LXI.

[103] Ishak, der Sohn Ibrahims von Moßul, erzählt: [Rand: Alaim.] Ich war an einem Winterabende allein zu Hause; das Wetter war abscheulich, Wolken thürmten sich auf Wolken, die Wasser stürzten unaufhörlich, und Bagdads Gassen waren ganz unwegsam geworden durch Schlamm und Koth. Es war unmöglich für mich, aus dem Hause zu kommen, um meine Freunde zu besuchen, und aus eben diesem Grunde mußte ich fürchten, daß keiner derselben es wagen würde, zu mir zu kommen. Ich befahl meinem Diener, mir ein Nachtmahl zu bereiten, um mir wenigstens allein, so gut es seyn konnte, die Zeit zu vertreiben.

Ich wartete noch immer, ob doch nicht vielleicht der Zufall mir einen Gesellschafter zuführen würde,[103] und in dieser Erwartung sah ich starr hinaus in die finstre Gassen, wo die Winde heulten, und der Regen stürzte. Ich hatte damals Bekanntschaft mit einer Sklavin eines der Söhne Mahadi's, einer vortrefflichen Sängerin und Flötenspielerin. Ich sehnte mich, besonders itzt, nach ihr, und hätte, ich weiß nicht was, gegeben, um sie bey mir zu haben. Die Nacht war so lang und stürmisch, die Einsamkeit so wüst und langweilig. In diesem Augenblicke klopfte Jemand an der Thüre, und eine Stimme ließ sich vernehmen: Mache auf!

Ha! dachte ich bey mir, ist's vielleicht meine Geliebte, und sang aus dem Stegreif:


He! wer klopft, und ruft am Thore, o wär' es mein Liebchen!

Trägt des Wunsches Baum heute noch köstliche Frucht!


Ich gieng zum Thore, öffnete es, und siehe da! es war meine Freundin in einen grünen Regenmantel gehüllt, mit einer Kaputze von Goldstoff, um sich vor dem Regen zu schützen, übrigens aber vom Fuße bis zum Kopf kothig wie eine Rohrdommel, und überall vom Regen träufend.

Meine Frau und Gebieterin, redete ich sie an, was bewog dich, in solchem Wetter herzukommen? – Dein Bote, antwortete sie, der mir deine Sehnsucht und Begierde mit so brennenden Farben schilderte, daß ich nicht anders als deine Bitte gewähren, und auf der Stelle her eilen konnte. Deß wunderte ich mich sehr, denn ich hatte Niemanden geschickt,[104] was ich doch nicht sagen wollte. Ich antwortete ihr: Gott sey Lob! daß Alles so nach Wunsch gegangen, hättest du gezaudert, so hätte ich dir gewiß noch einen andern Boten gesandt, denn gar zu groß ist heute meine Sehnsucht nach Dir. Sie befahl meinem Diener, Wasser warm zu machen; als es warm genug war, ließ ich ihr es auf die Füße aufgießen, und war selbst besorgt, dieselben zu waschen. Ich ließ die schönsten Kleider bringen, zog ihr dieselben an, und befahl dann, das Nachtmahl aufzutragen. Sie begehrte Wein, und ich kredenzte ihr einen Becher. Wer wird mir singen? fragte sie. – Ich, meine Frau und Gebieterin! – Nicht doch, fiel sie mir ein. – Also eine von meinen Sklavinnen? – Das will ich auch nicht, war die Antwort. – Also du selbst? – Mit nichten. – Wer denn also? – Geh auf die Gasse, und suche Jemanden, der uns singe. – Aber, liebe Freundin, bey diesem Wetter! – Geh, sag' ich, und bringe Jemanden. Ich kannte sie, und wußte, daß ich ihr gehorchen mußte, wenn ich mir nicht das Vergnügen des Abends verderben wollte; ich gieng hinaus, ohne die geringsie Hoffnung, meinen Mann zu finden. Als ich auf den Kreuzweg gekommen war, fand ich einen Blinden, der mit seinem Stabe den Weg vor sich her ausforschte, und zu sich selbst sprach: »Gott erbarme sich meiner in dieser Zeit! Wenn ich singe, hört man mich nicht, wenn ich bettle, giebt man mir[105] nicht.« Wie so? fragte ich, ein Sänger? Ja, antwortete er, zu dienen. – Möchtest du nicht die Nacht bey mir zubringen? – Gerne, wenn du willst, so leite mich nur bey der Hand. Ich nahm ihn, führte ihn nach Hause, und sprach zu meiner Freundin: Sieh da! ein trefflicher Fund, ein Blinder, welcher singt, und vor dem wir uns also nicht geniren dürfen. – Laß ihn hereinkommen, sagte sie. Ich führte ihn ins Zimmer und setzte ihn zu Tische. Er aß mit gutem Appetit, wusch sich die Hände, und trank drey Gläser Wein. Dann fragte er mich, wer ich sey. Ishak, der Sohn Ibrahims von Moßul, antwortete ich. – Lange, sprach mein Gast, kenne ich dich durch den Ruhm deines musikalischen Talentes, mich freut es nun herzlich, in deine Gesellschaft eingeführt worden zu seyn. Thu mir aber nun auch den Gefallen, der Erste zu singen. Ich nahm die Laute und begleitete einige meiner besten Lieder. Als ich aufgehört hatte, sprach der Blinde: Ey, ey! Ibrahim, ich dachte, du wärst ein Meister im Singen, sehe aber, daß ich mich gewaltig geirrt habe. Bey diesen Worten entsank mir die Laute vor Erstaunen.

