan'scher Hofjäger und Bürger zu Neusadt an der Waldnab, gestorben den 9. Jänner 1722 im 73. Jahre seines Alters, erzeugte folgende Kinder:
In erster Ehe mit Anna Maria N ... vom Jahre 1678 bis 1687.
1. Maria Ottilia.
2. Alexander.
3. Katharina.
4. Georg Christoph.
Von diesen vier Kindern blieb nur Alexander am Leben, und dieser war des Tonsetzers Vater.
In zweiter Ehe mit Anna Katharina, geb. Blödt (gestorben den 26. Jänner 1701), vom Jahre 1688 bis 1701.
1. Leopold, Förster in Ungarn.[10]
2. Eine Tochter, verehlicht an Gottfried Werner, Schneidermeister und Jäger zu Raudnitz in Böhmen.
3. Georg Christoph, Hofjäger zu Raudnitz.
4. Ein ungenanntes Kind.
5. Johann Christoph, geb. im Jahre 17004 (der, irrthümlich für den Tonsetzer gehaltene Gluck).
Alexander Gluck (in Johann Adams erster Ehe erzeugter Sohn) war in seinen Jünglingsjahren Büchsenspanner oder Leibjäger des berühmten Prinzen Eugen von Savoyen, wurde dann Förster zu Weidenwang in der Oberpfalz, kam im Jahre 1717 als Waldbereiter in die Dienste des Grafen von Kaunitz nach Neuschloss bei Böhmisch-Leippa im nördlichen Böhmen, wurde am 1. Mai 1722 Forstmeister des Grafen von Kinsky zu Böhmisch-Kamnitz, gelangte in derselben Eigenschaft schon im Anfange des Jahres 1724 zum Fürsten von Lobkowitz nach Eisenberg, und starb als solcher im Dienste der Grossherzogin von Toscana zu Reichstadt.5 Als der Tonsetzer Gluck im Jahre 1750 sich verehlichte, waren, wie aus dessen Trauungsschein ersichtlich ist, seine Aeltern bereits mit Tode abgegangen. Dieser Alexander Gluck war demnach nicht des Tonsetzers Bruder; er starb weder zu Eisenberg, noch im Jahre 1770, wie es in dem Eingangs erwähnten Aufsatze lautet, sondern zu Reichstadt und noch vor dem Jahre 1750 (nach Dlabacz im Jahre 1747).
Alexander Gluck erzeugte mit Anna Walburga folgende Kinder:
1. Christoph Willibald, geboren zu Weidenwang in der oberen Pfalz am 2., getauft am 4. Juli 1714, kam im dritten Jahre seines Alters nach Böhmen, erhielt dort Unterricht und Bildung, blieb in diesem Lande bis zum Jahre 1736, begab sich dann nach Wien, und reiste nach einem kurzen Aufenthalte daselbst nach Italien, um dort die ersten Lorbeerreiser seines Ruhmes zu brechen. Im Jahre 1748 kam er wieder nach[11] Wien, wo er sich sesshaft machte, verehlichte, und nur von Zeit zu Zeit Kunstreisen nach Italien, und später auch nach Frankreich unternahm. Die grosse Kaiserin Maria Theresia ernannte ihn, nachdem er eine lange Reihe von Jahren Theater-Kapellmeister gewesen war, zum k.k. Compositeur mittelst Dekret vom 18. Oktober 1774 mit einem Gehalte von 2,000 Flr. Seine Ehe mit Marianna, geb. Pergin (gest. 1800) blieb kinderlos. Gluck starb als k.k. Hofcompositeur am 15. November 1787 im 73. Altersjahre.
2. Christoph Anton, getauft zu Weidenwang den 11. April 1716, starb vermuthlich sehr früh.
3. Franz, gewesener herrschaftlicher Forstmeister in Böhmen, lebte mehrere Jahre in Wien, später auch in Prag, wo der Tonsetzer Tomaschek seine Bekanntschaft machte, von welchem ich auch Manches erfahren habe.
