[260] [Rand: Dschami. 931.] Hatemtais Freygebigkeit ist unter den Arabern zum Sprüchworte geworden. Die Beyspiele, welche die Geschichte davon aufbewahret, grenzen an's Unglaubliche.[260] Er hatte ein Haus gebaut mit vierzig Fenstern, von denen er jeglichen Tages den Armen Almosen auszutheilen pflegte. Sein Bruder war eben so geitzig von Natur, als Hatemtai freygebig. Nichts destoweniger wollte er nach dessen Tode auch den Ruhm der Freygebigkeit ererben. – Du bemühst dich umsonst, sagte ihm seine Mutter, was die Natur versagt, kann keine Kunst erheucheln. – Um ihn auf die Probe zu stellen, verkleidete sie sich als Bettlerin, und zeigte sich in dieser Gestalt vor dem ersten Fenster des Hauses, wo Hatemtais Bruder Allmosen auswarf. Desgleichen that sie beym zweyten Fenster; als sie aber an's dritte kam, und der Spender gewahr ward, daß er derselben Bettlerin schon zweymal gegeben, wies er sie ab mit harten Worten. Sagte ich es nicht, sprach sie, indem sie sich zu erkennen gab, daß du dich nicht verstehst aufs Freygebigseyn. Ich hatte einmal deinen Bruder so wie dich auf die Probe stellen wollen. Ich machte die Runde von allen vierzig Fenstern, und bey jedem Fenster erhielt ich Almosen mit derselben Güte und Leutseligkeit. Als ich euch Beyde noch an der Brust trug, legte sich schon die Verschiedenheit eurer Natur an den Tag. Oft, wenn ich deinen Bruder säugte, näherte ich der Brust ein anderes Kind. Hatem wollte nicht weiter saugen, und überließ seine Stelle dem Gaste. Du hingegen wolltest nicht nur dein Mahl mit Niemanden theilen, sondern während du an einer meiner[261] Brüste saugtest, hieltest du mit der Hand die andere Brust fest, aus Geitz und Neid, daß Niemand als du etwas erhalte.