[114] [Rand: Dschami. 726.] Harun Raschid hatte manchesmal gar besondere Launen, so, daß es den ausgelerntesten Höflingen schwer ward, sich darein zu finden, und ohne Ungunst oder Strafe sich aus der Schlinge zu ziehen. Ein Beyspiel hiervon erzählt Asmai. Ich ward, sagte er, eines Tages auf das eiligste zum Chalifen gerufen. Er saß auf dem Throne, vor ihm auf einem Tabouret ein kleines Mädchen. Der Dichter Merwan Hafsa stand daneben. Ich küßte die Erde. Harun machte das gewöhnliche Bewillkommungszeichen, sah mich an, und blieb eine zeitlang stillschweigend. Endlich wandte er sich gegen mich mit den Worten: Hast du gehört, wie Merwan Hafsa die Freygebigkeit Moin's, des Sohnes Saide's, gelobt hat? – Wem sollte das Lobgedicht nicht bekannt seyn, Fürst der Rechtgläubigen! – Nun, so besinnest du dich wol auch des Verses:
Der Letzte der Freygebigen war Zeide's Sohn,
Und seine Erben sitzen heute auf dem Thron.
Hast du je etwas Unanständigeres gehört?
[114] Moin war einer meiner Diener, und dieser Bursche untersteht sich zu sagen, daß mit ihm die Freygebigkeit ausgestorben, und ich bloß ein Erbe derselben sey. – Herr, sprach ich, so was muß man Dichtern zu gute halten, du weißt ja, daß ihr ganzes Handwerk in Lügen besteht, und deine Majestät sollte deshalb dem armen Merwan Hafsa nichts Böses zudenken. – Nein! solche Vermessenheit darf nicht ungestraft hingehen, er soll dieselbe unter Geißelhieben abbüßen, und für die Zukunft Wahrheit sprechen lernen.
Die Geißelhiebe erklangen, und Merwan fieng an Zeter zu schreien. Fürst der Rechtgläubigen, schrie er, ich habe ja viele andere Lobgedichte auf deinen Namen verfertigt, wenn diese Lügen gewesen seyn sollten, so hättest du mich schon längst zu tode hauen lassen, wenn nicht, so verzeihe mir ob jener Wahrheiten, die Lüge, für die ich jetzt gegeißelt werde. – Laß hören, sagte der Chalife, was hast du denn von mir gesagt? – Merwan fieng an, sein bekanntes Lobgedicht der Familie Itab zu recitiren, und Harun, dem die Natur ein, für Schmeicheleyen äußerst empfindsames Ohr verliehen, ward sogleich beßrer Laune. Er verzieh dem Dichter, und schenkte ihm dreyßig tausend Dirhem.
Als er weg war, fragte mich Harun: Kennst du dies Mädchen? – Nein, Fürst der Rechtgläubigen. – Es ist die Prinzessin, meines Sohnes Tochter.[115] Geh hin und küsse sie. Ich befand mich in unaussprechlicher Verlegenheit; denn wenn ich nicht gehorchte, so verwirkte ich den Zorn des Chalifen für meinen Ungehorsam, wenn ich gehorchte, für die Vermessenheit, eine Prinzessin zu umarmen. Um mich zu retten, nahm ich den Ermel meines Kaftans über das Gesicht, gieng hin, und küßte die kleine Prinzessin durch den Ermel. – Da hast du einen klugen Einfall gehabt, Asmai, sagte Harun, denn sonst wäre es um dein Leben geschehn gewesen; zugleich ließ er mir zehn tausend Dirhems auszahlen.
Wahrlich eine schwierige Sache um Chalifenlaunen.