4. Karl, Oberjäger zu Baumgarten in Niederösterreich, hinterliess bei des Tonsetzers Tode fünf Kinder; von zweien derselben, nämlich von einem Sohne und einer Tochter hat der Herausgeber dieser Blätter noch Söhne und Enkel gekannt. Durch die Güte Beider, welche bereits verstorben sind, erhielt er die wichtigsten Familien-Nachrichten.
5. Alexander, Beamter im k.k. Mehl- und Aufschlagamte, starb den 7. Juni 1795 in Wien auf der Landstrasse im Alter von 60 Jahren.
6. Eine Tochter, verehlichte Kramer, hinterliess bei Gluck's Tode drei Kinder.
7. Eine Tochter, verheirathet an einen Husaren-Rittmeister, Namens Klaudius Hedler. Die einst berühmte Sängerin Fräulein Marianna von Gluck, welche in Dr. Burney's Reise-Tagebuch verewigt und von ihrem Oheime Christoph, Ritter von Gluck, an Kindes Statt angenommen wurde, und deshalb nie den Namen ihres leiblichen Vaters geführt hat, war ein Sprössling dieser Ehe. Sie starb im Jahre 1776 in dem zarten Alter von 16 Jahren an den Blattern.[12]
Aus dieser Tabelle lässt sich leicht ersehen, wie sehr man irre ging, als man Gluck's Vater in dessen Bruder und Gluck's Grossältern in dessen Aeltern umwandelte, und dem grossen Künstler den wohlerrungenen Lorbeer entreissen wollte, um damit die Stirn eines unberühmten Oheims zu schmücken.
Dieser Umstand mag allen denen zur Warnung dienen, welche den ersten besten Taufschein, ohne weitere Kriterien, zur Führung eines Hauptbeweises benützen, und damit den Keim zu einer geschichtlichen Fälschung legen, welcher, wenn er einmal Wurzel gefasst hat, schnell emporwächst, und seine Aeste immer weiter und weiter verbreitet, bis er die Wahrheit unter seiner Umrankung erstickt.
Mir thut es unendlich leid, dass der edle Herr Landrichter zu Neustadt an der Waldnab, dem das Verdienst gebührt, Einer meiner Hauptführer zur Erforschung der Wahrheit gewesen zu seyn, indem er mir die schlagendsten Beweise dazu selbst in die Hände gelegt hat, sich selbst von dem falschen Taufscheine und einigen andern Scheingründen täuschen liess. Er halt nämlich (in seinem Berichte an die königl. Regierung der Oberpfalz und von Regensburg in causa unsers Gluck) die aus Wien (das ist von dem Herausgeber dieser Blätter) verlautenden Vermuthungen, Gluck sei im J. 1714 zu Weidenwang geboren worden, nur deshalb für durchaus ungegründet, weil es nur Ein Weidenwang in Bayern, nämlich jenes im königl. Landgerichte Beilagries gebe, wo sich wohl eine Jägerfamilie Glück (sic) um das genannte Jahr aufhielt, und dass dieser Ort von der böhmischen Gränze weit entfernt liege.
Darauf vermag ich nur Folgendes zu erwidern:
1. Die über Gluck's Geburtsort und Geburtszeit aus Wien verlauteten, Einer hohen königl. bayerischen Gesandtschaft am Wiener Hofe von mir unterbreiteten Punkte waren keine Vermuthungen, sondern Beweise, die zum Theil aus den, auf Gluck's Taufschein und auf Familiennachrichten gebauten Angaben des Pater Dlabacz, zum Theil aus dem Trauungsscheine Gluck's, ferner aus dessen Todtenscheine, und endlich aus[13] eben desselben Geschlechtstafel bestanden, welche letztere ich nach den mir früher vorgelegten Aktenstücken genau entworfen habe. Diese Beweise sind authentisch und um so rechtskräftiger, als sie in den wesentlichsten Theilen miteinander vollkommen übereinstimmen. Die einzige darin enthaltene, von Gluck selbst veranlasste Abweichung, dass dieser bei der Trauung die Stadt Neumarkt als seinen Geburtsort bezeichnet hat, glaube ich weiter oben hinlänglich erläutert zu haben.