Hast du Niemanden der besser singt? fragte er weiter. – Das ich nicht wüßte, es müßte denn eine Sklavin seyn, die hier im Hause ist. – Meine Freundin verstand den Wink und sang. – Das heißt alles nichts, unterbrach sie der Blinde, und sie warf[106] zornig die Laute weit von sich weg, so daß sie auf dem Boden zerbrach. Der Fremde, sagte sie, mag sich nun selbst hören lassen, ich ließ eine neue Laute bringen. Er stimmte sie, präludirte auf eine ganz neue, von mir noch ungehörte Weise, und sang dann folgende Verse:


Es dunkelt die Nacht, der Sturm heulet,

Ich sinne lange, wo mein Liebchen weilet.

Man klopft, es ist wahrhaftig keine Mähre,

O, wenn es gar vielleicht mein Liebchen wäre!


Ich sah meine Freundin ganz erstaunt an, und machte ihr Vorwürfe, als ob sie das, was zwischen mir und ihr ein Geheimniß hätte bleiben sollen, dem Blinden entdeckt hätte. Sie entschuldigte sich und liebkoste mich. Ich küßte ihre Hand, zog sie an meinen Busen, und wiegte sie in meinen Armen. Singe, sprach ich zum Blinden. Er nahm die Laute und sang dazu:


Ich stille nun mein brennendes Verlangen,

Genieß' in ihren Armen Himmelslust,

Ich wühle im Granatenpaar der Brust,

Und küß' den Staub vom Pfirsiche der Wangen.


Aber wie weiß er denn, was wir treiben? fragte ich ganz erstaunt meine Freundin. Vielleicht ist's gar ein falscher Blinder, und ich denke, es ist besser, uns seiner Gesellschaft zu entledigen. Knabe! rief ich, bring Licht, um dem Fremden hinabzuleuchten. Hier stand der Blinde auf, und gieng zur Thüre hinaus. Ich ihm nach, um das Hausthor aufzumachen,[107] aber ich konnte ihn nicht mehr finden. Das Thor war zugesperrt, und der Schlüssel bey mir. Ich wußte nicht, war mein Gast unter die Erde oder in die Lüfte gefahren. Ich sah klar ein, daß es der Teufel gewesen seyn mußte, der mir einen Besuch abgestattet hatte, vermuthlich um die Wahrheit des arabischen Sprichwortes zu bewähren, daß wo ein Mann und Weib allein beysammen sind, der Teufel sich immer als dritter Mann einfindet.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 103-108.
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