Zwölfte Geschichte

[9] geschah: Ein jeglicher Mensch der soll demütig sein, als wie Hillel is gewesen, un er soll nit bald (schnell) zornig sein als wie Schamai is gewesen. Denn es geschah einmal eine Maasse (Geschichte) an zwei Mannen, die haben gewettet mit einander um vierhundert Schilling. Der eine wollt Hillel zornig machen. Da sprach der andere: »Du kannst es nit tun, daß du Hillel zornig machen sollst.« Un wetten um vierhundert Schilling. Nun, das war eben an einem Erew Schabbes, (Freitag) daß sich Hillel eben zwagt (badet, wäscht) gegen Schabbes. Da ging derselbige Mann, der da hat gewettet er wollt Hillel zornig machen vor Hillel's Tür un kloppt an, un ruft: »Wo is Hillel?« Wie das Hillel hört, so tät er seinen Mantel bald (schnell) an, un ging dem Mann entgegen un sagt: »Lieber Sohn, was willst du?« Da sagt der Mann: »Lieber Rabbi, ich hab eine Frag zu fragen.« Da sprach der Hillel: »Mein Sohn, frag, was du zu fragen hast.« Da sprach er: »Lieber Rabbi, ich muß euch fragen, wie kommt es, daß die Leut in Babel kügelichte Köpf haben?« Da sprach Hillel: »Mein Sohn, du hast ein großen Frag gefrägt. Ich will dir sagen, von wegen, daß sie in Babel nit große Chachomim (gescheite Leute) sind, derhalben haben sie so kügelichte Köpf.« Da ging der Mann wieder weg un sprach: »Du hast mir die Kasche (Frage) wol metarez gewesen (beantwortet).« Über eine kleine Weile kam der selbige Mann wieder vor Hillels Tür un klopft wieder an un sagt: »Wo is Hillel?« Da tät der gute[9] Hillel seinen Mantel wieder an un ging dem Mann wieder entgegen un sagt zu ihm: »Mein Sohn, was begehrst du meiner?« Da sagt der Mann: »Lieber Rabbi, ich hab euch eine Frag zu fragen.« Da sagt Hillel: »Mein Sohn, frag, was du hast zu fragen.« Da fragt er: »Lieber Rabbi, sagt mir, warum haben die in Tarmudim (das ist eine Medine (Gegend), die heißt man also) kügelichte Augen?« Da sagt Hillel: »Mein Sohn, du hast eine große Frag gefragt. Ich will dir's sagen, von wegen, daß sie im Sand wohnen, un wenn ihre Augen sollten zwei Ecken haben, wie unsere Augen, da möcht der Wind den Sand in ihre Augen wehen un könnten den Sand nit wieder heraus bringen un möchten blind werden.« Damit sprach der Mann: »Du hast mir das auch wol beschieden«, un ging wieder sein Straß hinweg. Über eine kleine Weile kam der Mann wieder un meint, er wollt den Hillel damit zornig machen, derweil er ihn so oft von dem Bad ruft. Un ruft: »Wo is Hillel, wo is Hillel?« Wie Hillel da hört, daß er wieder ruft, da tät er wieder seinen Mantel um un ging dem Mann wieder entgegen un sagt zu ihm: »Mein lieber Sohn, was begehrst du von mir?« Da sagt er: »Lieber Rabbi, ich hab eine große Frag zu fragen.« Da sagt Hillel: »Frag mein lieber Sohn, was du zu fragen hast.« Da hub er an: »Lieber Rabbi, sagt mir, warum haben die Afrikim, das is ein besonder Volk, so breite Füß?« Da sprach Hillel: »Mein Sohn, du hast eine große Frag fragen tun. Ich will dir sagen, mein lieber Sohn, von wegen daß sie wohnen zwischen dem Gemeise (Ried) un Sümpfen, derhalben haben sie breite Füß, das is, daß sie darmit besser können gehn. Denn wenn sie schmale Füß hätten, fielen sie in das Gemeise ein. Aber wenn sie breite Füß haben, so können sie besser gehn.« Da sprach der Mann: »Lieber Rabbi, ich habe noch viel Fragen zu fragen, aber ich furcht du möchtest zürnen.« Da tät er erst seinen Mantel aus, der gute Hillel, un setzt sich nieder bei ihm un sprach zu ihm: »Mein Sohn, frag jetzunder, was du hast zu fragen; ich will dir zuhören un will dir recht bescheiden.« Da frägt er: »Bist du der Hillel, daß man dich heißt der Herr unter Jisroel?« Da sprach er »Ja«. Da sprach der Mann wieder: »Wie du bist, sollen sich nit mehren unter Jisroel.« Da sprach Hillel: »Mein lieber Sohn, warum?« Da sprach der Mann: »Ich hab von deinetwegen verwettet vierhundert Schilling un du hast mir sie machen verlieren, dieweil ich dich nit hab können zürnen machen.« Da spricht Hillel zu ihm: »Mein Sohn, ein andermal sei gewarnt un wett nit. Du weißt wol, der Hillel is wol wert, daß du sollst verwetten über ihn vierhundert Schilling. Un du verwettst wol noch vierhundert Gulden über mich un machst mich doch nit zornig.« Also zug der Mann seine Straße.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 9-10.
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