2. Bedarf es meines Erachtens nur Eines Ortes Namens Weidenwang, und zwar desjenigen, in welchem Gluck wirklich das Licht der Welt erblickt hat, und dieses ist das, in dem Landgerichte Beilagries, zwei bayerische Chaussèe-Meilen von Neumarkt entfernte Pfarrdorf, woher wir auch den echten Taufschein empfangen haben, obschon man zu Neustadt an der Waldnab denselben als echt anzuerkennen nicht geneigt ist.
3. Auch die in den Weidenwanger Kirchenbüchern vorkommende Namensbezeichnung » Glück« statt Gluck kann hier gegen die Echtheit des dortigen Taufscheines nichts beweisen. Denn in dem, durch die Gnade der hohen königl. bayerischen Gesandtschaft empfangenen Taufscheine finde ich auf dem Buchstaben »u« des Namens Gluck weder zwei Strichlein, womit der Deutsche in seiner Cursivschrift das »ü«, noch ein Schlinglein, womit er das »u« gestaltet, sondern ein Zeichen, das einem senkrechten, in der Mitte wagrecht gebogenen Häkchen ähnlich ist. Diese, an sich geringfügige Bezeichnungsart, worin der oben genannte Herr Landrichter einen ganz anderen Namen erkennen will, deutet, meiner Meinung nach, eher auf einen Schreibfehler, oder auf eine alte Schreibmanier hin. In jener Zeit war die deutsche Rechtschreibung noch keineswegs so folgerichtig wie heut' zu Tage ausgeprägt, und die Fehlerhaftigkeit der damaligen Schreibart erstreckte sich sogar auch auf die Eigennamen, wie dieses zahllose Urkunden beweisen. So liest man in den, die Gluck'sche Familie betreffenden Dokumenten die Namens-Varianten: Kluckh, Kluk, Gluckh, und endlich Gluck. Soll man deshalb zu dem Glauben[14] gezwungen seyn, dass alle diese Schreibarten eben so viele verschiedene Geschlechter bedeuten? –
4. Es ist wahr, dass Neustadt an der Waldnab der böhmischen Gränze viel näher, als Weidenwang, liegt; allein ich zweifle sehr, dass irgend Einer der früheren Biographen Gluck's sich die Mühe gegeben habe, auf der Karte zu erforschen, wie weit denn eigentlich Gluck's Geburtsort von der genannten Gränze entfernt sei. Einem von diesen Herren ist es einmal eingefallen, eben weil die obere Pfalz an Böhmen gränzt, sich des Ausdruckes: »unweit der böhmischen Gränze« zu bedienen, und die Andern sagten und schrieben es getreulich nach, und so mag – vielleicht durch eine hingeworfene Aeusserung des Tonsetzers zuerst selbst, indem er von dem Ursprunge seiner Familie und deren erstem Wohnsitze sprach, diese nichts beweisende Angabe entstanden seyn.
5. Spricht selbst der Umstand, dass der Weidenwanger Gluck auch ein Jäger war, für unsere Sache, indem die ganze Gluck'sche – mit nur wenigen Ausnahmen – eine grosse Jägerfamilie gewesen ist, deren Glieder fast ein Jahrhundert hindurch sich dem edlen Waid- und Waldgeschäfte gewidmet hatten.
