CXXIX.

[259] Die neuere arabische Geschichte nennt als die [Rand: Alaim.] freygebigsten Abdollah, den Sohn Dschafers, Gorabatol-ußa, und Kis, den Sohn Saads. Man stritt sich zu ihrer Zeit darin, wer wohl von diesen dreyen der freygebigste sey, und man stellte Wetten darauf an. Derjenige, der sich für Abdollah erklärt hatte, gieng der erste zu ihm hin, und fand ihn, wie er eben den Fuß in den Steigbügel setzte, zu einer Reise. Was willst du, fragte ihn Abdollah. – Ich bin ein armer Sohn des Weges (ein Reisender). Sogleich zog Abdollah den Fuß zurück aus dem Steigbügel, schenkte ihm das Kameel, und eine herrliche Klinge, die er von Ali hatte, außer viertausend Dukaten auf die Unkosten der Reise. Jetzt gieng der Freund von Kis Saad's Sohn, ihn auf die Probe zu stellen. Er fand ihn schlafend. Der Sklave an der Thür fragte, wer er sey, und was er wolle? – Ich bin ein Sohn des Weges, dem der Faden ausgegangen ist, das ist: ein Reisender ohne Geld. – Es ist nicht nöthig, sprach der Sklave, meinen Herrn[259] aufzuwecken; nimm diesen Beutel mit siebenhundert Dukaten. Es ist das einzige Geld, das uns im Hause geblieben. Nimm das Kameel und die Rüstung, die dir beliebt. Als Kis erwachte, und von seinem Sklaven vernahm, wie er ganz in seinem Sinne gehandelt, schenkte er ihm dafür die Freyheit. Der dritte, der für Gorabatol-ußa gewettet hatte, begegnete ihm, wie er sich eben von zwey Sklaven aus dem Hause in die Moschee führen ließ, denn er war blind. Ich bin, redete er ihn an, ein Sohn des Weges, dem der Faden ausgegangen. Sogleich zog der Blinde seine Hände ab von den Wegweisern, und rief: Ach! das Schicksal hat mich meiner Reichthümer beraubt, es hat mir nichts gelassen, als diese zwey Sklaven, die meine Schritte leiten durch die ewige Finsterniß, so meine Augen umnachtet. Nimm sie, sie können dir von einigem Nutzen seyn. Alle Bitten des Fremden, sich der Sklaven nicht zu berauben, waren umsonst. Er tappte nach der Mauer, um seinen Weg nach Hause zu finden, und er ward durch das einstimmige Urtheil derjenigen, welche über den Vorrang der Freygebigen gewettet hatten, für den Freygebigsten seiner Zeit erkannt.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 259-260.
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