[16] 1. Aus Malta.
Einst geschah es, daß die Mutter Gottes ihr Kindchen nicht in den Schlaf singen konnte, da sie heiser war und müde vom Spinnen. Aber der kleine Jesus wollte nicht schlafen, da er an den Gesang seiner Mutter gewöhnt war. So versuchte sie es ihm zu Liebe noch einmal, aber es wollte nicht gehen, sie hatte so argen Schnupfen. Da ließ sich plötzlich ein Vöglein vernehmen, das der Mutter Gottes heimlich die schönen Lieder abgelauscht hatte und sie nun wundervoll rein und klar wiedergab, so daß der kleine Jesus glaubte, seine Mutter sänge sie ihm wie gewöhnlich. Als er eingeschlafen war, sprach sie zum Vogel: »Du sollst von nun meine Stimme in dir tragen, damit du den Menschen von Leid und Freud erzählst und von der Sehnsucht nach dem Frieden. Deinen Namen aber wird man mit dem meinen verbinden.« Seit der Zeit singt die Nachtigall mit der Stimme der[16] Gottesmutter, und ihre Namen vereint man, weil es heißt: Maria, du Nachtigall des Himmels.
Diese oder eine ähnliche Legende ist gewiß auch anderswo bekannt. So erzählt Rosegger irgendwo, daß die Nachtigall in Steiermark für heilig gelte, weil sie das Christkindlein in Schlaf gesungen habe.
2. Aus Frankreich.
Der Zaunkönig gehört zu den Tieren, die »des lieben Gottes Tiere« heißen; mehr als jedes andere verdient er diesen Namen, weil er, wie man versichert, bei der Geburt des Jesuskindes alles Moos und allen Flaum aus seinem Neste herbeibrachte, um dem Kinde ein Lager zu bereiten.
Vgl. Sébillot, Folklore de France 3, 185, wo auch aus Perigord berichtet wird, daß der Z. »bei der Geburt des Kindes zugegen war«.
3. Aus Vorarlberg.
Als das Jesuskind noch in der Krippe lag, spann ihm eine Spinne ihr Netz gerade vors Gesicht. Erschrocken wischte es die Mutter Gottes ab, denn sie fürchtete, das Gespinst könne dem Kinde noch gar in die Augen kommen. Aber die Spinne fing von neuem an und hatte bald wieder ein Gewebe fertig. Da flog der Zaunkönig herbei und verschlang sie. Zum Lohn hat er den Namen Zaunkönig erhalten.
4. Aus Rumänien.
Vor Christi Geburt gab es einen sehr schönen, mit herrlicher Stimme begabten Vogel, den auch die Mutter Maria gern hatte. Als nun Christus geboren war und einmal weinte, da glaubte der Vogel, das Kind wolle seinen Gesang verspotten – wie ja überhaupt die Vögel deshalb keine kleinen Kinder lieben. Darum begann der Vogel den kleinen Christus, so oft er ihn sah, zu verspotten, indem er Gesichter schnitt und winselte »gri, gri, gri«. Zur Strafe verfluchte ihn Maria: er solle ein häßliches Insekt werden und beständig »gri, gri« schreien. Das wurde die Grille (Gryllus campestris L.).
5. Aus Frankreich.
Die Frösche – so schwatzhaft sie sonst sind – weigerten sich, in der Stunde der Geburt Christi zu singen; daher verloren sie die Schwänze, die sie bis dahin besessen hatten.
(Wohl von der Todesstunde – siehe das Kap. von Christi Leiden und Sterben – auf die Geburtsstunde übertragen.)
6. Aus England (Cornwall).
Spinnweben werden oft nicht zerstört, weil es heißt, Spinnen hätten ihr Netz über Christus in der Krippe ge sponnen, um ihn vor Herodes zu verbergen.
Eine Parallele zu dem freundlichen Verhalten der Tiere gibt es im Slavischen.
[17] Das leuchtende Johanniskäferchen genießt bei den Slaven besondere Liebe, weil es durch das Haus der Eltern Johannis des Täufers geflogen ist und die Wiege des heiligen Kindes beschienen hat.
Auch die Tierstimmendeutung hat sich der Weihnachtsgeschichte bemächtigt. Alle Tiere freuten sich ja, als der Heiland zur Welt kam, und verkündeten einander die Geburt. Der Hahn schrie um Mitternacht plötzlich: »Christus ist geboren!« Der Hund fragte: »Wo, wo, wo, wo?« Die Ziege antwortete: »Zu Bethlehem! Zu Bethlehem!« Die Henne aber sagte: »Gehts nur gleich hin! Gehts nur gleich hin!« So in Steiermark (Zföst. Vk. 1, 244). Besonders hübsch wirkt in portugiesischer Sprache der Jubelruf des Hahnes, den er bis zum heutigen Tage behalten hat: Christo e na-a-a-do (Leite da Vasconcellos, Tradições)! Als Andenken an diese gegenseitige Verkündigung, heißt es in Steiermark (ebd.), sollen die Tiere noch heute die Fähigkeit haben, in der Christnacht zu sprechen. Dieser weitverbreitete Aberglaube hat einen ganzen Sagenkreis um sich gebildet, der uns hier aber nichts angeht. Ein anderer Aberglaube findet sich in Kujawien:
Unter den Vögeln soll der Rabe der erste gewesen sein, welcher von der Geburt Jesu wußte. Er trieb sich eben auf dem Felde herum, als die Engel den Hirten erschienen. Seit der Zeit legt er im Winter sein Ei, ein einziges, und zwar zu Weihnachten um 12 Uhr in der Nacht. Da er es aber nicht gleich ausbrüten kann, verklebt er es in Harz und verwahrt es in den Ästen des Tannenbaumes. Wer das Ei findet, dem ist unermeßlicher Reichtum beschert. Der Winter aber verläßt das Land nicht eher, als bis der Rabe sein verborgenes Ei aufsucht und sich zum Brüten anschickt. Erst dann hält der Frühling seinen Einzug.
Ein Beispiel, wie auch die Sitte an die Legende anknüpft, findet sich in Portugal:
Wenn man die Samenkörner in die Erde streut, nähert man dem Maule des Ochsen den Korb, der sie enthält, damit dieser sie anhauche und so den Samen hervorrufe, weil der Ochse Christus in der Krippe angehaucht hat.
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