Es verlautet zugleich aus Neustadt an der Waldnab, dass der im J. 1700 geborne Johann Christoph Gluck (des Tonsetzers Oheim) sich nach Regensburg begeben habe; ob aber derselbe dort geblieben und erzogen worden sei, und welche bürgerliche Stellung er in jener Stadt erlangt habe, ist bis jetzt unbekannt geblieben. Wahrscheinlich hat er sich dem geistlichen Stande gewidmet, weil, wie der Nachtrag zum Sup-plementbande des Schilling'schen Universal-Lexikons der Tonkunst uns meldet, das dortige Klerikal-Seminar einst sein Bildniss bewahrt habe, das jedoch, neueren Nachrichten zufolge, dort nicht mehr zu finden ist. Wo der Tonsetzer selbst seine Erziehung und Bildung erhalten, und später seine Kunst ausgeübt habe, ist bereits oben in der Geschlechtstafel ausgesprochen worden.[15]
Aber auch das Lebensalter, welches aus dem falschen Taufscheine hervorgeht, liefert einen Beweis gegen die Echtheit desselben. Hätte Gluck schon im Jahre 1700 das Licht der Welt erblickt, so würde er freilich das hohe Alter von 87 Jahren erreicht haben, Obschon dieses, bei normalen Körperzuständen, eben nichts Seltenes ist, so müsste man es doch für ein ausserordentliches, unwahrscheinliches, ja unglaubliches Ereigniss halten, dass Gluck in dem Greisenalter zwischen 70 und 80 Jahren, wo nicht allein die Kräfte der Fantasie, sondern auch jeder physischen und geistigen Thätigkeit erlahmen, gerade seine grössten Meisterwerke, und das allergrösste (die »Ifigenia in Tauride«) zuletzt geschrieben haben sollte! –
Wenn nun durch alle die vorangeschickten, unumstösslichen Beweise die Wahrheit meiner Behauptungen als hergestellt zu betrachten ist, so feiere man von nun an nicht mehr den 25. März als den Geburtstag eines Mannes, der wider Willen zu einer Ehre gelangte, die nicht ihm, sondern einem Andern gebührt, und deren unwürdig zu seyn, er gewiss öffentlich bekennen würde, wenn er noch am Leben wäre; man feiere den 2. Juli als den Aufgangstag jenes hervorragenden Gestirnes, dem wir so viele der herrlichsten lyrisch-dramatischen Schöpfungen verdanken!
Wohl mag es die gute Stadt Neustadt an der Waldnab tief schmerzen, wenn sie den Ruhm, die Wiege des grossen Tonsetzers gewesen zu seyn, sich entziehen, und ihn auf einen andern, unbedeutenderen Ort der obern Pfalz übertragen sieht; allein der Wahrheit gebührt – auch unter Freunden – ihr Recht, majorem habere veritatis quam amicitiae rationem necesse est, – und die aufgestellten Beweise dienen nur dazu, dieses, ihr durch die erste Veröffentlichung des falschen Taufscheines entzogene Recht wieder herzustellen.
Mag auch Böhmen darauf stolz seyn diesen Heroen der dramatischen Tonkunst erzogen und gebildet zu haben; mag auch Oesterreichs Residenzstadt sich hoch erfreu'n, in ihm Einen der ausgezeichnetsten Bürger durch fast 40 Jahre besessen und verehrt zu haben; so wird Gluck, – hört es, edle bayerische[16] Nachbarn! – stets ein geborner Oberpfälzer seyn, und somit die Zierde Eures echtdeutschen Königreiches bleiben, wo ein kunstsinniger Monarch nicht nur der Wissenschaft und Kunst Tempel erbaute, sondern auch unserm Gluck auf dem Odeons-Platze seiner Residenz neben Orlando di Lasso ein herrliches und sinniges Denkmal errichtet hat.
Semper honos nomenque tuum laudesque manebunt! –
1 | Siehe dessen »Künstler-Lexikon für Böhmen.« Prag 1815. 4. Bd. I. S. 469. – P. Gottfried Dlabacz, Bibliothekar des Prämonstratenser-Stiftes am Strahow zu Prag, starb am 4. Februar 1820 im 62. Jahre seines Alters. |
2 | Siehe die Beilage E. |
3 | Man überzeuge sich aus der Beilage E, dass dieser Johann Adam Gluck, da derselbe nach der dortigen Angabe am 9. Jänner 1722 im 73. Jahre verstarb, im Jahre 1650 geboren worden seyn muss. |
4 | So weit aus den Neustädter Mittheilungen. |
5 | Seine Unterschrift war stets: Alexander Johannes Klukh. |
Buchempfehlung
Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.
98 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.
468 Seiten, 19.80 Euro