Neunundsiebenzigstes Capitel.
Was Einer nicht versteht, mag er nicht unternehmen.

[135] Es war einst ein gewisser König, der kleine Hunde wunderbarlich gern hatte, und ob sie gleich Tag und Nacht tüchtig bellten, doch in seinem Schlosse schlafen ließ und ihnen eben da auch zu fressen gab. Nun gewöhnten sich diese aber so daran, an seinem Busen zu schlafen und da zu fressen, daß sie kaum irgend wo anders seyn wollten, und manchmal legten sie gar ihre Pfoten um den Hals des Königs, und so hatte denn der König seinen großen Spaß und Zerstreuung mit ihnen. Nun gab es daselbst auch einen Esel, der wie er dieses Alles sah, bei sich dachte: wenn ich sänge und vor dem König herumtanzte, auch meine Beine um den Hals des Königs legte, würde derselbe mir gewiß alle nur möglichen Speisen zum Fressen und seinen Schooß zum Schlafen geben. Kaum hatte er sich das überlegt, so sprang er aus seinem Stalle heraus, lief in die Hofhalle hinein und begann vor dem König zu singen; dann sprang er hin und her, lief zum König hin und legte ihm seine Beine um den Nacken, aber die Diener, welche das sahen, meinten, der Esel müsse toll geworden seyn, nahmen ihn, prügelten ihn gehörig und jagten ihn in seinen Stall zurück.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 135-136.
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